Was für ein Nutzen in der fernöstlichen Bewegungskunst Taiji (Tai Chi) stecken kann, erfahren weltweit mehrere Millionen Menschen beim alltäglichen Üben. Seit geraumer Zeit rückt diese Bewegungskunst aber auch immer mehr in den Fokus der modernen Schulmedizin. Besonders bei Parkinson kann die fernöstliche Methode mit beachtlichen Erfolgen aufwarten.

Von Mirko Lorenz

Taiji oder Taijiquan stammt aus dem 17. Jahrhundert und wurde auf dem Gebiet der heutigen Volksrepublik China entwickelt. Ursprünglich für das Schlachtfeld konzipiert, diente es der Selbstverteidigung und war weithin als Kriegskunst berühmt. Bereits ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts erkannte die damalige chinesische Regierung den Nutzen für die Volksgesundheit und verordnete es der eigenen Bevölkerung zur Gesundheitserhaltung. Noch heute sieht man in den meisten chinesischen Parks Menschen, die am Morgen langsame und fließende Bewegungsabläufe, die sogenannten Taiji-Formen, üben.

Auch in unseren Breitengraden steht die Bewegungskunst und deren positive Wirkungsweise auf Körper und Geist mehr und mehr im Blickpunkt der breiten Öffentlichkeit. Bei Fragen der Entspannung, bei der Bekämpfung von Volkskrankheiten wie Bluthochdruck oder Haltungsbeschwerden oder einfach im Zusammenhang mit Meditation oder mentalem Ausgleich vertrauen viele Menschen auf das Training aus Fernost. Taiji rückt aber auch bei Bewegungsstörungen wie Parkinson immer mehr in den Fokus der Schulmedizin, die nach begleitenden Alternativen zur medikamentösen Behandlung sucht.

Im Bereich der Prävention und ergänzend zur klassischen Physiotherapie ist Taiji mittlerweile bei den meisten Krankenkassen anerkannt, und bei neurologischen Erkrankungen wie zum Beispiel Parkinson steigen die Angebote in Kliniken und Reha-Einrichtungen.

Aufrichtung des Körpers

„Ich war positiv überrascht“, freut sich die 53-jährige Parkinson-Patientin Antje aus Leipzig. „Schon bei den ersten Übungen bemerkte ich, wie sich mein ganzer Körper aufrichtete und die verspannte Muskulatur im Oberkörper sich zu lösen begann. Dies zeigte sich deutlich in der Abnahme des Tremors in meiner linken Hand. Die fließenden, langsamen und ausholenden Bewegungen weiteten nach jeder Sequenz meinen Körper und ich konnte zusehends die vorgebeugte Körperhaltung verlassen.“

Ähnliche positive Erfahrungen mache ich seit zirka drei Jahren. Mein normales Betätigungsfeld war und ist die Begleitung von Menschen, die Taiji als präventives und prophylaktisches Training sehen, das ich ihnen in Wochenkursen und Seminaren näher bringe. Aber welche Möglichkeiten noch in der Bewegungskunst aus Fernost stecken, erfahre ich nun fast täglich bei meiner Arbeit in Kliniken, mit Selbsthilfegruppen oder mit Einzelpatienten. Parkinson zählt neben Alzheimer zu den am meisten verbreiteten neurologischen Erkrankungen in Deutschland.

Die Zahl der Betroffenen liegt bei zirka 300.000. Während es früher eine Krankheit war, die ältere Menschen betraf, steigt die Zahl der jung an Parkinson erkrankten Personen mittlerweile stetig an. Die Prognosen gehen davon aus, dass sich auf Grund der höheren Lebenserwartung die Zahl der Betroffenen in den kommenden Jahren weltweit verdoppeln wird. Die Erkrankung entsteht durch das Absterben von Nervenzellen in einem genau definierten Bereich des Gehirns, der sogenannten Substantia nigra. Die Substantia nigra enthält Zellen, die den Botenstoff Dopamin herstellen. Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu einer verminderten Produktion von Dopamin, die dann zu den bekannten Symptomen der Krankheit führt.

Für Patienten bedeutet das meist eine verschlechterte und gestörte Beweglichkeit sowie geistige und seelische Beeinträchtigung. Die bekanntesten Symptome sind das Zittern (Tremor), die Rigidität (Muskelsteifheit), die verminderte Bewegungsfähigkeit (Bradykinese) sowie Gleichgewichtsstörungen.

