Leberwurstgrau ist mein Yoga. Es staubt, schreit zum Steinerweichen und mag gern an seinen Ohren gekrault werden. Unter der Massage wird die Unterlippe des Esels immer länger, der Kopf senkt sich, die Augen sind halb geschlossen. Auch mein Blutdruck fährt herunter, die Schultern können sich mal hängen lassen. Wir entspannen und still und leise schleicht sich ein Lächeln in mein Gesicht. In Gesellschaft von Eseln kann ich sofort abschalten, bin 100% bei ihnen, beobachte, staune und erweitere meinen Erfahrungsschatz.

Wer grade keinen Esel zur Hand hat, kann genauso den Hund knuddeln. Nach vier Minuten Streicheln schüttet der Körper Oxytocin aus, das Kuschelhormon. Tiere bauen uns Brücken zum verlorenen Paradies: Umfangen und umfangen sein.
Dass unsere Vierbeiner ein Quell der Freude sind, erlebe ich seit meiner Kindheit. Aber ich brauchte 42 Jahre, um meine (Arbeits-)Welt mit meinen Grundbedürfnissen zu vereinen und mein Angebot fundiert zu begründen: Seit diesem Jahr bin ich teilselbständig als Kleinstunternehmerin im Nebenerwerb. „TieBeT – Tierische Begegnung im Planetal“ heißt mein Unternehmen, das ich mit meinen grauen Kollegen führe. Was sich jetzt in einem Satz erzählt, war ein längerer Prozess.

Sinnsuche

Yvette von G2Der Prozess setzte ein, als ich vor neun Jahren Mutter wurde und mir plötzlich ganz neue Fragen stellte, vor dem Aspekt: „Erziehung ist Liebe und Vorbild, sonst nichts“ (Pestalozzi) – aber bin ich ein gutes Beispiel? Lebe ich bewusst im Augenblick? Einfach nur den Lebensunterhalt bestreiten und meine Zeit bis Feierabend abbrummen, ging gar nicht mehr. Arbeitszeit ist wertvolle Lebenszeit.

Es gab schon zwei Esel, als ich vor zehn Jahren zur Liebe meines Lebens zog. Ich kann mich noch gut an unsere ersten gemeinsamen Wanderungen erinnern, mit Schlitten im Schnee, ganz ohne Führstrick. Natürlich macht das liebe Vieh auch Mist, mit dem wir unseren sandigen Acker frisieren, auf dem wir ihr Heu anbauen. Andächtig ziehe ich mit Bollengabel und Karre meine Runden, lausche den Vögeln und den dörflichen Geräuschen. Wie zur Motivation kommen die Esel gelegentlich vorbei, wir erzählen uns etwas oder ich beobachte sie. Im Laufe der Jahre kam ein Tier zum anderen, die natürlich mehr Pflege, Koppeln, Unterstände, Tierarzt- und Hufschmied-Besuche erfordern. Zehn Tiere mal eben nebenbei zu versorgen, kostet Zeit. Genügend hatte ich theoretisch nach Feierabend – nur war die Luft raus, ich selbst erschöpft und antriebslos. Der Körper meldete sich häufig mit steifem Nacken, Rückenschmerzen, Schlafstörungen oder ganz übel: Trigeminusneuralgie. Ich wünschte mir ein schmerzfreies Leben zurück und suchte nach zertifizierten Ausbildungen, speziell mit Tieren. So kam ich zum Institut für soziales Lernen mit Tieren. Die Menschen, Referenten wie Kursteilnehmer, und tierischen Lehrmeister, die ich dort traf, erwiesen sich als Kraftquelle, ich erfuhr u.a. von Fürsorgebauernhöfen. Von den Seminaren kam ich gestärkt in meine Alltagswelt zurück. Auf dem Weg zur Fachkraft für tiergestützte Intervention reifte in anderthalb Jahren die Vorstellung, was ich ändern und neu auf die Beine stellen muss.

