Das, was Frauen während der Schwangerschaft und Geburt erleben, bleibt oft verborgen, da es mit Worten schwer zu beschreiben ist. Viele Frauen fühlen sich in ihrer Erlebniswelt allein und unverstanden und haben ein  Bedürfnis gesehen zu werden. Sie leiden darunter, dass begleitende Menschen sie durch ihre Projektionen betrachten und nicht wirklich in der Lage sind, mit zu fühlen und zu erkennen, was wirklich geschieht. Grit Scholz hat ein ungewöhnliches Buch von Martina Stubenschrott  herausgegeben.

Wie Unaussprechliches spürbar wird – ein Buchexperiment

Ich bekam als Verlegerin im vorigen Jahr ein Manuskript von Martina Stubenschrott zugeschickt, das es in sich hatte. Das Thema war „Schwangerschaft und Geburt – Frauen erinnern sich“ – sie hatte Erzählungen von Frauen eins zu eins transkribiert. Was das wirklich bedeutete, in seiner ganzen Tragweite zu erkennen, war für mich selbst ein irritierender Prozess. Davon möchte ich hier erzählen. Dieses Manuskript verlangte eine neugierige und offene Haltung beim Lesen, wie kaum ein anderes, um einen Zugang zu dieser ungewöhnlichen Art von Verschriftlichung zu finden.

Denn kaum jemand ist es gewohnt, Transkriptionen von Erzähltem zu lesen, die nicht überarbeitet und in Form gebracht wurden – erst recht nicht in Buchform. In mir regte sich beim Lesen sofort Widerstand. Die Lektorin in mir empfand es als Zumutung. Doch nach den ersten fünf Seiten verschwand mein bewertender Verstand vollständig, ich tauchte tief ins Fühlen ein und war regelrecht überwältigt, vor allem davon, was ich zwischen den Zeilen las. Ich fragte mich, warum ich noch nie so eine Art Buch gelesen habe, warum scheinbar noch niemand es gewagt hat, etwas so zu präsentieren wie es ursprünglich war – sondern immer alles überarbeitet wird.

Hier erzählen die Frauen so, wie sie es einer guten Freundin erzählen würden, so, wie es gerade kommt, wie es ihnen wieder einfällt. Die meisten Geburten fanden in den vergangenen sechs Jahren statt, also keine uralten Geschichten, sondern Erlebnisse aus der heutigen Zeit.
Es sind Österreicherinnen, die da authentisch berichten, was es sprachlich sehr spannend macht und auch erkennen lässt, dass im deutschsprachigen Raum auch kulturelle Unterschiede herrschen, jenseits von Mundart.

Worte  jenseits unserer Prägungen 

Das Was und Wie, wie es in diesem Buch zu lesen ist, ist eine Einladung, Worte wahrzunehmen, jenseits unserer geprägten Strukturen. Es steht nicht so geschrieben, weil niemand Zeit und Lust hatte, das zu überarbeiten, sondern weil die Überarbeitung absichtlich weggelassen wurde. Als Verlegerin war ich im ersten Moment zögerlich. Ich dachte, so etwas kann man nicht machen. Doch nachdem ich das gesamte Manuskript gelesen hatte – war es genau das, was mich so sehr beeindruckt und berührt hatte. Ich konnte ein großes Potential darin sehen, was es ermöglicht, Gefühlsinhalte zu transportieren, die von jeder Bearbeitung weggewischt würden.

Wenn ich gefragt werde, worum es in diesem Buch geht, dann kann ich das schwer mit Worten ausdrücken, obwohl ich prinzipiell keine Schwierigkeiten habe, mich verbal mitzuteilen. Dieses Buch macht deutlich, dass es Dinge gibt, die jenseits von Sprache sind – doch als Empfindung, als Wahrnehmung, als Information Eindrücke hinterlassen.

Jenseits von Worten

Bild: © Grit Scholz

Wenn ich Worte benutze wie Selbstermächtigung oder weibliche Kraft, weibliches Prinzip, Urwissen, Körperwissen, Angst, Ohnmacht, Verunsicherung – dann hat jeder Mensch so seine Assoziationen. Wir lesen, was wir fühlen oder wir lesen, was unser Verstand reflektiert. Im besten Falle bildet beides zusammen eine Art Herzverstand und wir sind damit befähigt, Inhalte ganzheitlich zu erfassen, zu erspüren.

Gebären ist eine subjektive, individuelle Erfahrung. Wie eine Frau ihre Schwangerschaft und die Geburt erlebt, hängt von unzähligen Faktoren ab und doch gibt es so etwas wie eine kollektive Wahrnehmung, die immer mitschwingt.

