von Anke Mrosla

Zur Zeit beschäftigt mich sehr die alte Frage: ist der Mensch veränderbar? und wenn ja, was braucht es dazu? Was will gesehen werden, damit wir anfangen uns und unsere Welt neu zu denken. Denn machen wir uns nichts vor: es ist an der Zeit, dass wir unser Leben neu denken und neue Spuren hinterlassen.

Die Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 15. Juni 2022 wartet zu diesem Thema mit einem bemerkenswerten Artikel auf. Sein Titel lautet: der verletzte Mensch; wie kann es sein, dass wir alles über die Klimakrise wissen und trotzdem so wenig dagegen unternehmen? Die Autoren Bernd Ulrich und Fritz Engel stellen sich einer deutlich tieferen Schicht dieser Frage, als ich es bislang im öffentlichen Diskurs gelesen habe. Es geht um das Erforschen der Verdrängungsmechanismen im Einzelnen wie im Kollektiv, die es uns trotz bekannter Faktenlage so schwierig machen, uns den notwendigen Veränderungen zu stellen.

Kränkung und Krise

Gesprochen werden muss dann nämlich von einer grundsätzlichen Kränkung unseres Selbstgefühls und der daraus erwachsenden Wertekrise. Gefühlt und verarbeitet werden muss im Einzelnen und in der Gesellschaft, in der Politik und in der Wirtschaft gleichermaßen, dass das, was in den letzten 250 Jahren der Fortschrittsglaube uns diktiert hat und was als richtig und gut galt, nun schon seit einigen Jahrzehnten zum Motor für eine globale Katastrophe wird, für Artensterben, Waldsterben und steigende Meeresspiegel, für den Klimawandel in all seiner weltumspannenden Wucht.

Sigmund Freud schrieb in „Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse“ aus dem Jahr 1917, dass die Menschheit immer wieder narzisstische Kränkungen hat hinnehmen müssen, deren erste er – mit der Entdeckung durch Kopernikus, dass die Erde sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt –  als die kosmologische Kränkung bezeichnete. Die zweite Kränkung diesen Ausmaßes erfuhr der Mensch als Darwin den Beweis dafür antrat, dass wir nur ein Glied in der Kette der Arten sind und nicht ein von Himmel gefallener Gott. Die dritte große Kränkung schrieb Freud mit der Entdeckung, dass das „Ich“ aus den Tiefen des „Es“ entsteht und sich quasi aus ihm als eine Teilmenge des Selbst mehr oder weniger erfolgreich heraus entwickelt. Er tat dies sicherlich mit gutem Grund, ist doch auch in diesem Fall das gesamte Verständnis des Menschen dadurch verändert und erweitert worden.

Kränkungen entstehen, wenn wir in unserem Selbstgefühl, unserem Bild oder Ich-Ideal verletzt, in Frage gestellt oder unterminiert werden. Die Klimakrise tut all dies. Sie beschämt uns in unseren Konsum- und Verhaltensgewohnheiten, stellt die Rechtschaffenheit unserer westlich-weißen Privilegien in Frage, lässt unseren gesamten Way of Life, anstatt ehrbar und gut, fragwürdig und verdammenswert erscheinen. Als Einzelner denkt man: „Dabei habe ich doch gar nichts getan: ich lebe doch einfach nur mein Leben, möchte, dass es mir und den Meinen gut geht. Das kann doch nicht falsch sein, oder?“

Trotz, Scham und Stolz

Die bisherigen Narrative des Einzelnen und der Gesellschaft von Erfolg und etwas erreichen Können und Wollen sind im Angesicht der menschgemachten Krise des Ökosystems Erde für niemanden mehr glaubhaft zu erzählen und das ist ausgesprochen schmerzhaft. Also verdrängen wir individuell und kollektiv, was wir nicht erkennen wollen. Wie kann ich noch stolz sein auf meine Lebensleistung, wenn ich anerkenne, dass diese Leistung Treiber für die Erderwärmung ist und so meinen Kindern oder Enkeln das Spielen in gesunden Wäldern und Schwimmen in gesunden Meeren versaut.

