Unsere Welt verändert sich – und wo bleiben wir? Resilienz – die psychischen Widerstandskräfte – helfen uns, mit Belastungen konstruktiv umzugehen.

von Regina Hockwin-Thalmann

Die weltweiten klimatischen und gesellschaftspolitischen Veränderungen sind gewaltig. Wie wir damit umgehen, ist individuell sehr unterschiedlich. Während sich manche Menschen davon in keinster Weise verunsichern lassen und ihre Lebensziele konsequent weiter verfolgen, reagieren andere ängstlich und fühlen sich bedroht und ohnmächtig in Bezug auf ihre Zukunft. Diese Sorgen produzieren Leid durch Stress und führen zu beruflichen und privaten Ausfällen. Der Mensch zieht sich in einen inneren Schutzraum zurück, verhärtet, verpanzert sich und reagiert intoleranter als zuvor. Die Wahrnehmung verengt sich auf die negativen Seiten der Existenz und der dadurch entstehende Tunnel-Blick führt schließlich zu einer Opferidentität: „Man kann ja doch nichts machen, wir sind dem Elend hilflos ausgeliefert.“

Dabei drehen sich 40 Prozent unserer Sorgen um mögliche zukünftige Ereignisse, die nie eintreten, 30 Prozent um die Vergangenheit, die wir nicht mehr ändern können, zehn Prozent um unnötige gesundheitliche Bedenken und nur acht Prozent unserer Sorgen sind tatsächlich begründet, wie eine Studie herausgefunden hat!

Die Forschung über Resilienz (die individuellen seelischen Widerstandskräfte) und psychologische Schutzfaktoren stellt sich an diesem Punkt die Frage: „Was erhält Menschen trotz Krisen und längerer Belastung psychisch und physisch gesund?“ Vorbilder für diese Art von Gesundheit, die Menschen trotz harter Schicksalsschläge besitzen, sind beispielsweise das Entführungssopfer Natascha Kampusch, das fast acht Jahre gefangen gehalten wurde, der beinahe 30 Jahre aus politischen Gründen inhaftierte ehemalige südamerikanische Staatspräsident Nelson Mandela und der ohne Arme und Beine geborene Motivationsredner Nick Vujicic.

„Elastische Widerstandsfähigkeit“

Eingeführt wurde der Fachbegriff Resilienz 1950 von dem US-Psychologen Jack Block, der beschrieb, dass sich manche Menschen – meist Kinder – überraschend unbeeindruckt gegenüber widrigen Umständen zeigten, die eigentlich psychopathologische Folgen hätten haben müssen. Diese Personen erholten sich schneller und vollständiger von extremen Belastungen als andere. Resilienz bezieht sich somit auf eine flexible, den jeweiligen Situationsanforderungen angemessene (elastische) Widerstandsfähigkeit.

Ein Beispiel aus Berlin: Ein Junge, fünf Jahre alt, stand eines Tages allein in der Tür der Familien- und Erziehungsberatung des Familienzentrums. Er war gekommen, weil er Hilfe suchte. Die erstaunte Beraterin fand heraus, dass die Mutter des Kindes im Gefängnis saß und vorher ihre zwei Söhne zu einer Nachbarin gebracht hatte, damit diese in der Zeit der Haftstrafe ihre Kinder versorgte. Diese Nachbarin tat ihr Möglichstes, war aber überfordert, und die Behörden hatten die Kinder „übersehen“ – keiner hatte ihr Verbleiben registriert! Dieser Junge lief nun zum Familienzentrum (wo er schon einmal mit seiner Mutter gewesen war), um sich nun Sicherheit und Hilfe zu verschaffen!

Er, sein wesentlich älterer Bruder und die Nachbarin erhielten diese dann auch. Diese Art der Selbstfürsorge muss nicht einfach nur ein Geschenk des Himmels sein, mit dem nur einige Auserwählte beglückt werden, sondern ist auch erlernbar. Ja, Resilienz kann erworben, trainiert und gefördert werden. Die Grundlage der Resilienzförderung orientiert sich am Modell der Salutogenese* von Antonovsky. Dieser untersuchte, wieso es Menschen gab, die trotz haarsträubender Erlebnisse im Krieg oder im KZ ihr Leben danach erfolgreich und mit Freude handhaben konnten.

Während die Verwundbarkeitsstudien der Katastrophenforschung tendenziell auf Opfergeschichten hinausliefen, nahm die Resilienzforschung die entgegengesetzte Blickrichtung ein. Untersuchungen zeigten dabei, dass Personen mit einem starken Glauben an die eigene Kompetenz größere Ausdauer bei der Bewältigung von Aufgaben, eine niedrigere Anfälligkeit für Angststörungen und Depressionen und mehr Erfolge im Berufs- und Familienleben hatten.

