Woran denkst du beim Sex? Was sagst du dir eigentlich innerlich? Tauchen Sätze auf wie „Was muss ich heute noch alles erledigen?“, „Findet er mich überhaupt attraktiv?“, „Es dauert ja ewig, bis ich komme“? Dies sind typische Gedanken, die viele Frauen von ihrem Liebes(er)leben ablenken – und oft sind sie unbewusst. Es lohnt sich darum, solche Sätze einmal bewusst wahrzunehmen und eine Strategie für mehr Achtsamkeit im Liebesleben zu entwickeln, um sich mehr entspannen und hingeben zu können.

Von Dr. Patricia Heitmann

Erfüllung durch Sex ist eines der menschlichen Grundmotive. Darum ist die Sexualität häufig ein Dauerthema in Beziehungen – vor allem, wenn die Erwartungen der Beteiligten auseinandergehen. In vielen Beziehungen ist das Liebesleben aber eher enttäuschend als erfüllend. Dies zeigt auch eine australische Studie aus dem Jahr 2003 sehr anschaulich: Von 9134 Frauen (und 10173 Männern) zwischen 16 und 59 Jahren hatte über die Hälfte der Frauen (54,8 Prozent) kein Interesse an Sex (zum Vergleich: 24,9 Prozent der Männer). Mehr als ein Viertel der Frauen (28,6 Prozent) hatten keinen Orgasmus und empfanden Sex als nicht lustvoll (27,3 Prozent).

Besonders interessant: Mehr als jede dritte Frau (35,9 Prozent) fand ihren Körper unattraktiv (Männer: 14,2 Prozent). Negative Gedanken über den eigenen Körper – und dadurch meist kein Interesse an Sex – haben Frauen also in einem viel höheren Maße. Es lohnt sich daher vor allem für Frauen, sich die eigenen Gedanken rund um das Thema Sex und den eigenen Körper einmal bewusst zu machen und – falls sie negativ und abwertend sind – aufzulösen. Denn liegt die Aufmerksamkeit permanent auf diesen negativen Gedanken, kann frau sich weniger auf eigene Körpersignale konzentrieren und somit auch keine Lust erfahren. Doch was kann frau nun konkret tun, um sexuell zufriedener zu werden?

Achtsamkeit als Schlüssel

Wie in vielen Lebensbereichen ist Achtsamkeit auch zentral für ein erfüllendes Liebesleben. Die Fähigkeit, im Hier und Jetzt zu leben und die eigene Aufmerksamkeit auf den Moment zu richten, ist wichtig, um glücklich zu sein. Doch dies gelingt vielen Frauen anscheinend gerade beim Sex nicht. Sie werden häufig durch eigene negative Gedanken abgelenkt. Das kann dann dazu führen, dass sie keinen Orgasmus erleben oder sich nicht entspannen. Diesen Zusammenhang zeigten bereits zahlreiche Studien auf wie beispielsweise eine Forschungsarbeit aus Frankreich: Frauen, die beim Sex weniger präsent sind, haben demnach seltener regelmäßig Orgasmen, sind generell sexuell unzufriedener und haben ein vermindertes sexuelles Verlangen.

Die Forscherinnen und Forscher haben drei typische innere Barrieren ausgemacht: Unaufmerksamkeit, ein negatives Selbstkonzept und Symptome von Depression. Nachfolgend möchte ich einen möglichen Weg für die Schulung der Aufmerksamkeit und die Auflösung eines negativen Selbstkonzeptes aufzeigen, damit frau eine erfüllende Sexualität leben kann.

Das Ausschalten kritischer Stimmen

Die folgenden Hilfen zu mehr Achtsamkeit stammen aus meiner eigenen kleinen Forschungsarbeit und speziell aus einem Interview mit einer Expertin für die Grundkomponenten positiven sexuellen Erlebens. Es geht um eine solide Grundlage für eine erfüllende Sexualität und das Erleben eines Orgasmus mit dem Partner beziehungsweise der Partnerin. Es sind konkrete Tipps, wie frau kritische innere Stimmen ausschalten kann, die ich mit einigen Aussagen der Expertin aus dem Interview veranschauliche. Sie sollen nicht als Orgasmus-Zauberformel verstanden werden, sondern als Inspiration für einen sanfteren Umgang mit sich selbst.

Schritt 1: Die richtige Atmosphäre

Damit der Fokus der Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt gelenkt werden kann, ist die „richtige“ Atmosphäre wichtig. Meist ist das ein Ort, an dem frau das Gefühl von Aufgehoben- Sein beziehungsweise des Frei-Seins hat, wie zum Beispiel das eigene kuschelige Bett. Wie auch immer die Umgebung konkret aussieht, es sollte ein Wohlfühlfaktor spürbar sein. So entsteht für die Frau eine höhere Wahrscheinlichkeit, sich auf ihre eigenen Körpersignale konzentrieren zu können, anstatt von einer störenden Umgebung abgelenkt zu werden.

