Hausgeburt oder Klinikgeburt… Es waren einmal eine Frau und ein Mann, die voller Vertrauen zur Geburt ihres Kindes in eine Klinik fuhren – und eine gar unliebsame Überraschung erlebten: Menschliche Wärme, echte Unterstützung und Selbstbestimmung haben im Kreißsaal einer heutigen Klinik anscheinend nichts mehr zu suchen und sind durch nüchtern-technische Abläufe ersetzt worden. Aber es geht auch anders …

von Holm Andree Jochmann

 

„Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die wünschten sich schon lange vergeblich ein Kind. Endlich machte sich die Frau Hoffnung“ – so beginnt das Märchen „Rapunzel“. Da sind also eine Frau und ein Mann, die Frau wird schwanger. Als Nächstes heißt es im Märchen: „Die Leute hatten in ihrem Hinterhaus ein kleines Fenster, daraus konnte man in einen prächtigen Garten sehen, der voll der schönsten Blumen und Kräuter stand; er war aber von einer hohen Mauer umgeben, und niemand wagte hineinzugehen, weil er einer Zauberin gehörte, die große Macht hatte und von aller Welt gefürchtet ward.“

Die schwangere Frau hat irgendwann das Gefühl, dass sie etwas aus dem Garten der Zauberin braucht. Wenn man die Zauberin symbolisch als das Urweibliche sieht, vergleichbar mit Mutter Erde, dann ist es klar, dass die Schwangere dringend den Zugang zum alten Frauenwissen braucht, zur alten Kraft, wenn sie ein Kind erwartet. Der wird ihr allerdings verwehrt, denn „das Weibliche“ wird seit Jahrtausenden mit Misstrauen betrachtet und verteufelt. Im Märchen ist es so, dass die Frau zu sterben meint, wenn sie nicht ein paar der grünen lebendigen Pflänzchen aus dem Garten der „Zauberin“ bekommt. Klar, eine Geburt ist eine Sache von Leben und Tod, wie muss es sich anfühlen, wenn man in dieser Situation nicht auf die Quelle weiblicher Kraft zurückgreifen darf?

Klinikgeburt Jenseits von Selbstbestimmung

Verstanden habe ich dieses Märchen erst nach der Geburt meiner drei Kinder. Beim ersten Kind fuhr ich nachts meine Partnerin ins Krankenhaus, weil die Wehen einsetzten. Dort angekommen, waren die Wehen weg. Wir beschlossen, uns in der Nähe des Krankenhauses ein Hotelzimmer zu nehmen, um notfalls schnell da zu sein, aber doch noch ein wenig Ruhe zu haben. Die Ärzte waren empört. Ich werde nie vergessen, wie eine Ärztin auf meine Partnerin einredete, um sie zum Bleiben zu bewegen. Sie wurde immer aufgeregter, es ging um Verantwortung und darum, dass das Leben kein Ponyhof sei. Ihre Rede endete mit der erstaunlichen Aussage: „Die Freude am Kind endet sowieso mit der Geburt, ich habe selbst zwei Kinder und war schon seit vier Jahren nicht mehr im Kino.“ Wir sind trotzdem gegangen, aber natürlich nicht entspannt und in einem Gefühl, unterstützt zu sein.

Einige Stunden später waren wir wieder da, ich habe die Arbeit der Hebamme und Ärzte als sehr technisch empfunden. Vorherige Absprachen waren gegenstandslos, die hilflose Situation der jungen Mutter wurde genutzt, ihr nichts zu lassen von Selbstbestimmung oder Selbstverantwortung. Ich lasse die Details an dieser Stelle aus…

Meine Tochter wurde geboren, sie blinzelte neugierig in die Welt, ich würde behaupten, sie lächelte und wirkte ganz entspannt. Nach einem kurzen Moment der Freude erschien ein Arzt, nahm das Kind und beschied uns, es hätte Fruchtwasser geschluckt, das müsse nur kurz abgesaugt werden, dann bekämen wir das Kind gleich wieder. Die Minuten vergingen zäh und summierten sich zu Stunden.

