In allen religiösen Glaubensrichtungen und spirituellen Traditionen spielt das tätige Mitgefühl als Karma-Yoga, Seva oder Nächstenliebe eine Rolle. Selbstloses Handeln ist in den meisten Religionen und Philosophien sogar als zentrales ethisches Motiv verankert. Alle spirituellen Traditionen ebenso wie zeitgenössische Psychologen und Wissenschaftler erblicken im Mitgefühl einen zentralen Wert des menschlichen Miteinanders und den Grundstein jeder Zivilgesellschaft. Lydia Poppe hat untersucht, was im Einzelnen dahintersteckt.

 

Nächstenliebe

Nächstenliebe ist ganz konkret das selbstlose Eintreten für andere ohne Rücksicht auf deren soziale Stellung oder Verdienste. Das ist nicht als Mitleid misszuverstehen, sondern die fremde Person wird als etwas Wertvolles und Ebenbürtiges angesehen, dem man sich wohlwollend nähert. Entsprechende Verhaltensnormen und Regeln sind in den meisten Religionen und Philosophien verankert. Wikipedia sagt zu Nächstenliebe: „Liebe beinhaltet hier jede dem Wohl des Mitmenschen zugewandte aktive, uneigennützige Gefühls-, Willens- und Tathandlung… Der Nächste kann jeder Mensch in einer konkreten Notlage sein, der einem begegnet.“

Der Begriff stammt ursprünglich aus dem Judentum. Seine Auslegung durch Jesus von Nazareth machte Nächstenliebe zum zentralen Wert des Christentums neben der Gerechtigkeit. Jesus selbst war in seinem Verhalten beispielhaft, alle Evangelien heben seine bedingungslose Zuwendung zu notleidenden, unterdrückten und ausgegrenzten Menschen hervor.

Nächstenliebe war für Jesus zugleich Gottesliebe: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Nicht die richtige Religion war für ihn entscheidend, sondern bedingungslos Gottes Willen zu tun. Jesus selbst erfüllte diesen Willen Gottes ganz, indem er sein eigenes Leben hingab, damit andere ihn, den Mensch gewordenen Gott, erkennen und ebenso handeln können. Diese Hingabe formulierte er mit den Worten: „Ich bin unter euch wie ein Diener.“

Selbstloses Dienen

Im Hinduismus ist Karma-Yoga einer der Yogawege und bedeutet ein Handeln ohne Anhaftung an die eigenen Taten. Karma-Yoga wird oft auch als Yoga des selbstlosen Dienstes verstanden. Er ist ein Weg zur Befreiung. Karma- Yoga ist der Yoga der Tat, es geht darum, mit reinen, uneigennützigen Motiven zu handeln. Einige mögliche reine Motive wären, anderen zu dienen und zu helfen, Unrecht abzustellen, sich selbst weiterzuentwickeln, zu reinigen, sein Karma abzubauen, zu lernen, Pflichten erfüllen, zu lieben und Gott zu dienen. Sri Ramakrishna sagt: „Karma-Yoga ist der spontane Einklang mit Gott durch das Handeln.“

Eines der Hauptthemen der Lehre Krishnas in der Bhagavad Gita ist: „Unterwirf und schenke alle deine Taten dem Göttlichen.“ Auch für Sri Aurobindo ist Karma-Yoga am wirksamsten, wenn man „seinen eigenen Willen und seine eigensüchtigen Begierden dem Göttlichen Willen unterwirft“. Ein wichtiger Aspekt des Karma- Yoga ist Seva, das uneigennützige Dienen, beispielsweise eine ehrenamtliche Tätigkeit für eine gute Sache auszuüben. Ramakrishna sagte, wir sollen zu Gott beten, dass er uns Seine Gnade und die Kraft schenkt, unsere Pflichten selbstlos zu bewältigen, ohne auf einen Lohn zu hoffen und ohne Angst vor Bestrafung.“ Swami Vivekananda sagt, wir erreichen Freiheit dann, wenn wir die Früchte unserer Arbeit nicht für uns selbst sammeln, sondern losgelöst Gutes tun um Gottes willen.

Bhakti-Yoga handelt in erster Linie von der Beziehung zu Gott durch das Göttliche in den Menschen. Verwirklichen kann es sich durch selbstlose freundschaftliche Liebe, Liebe zu Schützlingen, elterliche Liebe und Liebe zwischen Mann und Frau.

