Meditation ist ein Weg zu sich selbst. Egal ob als reines Sitzen und Sich-dabei-selbst-Beobachten oder als eine der vielen aktiven Bewegungsformen – all diese Wege wollen uns letztlich in unsere Mitte führen. Matthias Grimm über das Abenteuer Meditation, eine der ältesten Methoden der Selbsterkenntnis und ihre vielen Facetten…

Seit einigen Jahren ist das Interesse an dem Abenteuer Meditation in den westlichen Gesellschaften enorm gewachsen. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Angeboten – von ganz strengen, regelorientierten Ansätzen bis zum modischen Lifestyleauftritt. Die lächelnde Frau im Lotussitz inmitten einer heilen Landschaft in Anzeigen und Meditationsapps ist Ausdruck eines Milliardenmarktes mit all seinen vielfältigen Ausprägungen.

Das große Interesse nährt sich sicherlich aus der Suche nach einem Identitätsgefühl und einem Lebenssinn parallel zu den zunehmenden Anforderungen einer immer stärker auf Optimierung ausgerichteten Lebenswelt. Dazu kommt, dass in unseren weitgehend säkularisierten und auf trockenen Materialismus reduzierten Gesellschaften die komplexen Antworten und Leitlinien der bisherigen spirituellen Systeme abhanden gekommen zu sein scheinen. Heutige Meditationspraxis hat sich daher vielfach von den religiösen Wurzeln gelöst und versucht, die Menschen dort abzuholen, wo sie gerade stehen, und dabei eigene Türen zu einem erweiterten Seinsraum zu öffnen.

Meditation ist gesund

Die Entwicklung in den neuropsychologischen Forschungszweigen hat Meditation und Entspannungstechniken als Forschungsgegenstand entdeckt und dabei erstaunliche Erkenntnisse erbracht, die die Beschreibungen uralter Weisheitstexte immer mehr bestätigen. Meditation, über längere Zeit praktiziert, hat beispielsweise Einfluss auf Blutdruck, Herzschlag, Schmerzempfindung und -bewertung. Sie kann die Sicht auf die Dinge grundlegend verändern und Optionen freisetzen, an die der Praktizierende bisher nicht gedacht hatte. Wir wissen zum Beispiel, dass unsere Sicht der Welt durch die Filter der Bewertungen aus unseren Erfahrungen, anerzogenen Wertesystemen, kulturellen Regeln und Vorurteilen gefärbt ist.

Diese Filter haben wir tief in unsere Systeme eingeschrieben. Sie haben uns früher möglicherweise geschützt, aber irgendwann eine Eigendynamik entwickelt und sind schließlich einfach unhinterfragt erstarrt. Meditationspraxis ist in der Lage, diese Filter und Programmierungen zu erkennen, aufzulösen und neu zu organisieren. Diese Neuprogrammierung basiert auch auf der Fähigkeit unseres Gehirns, bis ins hohe Alter Verschaltungen neu anzulegen und damit die Struktur des Geistes zu wandeln. Diese lernende Neuroplastizität ist sozusagen die Hardwareseite, die die geistige Formung begleitet. Da diese Programmierung bis in tiefe Körpereben eingeschrieben ist, spielt die Verbindung zum gesamten Körper in der Meditationspraxis eine große Rolle.

Was passt zu mir?

Wer nach Meditationstechniken sucht, wird sich heute mit einer verwirrenden Vielzahl von Angeboten und Möglichkeiten konfrontiert sehen. Vielfalt ist per se erst einmal nichts Schlechtes, offeriert sie doch passende Formen für fast jeden. Es ist jedoch nicht ganz einfach, das eigene optimale Tor zum Einstieg in die Meditation zu finden. Neben der Meditationsart sind der Zeitrahmen und die Persönlichkeit des Lehrenden Kriterien, die dabei wichtig sein können. Vielleicht ist es für Einsteiger auch eine gute Idee, persönliche Auswahlkriterien zu erstellen, welche die Angebote schon mal vorab sortieren: Was möchte ich neu in mein Leben bringen? Suche ich Entspannung, mehr Freude am Leben, mehr Erkenntnis der eigenen Position im Leben? Befinde ich mich in einer spirituellen oder weltanschaulichen Tradition und sind dort schon Anknüpfungslinien für meine Praxis? Welchen Zeitrahmen, welchen Ortsradius möchte ich mir ermöglichen? In welchem sozialen Rahmen, Geschlechter- und Altersrahmen finde ich Angebote? Möchte ich alleine oder mit Partner oder Freunden einsteigen?