Das eigene Kind “geraubt“

Nachfragen wurden ausweichend beantwortet. Irgendwann ging ich los und fand meine Tochter im Brutkasten. Das wäre jetzt für ein paar Tage das Beste, sagte man mir, einen Grund konnte mir niemand nennen. Mehr oder weniger habe ich mein Kind geraubt und es der Mutter gebracht. Wir waren umzingelt von zeterndem Personal, mussten unterschreiben, dass wir selbst schuld sind, wenn das Kind verstirbt, und standen irgendwann wie betäubt endlich draußen vor dem Krankenhaus.

Geburt-GordonGrand-FotoliaBeim zweiten Kind entschieden wir uns für ein kirchliches Krankenhaus. Ich erinnere mich dunkel an einen alten Horrorfilm, den ich mal gesehen habe. Darin gab es eine „Schwester Diesel“. Diese Schwester Diesel öffnete uns die Tür. Die Presswehen hatten schon begonnen, aber es mussten endlose Formulare ausgefüllt werden, dazu gab es barsche Kommentare wie: „Haben Sie sich nicht so! Reißen Sie sich zusammen!“ Ich lasse auch hier die Details weg. Ich will nur sagen, es gab das sehr technisch und fast aggressiv agierende Klinikpersonal, eine völlig hilflose und in dem ganzen Trubel ganz allein wirkende junge Mutter und mich, total überfordert mit der Aufgabe, irgendwie ein paar Rapunzeln aus dem verbotenen Garten aufzutreiben. Ich habe gefühlt bei dieser Aufgabe komplett versagt und fühlte mich schuldig.

Am nächsten Morgen die übliche Prozedur, das Formular und die Unterschrift, dass wir selber schuld sind, wenn das Kind stirbt. Segen sieht anders aus.

Hausgeburt die entspannte Geburt

Die Mutter meines dritten Kindes hatte ebenfalls ihre Erfahrungen gemacht mit Krankenhäusern und Geburten. Sie wollte diesen Kampf nicht noch einmal kämpfen, und wir machten uns auf die Suche nach einer Hebamme, die sich noch auf Hausgeburten einlässt. Die Wehen kamen in der Nacht, wir riefen unsere Hebamme an. Sie kam und wirkte auf mich wie die Zauberin aus dem Rapunzelgarten.

Sie hatte ein Hörrohr, das setzte sie auf den Babybauch, lauschte und verströmte Gelassenheit und Wärme. Es sei alles bestens, sagte sie, und am klügsten wäre es, wir legten uns alle noch mal hin.

Wie es sich genau zugetragen hat, dass mein kleiner Sohn auf die Welt kam, will ich hier auch nicht ausbreiten. Aber ich kann sagen, es war unglaublich friedlich. Die Hebamme sagte und tat in aller Ruhe, was sie eben ganz sicher wusste. Ich stand staunend dabei und dachte irgendwann, vielleicht sollten ja die Männer und die Kinder ehrfürchtig draußen warten, während die Frauen bei einer Geburt ihre Wunder zelebrieren.

Am Ende schien die Abendsonne warm und golden auf einen Babybauch. Der Feenstaub, der im Krankenhaus nach jeder Geburt sofort weggeputzt wurde, glänzte noch tagelang im Hause.

Wie anders der Zugang der Hebamme zu all diesen Wundern war, wurde noch einmal deutlich, als sie wie selbstverständlich die Plazenta nahm und umstülpte. Das Netz der Blutgefäße darauf sah genau aus wie ein Baum.

„Ist es nicht verständlich, dass unsere Vorfahren die Bäume verehrt haben und meinten, wir seien ihre Kinder?“ sagte sie. Ja. In diesem Moment war mir das auch völlig klar.

 

Die im Artikel erwähnte Hebamme heißt Cordula Brockmann, Infos über www.dreigaerten.de

Bild im Text: © GordonGrand – Fotolia.com

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