Mit der Hoffnung ist es vielleicht so: Wo wir hilflos sind, ist sie eine wichtige Kraft und hilft uns, eine schwere Zeit zu überstehen. Wo wir die Hilflosigkeit nur träumen, ist sie möglicherweise das Schlafmittel, das uns im Traum gefangen hält.

von Holm Andree Jochmann

Schwer zu sehen, in ständiger Bewegung die Zukunft ist. (Meister Yoda)

Die Zukunft ist ungewiss, wir wissen nicht, was uns erwartet. Wir haben Angst vor einer Zukunft, die eventuell schlimmer sein könnte als die Gegenwart. Also wünschen wir uns einen Zustand, der schöner sein soll als der, in dem wir uns gerade befinden, aber auf jeden Fall nicht schlechter. Dieses Wünschen nennt man Hoffnung. Die einen sagen, die Hoffnung sei die größte Kraft auf Erden. Andere haben ihr gegenüber eine eher spöttische Haltung. So schrieb der römische Dichter Ovid schon vor zweitausend Jahren: „Hoffen und Harren macht manchen zum Narren.“

Ovid verbindet hier das Hoffen mit dem Ausharren. Er begreift Hoffnung sozusagen als ein passives, hilfloses Warten: Man gibt die eigene Gestaltungsmacht ab und überlässt sein Schicksal einer anderen Person oder höheren Mächten. Wann ist nun die Hoffnung eine positive Kraft? Vielleicht in einer Situation, in der man tatsächlich hilflos ist. Für jemanden, der sich im eiskalten Wasser nach einem Schiffsunglück an eine Planke klammert, ist Hoffnung eine gute Sache. Das Gegenteil von Hoffnung ist nämlich Verzweiflung, und die wäre in dieser Situation tödlich. Die Hoffnung dagegen lässt einen das Unerträgliche aushalten, in diesem Fall die Kälte, die Dunkelheit, die Schmerzen in den Fingern. Ohne Hoffnung würde man das nicht schaffen, denn es gäbe kein Ziel. Hier erkennt man auch die Ambivalenz des Begriffes Hoffnung. Sie lässt uns einerseits einen unerträglichen und unveränderlichen Zustand aushalten und ermöglicht so Überleben. Sie lässt uns aber andererseits auch einen unerträglichen Zustand aushalten, den wir eigentlich selbst verändern könnten. Ein Beispiel wäre eine Frau, die sich jahrelang von ihrem Mann verprügeln lässt und ihren Freunden erklärt: „Nein, er ändert sich jetzt!“

Ich schrieb in meinem letzten Artikel in der SEIN zum Thema Geduld, dass der, der die Geduld hat, sie eigentlich nicht braucht. Mit der Hoffnung ist es ganz ähnlich. Jemand, der zu sich und der Welt eine positive Verbindung hat, ist immer zuversichtlich, denn das Leben ist ja grundsätzlich gut. Für ihn bedeutet Hoffnung haben zuversichtlich sein. Er ist voller Vertrauen darauf, dass das Richtige schon passieren wird, und sagt sich: Ich weiß zwar nicht, was dieses Richtige für mich ist, aber ich gehe schon mal los. Wer dagegen geprägt ist von dem Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht, dem bleiben nur Warten und Hoffen, Harren und Dulden. Diese Disposition war schon immer eine großartige Einladung für alle Herrschenden, die ihre Untertanen in einer eigentlich unerträglichen Situation festhalten wollten: Man gibt ihnen ein bisschen Hoffnung, dann kann man ihnen sorglos fast alles nehmen. In der Menschheitsgeschichte hat die Hoffnung schon die seltsamsten Blüten getrieben. Tausende Sklaven arbeiteten und starben beispielsweise für die Hoffnung der Pharaonen, ihre Wichtigkeit ins nächste Leben mitnehmen zu können…

Hoffnung und Trauma

Aus Sicht meiner psychotherapeutischen Arbeit wird das Prinzip Hoffnung zum lähmenden Faktor, wenn es verknüpft ist mit dem Phänomen „Trauma“. Ein psychisches Trauma ist immer damit verbunden, dass ein Teil der inneren Welt eines Menschen abgespalten wird, weil dieser Teil entweder nicht zu ertragen war oder weil er als Auslöser eines bedrohlichen Zustandes empfunden wird. Ein Trauma führt also immer zu einer inneren Verarmung, man ist emotional und in seiner Persönlichkeit weniger, als man sein könnte, man hat tiefe Ohnmacht verinnerlicht und es bleibt nichts als passives Hoffen. Das Trauma kann entstanden sein in einer zeitlich begrenzten Situation, von der man emotional völlig überfordert war. Man macht die Erfahrung, dass man nichts tun kann, um die Situation zu verbessern. Es bleibt nur, innerlich aufzugeben und das bedrohliche Gefühl, zum Beispiel Angst, abzuspalten.

