Eine erweiterte Pflanzenheilkunde, die die Verbindung zu unseren älteren Geschwistern wiederbelebt

von Andreas Brieschke

Pflanzenheilkunde ist eine der ältesten Heilweisen überhaupt und das Interesse an Heilpflanzen ungebrochen. Die Vielzahl an Seminaren, Heilpflanzenspaziergängen und Wildkräuterkursen spricht eine deutliche Sprache: Heilpflanzen sind auch aktuell „in“. Meine Heilpflanzenspaziergänge im Berliner Norden sind stets gut besucht und manche Menschen kommen mittlerweile regelmäßig. Dabei bemühe ich mich stets den Teilnehmenden einen respektvollen, achtsamen Zugang zu diesen Lebewesen zu vermitteln und betrachte sie als unsere nichtmenschlichen Verwandten. Sie sind schon viel länger auf dieser Erde und wir können viel von Ihnen lernen und auch Heilung erleben. Unsere älteren Geschwister kennen sich einfach besser mit unseren Lebensbedingungen aus.

Sehnsucht und Entfremdung von der Natur

Nun sind wir auf der anderen Seite mittlerweile leider recht weit von einer erdverbundenen, naturnahen Lebensweise entfernt, allen diesbezüglichen Bemühungen zum Trotz. Im Interesse an Pflanzenmedizin drückt sich auch eine Sehnsucht, ein Herzenswunsch nach Anbindung und „Heimkehr“ aus. Dennoch sind wir auch dem sehr auf den Menschen bezogenen Zeitgeist verhaftet und so ist der erste Gedanke, die erste Frage, die mir beim Pflanzenbetrachten gestellt wird, oft die nach der Nützlichkeit: Wozu ist das gut? Was macht diese Pflanze mit mir? Als nächstes kommt dann die Analyse der Inhaltsstoffe: Was ist da drin? Welche Stoffe wirken da? Es sind medizinische und pharmakologische Fragen nach Informationen und einer bestimmten Art von Wissen. Dieses Vorgehen ist verständlich und ich beantworte solche Fragen aus meiner über 25jährigen Berufserfahrung auch gerne. Ich praktiziere als Heilpraktiker vor allem eine Pflanzenheilkunde mit individuellen Mischungen in Tees und Tinkturen. Dabei spielt eine analytische Betrachtungsweise natürlich eine Rolle und hat auch zweifellos ihre Berechtigung. Sie steht ja auch nicht im Widerspruch zu einer tiefergehenden Betrachtung.

Ich bin mir aber dabei nur allzu bewusst, dass eine Analyse immer dazu führt, dass etwas zum Objekt gemacht und letztlich aufgelöst wird (eben lysiert). Haben wir die Pflanze erst einmal benannt und ihr eine „Funktion“ zugeschrieben, fällt die Schublade zu und sie verschwindet bestenfalls im Herbarium. Außerdem und das ist vielleicht die dramatischere Folge, verlieren wir die Verbindung zu dieser Pflanze, unsere Aufmerksamkeit ist verloren gegangen. Wisch und weg möchte man sagen. Wenn wir also bei diesem Vorgehen, dieser Denkweise stehen bleiben, wirken wir, um es einmal drastisch auszudrücken, auch bei der Betrachtung von Heilpflanzen letztlich zerstörerisch.

Wesen und Erscheinung

Dieses Dilemma aufzulösen, braucht einen weiteren Schritt, ein lebendiges Denken, das die Pflanzen als Subjekte begreift. Wenn wir uns unseren älteren Geschwistern mit Respekt nähern, wenn wir genau beobachten und wahrnehmen, wie sie in dieser Welt stehen, sind wir auf dem Weg zu einem lebendigen Denken. Es geht darum ihre Gesten, ihre Bewegungen in Zeit und Raum zu beschreiben und so die zugrundeliegende Idee, die Prozesse nachzuvollziehen. Das Wesen der Pflanzen eben. Dazu nähern wir uns mit Fragen, als Lernende und öffnen einen Raum des Nicht-Wissens. Diese Herangehensweise ist oft ganz schön aufregend und spannend. Wir versuchen über eine Beschreibung die lebendigen Prozesse nach-zudenken, deren angehaltene Momentaufnahme vor uns in Erscheinung getreten ist. Dieses Vorgehen ist nicht weniger wissenschaftlich, nur eben nicht analytisch, sondern verbindend. Zwei Subjekte, Mensch und Pflanze, treten gleichwertig in Beziehung und in einen Austausch. Der Beginn eines Heilungsprozesses. In einem Miteinander, einem gemeinsamen Wahrnehmungs- und Denkprozess nähern wir uns über die Erscheinung dem Wesen der Heilpflanzen.

Dabei nutzen wir in der Seminararbeit nachvollziehbare Beschreibungen, um in einen Austausch miteinander zu kommen und als Gruppe gemeinsam zu lernen. Diese Vorgehensweise schützt uns auch davor in einer gefühlsmäßigen Betrachtung der Pflanzen quasi „auf der anderen Seite“ stecken zu bleiben. Schaue ich ausschließlich in Antithese zur Analyse auf meine subjektiven Gefühle bezüglich der Pflanze und suche so eine Verbindung, begebe ich mich in die Gefahr einer erneuten Einseitigkeit. Nun ist zwar die Pflanze nicht mehr Objekt der Analyse, sie verschwindet aber dennoch hinter meiner menschenzentrierten Subjektivität, quasi hinter den Tränen meiner Sehnsucht, um mal poetisch zu werden. Lassen wir doch die Pflanzen sich selbst aussprechen, wir müssen uns nur entschleunigen und auf ihre Zeit einlassen und zuhören.

