von Ruth Knaup.

Die Fragen stellte Lydia Poppe anlässlich des neuen Buches der Autorin zum Thema „Körpervertrauen“. Ruth Knaup ist als Psychologin und Psychotherapeutin, Dozentin, Erwachsenenbildnerin, Choreographin und Supervisorin in Potsdam und Berlin tätig.

Du misst dem Körper eine zentrale Bedeutung bei als Tor zur Welt. Wird denn der Verstand überbewertet?

Auch „der Verstand“ ist nur ein Teil unseres Körpers. Wir können nichts denken ohne Körper. Unser Denken wird erst möglich durch filigrane biochemische Prozesse, die unsere sinnliche Wahrnehmung, unsere Darm- und Gehirntätigkeit und vieles mehr umfassen. Und je „ganzkörperlicher“ wir leben, wahrnehmen, fühlen und handeln, desto besser vernetzt ist auch unser Denken.  Ein großes Problem ist, dass wir heute in so vielem nur noch passive „Konsumenten“ sind – und die Pandemie hat dies leider extrem befördert. Aber letztlich sind wir nicht das, was wir DENKEN – sondern lebendig werden wir durch das, was wir körperlich TUN!

Von Geburt an erforschen und begreifen wir die Welt auf körperlichem Wege – genau wie alle anderen Lebewesen. Eine enorme Neugier treibt jedes Baby an- und große sinnliche Lust beim Erobern jedes Zentimeters seiner wundersamen Umgebung! Körpervertrauen ist uns allen in die Wiege gelegt – es gilt nur, es zu erhalten. Nicht nur unsere Kinder brauchen körperliche Erfahrungen zur Ausreifung ihres Gehirns, auch wir Erwachsenen brauchen sie, um uns lebendig und lustvoll weiterzuentwickeln, unser Leben lang.

Eine unglaublich große Rolle für unser Wohlbefinden spielt vertrauensvolle körperliche Nähe zu anderen Menschen. Das Konzept des „Social Distancing“ ist deshalb hoch problematisch. Nichts kann Nähe ersetzen. Wir brauchen sie essenziell, um glücklich zu sein. Der Leipziger Haptik-Forscher Dr. Martin Grunwald erklärt das sehr eindrücklich in seinem Buch „Homo Hapticus“. (2017)

Für dich ist es hochaktuell, dass wir uns auf körperlicher Ebene als Teil der Welt wahrnehmen, erkläre uns das.

Jahrhundertelang hat der Mensch sich ja in einem Dualismus „Mensch“ versus „Natur“ verstanden – also als etwas, was quasi außerhalb der „Natur“ existiert und diese kontrolliert, manipuliert, benutzt und ausbeutet zu seinem Zwecke. Nur auf diese Weise konnte es zu dem katastrophalen Zustand kommen, in den wir unseren Planeten heute gebracht haben. Wenn wir uns aber darin schulen, uns körperlich als untrennbaren TEIL der Natur zu spüren, treffen wir andere Entscheidungen. Und zwar zunächst einmal, weil wir sie buchstäblich „am eigenen Leibe“ spüren. Das fängt ganz alltäglich an. Unser Körper ist überhaupt nicht dafür gemacht, täglich in verkrümmter Haltung auf Stühlen zu sitzen und mit Glasscheiben zu sprechen. Das meldet uns der Körper als Rückenschmerz zurück, aber auch mit verlangsamter Verdauung, Schlafstörungen etc.

Wie gehen wir damit um? Was schließen wir daraus? Der Umgang mit unserem eigenen Körper ist die Blaupause für unseren Umgang mit dem „Rest“ der Natur. Wir brauchen alle wieder ein besseres Gespür dafür, was wir körperlich wirklich brauchen. Dann sind wir auch weniger anfällig für zweifelhafte Gesundheitsversprechen von Konzernen, die uns nur zu passiven, zahlenden Konsumenten von Irgendetwas machen wollen.

Wie können wir im Alltag unseren Körper positiv erleben, was schlägst du vor?

Hier gibt es unendlich viele tolle Möglichkeiten! Einige besonders effektive und wohlerprobte beleuchte ich näher in meinem Buch: Toben mit Kindern, Draußen unterwegs sein, sinnliche und lustvolle Nähe, Tanzen (insbesondere Kontaktimprovisation), Musik machen, Waldbaden, körperliche Formen Spiritueller Praxis und einige mehr. Das Wichtigste ist eigentlich, unseren Alltag in all seinen Gewohnheiten darauf zu überprüfen: Tut das, was ich da mache, meinem Körper gut? Macht es mich froher? Spüre ich mich selbst dabei auf eine angenehme Weise? Belebt es Körper, Seele und Geist gleichermaßen? Dann fallen viele Tätigkeiten eigentlich weg. Und die, die bleiben, die gilt es zu kultivieren!

Ein zentrales Thema ist der Umgang mit unserer Gesundheit. Hier gilt es, sorgfältig abzuwägen, wen wir zu „Expert:innen“ für unseren Körper machen und achtsam damit zu sein, ob uns diese „Expert:innen“ wirklich gut tun. Gerade an den Schwellen des Lebens, (Schwangerschaft, Geburt, Wechseljahre) gibt es seit langer Zeit eine Tendenz, uns Frauen zu pathologisieren und zu medikalisieren. Wie wunderbar ist es dagegen, wenn wir umdenken können und all diese Schwellenerfahrungen als gesunde Wachstums- und Reifungsprozesse begreifen, die unser genialer Körper auf die bestmögliche Art vollzieht. Das ist für mich auch Körpervertrauen.

Wo siehst du Vorbilder, von denen wir lernen können?

Ich glaube, dass es schwierig ist, da allgemeine Vorbilder zu benennen. Denn es geht ja genau darum, nicht so auf andere zu schauen, sondern den eigenen Körper als Maßstab richtigen Handelns zu spüren.  Was ich aber extrem hilfreich finde, ist, sich immer wieder für die eigene konkrete kreative und spirituelle Praxis von guten Lehrer:innen inspirieren zu lassen. Also sich auch mit 50 oder 70 nicht zu schade zu sein, noch einmal Unterricht auf einem Musikinstrument zu nehmen, zu einem neuen Yogakurs zu gehen oder der bewunderten Ikebana-Meisterin nach Japan nachzureisen. So etwas hält lebendig und wach. Überall da, wo wir wirklich unsere Sinne, unsere Kraft und unsere wachen Emotionen brauchen und nutzen, da sind wir raus aus der Konsument:innenrolle und drin im echten Leben!

 

 

Buchtipp (Erscheinungsdatum 25.8.22)

Körpervertrauen: Der Weg zu mehr Lebendigkeit und Lebensfreude

  • Herausgeber ‏ : ‎ Scorpio Verlag; 1. Edition (25. August 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Broschiert ‏ : ‎ 168 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3958034314
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3958034310
  • 16,00 Euro

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