Wie in jeder guten Verhaltenstherapie gibt es auch hier den Punkt, wo wir unseren Trotz und unser „Ist doch alles richtig so“ als den Widerstand erkennen müssen, der sie in Wahrheit sind und uns fallen lassen in ein neues Unbekanntes.

Wie könnte also ein neuer Wertekanon aussehen, der mich mit Stolz auf mein Leben erfüllt, der mir die Möglichkeit von Wachstum und Reifung gibt, der mich mit aufrechtem Rücken für mein Handeln einstehen lässt und mir nachhaltige Zufriedenheit schenkt? Der mir die Zuversicht und den Glauben schenkt, dass ich auch ohne Vieles der bisherigen Besitzstände glücklich und frei leben kann. Denn wer glaubt heute noch wirklich, dass die zweite oder dritte Flugreise im Jahr ihr oder sein Lebensglück maßgeblich steigert? Wer ist noch überzeugt davon, dass es egal ist, wie Tiere gehalten werden, die für den Massenverbrauch gezüchtet werden? Wer hat keine Zweifel am unendlichen Wachstum?

Letztendlich braucht die Gesellschaft der führenden Industrienationen Einsicht in die Suchthaftigkeit des eigenen Verhaltens und den Mut, nach einer neuen Form der Zufriedenheit zu streben.

Diese Signale müssen sich in Politik und Gesellschaft durchsetzen. Damit das geschehen kann, braucht es, so glaube ich, den Diskurs auf dieser Ebene der Auseinandersetzung mit den inneren Widerständen gegen das Erkennen. Wir müssen uns trauen, uns mit diesen Fragen unseren Freunden zuzumuten, uns gegenseitig unterstützen in den Bemühungen, liebgewordene Gewohnheiten wie den Flug zur Fortbildung in die Staaten oder die Jagd nach scheinbar „grünen“ Statussymbolen zu hinterfragen.

Wie wäre es, wenn wir als Gesellschaft eine öffentliche Diskussion anstoßen zu der Frage: was ist heute Erfolg? Wie sähe das aus, wenn er sich nicht an mehr Konsum, größeren Wohnungen, mehr Reisen etc. messen läßt.

Wir können und dürfen uns neu erfinden

Lasst uns z.B. aufhören, Jobs zu machen, die wir nicht lieben und die uns nicht mit Sinn erfüllen, um von dem verdienten Geld Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen. Lasst uns Politiker:innen wählen, die den Mut haben, Veränderung demokratisch zu vertreten und die langfristiger denken als eine Legislaturperiode. Lasst uns aufhören, an Krieg als Mittel zur Problemlösung zu glauben. Lasst uns beginnen, am Diktat der Wirtschaft und ihrer Profiteure zu rütteln. Lasst uns den gemeinsamen Reichtum in den reifen Volkswirtschaften für lebensförderliche Dinge neu verteilen. Das wären Schritte in die richtige Richtung und es gibt sie schon vielfach, wenn auch im Lärm des alltäglich noch vorherrschenden Höher, Schneller und Weiter oft wenig bemerkt.

Ich füge hier noch ein Zitat vom Dalai Lama an, das mir sehr passend und als eine schöne einfache Zusammenfassung für eine neue Idee zu leben erscheint:

Der Planet braucht keine erfolgreichen Menschen mehr.
Der Planet braucht dringend Friedensstifter, Heiler, Erneuerer, Geschichtenerzähler und Liebende aller Arten.
Er braucht Menschen, die gut an ihren Plätzen leben.
Es braucht Menschen mit Zivilcourage, bereit, sich dafür einzusetzen, um die Welt lebenswert und menschlich zu gestalten.
Diese Qualitäten haben wenig mit der Art von Erfolg zu tun, wie er in unserer Kultur verbreitet ist

Möge es so werden! Ich wünsche uns einen nachhaltigen Sommer und den Mut in Veränderung zu sein und ohne Scham und Schuld nach neuen Wegen zu suchen.

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