Andreas Artem ist ein Meister im Umgang mit Holz. Gefällten Bäumen, die achtlos am Wegesrand liegen, entlockt er ausgefallenste Formen, die sich zu traumhaften Tischen oder Stühlen zusammenfügen, aus hohlen Baumstämmen entstehen wunderschöne Kunst­objekte. Neben technischer Meisterschaft, Akribie und Freude am Tun liegt das Geheimnis der inneren Stimmigkeit seiner Kreationen in Artems Fähigkeit, mit dem Holz zu kommunizieren. Ein Interview mit dem Potsdamer Holzflüsterer von Jörg Engelsing.

 

Andreas, du arbeitest mit Holz, und zwar auf besondere Weise. Wie genau sieht das aus und wo liegen die Ursprünge?
Als ich 17 war, habe den Weg des Holzes durch eine Schreinerlehre gefunden. Seitdem arbeite ich mit Holz. Mit den Jahren ging die Auseinandersetzung mit Baum und Holz immer tiefer. Neben dem Erlernen der technischen Dinge habe ich dann Stück für Stück erkannt, dass Bäume Wesenheiten sind, dass ich mit ihnen im Dialog stehe und dass sie mir auch sagen, wie sie erlöst werden wollen und ob sie ein Tisch, ein Bett oder ein Stuhl werden möchten. Es hat viele Jahre gebraucht, bis ich diese Sprache der Bäume wirklich verstehen konnte.

Wie läuft denn die Kommunikation mit den gefällten Bäumen ab?
Ganz unterschiedlich. Ein Beispiel: Ich fuhr vor 20 Jahren auf einer Straße, an der eine Linde lag. Ich habe die Rinde genommen, daran gerochen und gefragt: „Was möchtest du mir sagen?“ Da kam aber erst mal nichts. Ich bin dann weitergefahren. Aber nach mehreren Stunden rieche ich an meiner Hand und bemerke den Geruch der Linde. Plötzlich taucht der Gedanke auf: „Ich möchte kreiseln“, und „alles dreht sich im Kreis“. Aha, dachte ich, dann mache ich aus dieser Linde Kreisel. Dieser Baum wurde dann zu kleinen Kreiseln gedrechselt.

War es am Anfang nicht sehr merkwürdig, diese Botschaften zu empfangen?
Ja. Es war schon sehr befremdend, wenn ein Baum zu mir sprach – erst mal  schockierend, weil man denkt, man ist verrückt. Wenn ich heute an Wäldern vorbeifahre, höre ich beispielsweise Rufe wie „beschütze mich“ oder „kauf mich“. Natürlich tue ich nicht immer was damit.

Lässt du auch extra Bäume fällen?
Nein, ich finde es viel schöner, wenn ich unter einem lebendigen Baum sitze und das Laub höre. Ich habe stattdessen ein Netzwerk von Menschen, die sich melden, wenn sie irgendwo einen gefällten oder toten Baum sehen, weil sie wissen, dass ich besondere Dinge daraus mache. Dann rufe ich die entsprechenden Stellen an und kann die Bäume kaufen. Wenn ich diese Bäume dann hole – oft gefällt in Parks oder auch ab und zu welche aus dem Holzhandel – dann gibt es, wenn sie den Weg in meine Werkstatt gefunden haben, oft einen Kunden, der sich genau in dieses Stück Holz verliebt. Letztes Jahr beispielsweise kamen Architekten in die Werkstatt, die seit ihrer Studienzeit noch an einem aufgebockten Türblatt aus dem Baumarkt als Schreibtischersatz saßen. Die Büros waren mit den Jahren zwar größer geworden, aber der Tisch, an dem sie tatsächlich arbeiteten, die Platte, auf die sie ihre Arme legten, wo ihr Laptop draufstand, das war nach wie vor die alte Tür. In unserer Werkstatt haben sie sich schnell in eine Holzplatte verliebt, die sie mittlerweile nicht mehr missen wollen. Obwohl der neue Tisch am selben Platz wie die alte Tischplatte steht, berichten beide über einen enormen Kraftzuwachs beim Arbeiten. Die Kraft des Baumes und die Freude, die ich während des Werkelns hatte, spüren meine Kunden immer wieder als eine Art Klang, der sich durch das Objekt mitteilt.

Um die rein technische Seite deines Berufs zu vervollkommnen, hast du die besten Schreiner der Welt aufgesucht…
Ja, ich hatte den Wunsch, die Menschen kennen zu lernen, die als die Berühmtesten und Besten ihres Faches galten. Ich habe damals kurzerhand meine Werkstatt an die Mitarbeiter verkauft und bin ein Jahr um die Welt geflogen zu den Cracks, die mir ihre Trickkisten und Werkstätten öffneten.

