Bild: © pixabay.comWürdevoll Sterben – eine Sterbebegleiterin im Interview 16. August 2016 Was bedeutet es, sich als Sterbebegleiterin zu engagieren? Wie kommt man dazu sich intensiv mit dem Tod zu beschäftigen – ihn täglich so nah an sich heranzulassen? Im Vorfeld des Kongresses „Leben und Sterben – Buddhistische Perspektiven“ befragen wir die Referentin Lisa Freund, ehrenamtliche Sterbebegleiterin, über ihre Erfahrungen. Sie erzählt von einschneidenden, persönlichen Erlebnissen, wie sich der gesellschaftliche Umgang mit dem Sterben durch die Hospizbewegung verändert hat und dass die Beschäftigung mit dem Tod auch glückliche Momente hat. Sie sind seit 1989 in der Hospizbewegung aktiv. Was hat Sie damals dazu bewogen, sich für das Thema Hospiz zu engagieren?In den 80er Jahren starb der Vater meines damaligen Lebenspartners in einem Berliner Klinikum unter unwürdigen Umständen in der Besenkammer, weil außer dem Bad sonst kein Raum frei war. Das hat mich sehr mitgenommen und ich habe Fragen gestellt, die Sinnfragen. Was ist der Tod, was ist das Leben? Was ist würdevolles Sterben? Was passiert im Sterbeprozess? Wie kann man Umstände schaffen, in denen das Lebensende mit Mitgefühl und Würde und nach individuellen Wünschen gestaltet werden kann, so es die Bedingungen zulassen? Auf der Suche nach Antworten auf meine Fragen stieß ich auf den Buddhismus, den tibetischen, studierte die Lehren über Sterben und Tod, fand einen buddhistischen Lehrer und betrat den buddhistischen Weg, heute mit Lehrern unterschiedlicher Traditionen. Ich lernte viel, wollte aber zugleich auch ganz praktisch, vor Ort, Sterbenskranke begleiten. Deshalb schloss ich mich der Hospizbewegung an und blieb auch ihr bis heute treu. Ich habe viel gelernt auf meinem Weg als sozial engagierte, unabhängige, den Idealen der Aufklärung verbundene Buddhistin. Welche Veränderungen im Umgang mit dem Thema Sterben haben Sie in den vergangenen Jahren beobachten können?Die Hospizbewegung hat viel geschaffen. Es scheint, das Thema Sterben und Tod sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Spirituelle Themen werden offener diskutiert. Spirituelle Begleitung ist zu einer der vier Säulen der Hospizbewegung geworden. Spiritualität und Religion werden heute nicht mehr als eins gesehen. Wir akzeptieren individuelle spirituelle Wege bis zuletzt. Vorsorge ist heute wichtig. Mehr und mehr Menschen kümmern sich um ihre Patientenverfügung oder/und eine Vorsorgevollmacht unter bestimmten Umständen eine Betreuungsverfügung. Sie leben mit dem Sterben und wollen die Verantwortung dafür übernehmen. Selbstbestimmung bis zuletzt ist ein heiß diskutiertes Thema. Wir haben alle ehrenamtlich angefangen. Heute ist eine Professionalisierung im Gang. Die palliative Versorgung ist ausgebaut und gefördert worden. Mehr als 100 000 Menschen sind gegenwärtig im Hospizbereich engagiert. Die ambulante Versorgung für Sterbenskranke zu Hause wird zunehmend verbessert, die Schmerztherapie bzw. die Symptomkontrolle weiter entwickelt. Palliative Pflege hält Einzug in die Geriatrie und in Einrichtungen für Demenzkranke. Die Versorgung am Lebensende verbessert sich zunehmend. Der Elan der ersten Jahre der Hospiz-Bewegung, die Aufbruch-Stimmung geht allerdings mit der Professionalisierung ein wenig verloren. Wir müssen dafür sorgen, dass die persönliche Wertschätzung und das Mitgefühl gegenüber den Menschen am Lebensende nicht auf der Strecke bleiben. Liebevolle Zuwendung hilft ihnen, sich geborgen zu fühlen und das inspiriert inneren Frieden, für die Menschen, die das annehmen können. Ich erlebe, wer achtsam und mitfühlend mit den Kranken umgeht, der tut das auch mit sich selbst. Damit geht es beiden besser. Dort, wo wir unachtsam und grob miteinander umgehen, leiden alle Beteiligten unnötigerweise. Geborgenheit, Vertrauen, Gemeinschaft sind enorm wichtig für den Übergang vom Leben in den Tod, aber natürlich auch im Leben. Wenn junge Menschen plötzlich sterben, ist dies meist kaum zu begreifen und für Angehörige schwer zu bewältigen. Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Arbeit mit dem Sterben und dem Tod junger Menschen gemacht?Plötzlicher Tod ist besonders schwer zu ertragen. Es gibt den plötzlichen Tod durch Herztod, eine Sepsis, Unfälle, Katastrophen, Mord oder Suizid. Das sind jeweils besondere Erfahrungen, anders, als wenn ein junger Mensch in Folge einer längeren Erkrankung geht. Von einer Sekunde auf die andere bricht ein Lebensentwurf entzwei die Zukunft, die ein Kind verkörpert. Der Schock ist groß. Wer vor dem Tod versorgt wird und langsam erlebt, wie der Körper mehr und mehr versagt, der geht durch schweres Leiden. Dennoch, es gibt sehr reife junge Menschen, die kämpfen, hadern, aber auch ihr Schicksal annehmen, mehr als ihre Eltern oder Freunde. Kinder fühlen sich manchmal mehr verbunden mit allem und vertrauen, dass alles schon gut werden wird. Man kann nicht so einfach sagen, dass es leichter ist, im Alter zu sterben. Es kommt auf die innere Haltung an. Ich habe Eltern erlebt, deren kleines Baby noch im ersten Lebensjahr an einer schweren Erkrankung gestorben ist. Sie haben gesagt, ihr Sohn habe sie gelehrt, was Liebe ist und dass diese über die Grenzen dieses Körpers hinausgeht. Das habe ihr Leben sehr positiv verändert. Trotz des unermesslichen Verlustschmerzes gab es in ihnen Trost. Wie trösten Sie andere bei Verlust und Tod?Es gibt keine Regel. Jeder Mensch ist anders, jeder Verlust ist anders. Die Wege, damit umzugehen, sind völlig unterschiedlich. Ich versuche Menschen dort abzuholen, wo sie stehen, respektiere ihren Weg, ihre Situation, ihre Einstellungen und öffne mein Herz für die Begegnung. Wenn Wertschätzung und Mitgefühl da sind, ergibt sich schnell, was ansteht, und Geben und Nehmen geschehen spontan und selbstverständlich. Ich möchte den Menschen ihren Schmerz nicht nehmen, sondern einfach ein Stück mitgehen und da sein, den Schmerz mit aushalten. Manchmal bitte ich meine spirituelle Kraftquelle um Hilfe, wenn ich nicht mehr weiter weiß und lehne mich an sie an. Es kommen immer Lösungen. Auf den ersten Blick sind sie ganz banal oder fast zu übersehen, manchmal auch spektakulär. Ich füge mich mit Demut in das Mosaik ein, das schon da ist, als ein kleines Puzzlesteinchen im gegenwärtigen Moment und lasse immer wieder Erwartungen und Ansprüche los. Da sein ist dienen. Mehr nicht. Können Sie dem Sterben und dem Tod etwas Positives abgewinnen?Ja. Es ist eine Wandlung im Gang. Das Bewusstsein löst sich vom Körper wie ein Kleid, das wir ablegen, und zieht aus. Es geht etwas weiter. Was und wie ist noch ein Mysterium. Im Sterben und Tod gibt es tiefe Begegnungen, ganz ohne Masken, ganz rein, auch manchmal glückliche Momente. Alles ist unberechenbar. Konzepte greifen nicht mehr. Ich muss alle Gerüste loslassen und da sein. Das sind tiefgreifende Erfahrungen mit dem Leben. Die Prioritäten im Alltag ändern sich. Ich möchte Sinnvolles tun. Konsum und zu viel Ablenkung tun mir nicht gut. Ich weiß, wie kostbar das Leben, die Lebenszeit ist, will sie nicht vergeuden, will mit Freude leben. Das Leben ist ein Geschenk und es ist nicht selbstverständlich. Das lehrt mich der Tod. Wenn der Tod kommt, möchte ich sagen können: es war erfüllt. Ich gehe mit und bin neugierig, auf das was kommt und bin hoffentlich gut vorbereitet. DBU-Kongress 2016: Leben und Sterben: Buddhistische Perspektiven 16. – 18. September 2016 in Potsdam (bei Berlin)Pressekontakt: Stefanie Kusan / Mail: dbu-kongress.presse@dieprojektoren.de / Mobil: 0157. 871 000 53Mehr Infos zum Kongress: www.leben-und-sterben-2016.de Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. Durch Deinen Klick auf "SENDEN" bestätigst Du Dein Einverständnis mit unseren aktuellen Kommentarregeln.