Mit Eseln die Landschaft zu durchstreifen, einfach nur unterwegs zu sein – das ist jedes Mal ein Abenteuer. Mein fester Job als Erzieherin ist mir nach wie vor wichtig. Einerseits mag ich Kinder und Kollegen, andererseits müssen die Esel mich nicht finanzieren. Unter solchem Druck zu arbeiten, wäre nicht die gleiche Veranstaltung, denn Tiere können mikrobiologische Abläufe an menschlichen Gesichtern ablesen, sie spüren unsere Anspannung, was ihnen unser Hormoncocktail, die Körperhaltung und Mimik verrät. Sorglos und in froher Erwartung möchte ich meine Wanderungen angehen, mit anderen teilen und so das Glück tierisch maximieren. Die vermeintliche Sicherheit eines Fünf-Tage-Jobs aufzugeben, hat mich Mut und Überwindung gekostet. Letztendlich empfinde ich die finanziellen Einbußen nicht so dramatisch wie befürchtet. Unbezahlbar ist der Gewinn an Lebensqualität und Vitalität.

Urvertrauen

Ein Natur-Tier-Paket fördert die Lebenslust, mindert Angst und Stress. Der Mensch kann seine sozialen Kompetenzen sogar besser mit Tieren als in einer Menschengruppe trainieren. 
Tiere geben uns mehr Sicherheit als manche Artgenossen, da sie jeden annehmen, wie er ist. Sie lügen nicht. Dabei sind wir Lebewesen uns insgesamt sehr ähnlich. Genetisch betrachtet, sind wir 70 % wie Rinder und immerhin 30 % wie Schimmelpilze. Ich sehe uns Menschen gewiss nicht als Krone der Schöpfung an, bin aber überzeugt, dass jeder Mensch ein emotionales heilsames Zuhause hat, sei es die Landschaft, in der er aufgewachsen ist, ein Baum auf einem Hügel oder die Verbindung zu einem Tier. Dass die Farbe Grün eine beruhigende Wirkung auf uns hat, kommt nicht von ungefähr. Das Wiedererwachen der Natur im Frühling ist immer ein Anlass zur Freude und Hoffnung: Der Tisch ist reich gedeckt, auch für mich wird gesorgt sein.

Es war eine Mutter, die hatte vier Kinder… und heute leidet sie an Menschen. Seit wir aufgehört haben, ein Teil der Natur zu sein, uns Häuser bauten, Maschinen erfanden und uns dank Schwerkraftheizung und Atomstrom nicht mehr um die Jahreszeiten scheren müssen. Wir haben uns entfernt von dem, was uns gut tut.
Angesichts von globaler Umweltzerstörung und täglichen Schreckensnachrichten könnte ich schier verzweifeln. Bevor mich der weltweite Horror wahnsinnig macht, sage ich mir: sicherlich kann meine Unterschrift global wenig ändern, aber in meinem kleinen Universum kann ich umso mehr wirksam sein. Ich lenke die Energie auf meine Familie und die Vierbeiner. Meine Aufmerksamkeit gehört den Menschen, die ich in kleinen Gruppen durch das wundervolle Planetal führe. Unterwegs sehen wir Rehe und Störche, der Milan zieht über uns seine Kreise, am Wegesrand sonnt sich eine Zauneidechse. Eine Blüte kann uns verzaubern oder ein Feld voller Kornblumen.

Dankbarkeit

Yvette von G3Ich erlebe Gänsehaut-Momente, seitdem ich meine Beziehung zu Tieren und Pflanzen hinterfragt und „auf Neustart“ gedrückt habe. Alles ist beseelt, auch Hühner, Spinnen und Schnecken. Zugegeben, meine Ehrfurcht vor dem Leben (Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will) klammert Mücken und Zecken aus. Aber Pflanzen lieben klassische Musik und gedeihen schlecht zum Techno-Sound. Sie verfügen über eine Aura, so kann der Baldrian am Bach einen unruhigen Geist erden, der sich instinktiv länger neben ihm aufhält.

