Bio, Regio und sozial

In Lobetal entsteht Brandenburgs erster Biojoghurt – und die Betreiber bieten zahlreiche Arbeitsplätze für Behinderte. Das Ganze nennt sich „soziale Milchwirtschaft“.

Schmeckt’s? Dann könnte es ein Lobetaler sein. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast probiert Joghurt. 

Vor Heidi liegen um zehn Uhr morgens noch drei Stunden Arbeit. Drei Stunden, in denen sie Falzkartons von einer Palette nehmen und auf einem Tisch zurechtlegen wird, damit andere Arbeiter sie mit Joghurtbechern bestücken können. Doch das Bestücken ist nicht Heidis Job. Sie hat alle Hände voll damit zu tun, die widerspenstige Pappe in Reihe zu halten und die vorgesehene Stückzahl hinzulegen. Michael Kupers Job ist es, dafür zu sorgen, dass am Ende des Arbeitstages 1.000 Kilo Sahne auslieferungsfertig sind. Und dafür, dass Heidi auch nach sechs Stunden noch bei der Sache bleibt. Heidrun Goral, von allen Heidi genannt, ist 53 Jahre alt, geistig behindert und arbeitet bei Lobetaler Bio. Der 41-jährige Kuper ist Molkereileiter und verantwortlich für 17 ArbeiterInnen; 15 von ihnen sind geistig behindert.

Soziale Milchwirtschaft nennt sich das Konzept, mit dem die nagelneue Biomolkerei im brandenburgischen Biesenthal im Februar gestartet ist. Zwölf Joghurt- und Milchprodukte aus Brandenburger Biomilch werden hier von Nichtbehinderten und Behinderten gemeinsam produziert. Getragen wird der Betrieb von den Hoffnungstaler Anstalten, der größten sozialen Organisation in Brandenburg, die auch vier Milchbetriebe mit 200 Kühen unterhält.

Die soziale und biologische Ausrichtung war die Rettung für die zu DDR-Zeiten rentablen und später permanent existenzbedrohten Betriebe, wie Werkstattleiterin Beatrix Waldmann erzählt: „2009 gingen die Milchpreise in den Keller, unsere Höfe standen vor dem Aus. Wir engagierten einen Wirtschaftsprüfer, der sagte: ,Nur mit Bio habt ihr eine Chance.‘ “ Die Hoffnungstaler stellten ihre Betriebe auf biologische Landwirtschaft um und traten dem „Naturland“-Verband bei. „Uns wurde aber schnell klar: Bio allein reicht nicht“, sagt Waldmann.

Um auf dem Markt wahrgenommen zu werden, entwickelte man ein Konzept, das fast zu gut klingt, um wahr zu sein: ökologisch und regional produzieren, mit Arbeitsplätzen für Behinderte und Impulsen für die Brandenburger Region. In Zusammenarbeit mit einer Verpackungsberatung entwickelte man außerdem einen neuen Joghurtbecher mit Kreideanteil, der rund 40 Prozent weniger Rohöl verbraucht als herkömmliche Verpackungen.

Die Dreifachkombination aus Bio, Regio und sozial ist nötig, denn das Biosegment ist ein hart umkämpfter Markt. In Brandenburg decken die beiden Großbetriebe Brodowin und Münchehofe den gesamten Bedarf der Region an Milch und Milchprodukten. Für den Neuankömmling blieb nur eine Nische: Joghurt. Denn der Joghurt, der bislang in den Regalen von Berliner und Brandenburger Bioläden steht, kommt fast ausschließlich aus Nord- und Süddeutschland. Vermutlich weil die anderen Betriebe die als kompliziert geltende Joghurtherstellung scheuen. „Die Zeit war reif für einen echten Brandenburger Joghurt“, sagt Michael Kuper und zeigt auf die mit „Lobetaler“-Produkten gefüllte Kühltheke des kleinen Hofladens, der direkt an die Produktionshalle grenzt.

Während der Molkereimeister die Tücken der Joghurtzubereitung erläutert, kann er durch eine Glasscheibe Heidi und die anderen bei der Sahneabfüllung beobachten. Die gläserne Molkerei steht für maximale Transparenz. Bald sollen hier ganze Schulklassen die Herstellung ihrer Lieblingsjoghurtsorte verfolgen und diese dann verkosten können. Das ist vermutlich Mango oder Vanille, beides Lieblingsgeschmacksrichtungen der Deutschen. „Eigentlich furchtbar unökologisch“, seufzt Michael Kuper. Für die exotischen Früchte müsse er fertige Fruchtzubereitung in großen Containern „von sonst woher“ kaufen, Brandenburger Mangos gebe es nun einmal nicht.

