Viele Menschen erleben Sexualität als konfliktreich und können sie nicht oder nur sehr begrenzt genießen. Schade, denn in der Tiefe gegenseitigen Erlebens liegt noch so viel mehr – wenn unsere seelischen Wunden in Bezug auf Nähe und Körperlichkeit geheilt sind und wir uns selbst und unser Gegenüber als energetisches Wesen verstanden haben. Viele heilige Lehren – wie Tantra, Taoismus und Karezza oder die weisen Überlieferungen Altägyptens, des Urchristentums sowie Schriften der Natur- und Sexualreligionen – zeigen, wie Liebe, Bewusstsein, Geist und Seele in unsere menschliche Sexualität verwoben sind und wie wir eine würdevolle Sexualität leben können.

Von Michaele Kuhn

Würdevolle Sexualität ist die Kunst, als Mensch göttlich zu lieben. Sie ist ein Erleben von Verbundenheit und Vereinigung mit sich selbst, mit einem Geliebten und mit der alles umfassenden Einheit der Liebe. Im „Jetzt“ des Liebesaktes offenbart sich das Geheimnis des Seins und der Liebe. Würde entfaltet sich immer dann, wenn Liebe und Seele unser sexuelles Handeln erfüllen. Dann ist es ein Ausdruck von Selbstwert, ein Teilen unseres inneren Reichtums, ein Überfluss von Liebesessenz und Freude am Leben.

Oft jedoch wirken die ungeheilten Verwundungen der Kindheit und Pubertät in unsere Sexualität hinein, so dass die Fähigkeit zu lieben und Liebe anzunehmen gestört ist. Wir haben Bindungsbrüche erlebt und liebevolle, fürsorgliche Mütterlichkeit oder Väterlichkeit schmerzlich vermisst, wurden verlassen, überflutet und vereinnahmt. Das Vertrauen, dass wir um unserer selbst willen geliebt werden, wurde meist schon früh enttäuscht. Berührungen und Körperkontakt waren oft nicht achtsam. Viele Frauen haben Missbrauch erlebt, Beschämung und Entwürdigung. In der ödipalen Lebensphase, in der Rivalitätsgefühle mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil auftreten, während der andersgeschlechtliche geliebt wird, ist der Vater sehr wichtig für die gesunde Entwicklung des Kindes. Wenn der Vater anwesend ist, das Kind ihm vertrauen kann und er – im Falle, dass das Kind eine Tochter ist – die Liebe des kleinen Mädchens annimmt, ohne etwas von ihm zu wollen, kann sich ihr Herz mit ihrem Schoß verbinden.

Wenn also der Vater das Kind nicht mit seiner eigenen Bedürftigkeit und sexuellen Energie überflutet und die Mutter auf die Verbundenheit zwischen Vater und Tochter liebevoll und neidlos schaut, kann das Kind seine erste Liebe freudig erleben. Die würdevolle, liebende und achtsame Beziehung der Eltern wird für das Kind ein gutes Vorbild, das es für seine späteren Beziehungen verinnerlicht.

Verschlossene Türen der Liebe

Dieser Idealfall trifft leider selten zu. Oft sind die Eltern aus ihrer eigenen Kindheit heraus verletzt und verwunden das Kind in seiner emotionalen und psychosexuellen Entwicklung. Dann ist es nötig, dass wir die Schlüssel zu den verschlossenen Türen der würdevollen Liebe wiederfinden, um eine heilsame Rückverbindung zu uns selbst wiederherstellen zu können und unsere Verwundungen zu heilen. Die Verletzungen aus der Kindheit tragen wir im Erwachsenenalter als Verletzungen unseres „inneren Kindes“ oft unerkannt weiter. Um Schmerz, Angst und Einsamkeit nicht mehr fühlen zu müssen, erschaffen wir uns eine maßgeschneiderte Schutzrüstung, die Nähe und Intimität verhindert. Wir spüren die Essenz der Liebe nicht mehr. Wir haben an unserer natürlichen Sexualität keine Freude mehr, erleben keine Würde in unserer Sexualität. Fragen tauchen auf: „Bin ich so, wie ich bin, wirklich liebens- und begehrenswert – ohne im Sex etwas leisten zu müssen und den Mann zufriedenzustellen?“ „Kann ich ihm vertrauen und mich ganz hingeben, und werden meine Bedürfnisse dann auch wahrgenommen?“

