Das Auto als männliche Selbstwertprothese….

von Götz Eisenberg

Es war an einem dieser heißen Sommertage. Ich war mit dem Rad auf dem Weg zur Lahn, um schwimmen zu gehen. Ich hielt an einer Ampel an der Westanlage. Zwei schwarze Limousinen kamen nebeneinander zu stehen – mit abgedunkelten Scheiben und zu Schlitzen verengten Scheinwerfern. Musik wummerte aus beiden Wagen. Betont lässig hingen die Arme der Fahrer aus den geöffneten Fenstern. Die beiden jungen Männer nahmen Witterung auf und checkten ab, ob „etwas ging“. Reflexe schnappten ein und setzten einen Mechanismus in Gang, der kaum noch zu stoppen war. Sie betrieben ein nervöses Wechselspiel zwischen Kupplung und Gaspedal, so dass die Autos leicht vor und zurück wippten. Ihre Blicke gingen hektisch zwischen den Lichtern der Ampel und dem Rivalen hin und her. Die Szenerie erinnerte an Duelle zwischen Revolverhelden in gewissen Italowestern. Beide warteten auf das Startsignal. Die Ampel sprang auf Gelb und innerhalb von Sekundenbruchteilen gaben sie Gas. Motoren heulten auf, Reifen quietschten, die Wagen schossen leicht schlingernd davon. Ein paar hundert Meter weiter mussten sie ihr Rennen vor der nächsten roten Ampel ebenso rabiat unterbrechen.

Autorennen und Strafverfolgung

Dass bei solchen innerstädtischen Rennen an Ampeln gehalten wird, ist keineswegs mehr selbstverständlich. Im Februar 2016 haben zwei junge Männer auf dem Berliner Kurfürstendamm während eines nächtlichen Rennens gleich mehrere rote Ampeln überfahren. Einer der beiden rammte dann mit circa 160 Stundenkilometern einen Wagen, dessen Fahrer noch am Unfallort starb. Ein Berliner Gericht befand, die beiden jungen Männer hätten mit „bedingtem Vorsatz“ gehandelt und den Tod anderer Verkehrsteilnehmer billigend in Kauf genommen. In erster Instanz wurden sie wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Bundesgerichtshof hob am 1. März 2018 das erstinstanzliche Urteil auf. Die Karlsruher Richter sahen einen bedingten Tötungsvorsatz nicht ausreichend belegt und verwiesen den Fall zur Neuverhandlung an das Landgericht zurück. Die neuerliche Entscheidung steht noch aus (Sie ist inzwischen gefallen. Die Berliner Richter der 32. Großen Strafkammer haben das bisherige Urteil bestätigt: lebenslang wegen Mordes, bedingter Tatvorsatz. Die Verteidiger wollen Revision. (Anm. d. Red.).

Innerstädtisches Rasen nicht mehr als eine Ordnungswidrigkeit?

Einen Tag, nachdem in den Medien groß über die Karlsruher Entscheidung berichtet worden war, kam es auch in Gießen am helllichten Tag auf dem Anlagenring zu einem Rennen. Ein Porsche kam von der Fahrbahn ab und prallte gegen den Mast einer Ampel. Diesem Umstand verdankte ein 12-jähriger Junge sein Überleben. Vom Berliner Urteil hatte man sich eine abschreckende Wirkung versprochen: Potenzielle Täter sollten wissen, dass sie mit einer harten Bestrafung rechnen müssen, wenn sie das Leben anderer leichtfertig aufs Spiel setzen. Bislang wurden Raser auch dann, wenn Todesopfer zu beklagen waren, in der Regel nur wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Die Höchststrafe hierfür beträgt fünf Jahre. Kommt bei einer innerstädtischen Raserei niemand zu Schaden, wird sie als Ordnungswidrigkeit behandelt, die mit einer Geldstrafe und einem befristeten Führerscheinentzug geahndet wird. Möglicherweise hatten die beiden Gießener Raser die enthemmende Botschaft, die von der Aufhebung des Urteils ausging, empfangen und feierten das auf ihre Weise.