Schritt 2: Küssen und andere Aktivitäten

Eigene Aktivitäten können sehr gut Ablenkung von den eigenen Gedanken verschaffen. Also nicht nur abwarten, was das Gegenüber macht, sondern auch mal selbst die Dinge in die Hand nehmen. Dies können kleine Spielereien sein wie das Andeuten von Küssen, aber sich kurz vor dem Kuss wieder zurückzuziehen. Insbesondere Küsse können helfen, die Lust zu steigern, wie die Expertin im Interview herausstellte: „Für mich ist Küssen ein großer Antörner. Dadurch steigert sich die Erregung, und das senkt Hemmungen. Und je mehr ich küsse, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich auch erregter werde und die negativen Stimmen leiser werden oder sogar ganz weg sind.“ Auch Aktivitäten helfen, in den „Flow“, also ein gedankenloses Einlassen in den Moment zu kommen. Durch das Handeln besteht eine größere Wahrscheinlichkeit, mit einer Sache zu „verschmelzen“ als durch bloßes Re-agieren. Das kennt jeder zum Beispiel vom Sport: Durch den aktiven Einsatz des ganzen Körpers sind die Gedanken vollkommen auf den Moment fokussiert – es bleiben praktisch keine mentalen Kapazitäten mehr übrig, um noch an etwas anderes zu denken.

Schritt 3: Stimmen beobachten und stoppen

Oft sind es abwertende Sätze, die frau sich sagt, wie etwa „Ich bin zu fett“. Oder der Zweifel dominiert: „Wie sehe ich jetzt wohl aus? Was wird er wohl denken?“ In so einem Fall wird ein Realitätscheck vorgenommen, das heißt, es wird beobachtet, was wirklich passiert. Die Expertin sagt sich dazu innerlich: „Guck mal ohne Emotion drauf. Was siehst du gerade? Was ist jetzt hier Fakt? Rennt der Mann weg? Rümpft er die Nase? Nein! Also, dementsprechend ist es vollkommen unnötig, sich jetzt solche Gedanken zu machen!“ Die Stimme ist dann oft sofort still. Nach dem Motto: „Hast ja recht, akzeptiert.“ Humoristisch könnte die Stimme noch hinzufügen: „Ich bin hier hingekommen. Der findet mich also attraktiv. Das Blut ist eh im Penis. Ich könnte auch eine Papiertüte tragen statt nackt zu sein und es würde keinen Unterschied machen.“ Problematisch ist oft, dass die Stimme der eigenen Gedanken sehr aufdringlich sein kann. Dann empfiehlt es sich, die Stimme zu verändern – zum Beispiel, indem die Lautstärke runterreguliert wird. Oder die Stimme soll nur noch Siezen oder mit einem amüsanten Dialekt sprechen, so dass sie nicht mehr ernst genommen werden kann. Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt.

Schritt 4: Die Lust einladen

Das Gegenüber zu beobachten und selbst eine Erlaubnis für Sex zu geben, ist häufig allein nicht ausreichend, um in Stimmung zu kommen. Ebenso wichtig ist die Lust auf Sex. Deshalb wird im Bewusstsein eine neue, positive Stimme etabliert, die den Spaß an der Lust ins Spiel bringt. Die könnte sich so anhören: „Ja, ich bin jetzt hemmungslos, und das passt auch so. Ich pfeif´ auf all die negativen Stimmen, die es mir vermiesen wollen. Ich will jetzt meinen Spaß. Und ich habe keinen Bock, mir den Spaß durch mich selber verderben zu lassen. Ich mach’ das jetzt einfach“.

Schritt 5: Sex-Werte und Einstellungen überprüfen

Die eigenen negativen Gedanken haben ihre Grundlage in unseren Werten. Daher sollte frau sich die Frage stellen, was sie über Sex denkt, und vor allem, wofür sie Sex hat. Geschieht sexuelles Verlangen eher aus einer negativen Motivation heraus wie „Ich will meinen Partner halten, damit er nicht fremdgeht“? Oder aus einer positiven Motivation wie zum Beispiel „Ich will Spaß haben“. Die Werte sollten bestenfalls positiv und möglichst stark sein für eine hohe Motivation und Hingabe.

Schritt 6: Das eigene Selbstkonzept optimieren

„Glaub nicht alles, was du denkst.“ Dieser Gedanke ist entscheidend, wenn es um Achtsamkeit und das Ausschalten von kritischen Gedanken geht. Schließlich entstehen Gedanken beziehungsweise Gefühle durch das Hinzufügen eigener Bedeutungen – meist durch gute oder schlechte Erinnerungen. Mit einem Selbstbild wie „Ich bin Herrin über meine Gedanken“ erkennt frau dies an und kann eigene Gedanken lenken, anstatt Opfer ihrer Emotionen zu sein.

Weitere Schritte für mehr Hingabe und Leidenschaft

Speziell für den Bereich Sexualität gibt es noch weitere Perspektiven, die die Lust und Hingabe fördern. Dazu zählen das Vertrauen in die Fähigkeiten des Partners oder der Partnerin, Leidenschaft in eine Beziehung zu bringen. Oder das „Drehen“ eines eigenen anregenden, inneren Films, um auf Touren zu kommen. Anatomische Voraussetzungen spielen ebenfalls eine Rolle, um durch gekonnte Beckenbodenbewegungen die Reizung des G-Punktes zu ermöglichen. Achtsamkeit ist in jedem Fall ein wichtiger Bestandteil, um das Loslassen in Beziehungen zu lernen und um Vertrauen in einer Beziehung aufzubauen. Eine Möglichkeit, um Achtsamkeit zu trainieren und das eigene Gehirn positiv zu fokussieren, ist die Meditation. Besonders gut eignen sich Meditationsformen, die eine Kombination aus der Betrachtung eigener Gedanken und der Schaffung von mehr Körperbewusstsein sind, wie die „Key Meditation“ (siehe Autoreninfo). Mit der Zeit kann so die Achtsamkeit sogar von alltäglichen Lebensbereichen in das Liebesleben „hinüberschwappen“ und mehr Bewusstsein im Raum der Beziehung kreieren.

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