Hast du deine Wahl eingekreist, wirst du nicht umhinkommen, einfach mal eine Möglichkeit auszuprobieren und dich einzulassen. Es kann sein, dass du mit einer Yogaklasse, einem Entspannungstraining oder einfacher Achtsamkeitspraxis beginnst. Die meisten Anbieter geben die Möglichkeit, Schnupperkurse zu besuchen. Du lernst das Klima, den Ansatz, eine Gruppe und die Art der Anleitung kennen. Wahrscheinlich kommst du schnell zu einem vorläufigen Ergebnis, ob dir diese Gruppe zusagt. Verlass dich da durchaus erst mal auf dein Bauchgefühl und bleib eine Weile bei einem Angebot, das dich anspricht. Wiederholung und Sich-Einlassen sind allerdings wesentlich für eine spürbare Entwicklung. Mach gerne ein paar vergleichende Versuche, aber schau, dass du dann auch irgendwo Anker wirfst. Eine der ersten Versuchungen und Schwellen ist nämlich das „Hopping“ querbeet durch die Angebote.

Du kannst dich in diesem Oberflächensurf schnell verlieren, ein paar Kicks mitnehmen, aber wirst so nicht in die Tiefe des angebotenen Erfahrungsraums vordringen.

Eigene Muster erkennen

Meditationstechniken helfen, dich in in einen Bewusstseinszustand zu versetzen, der größer und umfassender ist als der permanente Film, der in deinem Kopf stattfindet. Dieses innere Hamsterrad dreht sich fortwährend um Dinge, die scheinbar real sind. Wir kennen das alle sehr gut: Scheinbare zukünftige Möglichkeiten werden aus dem Bausatz deiner bisherigen Erfahrungen erzeugt und geben vor, Realität zu werden. In den meisten Fällen leben wir damit allerdings in einem Nebel über den eigentlichen Vorgängen und Optionen. Eine der ältesten bekannten Meditationstechniken, um all diese Muster in sich wertungsfrei wahrzunehmen – und damit letztlich zu demaskieren –, ist die Vipassana-Meditation, eine Praxis einfacher Beobachtung. Sie wird seit tausenden von Jahren praktiziert. Vipassana ist im engeren Sinne eine Praxis stillen Sitzens. In der erweiterten Praxis ist beobachtende Aktion mit Atem, Bewegung und Tönen möglich. Das klingt erst mal unkompliziert, aber wer das die ersten Male praktiziert, wird erfahren, wie laut Stille sein kann. Lärmende Gedanken, Ablenkung, Langeweile: das volle Programm des Hamsterrades im Inneren. Das Erlernen von Gelassenheit, Hingabe, Aufmerksamkeit und Ausrichtung ist da ein hilfreicher Begleiter. Diese Mutter der Meditationen hat mittlerweile viele Nachfahren.

In meiner eigenen und der Praxis, die ich in Gruppen vermittele, schätze ich den Einstieg über aktive und körperorientierte Meditationstechniken. Aktive Meditationspraxis ist für viele Teilnehmer erst einmal ein Paradox – geht es doch um die Erfahrung von Stille – und eine verblüffende Erfahrung. Doch mit den aktiven Meditationsvarianten gelingt es uns schnell, die Verbindung zu den verschiedenen Ebenen unseres Körperbewusstseins herzustellen und uns so mit unserem Körper wieder Stück für Stück gefühlsmäßig „zu verpartnern“. Diese Grundlage kann uns auf dem Weg zu einer viel weiteren Bewusstheit – über unseren Körper hinaus – unterstützen, die uns in den verkopften modernen Lebenswelten meist verloren gegangen ist.