Mich macht immer wieder betroffen, wie viele Frauen verwundet und verunsichert sind. Sie verlieren sich im Sexwahn unserer westlichen Gesellschaft. Um jung, sexy und attraktiv zu sein, setzen sich viele Frauen unter einen hohen Leistungsdruck. Sie erhoffen sich Nähe, wenn sie sich sexuell produzieren. Es geht dann um den richtigen, um den ekstatischen Sex und um das Erreichen des Orgasmus. Wir erhoffen uns vom Traumpartner und dem Sex Erfüllung und Befriedigung. Dahinter verbirgt sich oft eine tiefe Verunsicherung bezüglich des eigenen Wertes. Wir haben den Kontakt zu uns selbst verloren. Sexualität ist zu einer Suche im Außen geworden, zu einer Sucht, um unsere innere Leere und Einsamkeit zu betäuben. Wir stehen nicht mehr klar zu unseren Bedürfnissen und geben uns zugunsten des anderen auf, geraten immer tiefer in den Strudel der Coabhängigkeit.

Zu tief sitzt die Angst, verlassen zu werden und wieder alleine zu sein. Oder wir lassen uns erst gar nicht mehr auf Nähe und Sinnlichkeit ein, aus Angst, fremdbestimmt und überflutet zu werden. Wir haben das weibliche Mysterium vergessen und verlernt, einen geliebten Mann in die würdevolle Sexualität einzuweihen.

Die Heilung der Sexualität

Wo aber ist der Ausweg aus der Angst und wie kann Heilung geschehen? Würdevolle Sexualität beginnt damit, sich selbst anzunehmen, wie man ist. Sie beginnt mit der Nähe und Liebe zu sich selbst. Das bedeutet wieder fühlen lernen, Treue zu sich selbst leben und gegenüber den eigenen Bedürfnissen und Empfindungen in unserem Körper. Dafür benötigen wir vor allem den Mut, uns wahrhaftig mitzuteilen und mitfühlend zuzuhören. Unser Körper ist der Tempel, in dem sich unsere Königin ehrenvoll aufrichten möchte. Wir sind eingeladen, uns mit unserem eigenen Körper anzufreunden, ihm Liebe und Zuwendung zu schenken und uns mit unserer Yoni*, ihrer äußeren und inneren Landschaft vertraut zu machen. Wenn wir uns die Zeit für sinnliche Selbstliebe schenken, können Körper und Lust wieder miteinander schwingen.

Es ist wesentlich, das Mysterium unseres Frauseins zu ergründen und Initiationen in das weibliche Urwissen zu erfahren. So werden wir die Verbindung zur Quelle unserer Liebe wiederfinden. Wenn uns unsere sexuelle Wirklichkeit nicht gefällt, dann können wir die Ursache in uns selbst finden und neugierig auf die Suche gehen. Wie wirkt mein bewusstes oder auch unbewusstes Verhalten auf andere? Wie wirken meine Gedanken und Gefühle in mir? Was für einen Selbstwert erschaffe ich mir da? Was wird mir in meiner Sexualität von meinem Umgang mit mir selbst gespiegelt? Wir sind aufgefordert, all unser Nörgeln, unsere Anklagen und unseren Rückzug zu beenden und uns unbequeme Fragen zu stellen: Liebe ich mich denn selbst? Nehme ich meine Bedürfnisse ernst? Bleibe ich den Werten treu, die für mich eine liebevolle Beziehung und eine würdevolle Sexualität ausmachen? Würde ich mich als Beziehungs- und Sexualpartnerin selbst wählen? Fühle ich mich schön und begehrenswert? Begegne ich mir und meinem Partner mit Achtung? Wenn ich mich nicht geliebt fühle und der Sex sich wie ein Benutztwerden anfühlt: Wie steht es dann mit meiner Selbstliebe? Warum gebe ich die Einwilligung, Sexualität mit jemandem zu leben, der mir nicht gut tut?