Es gibt aber auch das Entwicklungs- oder Identitätstrauma: So, wie man ist, kommt man mit der Umwelt (Mutter oder Vater) in einen Konflikt, der sich lebensbedrohend anfühlt. In diesem Fall wird ein Teil der eigenen Persönlichkeit abgespalten und man versucht, eine andere, eine künstliche Überlebensperson zu sein, die sich den Bedürfnissen der Umgebung anpasst. Vereinfacht könnte man sagen, in einer traumatischen Situation ist man völlig allein, ungeschützt und verlassen. Man schaltet entweder den Teil der eigenen Psyche ab, mit dem man das wahrnimmt, und/oder man opfert den Teil der eigenen Persönlichkeit (verdrängt die entsprechenden Bedürfnisse), den die Umgebung nicht ertragen kann, um wenigstens minimalen Kontakt zu sichern. Man hat sich dabei aber selbst verloren und alles, was bleibt, ist Warten, dass von außen Hilfe und Rettung kommen. Der Balsam, mit dem wir diesen Zustand ertragen, ist die Hoffnung, dass es irgendwann wieder gut wird.

Die Realität verbiegen

Eine Geschichte, die den Zusammenhang von Trauma und Hoffnung gut illustriert, ist „Der Zauberer von Oz“. Drei Figuren, der Scheuch (eine Vogelscheuche), der eiserne Holzfäller und der feige Löwe, sind in dieser Geschichte abgeschnitten von ihrem inneren Reichtum. Der Scheuch empfindet sich als dumm und steckt obendrein zunächst auf einer Holzstange, er ist hilflos. Der Löwe empfindet sich als feige. Beides sind Erfahrungen, die man während eines Traumas macht. Aus „Ich weiß keine Lösung“ wird: Ich bin dumm. Aus „Ich war hilflos“ wird: Ich bin feige (obwohl es objektiv nichts genützt hätte, die eigene Kraft zu verwenden). Der eiserne Holzfäller ist in diesem Zusammenhang vielleicht das beste Bild. Unter dem bösen Einfluss einer Hexe hat er sich nach und nach alle lebendigen Gliedmaßen abgehackt, sie wurden durch Blech ersetzt. Das ist Abspaltung im wahrsten Sinne des Wortes. Das Lebendige wird abgeschnitten, die Person besteht aus Ersatzteilen, der Kontakt zu sich selbst geht verloren. Der Kiefer des Holzfällers rostet, weil er weint. Trotzdem ist er überzeugt, er hätte keine Gefühle, weil er sich nicht mehr spürt. Die drei projizieren nun in ihrer (vermeintlichen) Ohnmacht all ihre Hoffnung auf den Zauberer von Oz, der sie erretten soll (was er später in der Geschichte auf gewisse Weise auch tut, indem er ihnen aufzeigt, dass sie weder dumm, feige noch ohne Herz sind, sondern dass ihnen lediglich der Glaube an sich selbst fehlt).

Auch Gurus in der realen Welt sind so etwas wie der Zauberer von Oz. Ein Guru muss damit leben, dass seine Anhänger ihre eigene Macht und Liebe nur in ihm sehen können. Wenn er ein guter Guru ist, spiegelt er ihnen beides zurück und versucht ihnen klar zu machen: Schau, es ist alles deins, du hast die gleiche Kraft wie ich. Ein schlechter Guru tut so, als hätte er tatsächlich alles und seine Jünger nichts. Manche Schüler werden abhängig von diesen Geschenken und kommen – voller Hoffnung – immer wieder. Dafür reisen sie tausende Kilometer und geben enorme Summen aus. Die Hoffnung auf Erlösung von außen wird zum Ersatz für einen eigenen Schritt. In Beziehungen läuft es ähnlich: Oft treffen sich zwei Menschen und jeder hat die Hoffnung, der andere würde ihn „ganz“ machen. Das endet dann oft im Krieg, denn der Schatten der Hoffnung heißt Enttäuschung und kommt daher als Wut – auf das Gegenüber und sich selbst. Denn am Ende merkt man: Jetzt habe ich mich so lange so sehr verraten und es hat alles nichts genützt…