Ein aktuelles Beispiel

Für alle Fans von Wildkräutern ist der Frühling natürlich eine Hochzeit. Das erste Grün sprießt und schreit Leben, alles steht im Saft und strotzt vor Vitalität. Die harte, kalte Zeit des Winters ist vorbei und gerade in den Buchenwäldern zeigt sich eine sehr beliebte Pflanze: der Bärlauch.

Natürlich kann man ein grandioses Pesto daraus machen und auch so lässt er ich wundervoll essen. In der Analyse finden sich viele schwefelhaltige Substanzen, die antibiotisch wirken und so vor Krankheiten schützen. Bärlauch wirkt außerdem blutdrucksenkend und reguliert die Blutfette, das Arterioskleroserisiko sinkt und die Blutgefäße werden vor Ablagerungen geschützt. Außerdem enthält Bärlauch Adenosin, das beruhigend wirkt. Was für eine tolle Pflanze, möchte man denken und doch – vielleicht haben Sie es bemerkt – ist die Pflanze selbst völlig aus unserem Blick verschwunden.

Fragen wir aber den Bärlauch einmal selbst und mit allen Sinnen: „Wer bist du? Was machst du da? Wie machst du das?“ stellen also staunende Kinderfragen, so bemerken wir recht schnell, wie wenig wir eigentlich mitbekommen haben von diesem großzügigen Gesellen. Dann stehen wir wieder vor dem Mysterium des Lebens, vor einem Raum des Nicht-Wissens… als Lernende, als Fragende. Wir beginnen dann zunächst mit dem Sichtbaren, wir beschreiben die Erscheinung. Da ist zunächst mal ein unfassbares Grün (nur zwei Teelöffel Pesto färben 500g Nudeln), da ist die flächige Verbreitung. Da sind Blätter ganz einfacher Natur, längsnervig mit Stiel, ein wenig an Maiglöckchen erinnernd, übrigens eine nahe Verwandte des Bärlauches. „Was ist das überhaupt für eine Familie?“ Reißen wir aus Versehen eine Pflanze aus, so hängt eine zarte weiße Zwiebel mit feinen Würzelchen daran. Hier sprechen sich weitere Verwandtschaftsverhältnisse aus und neue Fragen entstehen: „Was sind Zwiebeln? Was macht die Pflanze damit?“ Nah und am oberen Ende des Ganzen findet sich eine zunächst eher unscheinbare Blüte aus mehreren weißen Einzelblüten, sechsblättrig. Weitere Fragen. „Hat die Anzahl der Blütenblätter eine Bedeutung? Wie ist das bei anderen Pflanzen?“ Dann sind da Geruch und Geschmack…“Was ist überhaupt Geruch? Was hat es mit der Schärfe auf sich?“

Sie sehen, es tun sich Welten an Fragen an Verbindungen, auf über die wir sprechen und uns austauschen können. Wir sprechen dann über Erlebnisse und Erfahrungen mit (im wahrsten Sinne MIT) dem Bärlauch… Und es geht dann noch weiter, tiefer und wird immer spannender… „Was passiert in der Zeit? Wo ist der Bärlauch im Winter?“ – „Was sind überhaupt Pflanzen? Was macht Pflanzen zu Heilpflanzen?“

Eine Einladung

Diesen Ansatz zu verfolgen braucht vor allem eines: Zeit. Solche Wahrnehmungsprozesses lassen sich nur schwer an einem Nachmittag entwickeln, sind wir doch eine solche fragende Denkweise nicht gewohnt, ja, sie ist uns in den Schulen sogar ausgetrieben worden. Wir sollten Wissen reproduzieren, nicht Fragen stellen. So wird alleine deshalb eine solche Form der Beschäftigung mit den Pflanzen zu einem heilsamen Prozess.

Wenn Sie neugierig geworden sind auf diesen Ansatz, Ihre kindliche Freude am Fragen wiederentdecken möchten, wenn Sie wie ich die Liebe zu den Pflanzen teilen und Lust haben nach unseren europäischen Wurzeln zu forschen, dann lade ich sie herzlich über Himmelfahrt zu einem viertägigen Seminar in die Uckermark ein.

Seminar vom 17. – 21.5. 2023: HIER  

 

Buchtipp:
Viruserkrankungen ganzheitlich behandeln
Andreas Brieschke
Herausgeber: ‎ humboldt, Februar 2022
Taschenbuch ‏: ‎ 216 Seiten
ISBN-10 ‏ : ‎ 3842630468
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3842630468
Abmessungen ‏ : ‎ 15.4 x 20.8 x 1.5 cm

Über den Autor

Avatar of Andreas Brieschke

Ich bin „eingeborener Berliner“, aufgewachsen im Garten mit dem Schmerz über gefällte Apfelbäume, vielen Fragen und der Sehnsucht mich wieder in Beziehung zur Natur zu setzen. Die Pflanzen haben mich dabei immer begleitet und wohlwollend lächelnd mein Bestreben mit all seinen Irrungen beobachtet. Ich bin Vater und Imker.

Was ich auf meinem Weg gelernt habe, möchte ich mit Euch teilen. Ich arbeite seit über einem Vierteljahrhundert als Heilpraktiker mit Schwerpunkt Pflanzenheilkunde, bin Dozent an verschiedenen Heilpraktikerschulen und Autor von Fachartikeln und des Buches „Viruserkrankungen ganzheitlich behandeln“. Außerdem gebe ich Seminare zum Umgang mit Stress und körperlichen Traumen und arbeite als Körpertherapeut mit Menschen, die störende Muster verändern wollen.



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