Leistungsgesellschaft und Individualisierung brauchen als Balance ein Wir-Gefühl und Lebensfreude.

von Joachim Schaffer-Suchomel

Krankheit ist ein Korrektiv der Natur auf persönlicher Ebene – und auf gesellschaftlicher Ebene. Wie im Kleinen, so im Großen! Auf persönlicher Ebene führt die ungebremste Leistungsgesellschaft mit ihrer Individualisierung in Aktionismus und Vereinzelung – Menschen sehen vorwiegend nur noch sich selbst und sind getrieben von der Angst, im Konkurrenzkampf die erwartete Leistung nicht zu erbringen und zu versagen. Es folgen Erschöpfung, Burnout und Lähmung – nichts geht mehr!

Eine Krankheit setzt einen Stop, damit der Patient zur Besinnung kommen und mit seinen Sinnen den tieferen Sinn wiederfinden kann. Der vom Leistungsdenken getriebene Patient, dem alles nicht schnell genug gehen kann, muss sich in Geduld üben. Patient geht auf das lateinische patientia zurück und bedeutet Geduld.

Wo bleibt das Wir-Gefühl?

Auf gesellschaftlicher Ebene führen übersteigertes Leistungsdenken, Effizienzsteigerung und Gewinnmaximierung auf Dauer in einen kollektiven Kollaps: Die Natur erkrankt, die Welt bekommt Fieber und das ökologische System bricht über kurz oder lang zusammen. Oder eine Pandemie kommt um die Ecke und zwingt uns, unser Treiben zu stoppen. Der Corona-Virus offenbart, dass nicht nur die Natur erschöpft ist, sondern die ganze Gesellschaft auf einen Burnout zusteuert. Oft geschieht es, dass Menschen im lang ersehnten Urlaub als Erstes krank werden und sich erst einmal hinlegen müssen. Auch im jetzigen Corona-Zwangsurlaub spüren viele, wie erschöpft sie im Grunde genommen sind. Die Natur gleicht aus. Mit dem erzwungenen Stop! haben wir die Möglichkeit, unsere Balance wiederzufinden.

Leistungsgesellschaft und Individualisierung brauchen als Balance ein Wir-Gefühl und Lebensfreude.Das setzt Respekt vor der Natur und füreinander, Achtsamkeit und Wertschätzung voraus. Was nützen uns die größten Erfolge, wenn wir uns alleine freuen? Was nützen die großen Gewinne, wenn wir so viel verdienen, dass wir es gar nicht mehr ausgeben können, vor allem aber, wenn diese Gewinne auf Kosten anderer gemacht werden und Menschen in arm und reich gespalten werden?

Krankheit als Symbol mit Signalwirkung

Krankheiten haben eine Symbol- und Signalwirkung. Symbol kommt aus dem Griechischen und bedeutet Zusammengefügtes. Krankheitssymbole zeigen, wie die Dinge zusammengehören und wie Getrenntes wieder zusammengefügt werden kann. Die Corona-Krankheit sendet Signale, was Menschen und Gesellschaft in dieser Situation brauchen. Corona bedeutet Krone, Kranz und bezeichnet auch eine Gruppe von Menschen, die etwas gemeinsam unternehmen. Umgangssprachlich bedeutet Corona frohe Runde.

Krone und Kranz bilden einen Kreis, der ein Wir-Gefühl symbolisiert. Krone und Siegeskranz sind ein Grund zu feiern, vorausgesetzt, wir verhalten uns auch wie die sogenannte Krönung der Schöpfung. Feiern ist ein Symbol für Lebensfreude. Leistungsdenken und Individualisierung brauchen als ergänzenden Gegensatz ein Wir-Gefühl und Lebensfreude. Das Prinzip der ergänzenden Gegensätze entspricht einem Sowohl-als-auch-Denken. Ein Entweder-oder-Denken schließt aus.

Das Wir-Gefühl entspricht einem Sowohl-als-auch. Ein Wir-Gefühl geht einher mit Mitgefühl und zeigt, dass wir uns mit Gefühl begegnen. Wir-Gefühl steht für ein Win-Win-System. Verlierer sind in diesem System nicht vorgesehen. Lebensfreude schließt alle ein. Ausschluss geht weg von der gesunden Freude hin zur Schadenfreude.

Corona ist eine kleine Krise – im Blick auf Klimawandel und Umweltzerstörung

Denken wir auch an die Zukunftsszenarien der von Menschenhand gemachten Umweltzerstörung von unglaublichen Ausmaßen? Werden diese auch noch händelbar sein wie Corona? Wenn wir weltweit den Naturgewalten ausgeliefert sein werden, wie dem Anstieg des Meeresspiegels, den Orkanen, Dürren und Überschwemmungen, den Folgen von Bodenerosion und Humuszerstörung sowie den bisher nicht kalkulierten Folgen einer 5-G-Technik (fünfte Generation des Mobilfunks), dann wird das nicht mehr händelbar sein!

Wir können uns Bilder aus den Medien in Erinnerung rufen, die zeigen, dass für viele Menschen, die auf Inselgruppen in Asien leben, die drohende Umweltzerstörung bereits Realität geworden ist. Sie haben alles verloren. Erfahren sie Hilfe von den Industrienationen, den größten Verursachern des Klimawandels? Diese Menschen stehen nicht auf der Agenda.

Die soziale Marktwirtschaft hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Natur ist der Wirt, wir sind ihre Gäste. In der sozialen Marktwirtschaft fehlt neben dem Sozialen und der Ökonomie der dritte im Bund: Die Ökologie! Die Wertschätzung der Natur!

Corona birgt die Gefahr, dass nach der Krise die alten Denkmuster sich erneut breitmachen und die alten Geister erneut die Macht ergreifen. Schnell rutscht eine Gesellschaft in die alten Spuren zurück. Doch bietet diese Krise auch eine riesige Chance, Mitgefühl und Weitblick zu entwickeln und gesellschaftliche Strukturveränderungen in Gang zu bringen, die neue Formen des Zusammenlebens und ein sozial-ökologisches Wirtschaften und Landwirtschaften möglich machen.

Joachim Schaffer-Suchomel

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