Die Hoffnung auf einen Weg zurück ins Leben

Als Therapeut frage ich mich oft: Leben wir vielleicht in einer vollkommen traumatisierten Gesellschaft? Wenn man bedenkt, dass eine einzige Woche des Getrenntseins von der Mutter ausreicht, ein Trauma, einen Alarmzustand im Körper auszulösen, der ein Leben lang erhalten bleibt, ist das nicht abwegig. Welche Frau und welcher Mann ist wirklich verbunden mit der Quelle von Weiblichkeit und Männlichkeit? Und wer ist schon auf dieser Basis innerlich so stark und stabil, es wirklich ertragen zu können, von den Kindern in Frage gestellt zu werden? Kleine Jungs wollen Mama nicht mit Männlichkeit erschrecken, kleine Mädchen versuchen die Rolle „Prinzessin“ für Papa, dürfen sich aber dabei nicht von Mama erwischen lassen. Dass Kinder ihre lebendigen Impulse und einen Teil ihrer vitalen Persönlichkeit verleugnen müssen, um ihre Eltern mental zu stützen und deren „Richtigkeit“ zu bestätigen, ist keine Seltenheit. So entsteht ein Zustand des Von-sich-getrennt-Seins, der nur mit einer Überdosis Hoffnung zu überstehen ist. Hoffnung darauf, dass doch noch jemand kommt, der sagt, du darfst jetzt sein. Hoffnung darauf, dass man den seelischen Panzerschrank der Eltern noch aufbekommt, wenn man nur endlich den richtigen Code eingibt. Das probiert man eventuell sein Leben lang, mit dem Chef, dem Partner und sogar mit den Kindern.

Hoffnung ist ganz sicher für viele Menschen ein sehr positiver Begriff und kann eine gute Wirkung entfalten. Aus meiner therapeutischen Praxis habe ich aber manchmal den Eindruck, dass vitale Veränderung erst einsetzt, wenn man endlich die Hoffnung aufgibt, von außen käme Erlösung. Bei manchem ist die Heilungs-Hoffnung schlimmer als die Krankheit. Statt darauf zu hoffen, dass das fehlende Bein nachwächst, könnte man sich endlich eine Krücke besorgen. Vielleicht könnte man sich fragen: Was würde ich tun, wenn ich noch drei Stunden zu leben hätte. Vermutlich wäre das, was man dann tun möchte, etwas, was man auch schon vor zehn Jahren hätte tun können.

Zurück zu Vertrauen und Zuversicht

Mir gefallen die Worte Vertrauen und Zuversicht besser als das Wort Hoffnung. Unter der Überschrift Vertrauen und Zuversicht sehe ich jemanden etwas probieren, wagen und versuchen. Hoffnung klingt eher passiv und wartend. Trauma ist immer auch eine Trennungs-Erfahrung. Das Ergebnis ist Getrennt-Sein von sich, von der Natur und von den anderen Menschen. Man ist in einem Zustand des Wartens, den die Hoffnung überlebbar macht. In vielen Religionen spiegelt sich das wider, man wartet auf eine Art Befreiung oder Erweckung. Ich glaube, dass wir als Menschheit noch schlafen. Nur in einem Alptraum kann dieses Ausmaß von Zerstörung entstehen oder dieses kindische, zänkische Theater, das man Politik nennt und das immer wieder mit Millionen von Toten endet. Was genau können wir nun tun um aufzuwachen? Ich wünschte, ich könnte sagen: Macht einfach alle eine Familienaufstellung, dann wird alles gut. Leider ist es doch komplizierter. Aber ich habe durchaus Hoffnung, besser gesagt, Vertrauen und Zuversicht. Wir haben zum ersten Mal die Möglichkeit, so viele Dinge auszuprobieren, die uns helfen können. Shiatsu oder Traumatherapie, tolle Bücher und das Internet, von mir aus auch bewusstseinserweiternde Pilze und Ayahuasca.