In Heilkreisen entfalten wir eine Rückverbindung mit der Essenz der Liebe. Hier können wir uns achtsam und mitfühlend all den offenen Fragen unserer Sexualität zuwenden, mitfühlendes Verstehen, heilsame Lösungen und lebbare Antworten finden. Unsere Angst gemeinsam entspannen, Verwundungen heilen und uns für die Liebe entscheiden. Erfülltheit und Glückseligkeit kehren zurück in unsere Körpertempel und möchten sich verschenken in würdevoll gelebter Sexualität und in liebevollen Beziehungen.

Herz und Yoni

Unser Herz und unser Schoß sind weise unbestechliche Wesen. Auf dem Heilungsweg ist es wichtig, mit ihnen eine innige und wahrhaftige Beziehung einzugehen. Die Yoni, unser Schoß, in ihrem inneren und äußeren Mysterium, ist der heilige Ort der Begegnung. Die entwürdigenden und groben Namen, die ihr im sexuellen Zusammenhang oft gegeben werden, verletzen diesen Ort und spalten ihn von der Liebe ab. Beide Wesen, Herz und Yoni, wissen in der Tiefe, wie sich Lieben anfühlt. Fehlen in der Sexualität Liebe und Seele, verstummen sie und ziehen sich zurück. Was wäre, wenn unser „Nicht-Funktionieren“, unser „Keine-Lust-Empfinden“ kein persönlicher Makel, sondern der Schlüssel zu einer stimmigen und liebevollen Sexualität ist. Das wäre ein Fest für unser Herz, unseren Körper und unsere Seele. Wenn sich das Herz geliebt fühlt und die Yoni liebend berührt und achtsam mit ihr gesprochen wird, beginnen beide zu vertrauen. Sie öffnen sich und zeigen zunächst all die Schichten der Enttäuschung und Verletztheit.

Wenn sie spüren, dass ihnen zugehört wird und ihre Gefühle und Bedürfnisse ernst genommen und liebevoll angenommen werden, dann entspannen sie sich tief und ihre Verwundungen heilen. Das Herz verschenkt gerne wieder seine Liebe und die Yoni öffnet sich vertrauensvoll und verschenkt all ihre Süße und Lust. Es ist immer wieder tief berührend, wie wir Frauen erblühen und uns in unserer Schönheit und stimmigen Sinnlichkeit aufrichten, wenn Yoni und Herz sich geliebt fühlen.

Der gebende und empfangende Pol der Liebe

Wie schon erwähnt, sind die beiden Wesen Herz und Yoni unsere wichtigen Verbündeten in der Sexualität. Unser Herz ist der gebende Pol der Liebe, unsere Yoni, unser heiliger Ort, ist empfangend. Sie ist Heimat für den Mann. Das Erblühen von lustvoller Sinnlichkeit für uns Frauen öffnet sich natürlicherweise durch die Ver – ehrung und Liebkosung der weiblichen Brüste. Dieses Liebesspiel erweckt die Lust in der Yoni und ihre Bereitschaft, den Lingam** auf- und die Liebe des Mannes anzunehmen. Oft überschreiten Männer die Grenzen der Yoni, wenn sie dort zu schnell die Lust der Frau fordern. Beim Mann ist das Herz der empfangende Teil und sein Penis, der Lingam oder Lichtstab, ist der gebende Pol der Liebe. Die Frau erwartet vom Mann oft, dass er zuerst sein Herz öffnet, bevor sie seinen Lingam in sich aufnimmt.

Das Herz des Mannes öffnet sich, wenn sein Lingam, der lieben will, willkommen ist, gewürdigt und verehrt wird. Dann empfindet der Mann Nähe. Oft überschreiten Frauen die natürliche Grenze des männlichen Herzens, indem sie dort zu schnell Liebe und Nähe fordern.

Der Kreislauf der Liebe zwischen Frau und Mann

Die Liebenden nehmen sich Zeit, sie verfolgen kein Ziel, sie genießen ihr Zusammensein in jedem Moment. In jedem Atemzug sind sie anwesend und ihre Berührungen verehren und heiligen. In der Vereinigung liegen Yoni und Lingam Herz an Herz. Die Eichel symbolisiert das Herz und ebenso der tiefste Punkt in der Yoni. Sie geben den Genitalien Zeit, sich energetisch zu verbinden.