Stärkung des Selbstwirksamkeitsgefühls

April 1986: Eine Woche nach dem Atomunglück in Tschernobyl hatten Wind und Wolken mit dem ersten Regen Radioaktivität aus der Region um den Atommeiler zu uns gebracht. Die Bürger reagierten unterschiedlich. Manche gerieten in Endzeitstimmung und machten Hamsterkäufe, andere taten die Kontaminierung als unproblematisch ab, wieder andere wurden umweltpolitisch aktiv, viele ließen sich in depressive Stimmungen fallen. Den Kindern in West-Berlin vermittelten Kitas und Schulen Verhaltensmaßnahmen, die zur Stärkung des Selbstwirksamkeitsgefühls beitragen sollten. Man sagte ihnen: Ihr könnt etwas machen, ihr seid dem GAU nicht hilflos ausgeliefert. Zum Beispiel täglich duschen nach dem Eintreffen in der heimischen Wohnung, Schuhe außerhalb der Wohnung abstellen, nur H-Milch trinken, bei Regen nicht das Haus verlassen und anderes mehr. Die Kinder wurden so gestärkt und von Angst und Ohnmachtsgefühlen ferngehalten.

Auch gesellschaftliche Veränderungen wie der Zerfall sozialer Strukturen, die Zunahme lebensstilbedingter Gesundheitsgefährdungen, die demografische Entwicklung, der Wandel der Arbeitswelten, die durch Kriege und Wirtschaftsimperialsimus ausgelöste Massenwanderung sowie die sich hauptsächlich auf das Negative fokussierenden Medien verursachen unmittelbar eine Schwächung des Gesundheitszustands vieler Menschen. Gesundheitliche Auswirkungen bei nicht ausreichend vorhandener Resilienz treiben die Zahlen psychischer Erkrankungen von Arbeitnehmern und Arbeitslosen in die Höhe; sie führen inzwischen jährlich die Listen der Statistik an.

Lag die Zahl psychisch bedingter Arbeitsausfalltage in Deutschland 2001 bei 33,6 Millionen, waren es 2011 schon 59,2 Millionen. Die Kosten für die Behandlung psychischer Erkrankungen beliefen sich laut Berechnungen des Statistischen Bundesamtes 2008 auf 28,7 Milliarden Euro.

Wesentlicher Faktor für Resilienz: Selbstreflexion

Was kann man tun? Der Kern und wesentliche Faktor von Resilienz ist die Fähigkeit der Selbstreflexion. Diese Fähigkeit zu fördern, ist auch Bestandteil der Resilienzfördermaßnahmen. Dazu kommt der Aufbau von psychologischen Schutzfaktoren, also positive Gefühle wie Optimismus, Hoffnung und Selbstwertgefühl, die unseren Umgang mit Stressoren erleichtern. Die eigene Sinnhaftigkeit, also der Glauben, dass das eigene Leben bedeutsam und von Wert ist, unterstützt uns dabei.

Die Förderung zielt darauf ab, sicher im Umgang mit Belastungen, Stresssituationen und Misserfolgen zu werden, Ressourcen zu aktivieren, erlernte Techniken anzuwenden, Verantwortung zu übernehmen und selbstbewusst Umbruchsphasen zu bewältigen. Dazu gehört auch ehrlich JA und NEIN zu sagen, sich Wünsche zu erfüllen und Hoffnung selbst zu erzeugen. Auch im Berufsalltag werden diese Fähigkeiten immer notwendiger. 25 Prozent der neu eingestellten Arbeitsnehmer in Deutschland verlassen oder verlieren ihre Stelle schon nach sechs Monaten. Mittlerweile ist darum auch vielen Arbeitgebern klar: Wer in die körperliche und psychische Gesundheit seiner Mitarbeiter investiert, erhöht ihre Motivation, Leistungsfähigkeit, ihr Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen und insgesamt ihren Lebenssinn.

Resilienzförderung stellt für Arbeitnehmer und Arbeitgeber daher eine Win-Win-Situation dar. Sie verändert den Umgang in Teams positiv, die Mitarbeiter werden kooperativer und verlässlicher bei weniger Druck und Stress. Mittlerweile spricht man sogar von resilienten Organisationen. Diese achten darauf, dass die Arbeitsaufgaben und das Arbeitsklima nicht Raubbau am Mitarbeiter erzeugen. Gemeinsam werden betriebliche Strukturen daraufhin untersucht und verändert. Und: Die Resilienz-Schulung von Führungskräften steht hier sogar besonders im Vordergrund

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