Während wir gemeinsam suchen, gibt es aber eine einfache Sache, mit der man gleich anfangen kann. Trauma ist Hilflosigkeit, Trennung und Einsamkeit. Daraus entstehen Warten und Hoffen, dass von außen der Kontakt wiederhergestellt wird. Aktiv und mutig damit umzugehen hieße, sich diesem „Außen“ entgegenzuschenken. Sich einlassen, für Menschen in der Umgebung kleine Herzens-Entscheidungen treffen, etwas für jemanden tun, einfach nur, weil er da ist. Ohne die „Hoffnung“, dafür etwas zu bekommen! Das, wonach wir uns sehnen, würde ein Stück näher heranrücken. Ganz erstaunliche Dinge würden passieren, da bin ich mir sicher. Es gäbe plötzlich etwas unerwartet Schönes an Stellen, die unsere Hoffnung übersehen hätte.

Nächste Veranstaltungen: Verlängertes Wochenende 05.-08.03.2020, Aufstellungswoche 05.-07.07.2020 in 15324 Letschin, Wilhelmsauer Dorfstraße 24. Aufstellungen und Übernachtung auf dem Mühlenhof. Außerdem offene Abende immer am jeweils dritten Donnerstag des Monats um 19 Uhr, Übernachtung möglich!

2 Responses

  1. Silke
    Unverantwortlich

    Zum Thema Tauma zu schreiben „von mir aus auch bewusstseinserweiternde Pilze und Ayahuasca“ ist jawohl völlig verantwortlungslos.

    Solche Substanzen können zu Retraumatisierungen führen!

    Ebsenso schlecht geführte Familienaufstellungen, wie eine Familienaufstellerin hier auf sein.de aus eigener leidlicher Erfahrung kennt.
    https://www.sein.de/trauma-und-retraumatisierung/
    Während Familienaufstellungen dennoch eher hilfreich sind, sind Drogen unkalkulierbar.

    Unsere Kultur macht hier einen Riesenfehler:
    Weil die Indianer damit gute Erfahrungen machen glauben wir, dies mal eben kopieren zu können.
    Die Indianer haben aber eine ganz andere Einstellung zur Innenwelt. Es gehört seit jeher zu ihrer Kultur sich mit ihrer Psyche auseinander zu setzen und hier Heilung zu suchen. Der Medizinmann kennt seine Leute auch schon ein Leben lang. Dazu lebte die ursprüngliche Kultur, die diese Substanzen nahm in großen Gemeinschaften, was die Psyche weiter stabilisierte. Gerade letzteres wird in unserer Kultur noch völlig unterschätzt.

    Unsere Kultur hat dagegen seit vielen Generationen das Leugnen, Verdrängen und das sich Verbiegen perfektioniert. Hauptsache man funktioniert.
    Was wir heute langsam als Gründe für Entwicklungstraumata begreifen war und ist noch üblich in der Betreuung von Nachwuchs.
    Dazu die angesammelten Familientraumata bedingt durch unsere Kultur und die vergangenen Kriege.

    Diese schlimmen Emotionen und Erinnerungen sind verdrängt weil sie den Betreffenden überfordern würden!
    Diesen verzweifelten Menschen mal eben Heilung in Aussicht zu stellen indem sie mit Hilfe von Drogen die Staumauer einreißen ist ein Spiel mit dem Feuer.

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    • Nadja Fischer
      Traumatherapie statt Drogen - gute Idee

      Ich muss auch sagen, dass ich die Stelle mit den Drogen seltsam fand, obwohl ich den Autor sonst sehr schätze. Drogen sind natürlich eine sehr schlechte Idee bei Traumata. Eine bessere Idee hatte er da mit der Traumatherapie. Mit Familienaufstellung kenne ich mich nicht aus, jedoch sind generell Methoden, die stärker auf das autonome Nervensystem wirken als Gesprächsttherapie, zu empfehlen. Zum Beispiel die moderne eriksonsche Hypnotherapie oder auch Somatic Experiencing, dass von Peter Levine entwickelt wurde. Wichtig ist, dass neue Verknüpfungen im Gehirn entstehen, nämlich zwischen den verdrängten Anteilen und den Ressourcen der Person. Ein märchenhaftes Symbol, weil der Autor ja Märchen schätzt, findet sich hierfür im Buch „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“. Hier lernt Harry, wie man einen Dementoren mit einem Patronuszauber ins Gleichgewicht bringt. Sehr interessant! Zurück zum Artikel: Schön finde ich, wie klar gesagt wird, dass der Therapeut oder der Guru eigentlich nur der Spiegel für den Klienten ist. In dem Spiegel sieht er oder sie den eigenen heilen Kern, das verschüttete Potenzial, das er bei sich selbst nicht, oder noch nicht, erkennen kann. Danke also für den Artikel.

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