Viagra des männlichen Stolzes

Es kann aber auch sein, dass solche Straftaten zu jenen Delikten gehören, bei denen juristische Abschreckung nur bedingt oder gar nicht funktioniert. Es sind gruppendynamische Faktoren und psychische Prozesse am Werk, die den Gedanken an eine mögliche Strafe gar nicht aufkommen lassen. Salopp gesagt: Wenn die männliche Ehre auf dem Spiel steht, ist alles andere egal! Um eine Kränkung abzuwehren, wird notfalls sogar der eigene Untergang in Kauf genommen. Wie gewisse Hunde keine Tiere, sondern das nach außen verlegte Aggressionspotenzial ihrer Besitzer sind, so sind gewisse Autos keine Fortbewegungsmittel, sondern lackierte Kampfhunde, die ihre Fahrer aufeinander loslassen. Es sind männliche Selbstwertprothesen, die das schwächelnde männliche Selbstgefühl aufmöbeln. Die Kraft der Motoren entscheidet über den Status: je stärker und lauter, desto männlicher. Statt die Motorengeräusche zu dämpfen, werden sie durch Soundgeneratoren mutwillig verstärkt. Solche Autos fungieren als Viagra des männlichen Stolzes.

Rollende Festungen

Das Automobil erfüllt wie der Fußball in unserer Gesellschaft eine wichtige sozialpsychologische Funktion: die gestaute Wut derer loszulassen, die in einem Universum permanenter Verteidigung und Aggression leben müssen und in Unmündigkeit und Ohnmacht gefangen sind. So entwickelt sich der Straßenverkehr mehr und mehr zu einer Form des Krieges. Nach einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation fallen diesem Krieg weltweit jährlich 1,25 Millionen Menschen zum Opfer. Der steigende Absatz von Geländewagen, SUVs und Pick-ups zeugt auch hierzulande davon, dass auf den Straßen Krieg herrscht. Jeder macht sich zum Kommandanten seiner eigenen rollenden Festung. Wie in jedem Krieg gibt es auch in diesem Leute, die gut an ihm verdienen. Wenn es wahr ist, „dass man eine Nation erst dann wirklich kennt, wenn man in ihren Gefängnissen gewesen ist“, wie Nelson Mandela gesagt hat, so könnte man auch den Straßenverkehr als Gradmesser dafür nehmen, wie es um die Zivilisiertheit einer Gesellschaft bestellt ist. Statt im Verkehr abzurüsten, was einer wahrhaft demokratischen Gesellschaft gut zu Gesicht stünde und auch der Umwelt zugutekäme, werden wir Zeugen einer gigantischen Auto-Mobilmachung.

Dieser Beitrag erschien im Oktober 2018 auf www.nachdenkseiten.de

Über den Autor

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ist Sozialwissenschaftler und Publizist. Er arbeitete jahrzehntelang als Gefängnispsychologe im Erwachsenenstrafvollzug an der Justizvollzugsanstalt Butzbach. Er organisierte dort Kulturprojekte, Theateraufführungen und Lesungen. Buch- und Zeitschriften – veröffentlichungen seit den frühen 1970er Jahren in der Tradition der Kritischen Theorie, unter anderem zu Amok, Hass und Gewalt. Er ist Mitinitiator des Gießener Georg-Büchner- Clubs. Eisenberg arbeitet an einer „Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus“, deren dritter Band unter dem Titel „Zwischen Anarchismus und Populismus“ soeben im Verlag Wolfgang Polkowski in Gießen erschienen ist.

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3 Responses

  1. Jeanette Dean
    Das Wichtel Wichtig

    Wenn genauer geschaut wird, stellt sich meist raus, dass alle Gender-Vorwürfe nicht recht haltbar sind, und was an absurdem Unfug getrieben wird, eher eine generell menschliche Eigenschaft ist. Sehr empfehlenswert zu hören: https://kingmorningstar.bandcamp.com/track/auto-auto-auto

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  2. Oliver

    In meinem Umfeld gibt es nur zwei Menschen, die gerne schnell fahren und dicke Autos lieben: Beide sind Frauen… Rennen fahren würden sie allerdings sicher nicht.

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    • Oliver
      Abwertende Sprache

      Wenn ich noch einmal drüber nachdenke: Was würden wir sagen, wenn in einem Artikel über Kosmetika – meinetwegen im Zusammenhang mit Tierversuchen – von „typisch weiblichen Selbstwertprothesen“, die Rede wäre?
      Jau, mit beiden Beinen im Genderklischee!
      Ist abwertende Sprache sinnvoll, wenn es gegen eine (noch) dominierende Gruppe geht?

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