Mitgefühl

„Wenn du glücklich sein möchtest, übe dich in Mitgefühl“, sagt der Dalai Lama. Die Definition von Mitgefühl im Buddhismus ist: wollen, dass andere von Leiden befreit sind. Dieses Mitgefühl geschieht, wenn man mit jemandem fühlt und die Notwendigkeit verspürt, zu helfen. Mitgefühl ist ein selbstloses, nicht-anhaftendes Gefühl, das der empfindenden Person ein Gefühl der Dringlichkeit zu helfen verleiht. Das letztendliche Ziel ist die Ausrottung allen Leides, das durch den Prozess der Wiedergeburt immer wieder und wieder entsteht. Der „nahe Feind“ des Mitgefühls ist Mitleid.

Der Buddha lehrte seinen Sohn (aus „Old path white clouds“ von Thich Nhat Hahn):
„Übe dich in liebender Freundlichkeit, um Ärger zu überwinden. Liebende Freundlichkeit hat die Fähigkeit, anderen Glück zu bringen, ohne etwas als Gegenleistung zu verlangen.
Übe dich im Mit-Fühlen, um Grausamkeit zu überwinden. Mit-Fühlen hat die Fähigkeit, andere von ihren Leiden zu befreien, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten.
Übe dich in Mit-Freude, um Hass zu überwinden. Mit-Freude entsteht, wenn wir uns an der Freude anderer erfreuen und wenn wir ihnen Glück und Freude wünschen.“

Verbundenheit und Fürsorge entwickeln

Das Fehlen von Fürsorge und Liebe in der Kindheit und negative Lebenserfahrungen führen dazu, dass Mitgefühl blockiert wird und sich nicht frei entfalten kann. Dass dies jedoch nicht so bleiben muss, davon ist sowohl die positive Psychologie als auch die moderne Hirnforschung überzeugt. „Mitgefühl können wir trainieren“, sagt die Neurobiologin und Psychologin Tania Singer, die mit ihren Forschungen am Max-Planck-Institut dem Mitgefühl eine größere Aufmerksamkeit verschaffen und damit die Entwicklung einer solidarischen Gesellschaft fördern will. Bereits nach einem einwöchigen Mitgefühlstraining, so die Erfahrung der Wissenschaftlerin, könne man bei den Teilnehmern einen deutlichen Zuwachs an Mitgefühl nachweisen und messen.

Mitgefühl ist nicht nur die Fähigkeit, das Leid anderer zu erspüren, es löst auch den Wunsch in uns aus, dieses Leid zu beenden. Denn das Mitgefühl motiviert uns dazu, die Rechte anderer Menschen zu schützen und uns für Schwächere einzusetzen. Es fördert Solidarität und Kooperation und führt aus der inneren Isolation in die Erfahrung der Verbundenheit. Wir entwickeln ein Bewusstsein dafür, dass wir Teil einer globalen Familie sind und daher Verantwortung für das Ganze tragen. Wir erkennen, dass wir uns in einem weltumspannenden Beziehungsnetz befinden, in dem alles, was in diesem Netz geschieht, Auswirkungen auf jeden von uns hat. Diese Erkenntnis der Verbundenheit und gegenseitigen Abhängigkeit ist die Grundlage dafür, Solidarität und auch Fürsorge für vermeintlich Fremde entwickeln zu können. Der Benediktinerbruder David Steindl-Rast gibt uns hierfür die Formel der Verbundenheit mit auf den Weg durch den Alltag: „Blicke einem Fremden in die Augen und erkenne, dass es keine Fremden gibt.“

Bewusste Entscheidung

Es bedarf einer bewussten Entscheidung, Mitgefühl zu aktivieren und zu entwickeln, sonst bleibt es fragmentiert und auf die engsten Bezugspersonen begrenzt. Zuneigung für Familienangehörige und Freunde zu empfinden, fällt nicht schwer, doch können wir diese Zuwendung auf fremde Menschen ausdehnen? Die Fähigkeit dazu ist heute wichtiger denn je. Hierfür lehren uns vor allem die östlichen Weisheitswege eine Geistesschulung und Kultivierung des Herzens. Sie zeigen uns, wie wir die Meditation zur Aktivierung von liebender Güte und Mitgefühl einsetzen und uns selbst mit Herzenswärme erfüllen können, um diese dann in die Welt einzuspeisen.