Du verarbeitest einerseits Holz zu etwas Schönem, denkst aber weiter, denn  letztendlich sorgst du auch dafür, dass Holz nachwächst.
Ja. 1997 habe ich mich mit dem Auto überschlagen und ein Nahtoderlebnis gehabt.  Nach diesem Nahtoderlebnis wurde mir auf einmal klar: Es gibt zwei Millionen Schreiner, aber keinen Baumpflanzer. Aber es muss doch Leute geben, die für die schönen Holzhäuser und Möbel auch die Wälder erhalten und wieder neu anpflanzen. Daraufhin bin ich um die Welt gezogen und habe mir die verschiedensten Pflanz-Projekte angeguckt. Danach habe ich eine Stiftung gegründet, die Tree Trust Foundation. Mit dieser Stiftung habe ich dann weltweit Bäume gepflanzt – zusammen mit einem anderen Projekt, einem Baumpfad von Lissabon nach Moskau. Es war mein Traum, dass ein Eichhörnchen ohne aufzusetzen von Baum zu Baum von Lissabon nach Moskau reisen könnte. Ich habe dann stellenweise Obstbaumalleen oder Stücke auf diesem Weg von Lissabon nach Moskau gepflanzt, dann aber das Projekt aufgegeben, weil es nun mal schwierig ist, auf fremden Grundstücken Bäume zu pflanzen.

Ein Projekt, das dagegen sehr gut läuft, ist www.bauminvest.de. Dort kann man als Geldanlage Bäume in Costa Rica pflanzen. Ich habe Costa Rica als Land gewählt, weil es sieben Vegetationszonen hat, in denen alles wächst, weil es dort eine Friedensuniversität gibt, es an zwei Ozeanen liegt, es sehr schön ist, dort zu reisen, und weil es mir sinnvoll erschien, irgendeine Rinderfarm, die verfällt, tatsächlich zu einem neuen blühenden Wald zu machen.

Die Einbettung meiner gesamten Arbeit in einen Lebenskreislauf und einen größeren Zusammenhang ist mir wichtig. Ein Möbelkonzept von mir heißt Qimos, Qi von Leben und mo von mobil. Diese Möbel haben eine neutrale Produktökobilanz – man weiß, wo das Holz herkommt, wie es verarbeitet ist – und drei Prozent des Verkaufswertes dieser Möbel gehen wieder in die Aufpflanzung. Jedes Möbel produziert also automatisch wieder neue Bäume. Ein anderes Konzept, das in meine Möbel einfließt, ist die Triosophie, eine Art Numerologie – oder für einige, die Melchizedeks „Die Blume des Lebens“ kennen, die Zahl, die das Universum zusammenhält.

Was hat dein Möbeldesign mit Kunst zu tun?
Kunst ist für mich ein ganzheitliches Ausleben oder mit anderen Worten: ein Explodieren ins All. Kunst ist für mich, wenn ich ganz spontan in meine Werkstatt gehen kann und einem Impuls nachgehe und nicht vorher weiß, mit was ich in die Werkstatt gehe, und auch nicht ahnen kann, mit was ich rauskomme. Kunst ist für mich ein ganzheitlicher Seinsbegriff. Dazu gehört auch der Sozialkörper, in dem ich lebe, die Menschen, die mich umgeben. Kunst ist eine ganzheitliche Lebensphilosophie, in der ich ganz bei mir bleiben, mich frei {darin} ausdrücken kann, Zeit und Raum vergesse und albern werde wie ein Kind. Ich will mit Kunst keine Botschaft übermitteln. Ich mache sie auch nicht aus einem inneren Druck heraus, der  offenbaren soll, was in mir ist, sondern ich mache sie aus der reinen Lust am Tag und aus Freude. Wenn ich morgens aufstehe, blicke in den regenverhangenen Himmel und ich kann in die trockene Werkstatt gehen, dann bin ich total glücklich. Und genauso bin ich froh, wenn ich die Sonne sehe, mich mit meinem Hängerchen auf den Weg mache, irgendwo einen Baum jage oder etwas tue, bei dem ich ganz bei mir bin und in einen glücklichen zeitlosen Raum hineinkomme, in dieses Gleiten.

Ist Kunst ein Synonym für erfülltes Leben?
Ja, Kunst ist ein erfülltes Leben.

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