Für eine Politik ohne Feindbilder

Gibt es einen mittleren Weg in Zeiten der zunehmenden Polarisierung? Zu Zeiten des historischen Buddha wurden in den religiösen Schulen extreme Formen von Askese praktiziert. Buddha selbst ist dabei an die Grenze zur Selbstzerstörung gestoßen. In einem Gleichnis erzählt er, wie er am Ufer eines Flusses meditierte, als er die Klänge einer Laute hörte. Ihr Ton war schlaff. Daraufhin versuchte jemand die Saite zu spannen, doch dabei riss die Saite. In diesem Moment wurde Buddha die Bedeutung des Mittleren Weges bewusst. Nur wenn eine Saite die richtige Spannung zwischen den Extremen hat, kann sie einen schönen Klang erzeugen.

Der Mönch Ajahn Chah sagt dazu: „Es gibt zwei Seiten, aber die Leute neigen dazu, auf der einen Seite zu gehen oder auf der anderen. Wenn da Liebe ist, gehen wir auf dem Pfad der Liebe. Wenn da Hass ist, dann gehen wir auf dem Pfad des Hasses. Da ist selten jemand, der in der Mitte geht. Es ist ein einsamer Pfad.“

Was bedeutet das in einer Zeit, in der die Extreme zunehmen? Kann es einen Mittleren Weg in der politischen Kultur geben? Ich sehe vor mir das Bild, wie buddhistische Mönche sich in der Debattierkunst üben. Sie tragen vehement ihre Argument vor und gleichzeitig halten sie mit ihren Händen ständig die aufsteigenden Geister der Besserwisserei nach unten. Das erste wäre also eine innere Disziplin der bewussten Sprache und der Gedanken. Das zweite wäre die Diziplin der Kommunikation, der Übung des Zuhörens und der Einfühlung.

Zuhören im postfaktischen Zeitalter

Auch das faktisch genaue Zuhören hat einen großen Wert im postfaktischen Zeitalter. Mit ihm beginnt der Ausstieg aus der eigenen Blase. Im besten Fall kann ein kreativer Dialog entstehen, aus dem beide verändert hervorgehen. Wo aber sind die heutigen „Buddhas“ in der politischen Auseinandersetzung? Es ist Zeit aufzuwachen! Raus aus den alternativen Ghettos, dahin wo es weh tut.

Dieter Nuhr sagte bei seinem satirischen Jahresrückblick 2016: „Die Mitte, das ist heute nicht mehr der bequeme Ort für Spießer. In der Mitte ist man heute zwischen den Stühlen, das ist viel mühsamer als vorgefertigte ideologische Parolen in die Runde zu werfen. Und wenn sich der pöbelnde Mainstream an den Rändern sammelt, dann müssen sich die Vernunftbegabten wohl oder übel in der Mitte treffen, die bei uns oft so gerne verachtet wird. Da, wo alles eben nicht so einfach ist, weil man von da aus nach beiden Seiten sieht und mühsam abwägen muss.“ Das wäre ein großes kulturell-politisches Projekt für das Jahr 2017.

 

Erstveröffentlichung als Oya-Kolummne, Winter 2016

Bild: © A. R.   / pixelio.de

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