Diese ist von kulturellen und zeitgenössischen Werten geprägt und demzufolge auch sehr unterschiedlich. Da mag es schon einen Unterschied zwischen Deutschland und Österreich geben, doch es geht immer um das gleiche Mysterium – neues Leben entsteht und kommt in diese Welt.

Initiation der Frau

Es gibt seit Jahren eine starke Bewegung, die mehr Bewusstsein in diesen Prozess bringt. Wir wissen heute, dass ein Kind bereits in der Schwangerschaft geprägt wird und die Umstände der Geburt wie eine Art Grundbaustein fungieren und das Wesen des Menschen stark beeinflussen. Wir wissen auch, dass eine Frau, die die Geburt als schöpferischen Prozess erlebt und die das Vertrauen in ihr Körperwissen hat, sehr gestärkt daraus hervor geht.

Manche Frau empfindet die Geburt als eine Art Initiationsprozess, an deren Ende sie als „neues“ Weib in der Welt steht. Da mag eine Kraft entstehen, die sie vorher nicht kannte. Da mag Vertrauen und Verbundenheit mit allem sein, was ihr bis dahin nicht möglich war, so deutlich zu fühlen.

Dies alles sind Gründe für Frauen, mehr Achtsamkeit und Selbstverantwortung in den gesamten schöpferischen Prozess zu investieren, von welchem sie ein so bedeutender Teil sind. Denn die Welt von morgen, wird von den Kindern von heute gestaltet und es ist nicht egal, wie Kinder gezeugt, ausgetragen und geboren werden. All das gilt es nicht auf intellektueller oder konzeptioneller Ebene zu erreichen, sondern tief im Inneren zu erkennen.

Freude, Ehrfurcht und Staunen 

Dieses Buch ist für alle Menschen, die mit Schwangerschaft und Geburt zu tun haben, ob als Gebärende, MedizinerInnen, Hebammen, Doulas, GeburtsbegleiterInnen, Mütter oder Väter. Durch dieses Buch wird deutlich, was Frauen wirklich brauchen, was ihnen gut tut und was sie unterstützt. Gleichzeitig erkennen wir auch, welche Faktoren eine Geburt stören oder ungünstig beeinflussen können. Mit Einfühlungsvermögen und Achtsamkeit können alle Beteiligten ihren Beitrag leisten, die Geburt zu einem kraftvollen und transformierenden Erlebnis werden zu lassen, für Mutter und Kind und für sich selbst. Gleichzeitig können Mütter, die geboren haben, ihre eigenen Erfahrungen reflektieren und vielleicht nachträglich erkenntnisreicher verarbeiten. Egal wie gut oder schwierig die Bedingungen der Schwangerschaften und Geburten waren – eins haben alle gemeinsam: die unbeschreibliche Freude, die Ehrfurcht und das große Staunen, über dieses Wunder – wenn ein neuer Mensch das Licht der Welt erblickt.

Aus diesem Grunde war es mir ein Bedürfnis, dieses außergewöhnliche Buch zu verlegen und ich wünsche Ihnen, es mit offenem Herzen zu lesen.

 

Schwangerschaft und Geburt – Frauen erinnern sich
1:1 transkribiert von Martina Stubenschrott.
Autorin: Martina Stubenschrott
Vorwort: Grit Scholz
Herausgeber: LebensGut-Verlag
248 Seiten, Format: 148 x 210 mm
© 2017 alle Rechte bei Martina Stubenschrott
ISBN: 978-3-9811805-8-9

 

Über den Autor

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Grit Scholz, als Leipzigerin 1965 geboren, lebt heute in der Elsteraue, nachdem sie viele Jahre in West- und Ostdeutschland „unterwegs“ war. Von 2002 – 2007 baute sie im Fläming bei Belzig das LebensGut-Lübnitz mit auf – denn Erforschung des Menschseins und die Hinwendung zu neuem Bewusstsein sind ihre Motivationen. Gründung des LebensGut-Verlages im Juli 2007, Herausgabe der ersten 3 Bücher im Dezember 2007.

Sie ist Mutter von zwei Töchtern, arbeitet als freiberufliche Grafik-Designerin für eigene Kunden und organisiert den Vertrieb und den Versand der Bücher, macht Vortragsreisen und Ausstellungen, Workshops, Lesungen und arbeitet an fremden und eigenen Manuskripten.

Kontakt
LebensGut-Verlag
Grit Scholz
06729 Elsteraue


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