Gedankenspiele zu Migration – Wanderung – Freiheit

Gestern Abend war ich bei klarem Nachthimmel im Park Sanssouci spazieren. Als Anwohnerin des Potsdamer Parks traue ich mich, auch nach Einbruch der Dunkelheit über die Wege zu schlendern, die Weite der Wiesen zu genießen, mich als kleine Königin zu fühlen inmitten all dieser Schlösser und Schlossanlagen. Der Himmel war glasklar und gab den Blick auf einen fulminanten Sternenhimmel frei. Die Sterne glänzten und schimmerten, verbanden sich in meiner Wahrnehmung zu Linien, Strecken, ganzen Gestalten. Ich musste an die Sternzeichen denken, die da aufs Firmament gemalt sind. Und mein Geist wanderte all die Linien dieser Sternenzeichen nach, wanderte, kam in Bewegung. Und dann bewegte sich der Himmel, bewegten sich die Sterne, bewegte sich mein Geist. Wanderungen. Und bei diesen Wanderungen kam ich nochmals zu der Ausstellung, die ich am vergangenen Wochenende in Hamburg gesehen habe: „Streamlines– Ozeane, Welthandel und Migration“. – Strömungsstrecken, Strömungslinien, Strömungen…

Dort hatte eine Künstlerin die Strecken, die Migranten während ihrer Migration zurückgelegt haben, als leuchtende Sternenstrecken auf himmelblauem Hintergrund gemalt. Jeder Halt der Migranten-Suche nach einer neuen Heimat wurde von der Künstlerin als leuchtender Punkt dargestellt. Wunderschöne, traumhafte Bilder entstanden dabei. Das sah sehr poetisch aus. Das hatte etwas Verträumtes, etwas sehr Geträumtes, wie eine Botschaft aus einer anderen Welt. Und ich dachte: Ja, vom Himmel aus betrachtet, nehmen die Wanderstrecken der Flüchtlinge vielleicht die Gestalt von Sternenbildern an, malen sie Zeichen in den Raum hinein. Vom Himmel aus betrachtet. Von der Erde aus gefühlt sind all diese Flüchtlingsstrecken wohl weniger poetisch, weniger gülden, weniger leuchtend. Da gibt es eher Zittern, Angst, bräuchte es wohl dreckige, verschmutzte Hintergründe statt des strahlenden Blaus, um das Elend, die Sorgen, die Ängste und auch die Bodenlosigkeit der Flüchtlings-Wanderbewegungen einzufangen. So denke ich. Und denke gleichzeitig: Das darf man nicht, die Flüchtlingsbewegungen so poetisch, so traumhaft sehen. Ich fühle mich verpflichtet, deren Tun als getrieben, vertrieben, notleidend, als die Reaktion eines Opfers zu sehen.

Dorothée Brüne_Verena N._pixelio.deUnd während meine Gedanken beim Schreiben weiterwandern, denke ich an den Jakobsweg und die spirituelle Dimension des Wanderns, an das Zusichkommen durch das Wandern. Den Pilgerweg erwandern. Ich denke auch an die Tradition des Pilgerns in Mexiko, wo durch das Wandern die eigene Freiheit spürbar werden kann und jeder in seinem Leben eine Pilgerwandertour zu den Schmetterlingen gemacht haben sollte, zu diesen wunderschönen Monarchfaltern, die im Hochland rund um Mexiko-City überwintern. Tausende von Schmetterlingen, die dort in Trauben hängen, die gigantische Wegstrecken zurücklegen von Kanada bis nach Mexiko und zurück, die ein einzelner Schmetterling alleine nie schaffen könnte. Und traditionell wandern die Mexikaner zu diesen Schmetterlingen, wandern dorthin, um sich an das Wandern zu erinnern, um sich daran zu erinnern, wie schön es ist, große Strecken zurücklegen zu dürfen, um sich auch an die Sehnsucht und das Sehnen zu erinnern, um Freiheit zu spüren.

Auch für mich ist es immer wieder beglückend, durch die Nuthewiesen zu streifen, die Weite des Urstromtales zu genießen. Ja, dann fühle ich mich frei. Dann fühle ich diese wunderbare Freiheit, bei jedem Schritt neu entscheiden zu dürfen, in welche Richtung es als nächstes geht. Dann fühle ich die Weite des Raumes um mich, dass der Raum weit ist, dass er bis zum Himmel, dass er bis zu den Sternen reicht, dass ich bis zu den Sternen reiche.

Ich würde mich freuen, wenn all die Flüchtlinge, die in unser Land strömen, ihren Weg als Wanderweg, als spirituellen Weg, als von Sternen beleuchteten Weg, als Sternenweg vor leuchtendem Firmament empfinden würden. Ich wünsche ihnen, dass es die Sehnsucht ihres Herzens ist, die sie antreibt, dass die Hoffnung ihnen Kraft gibt. Ich würde mich freuen, wenn ihre Flucht für sie eine Pilgerreise, eine Reise in die Freiheit sein könnte und wenn auch sie sich, wenn sie hier ankommen, mit den Sternen verbunden fühlen können.

Und ich nehme mir jetzt in diesem Moment vor, den nächsten Menschen, der mir aus fernen Landen kommend erscheint, anzustrahlen und ich hoffe, mein kleines Leuchten möge auch seinen Weg erleuchten und für uns beide „die Sterne auf die Erde holen“.

Bild unten: © Verena N. / pixelio.de

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