Wer Kinder hat, wünscht sich meist, ein „guter“ Vater oder eine „gute“ Mutter zu sein. Die Kinder sollen sich entfalten können, während wir liebe voll und gelassen mit all den Herausforderungen des Familienlebens umgehen. Die Realität sieht meistens anders aus – auch bei der Autorin Anne Hackenberger. Obwohl sie Achtsamkeitstraining für Eltern gibt.

Die gute Nachricht ist: Wir müssen keine perfekten Eltern sein und auch nicht so tun, als wären wir das. Wir können unsere Erwartungen an uns selbst und unsere Kinder getrost zurückschrauben. Kinder brauchen Eltern, die mit ihnen wachsen, die sich weiterentwickeln. Und als Lernende machen wir Fehler. Gerade Eltern haben oft Stress. Manchmal schalten wir schon direkt nach dem Aufstehen den Erledigungsmodus ein. Und zwischen Schnell- Frühstück-Machen, Anziehen und Pünktlich-Loskommen sind wir mit den Gedanken schon bei all den Aufgaben, die heute zu erledigen sind. Dann wollen wir, dass unsere Kinder einfach nur „funktionieren“, und sind wenig mitfühlend.

Wir verfallen in automatische Reaktionsmuster, die oft aus unserer eigenen Kindheit stammen und ungünstig für das Familienklima sind. Wenn dann nach einem langen Tag abends der Stresspegel noch mal hochschnellt, weil sich unser Kind weigert, die Zähne zu putzen, und stattdessen den Spiegel voll Zahncreme schmiert, dann schaltet unser Gehirn in die Kampf-oder-Flucht-Reaktion um. Dafür können wir nichts, denn die Evolution hat uns gewissermaßen einen kleinen Streich gespielt. In Gefahrensituationen nimmt unser Gehirn eine Abkürzung vom Stammhirn zum limbischen System. Der präfrontale Kortex, der für das höhere Denken, weise Entscheidungen und auch unsere Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, zuständig ist, kurz, der Sitz unserer Menschlichkeit, wird kurzerhand umgangen.

Die Amygdala feuert „Alarm“, Adrenalin wird durch den Körper in die große Muskulatur gepumpt, wir machen uns bereit, uns zu verteidigen oder zu fliehen. Wenig sinnvoll, wenn wir gerade einem Dreijährigen gegenüberstehen. Evolutionsgeschichtlich macht diese Stressreaktion Sinn. Wer nicht beim leisesten Knurren des Säbelzahntigers auf dem nächsten Baum saß, ist nicht unser Vorfahre geworden. Und es ist auch gut, dass wir nicht erst den Bremsweg des herannahenden Autos berechnen, wenn unser Kind auf die Straße gelaufen ist, sondern blitzschnell reagieren. Leider kann unser Gehirn aber nicht unterscheiden zwischen einer realen Gefahr und dem Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht, wenn wir unter Zeitdruck sind und sich unser Kind weigert, seine Schuhe anzuziehen oder seine Suppe auszulöffeln. Die Reaktion im Gehirn ist dieselbe.

Wer hat sich nicht schon mal nach einem Wutausbruch (Kampf) oder einem „Dannmach- halt-was-du-willst-mir-doch-egal“ (Flucht) gefragt, was da eigentlich gerade mit ihm passiert ist?

Die schlafenden Samen in uns

Was können wir also tun? Das Wichtigste ist, dass wir ab und zu „vom Baum runterkommen“ und uns bewusst machen, dass hier kein Säbelzahntiger steht, sondern unsere zauberhafte Tochter, auch wenn wir sie unter all der Glitzerzahnpasta kaum erkennen können. Stressige Situationen werden wir kaum vermeiden können. Manchmal schlagen die Wellen eben hoch. Aber wir können lernen, auf den Wellen des Alltags zu surfen. Die Praxis der Achtsamkeit ist eine gute Unterstützung für Eltern, um den Alltag leichter bewältigen zu können und seltener vom Surfbrett zu fallen. Denn wenn wir mehr in Kontakt sind mit uns selbst und unseren Kindern, wenn wir präsenter sind für diesen Augenblick, dann können wir die hohe Welle herannahen sehen, die uns sonst zur Gefahr werden könnte, und mitfühlend und präsent auf ihr gleiten. Hört sich utopisch an? Ist es nicht.

Es geht auch nicht darum, immer ausgeglichen und freundlich zu sein – wir haben schließlich ein menschliches Gehirn. Es reicht schon, wenn wir ab und zu wohlwollend bei uns selbst vorbeischauen. Uns ein paar bewusste Atemzüge gönnen und nicht nur unseren Kindern, sondern auch uns selbst ab und zu die Frage stellen: Wie geht es dir gerade? Achtsamkeit ist nichts, was man tun könnte. Es geht eher um die innere Haltung, um das Sein und So-Sein-Lassen. Darum, weniger von uns selbst zu fordern statt mehr. Weniger perfekt zu sein und dafür liebevoller mit uns selbst. Wir müssen nicht all den Erwartungen genügen, die an uns gestellt werden – nicht mal unseren eigenen. Es reicht schon, wenn wir ein bisschen präsenter, ein bisschen wacher, ein bisschen bewusster werden. Das geschieht nicht von heute auf morgen, aber wir können die menschlichen Eigenschaften, die sowieso wie schlafende Samen in uns liegen, täglich ein bisschen wässern und düngen. Dann wird mit der Zeit eine Blume daraus wachsen, deren Duft das Familienklima bereichern wird.

 

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*