Weitere Meditationsformen

Unter der Vielzahl von Möglichkeiten scheinen mir verschiedene Meditationstechniken aus dem OSHO-Feld schnell nachvollziehbar und sehr wirksam. OSHO-Meditationen schöpfen aus dem reichen Erfahrungsschatz alter Weisheitslehren der hinduistischen, buddhistischen und Sufi-Linien und haben deren Essenz vom Überbau der religiösen Konzepte befreit. So haben wir moderne und wirkungsvolle Werkzeuge für eine Praxis unserer Zeit. Auch hier ist der wesentliche Teil achtsames Handeln und Erfahren. Diese Meditationen haben einen klaren Rahmen in der Zeit und der Struktur.

Der Praktizierende erhält so ein wunderbares Gefäß, seiner momentanen Thematik zu begegnen und sie zu transformieren: die Gefühle, Gedanken, Konzepte, das ganze Theater einfach kommen lassen, nicht unterdrücken, ohne Identifizierung und Bewertung wahrnehmen. Indem wir dem, was auftaucht, keine Aufmerksamkeit geben, bekommen wir dessen wahre Dimension zurück. Sie sind dann einzuordnender Teil unserer Geschichte und können sogar kreative Helfer sein. So erfolgt die oben erwähnte Neuprogrammierung als Update über die alten, erstarrten Strukturen.

Auch Atem, Bewegung und Stimme sind für mich wesentliche und wirksame Bestandteile dieser und weiterer Meditationen. Atem ist unsere essentielle Verbindung zur Welt. Atemarbeit ist eine ganz zentrale Technik. Durch bewussten Einsatz des Atems kommen wir in Verbindung mit dem Fluss unserer Energie. Wir können auch über den Atem unsere Energie aufbauen oder beruhigen. Der Atem steht in direkter Verbindung zu unserem vegetativen Nervensystem und kann die Energiezustände steuern. Atem ist aber auch das Medium, das uns wirklich in den Augenblick zu bringen vermag. Was fühle ich in diesem Augenblick? Was fühle ich mit meinen Nasenlöchern, was im Gaumen? Wie füllen sich meine Lungen, wie bewegt sich mein Bauch? Wie erlebe ich Ausdehnung und Kontraktion?

Atem, Bewegung und Stimme

Meditationen mit der Stimme basieren auf der Atemmeditation. Mit dem langen Ausatmen beginnt dieser Atem zu vibrieren und Summen, Laute oder Vokale zu erzeugen. Diese Vibrationsstrukturen gehen mit Körperzonen in Resonanz. Das Erspüren, was für Empfindungen an diesen Orten auftauchen, war über die Jahrtausende gleichzeitig eine Kartographierung von Wirkorten der Lebensenergie. Die innerste Architektur von Mantren, Worten und Namen ebenso wie Musik gründet auf dieser Wirkung. Bewusste Bewegung ist ein weiterer Schritt in der aktiven Meditationspraxis. Diese Bewegung kann einer vorgegebenen Choreographie folgen oder das Ergebnis eines tief unbewussten Impulses sein. Es geht einfach darum, im Fluss der Bewegung zu sein und zu beobachten.

Eine Zentrierungspraxis, bewusstes Stehen und eine daraus entstehende Gehmeditation sind darüber hinaus wichtige Übungen, um den eigenen Körperraum im großen universellen Raum wahrzunehmen. Ich setze dafür gerne Variationen der absichtslosen Bewegungspraxis Latihan, Sufi-Bewegungen wie die OSHO NoDimensions oder Schütteln ein. In der yogischen Praxis würden fließende Yogastile wie VinyasaFlow eine ähnliche Bewegungsbewusstheit unterstützen. Meditation nutzt immer Techniken, die bewährt und hilfreich sind, um dich mit den Höhen und Tiefen der Realität zu verbinden. Aber es sind nur Werkzeuge, Hilfsmittel, die dir helfen, deine Wahrnehmung zu schulen und zu weiten. Sie helfen, einen allverbundenen Zustand zu verankern, der sich immer mehr auf alle Lebensbereiche ausweiten lässt. Regelmä- Anzeigen ßige Praxis ist dazu eine wichtige Voraussetzung, denn das System lernt. Die Werkzeuge werden dann irgendwann einmal überflüssig. Der vorher nur beim Praktizieren erfahrene Meditationszustand ist schließlich mitten im Leben da. Jeder Zustand ist dann eine Quelle von Entfaltung und Kreativität in vollkommen neuer Bewusstheit.

 

 

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