Ayurveda kann sich als ganzheitliche Gesundheitslehre auf über 5.000 Jahre Anwendungserfahrung berufen. Auf dem Weg zur vollwertigen Anerkennung in der Europäischen Union (EU) sind jedoch noch einige Hindernisse zu meistern. Manche Hürden sind zu Recht hoch gelegt, andere entstammen einem engstirnigen, eurozentristischen Weltbild. Die Ayurveda-Ärztin Dr. Harsha Gramminger erklärt, was wirklich dem Schutz des Patienten dient und was ihn in seiner freien Wahl der Therapie behindert.

Die westliche Medizin beginnt, wenn ein Mensch mit Krankheitssymptomen zum Arzt geht. Aus ayurvedischer Sicht ist das reichlich spät. Denn Ayurveda unterscheidet nicht einfach in gesund und krank, sondern kennt insgesamt sechs Stufen der Krankheitsentstehung. Die Manifestation einer Erkrankung (Vyakti) ist bereits die vorletzte. Die ayurvedische Gesundheitslehre setzt viel früher an und erkennt schon in der Ansammlung (Sanchaya) bestimmter Störfaktoren den ersten Schritt zur Krankheit.

Die beste Wirkung erzielt Ayurveda – wörtlich das Wissen vom langen und gesunden Leben –, wenn er in den Alltag integriert wird. Diese Tagesroutine (Dinacharya) richtet sich nach der individuellen Konstitution eines jeden und zielt auf die Balance unserer Bioenergien (Doshas). Dafür sollte ein erfahrener Ayurveda-Arzt oder -Heilpraktiker eine gründliche Anamnese, Puls- und Zungendiagnose sowie körperliche Untersuchungen durchführen. Anschließend kann er personalisierte Ernährung, Fitness, Yoga, Meditation und vielleicht auch Kräuter und Gewürze empfehlen.

Ayurveda bietet als Ergänzung zur westlichen Medizin von Ratschlägen für einen gesunden und glücklichen Lebensstil bis hin zur Behandlung auftretender Krankheiten und Störungen eine reichhaltige Palette an Maßnahmen. Durch den ganzheitlichen, präventiven Charakter lassen sich viele Erkrankungen vermeiden und dadurch die Kosten der Gesundheitssysteme in der EU drastisch senken. Sollte das von Krankenkassen, Ärztekammern und Gesundheitsbehörden nicht begrüßt werden?

1. Hürde: Das Recht auf freie Therapiewahl bekanntmachen

In der EU ist Ayurveda im Sinne der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „traditionelles Medizinsystem“ anerkannt. Im Rahmen ihrer freien Therapiewahl können Patienten sich also für eine medizinische Ayurveda-Behandlung entscheiden. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten einer „alternativ“- medizinischen Behandlung in der Regel jedoch nur, wenn die klassische Behandlung nicht zur Besserung ihres Zustandes führen konnte. Leider wissen viele Patienten nicht einmal von ihren Rechten. Die Krankenkassen machen es ihnen zudem – vorsichtig ausgedrückt – nicht gerade einfach.

Grundsätzlich gibt es für den Ayurveda- Arzt und Heilpraktiker die Möglichkeit, seine Leistungen nach dem Hufelandverzeichnis abzurechnen. In diesem Leistungskatalog, welcher durch einige Privatkassen Anerkennung findet, sind vorwiegend manuelle Ayurveda-Behandlungen wie Massagen, Kräuterbeutelbehandlungen und Einläufe aufgelistet. Alle anderen Leistungen sind als individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) vom Patienten selbst zu bezahlen.

Der Arzt hat außerdem die Möglichkeit, die im Katalog der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) aufgeführten Leistungen analog abzurechnen. Doch auch hier sträuben sich die Kassen immer wieder, die Leistungen anzuerkennen. Ruft der Patient bei seiner Versicherung an, wird ihm geraten zu einem „vernünftigen“ Arzt zu gehen und sich nicht der „Para-Medizin“ zu widmen.

Bei den Patienten führt dieses Verhalten oft zu der Schlussfolgerung, dass Leistungen, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, keine fundierten ärztlichen Leistungen seien. So wird der Patient um seine freie Therapiewahl gebracht.