„Tätiges Mitgefühl“ nannte Albert Schweitzer das Engagement des Herzens, sich nicht vor dem Leid zu verschanzen, sondern sich diesem aktiv zuzuwenden. Hierfür ist es erforderlich, die eigene Komfortzone zu verlassen. Konkret könnte dies bedeuten, das Leid anderer nicht aus der sicheren Entfernung des heimischen Fernsehers zu verfolgen, sondern in das nächstgelegene Flüchtlings- oder Kinderheim zu gehen und den Menschen vor Ort zur Seite zu stehen. Hier begegnen wir nicht nur großer Not, wir begegnen vor allem Menschen. Wir erfahren von ihrem Schicksal und erkennen, dass dieses mit etwas weniger Glück auch unser eigenes sein könnte. Dadurch entstehen Nähe und Verbundenheit und mit diesen die Frage des mitfühlenden Herzens: „Was kann ich tun, um dein Leid zu lindern und dein Glück zu fördern?“

 

mitgefuehl-platz

Geben nährt

Die Weisen aller Traditionen lehrten es schon immer und die aktuelle Glücksforschung bestätigt es: Indem wir das Glück anderer fördern, werden wir selbst glücklich. Indem wir anderen helfen, helfen wir uns selbst. Gegenwärtig sind viele Menschen in Berlin bereit, sich zu engagieren. Wer in Friedrichshain-Kreuzberg oder Neukölln lebt und mit dem Gedanken spielt, vorübergehend oder für länger ein Pflegekind aufzunehmen, kann sich an Pflegekinder im Kiez gGmbH (PiK) wenden. Einen jungen Menschen zu Hause – oder auch als Pate/Patin – zu begleiten, kann eine außerordentlich bereichernde Erfahrung sein.

Singles, Familien oder Paare können Pflegefamilien und -eltern werden und kleine Kinder bis hin zu älteren Jugendlichen aufnehmen. Es werden Interessenten gesucht, die auch zeitlich begrenzte Pflegestellen anbieten – vom Paar über Patchwork-Gemeinschaften mit Kindern bis zu Alleinerziehenden. Es wird dafür eine umfassende Unterstützung angeboten.

Vollzeitpflege: Wenn Kinder oder Jugendliche nicht mehr bei ihren Eltern bleiben können, ist es für sie eine gute Lösung, in einer Pflegefamilie mit stabilen Strukturen, liebevoller Zuwendung und nötiger Förderung zu leben. Die meisten Pflegeverhältnisse sind auf Dauer angelegt.

Kurzzeitpflege: Manchmal werden Familienkrisen so akut, dass ein Kind schnell einen sicheren Ort zum Leben braucht. In solchen Notlagen springen gut vorbereitete Familien oder Einzelpersonen übergangsweise ein. Bei ihnen finden Kinder oder Jugendliche stabile und übersichtliche Strukturen und eine verlässliche Begleitung für mehrere Tage, Wochen oder Monate.

Geflüchtete Kids: Kinder und Jugendliche aus Kriegs- und Krisengebieten brauchen einen sicheren Ort, an dem sie leben können, sowie Menschen, denen sie vertrauen und die sie im Alltag und bei der Integration unterstützen.

Patenschaft: Für einen geflüchteten jungen Menschen sind Paten eine gute Unterstützung zur Integration und ein stabiler Bezugspunkt. Gemeinsame Unternehmungen, der Austausch über kulturelle Gewohnheiten sowie die Orientierung in Berlin können Inhalte der gemeinsamen, verabredeten Zeit sein. So entsteht eine tragfähige, stärkende Beziehung.

In Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln vermittelt PiK Pflegekinder und Paten im Auftrag des Jugendamtes.

Den nächste Infoabend in der Dieffenbachstraße 56 finden Sie HIER. Weitere Infoabende in der Regel an jedem ersten bzw. zweiten Mittwoch im Monat. Bitte vorher kurz anmelden unter 030-6122735 oder kontakt@pflegekinder-im-kiez.de www.pflegekinderimkiez.de

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