Die Biokunden zum Verzicht anzuregen sei aber auch keine Lösung. Stattdessen sucht der Molkereimeister nach Alternativen in der Region, verhandelt mit Heidelbeerbauern in Zülsdorf, reist zur Himbeerverkostung in die Uckermark. Am schwierigsten sei der Erdbeerjoghurt, der exquisite Fruchtqualität verlange. „Ohne Aromastoffe hast du verloren, wenn die Erdbeeren nix sind“, sagt der stämmige Allgäuer, der es sich in den Kopf gesetzt hat, den besten Joghurt nördlich der Donau zu machen. Für die Zielgruppe der Berliner Bioladenkunden hat er Dickmilch nach Großmutters Rezept ins Sortiment genommen – und türkischen Ayran, den es bislang nicht in Bioqualität zu kaufen gab.

Um wirtschaftlich zu sein, muss der Betrieb rund 1,6 Millionen Liter jährlich verarbeiten – bis zum Jahresende soll der kritische Punkt erreicht sein. In einer weiteren Ausbaustufe will man Milch von Brandenburger Höfen zukaufen, um insgesamt 4 Millionen Liter zu verarbeiten. Bislang läuft der Betrieb allerdings etwas zögerlich an: Die Käserei, in der künftig mehrere Weichkäsesorten produziert werden sollen, bringt bislang nur Frischkäse hervor. Richtig losgehen soll es erst, wenn die Joghurtproduktion rund läuft. Bislang ist das nicht der Fall – und das liegt nur zum Teil an den kompliziert zu handhabenden, teuren Hightechgeräten.
„Wir haben die Schwierigkeiten beim Anlernen der Beschäftigten unterschätzt“, räumt Beatrix Waldmann ein. Bei geistig behinderten Beschäftigten genüge es eben nicht, eine Einweisung und Schichtpläne für alle zu machen. „Nicht alle können alles und mit jedem, und wirklich flexibel ist niemand.“

In der Praxis heißt das: Michael Kuper und die beiden Molkereifacharbeiterinnen kommen morgens um fünf Uhr zur Arbeit. Sie bereiten alles für den Arbeitsbeginn der behinderten MitarbeiterInnen vor, die zwischen 6.30 und 8.30 Uhr mit Bussen aus Wohnheimen und Privathaushalten ankommen. Wenn alle an ihren Plätzen sind, kann es trotzdem passieren, dass Milch in Sahneeimer abgefüllt wird. Oder alle Eimer für die Joghurtproduktion gereinigt werden, aber die dazugehörigen Deckel nicht. „Im Prinzip müssen wir jeden Tag wieder von vorne anfangen“, sagt Kuper und sieht ein bisschen müde aus. Der Molkereifachmann war früher Gesellschafter beim Großkonkurrenten Brodowin, der auch Behinderte beschäftigt. „Aber was wir hier machen, Produktion von Frischlebensmitteln mit Behinderten, ist in dieser Größenordnung ein Pilotprojekt.“

Um sicherzustellen, dass die zumeist leseunkundigen MitarbeiterInnen die strengen Hygienebestimmungen einhalten, wurde in die Produktionshalle eine Schleuse mit einer Schwarzlichtlampe für die Handkontrolle eingebaut. Nur wer sich die Hände gründlich gewaschen hat, darf passieren. Einmal die Woche kommt der sozialpädagogische Dienst und hilft, Probleme im Betriebsalltag zu lösen. Ansonsten aber, sagt Werkstättenleiterin Beatrix Waldmann, sei Lobetal Bio ein ganz normaler Betrieb – nur dass man eben ein paar mehr Arbeiter für einfache Tätigkeiten beschäftige als üblich.

Arbeitskräfte wie Heidrun Goral bekommen, je nach Grad ihrer Behinderung und beruflichen Einsatzfähigkeit, zwischen 73 und 400 Euro im Monat. Über den Beschäftigtensatz, den sie von Sozialamt oder Rententräger bekommen, finanzieren die Werkstätten einen Gruppenleiter, Transport und Mittagessen. Reich werden die Hoffnungstaler Anstalten mit dem Beschäftigungsmodell aber nicht: Die Arbeit, die jetzt 15 behinderte ArbeiterInnen erledigen, könnte wohl weniger als die Hälfte „normaler“ Arbeitnehmer erledigen – mit viel weniger Ausfällen.

„Lobetaler Bio“ will sich zwar als ernst zu nehmender Mitspieler im Biogeschäft etablieren, doch die Zufriedenheit der MitarbeiterInnen steht trotzdem an erster Stelle. „Auch Behinderte haben mehr Freude an ihrer Arbeit, wenn am Ende ein hochwertiges Produkt steht“, sagt Beatrix Waldmann. Die Stellen in der Molkerei seien deshalb extrem beliebt bei den BewohnerInnen der Hoffnungstaler Einrichtungen, die sonst auch in einer Baumschule, einem Secondhandhandel oder einem Reinigungsbetrieb arbeiten können.

Ob sich das Pilotprojekt der Sozialen Milchwirtschaft rechnet, wird erst im nächsten Geschäftsjahr abzusehen sein. Für Heidrun Goral scheint es sich bereits gelohnt zu haben. Fröhlich winkt sie aus der gläsernen Produktionshalle herüber ins Hofladencafé, die Joghurtkartons fest im Blick.

Nina Apin

(Quelle: taz Foto: AP)

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