Durch das Beobachten der Esel und was sie unterwegs verspeisen, ist mein Heilkräuter-Wissen entfacht. Tiere verfügen über ein medizinisches Wissen, das unsere Vorfahren noch kannten und nutzten. Hunde können Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Epilepsie erkennen. Katzen haben ein Faible für Störungsquellen, spüren Magnetfelder, hüpfen ausgerechnet dem Menschen auf dem Schoß, der Katzen eigentlich nicht mag. Samtpfoten entspannen gern.

Und Esel sind meine Lehrmeister in Sachen Kommunikation. Ich kann ihnen nichts vormachen, sie erkennen meine innere Haltung, ob ich im Kopf ein Bild vom Gelingen habe oder selbst noch nicht klar bin. Das spiegeln sie. Durch sie habe ich gelernt, dass Führungsqualität nichts mit Kontrolle zu tun hat. Esel favorisieren win-win-Lösungen und ich auch. Für eine gute Zusammenarbeit muss ich ihre nonverbale Sprache entschlüsseln, ihre Lebensweise und Bedürfnisse (er-)kennen. Das hedonistische Budget, die Bedürfnispyramide muss auf allen Seiten erfüllt sein. Natürlich gestalten meine Esel die Wanderung mit, das beginnt mit der „Frage“, ob sie mitkommen wollen. Dort, wo kein Esel ist, stelle ich mich mit Halftern auf die Koppel. Neugierig und aufgeschlossen reagieren die Tiere und sie kommen wie eine Karawane in meine Richtung. In meiner Kindheit haben wir die Pferde noch in die Enge getrieben und ihnen Trense und Strick verpasst. Respektvoller ist es, das „Wohnzimmer“ der Kollegen eben nicht zu stürmen, sondern anzuklopfen, den Jägerblick abzuwenden. Tiergestützte Intervention gelingt nur, wenn das Tier eingewilligt hat.

Es ist möglich, eine tiefere Beziehung zum Leben der Tiere und Pflanzen, zur Mutter Erde zu erringen. Vieles in der Natur kann Wegweiser und Hilfe sein, gerade in Krisenzeiten. Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy bringt es auf den Punkt: „Eine andere Welt ist möglich. Sie hat sich bereits auf den Weg gemacht. An ruhigen Tagen kann ich sie atmen hören.“

Über den Autor

Avatar of Yvette von Gierke

Ich bin 1973 geboren, Fachzeitschriften-Redakteurin, staatlich anerkannte Erzieherin und Fachkraft für tiergestützte Intervention, Mutter eines Sohnes sowie Halterin von Katze, Hund und bald elf Hauseseln.
Aufgewachsen am Stechlinsee im Norden Brandenburgs, gehört die Natur zu meinem Leben, war in den Printmedien mein Thema und wurde schließlich mein Arbeitsplatz als Waldgruppenleiterin.

TieBeT
Yvette von Gierke
Dorfstr. 30
14806 Planetal OT Mörz
0172-4199417

TieBeT-Philosophie: Innehalten, sich erden, den Fokus auf eine Begegnung mit tierischen Begleitern lenken und gemeinsam unterwegs sein.
Auf unseren Streifzügen tauchen wir ein in die geheimnisvolle Welt der Pflanzen und Insekten, Fischotter und Biber, Rehe, Hasen und Wildschweine. In der Landschaft, die uns umgibt, sehen wir, dass alles Leben ein Zusammenwirken ist, dass wir Menschen in diesem Gefüge eingebunden und aufgehoben sind.

Es gibt keine Homepage von TieBeT, es funktioniert duch Weitersagen und Empfehlen



Eine Antwort

  1. Hapke
    Diese schöne andere, ruhige Welt...

    Alles was Yvette in ihrem Artikel schreibt kann man ohne Wenn und Aber betätigen.
    Wir hatten vor Kurzem die Gelegenheit, die Esel kennen zulernen und durften einen
    Eindruck von ihrer Liebe zum Tier und der Kommunikation zwischen Tier und Mensch erfahren. Es war ein „besonderer Tag“ – vom Erholungswert wie eine Woche fern des Alltages.
    Wer das einmal erleben durfte, hat hundertprozentig Lust auf Wiederholung. Langweilig wird es mit Sicherheit nicht. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen.

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