2. Hürde: Ausbildung von Ärzten standardisieren

Von den hierzulande praktizierenden Ayurveda-Ärzten haben viele nach dem Medizinstudium eine mindestens dreijährige Zusatzausbildung im Ayurveda absolviert. Noch vor einigen Jahren war dies ausschließlich in Indien und den USA möglich. Heute gibt es in Europa bereits einige Institute, die diese Ausbildungszweige auf professionellem Niveau anbieten.

Einen guten Rahmen für die ayurvedischen Fortbildungen für Heilberufe bieten die Richtlinien der WHO. So sollte eine fundierte Ayurveda-Ausbildung für Ärzte rund 2.000 Stunden betragen, für Ayurveda-Therapeuten 1.500. Patienten, die auf der Suche nach einem gut ausgebildeten Ayurveda- Arzt in ihrer Nähe sind, finden auf der Website der Deutschen Ärztegesellschaft für Ayurveda- Medizin (www.daegam.de) wichtige Informationen.

3. Hürde: Qualitätssicherung & Anerkennung von Ayurveda-Produkten

Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt zur Anerkennung von Ayurveda als Medizin ist die Standardisierung der ayurvedischen Kräuterpräparate. So sollte es selbstverständlich sein, dass alle hierzulande erhältlichen Ayurveda-Produkte von unabhängigen Instituten nach westlichen Standards auf Schadstoffe untersucht werden. Mittlerweile lässt die indische Regierung keine ungetesteten Produkte mehr zur Ausfuhr zu. Sie hat Schadstoffobergrenzen festgelegt, die mit den Lebensmittelrichtlinien der EU übereinstimmen.

Doch leider werden durch diese Gesetzgebung nicht alle (illegalen) kleineren Versendungen erfasst und auch der „Export via Touristengepäck“ ist schwer kontrollierbar. Verbraucher sollten deshalb darauf achten, dass sie nur ordnungsgemäß in die EU eingeführte oder in der EU hergestellte Produkte erwerben. Idealerweise tragen die Präparate zusätzlich das EU-Biosiegel.

Grundsätzlich sind ayurvedische Produkte innerhalb der EU ausschließlich als Lebensmittel, das heißt Nahrungsergänzungen zu betrachten, Wirkungsaussagen sind deswegen nicht zulässig. Dies liegt vor allem daran, dass die von der EU mit der Zulassung von Medikamenten beauftragten Labore nicht in der Lage sind, die Vielfalt der kombinierten Ayurveda-Präparate zu messen. Grundsätzlich sind die hohen Schwellen zur Zulassung von Medikamenten in der Europäischen Gemeinschaft zu begrüßen, sie stellen jedoch nicht-europäische Medizintraditionen teils vor unüberwindbare Hindernisse.

Fazit: Ayurveda ist eine echte Alternative

Obwohl Ayurveda eine so reichhaltige Ergänzung zur westlichen Medizin bietet und mit seinem präventiven Charakter für Entlastungen der Gesundheitssysteme sorgen würde, bleiben Ärztekammern, Krankenkassen und Behörden skeptisch. Sie verlassen sich lieber auf die sogenannte „Evidence Based Medicine“ (EBM), die mit Doppelblindstudien an großen Gruppen durchschnittliche Reaktionen auf ein Medikament testet. Ayurveda hingegen betrachtet den Menschen individuell, denn eine personalisierte Medizin ist viel genauer und erfolgsversprechender. Ihr gehört definitiv die Zukunft. Hier müssen die ayurvedische Gemeinschaft und die Vertreter der Alternativmedizin noch viel Aufklärungsarbeit leisten.

Doch schon heute entfaltet die ayurvedische Lehre auch für den Westler ihre volle Wirkung. Denn Ayurveda funktioniert nicht nur über „Kräutermedizin“, sondern vor allem über den Ausgleich der Doshas durch typengerechte Ernährung und konstitutionsspezifischen Lebensstil mit individuellem Sport, Yoga und Meditation. Es gibt keine andere Medizin, die den Menschen so gesund, fit und glücklich macht.

 


 

Am 15. & 16.10.2016 fand in Koblenz der 2. European World Ayurveda Congress (EWAC#2) statt:

Interessierte konnten die ganze Welt des Ayurveda & Yoga mit allen fünf Sinnen erfahren, während sich die internationalen Experten auf einem wissenschaftlichen Symposium austauschten.

Mehr Infos: www.ayurvedacongress.de

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