Verbesserung der Lebensqualität

Aus persönlicher Erfahrung in mehr als zwölfjähriger Tätigkeit als Taiji-Lehrer kann ich nur bestätigen, dass Taiji sich positiv auf die oben genannten Symptome der Parkinson-Erkrankung auswirken kann. Mittlerweile haben auch mehrere Studien die Wirksamkeit der Bewegungskunst untersucht und aus medizinischer Sichtweise bestätigt. Die größte mir bekannte Studie erschien im New England Journal of Medicine 2012 unter dem Titel: „Tai Chi and Postural Stability in Patients with Parkinson’s Disease“.

An dieser Studie nahmen über einen Zeitraum von sechs Monaten 195 Personen teil. In der Studie wurde Tai-Chi bei leichter bis mittlerer Krankheitsausprägung mit herkömmlichem krankengymnastischem Krafttraining und einfachen Dehnübungen verglichen. Teilnehmer aus der Taiji-Gruppe konnten dabei länger und besser in alltäglichen Situationen ohne Pflege zurechtkommen. Am besten schnitt die Taiji-Gruppe auch bei Gleichgewicht und Motorik ab, die durch das regelmäßige Training gefördert und geschult werden. Auch bei der Koordination und Beweglichkeit punktete das Taiji-Training. Die Patienten konnten sich freier bewegen und meisterten Herausforderungen des Alltags besser. Sich zu strecken, um Dinge aus dem Schrank zu nehmen, fiel ihnen leichter, und sie konnten sich besser allein hinsetzen und sicherer laufen. Außerdem gab es kaum Stürze in der Gruppe der Taiji-Praktizierenden, was für Parkinson-Patienten eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität bedeutet.

Ähnlich fielen auch meine Beobachtungen in den unterschiedlichen Gruppen aus. Immer wieder berichten mir Teilnehmer davon, das sie wieder auf einem Bein stehen können oder dass sie sich mittlerweile trauen, sogar rückwärts zu laufen. Mein Taiji-therapeutischer Ansatz, der in Zusammenarbeit mit der Parkinson-Fachklinik in den Beelitz-Heilstätten entstanden ist, kombiniert dabei Taiji-Prinzipienarbeit und einfache Bewegungsabläufe, so dass eine Überforderung vermieden werden kann und der Einstieg in das Bewegungstraining trotz Erkrankung möglich ist.

Das Entdecken der Langsamkeit

Bei allen Bewegungssequenzen, die ich einübe, steht das achtsame und langsame Entdecken der eigenen Bewegung im Mittelpunkt und bildet somit die Ausgangslage. Das äußerliche Entschleunigen entspannt, beruhigt und schenkt eine Pause in krankheitsbedingten Stresssituationen. Außerdem erleichtert das Entdecken der Langsamkeit den Zugriff auf die eigene Bewegung und schenkt damit mehr Vertrauen in die eigene Situation. Eine weiteres grundlegendes Prinzip innerhalb des Übens ist die angestrebte entspannte körperliche und geistige Haltung.

Gerade hier wird in Kombination mit Dehnungssequenzen eine Grundlage gelegt, die der zunehmenden Anspannung des Muskeltonus oder der verminderten Bewegungsfähigkeit entgegenwirkt. Hinzu kommt, dass Entspannung stets zu einer gehobenen inneren Stimmung führt und die Lebenskraft erhöht. Durch das Einbinden des Geistes in die Bewegung erhöht sich der Zugriff auf den Körper im Allgemeinen. Das verstärkt die Wahrnehmung und damit auch die mögliche langfristige selbstständige Erhaltung der alltäglichen Bewegungsroutinen. Zudem werden durch achtsames Handeln Fehler im Alltag verringert, so dass Stürze und stressbedingte Kurzschlusshandlungen oft vermieden werden können. Ich hoffe, dass diese Arbeit dazu beitragen wird, einer alten Bewegungskunst auch in der Moderne weiter einen Platz zu sichern.

Veranstaltungen 12.-17. Nov.: Keep-Moving- Trainer-Ausbildung 23.-27. April 2018: Entspannung – Taiji – Wohlbefinden im Kloster Frenswegen (für Parkinson-Patienten)

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