Zwischen Yoni und Lingam, dem Yin- und Yang-Pol entstehen Liebe, Lust und Verbundenheit. Der Lingam bewegt sich langsam und achtsam im heiligen Ort. Er liebt und die Yoni kann sich immer tiefer entspannen und dem Geliebtsein hingeben, sie fühlt seine Präsenz und sein Licht. Tiefes Vertrauen und eine Nähe stellen sich ein, die langsam alle Zellen der Körpertempel von beiden entspannt, öffnet und mit Liebe erfüllt. Die Liebenden fühlen ihre göttliche Natur. Glückseligkeit ist allgegenwärtig. Sie streben keinem Höhepunkt zu, entspannen sich immer tiefer in die sich entfaltende Lust und erlauben, dass die Liebe und die Lust aufsteigt, das Herz der Frau erfüllt. Die Liebe fließt über in das Herz des Mannes und strömt in seinem Körper durch die Energiekanäle, die weit geöffnet sind, zu seinem Lingam, der voller Bewusstheit die Yoni der Frau mit Licht und Liebe erfüllt. Beide geben sich dem Kreislauf der Liebe hin. Das Lieben gleicht einen körperlich gelebten Gebet. Diese Verehrung und Würdigung sättigt in der Tiefe das Sehnen nach Vereinigung und Verbundensein zwischen Frau und Mann. Das Heilige durchströmt beide heilend und Sexualität erleben sie als Tor zu ihrer Göttlichkeit. Sie fühlen die tiefe Gewissheit, dass sie verbunden sind mit der „Allumfassenden Liebe“.

Ich möchte mit diesem Artikel jeder Frau Mut machen, sich für diesen Weg der Liebe zu entscheiden und eine würdevolle Sexualität zu leben. Es ist an der Zeit, dass sich die weibliche Frauenkraft aufrichtet und sich Frauenweisheit liebend und heilend in die Welt hinein verwebt. Ich bin überzeugt davon, dass die Herausforderungen unserer Zeit bezüglich unserer Sexualität nur mit Liebe, Klarheit und der Verbundenheit mit unserer göttlichen Natur gelöst werden können. Heilung, Erfüllung und Glückseligkeit, würdevolle Sexualität und liebevolle Beziehung fangen immer in der Rückverbindung mit dem HEILIGEN in uns an.

* Yoni ist ein Wort aus dem Sanskrit und der tantrische Begriff für die weiblichen Genitalien.
** Ein Symbol der Hindu-Gottheit Shiva, das im Tantra synonym für Penis benutzt wird.

Termine

Erfahrungsabend am 8.3.2018:
Würdevolle Sexualität
Erfahrungsabend am 4.4.2018:
Im Kreis der Frauen – Sexualität und Heilung
Beginn der Jahrestrainings am 16.-18.3.2018:
Der Weg der Liebe
Osterretreat am 29.3.-2.4.2018: Unio Mystica
Frauengruppe am 13.-15.4.2018:
Sexualität und Heilung
Beginn des Frauentrainings am 24.-26.8.2018:
Im Kreis der Frauen

Eine Antwort

  1. Lisa
    Unser einziger Antrieb die Sexualität

    Sehr toller Beitrag! Sexualität gerade in heutiger Zeit ist sehr Oberflächlich geworden und treibt uns immer mehr in das Extreme.

    Sexualität ist unsere einzige Energie die unser Leben bestimmt und leitet, gerade in diesem Aspekt zu sehen das es sehr wichtig ist ihr Aufmerksamkeit zu schenken und bewusst zu erleben.

    Die Liebe ist heilig und der Verstand sollte dabei ausgeschalten sein. Das bedeutet nicht, unaufmerksam zu sein, sondern nicht nach Idealen, Vorstellungen und Bedürfnissen zu gehen.

    Selbstliebe spielt dabei auch eine wichtige Rolle und sollte bevorzugt im gleichschritt mit der Liebe gehen.

    Hier ist ein sehr toller Beitrag zum Thema Selbstliebe lernen: https://www.thomas-blachnik.de/selbstliebe-lernen-die-ersten-wichtigen-schritte/

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