Der Deutsche Krieg in Syrien: Mit Sanktionen und Waffenlieferungen ist Deutschland seit 2011 am Krieg in Syrien beteiligt. Die Flüchtlinge sind ein Teil der Strategie zur Zerstörung des Landes.

Der Krieg gegen Syrien war von langer Hand geplant

Kriege werden langfristig geplant und sorgfältig vorbereitet. Niemals geht es dabei um Menschenrechte. Das gilt auch für den Krieg gegen Syrien. Die USA hatten das Land bereits viele Jahre vor den Unruhen in Darʿā im März 2011 ins Visier genommen. Zahlreiche Dokumente belegen dies. Zum Beispiel berichtete der ehemalige NATO-Chef Wesley Clark , man habe ihm 2001 eine Liste mit den Staaten vorgelegt, die die USA in den kommenden Jahren angreifen würden. Auf dieser Liste, so Clark, stand neben Irak, Libyen und Iran auch Syrien.

Die USA und die NATO-Staaten führen seit 2011 verdeckt einen blutigen Krieg gegen Syrien.

Wikileaks veröffentlichte ein aufschlussreiches Schreiben des früheren stellvertretenden Leiters der US-Botschaft in Damaskus, William Roebuck, vom Dezember 2006 an das Weiße Haus. Darin macht Roebuck Vorschläge, was zu tun sei, um die syrische Regierung in Schwierigkeiten zu bringen. Er empfahl, die Angst der Sunniten vor zu großem Einfluss schiitischer Kräfte zu schüren, den Problemen der Kurden breite Aufmerksamkeit zu widmen, Regierungsgegnern Zugang zu arabischen Medien zu verschaffen, Reformanstrengungen der Regierung zu diffamieren, Gerüchte über Putschvorbereitungen zu verbreiten und damit die Regierung zu Überreaktionen zu verleiten, ihre innere Führungsgruppe aufzubrechen und die für Syriens Wachstum wichtigen ausländischen Investitionen zu verhindern.

Im März 2007 informierte der renommierte Journalist Seymour Hersh seine Leser in The New Yorker, dass sich die Regierung Bush mit Saudi-Arabien und Israel über eine Neuausrichtung ihrer Nahostpolitik verständigt habe. Sie beabsichtige mit den sunnitischen Staaten zusammenzuarbeiten, um dem wachsenden schiitischen Einfluss in der Region und insbesondere dem des Iran entgegenzuwirken. Saudi-Arabien werde dabei finanzielle Mittel und logistische Hilfe zur Schwächung der Assad-Regierung leisten. Die Saudis, zitierte Hersh den US-Regierungsberater Vali Nasr, hätten enge Verbindungen zur Moslembruderschaft und den Salafisten. Ihre Botschaft an das Weiße Haus hinsichtlich der Fundamentalisten sei:

„Wir haben diese Bewegung geschaffen, und wir können sie kontrollieren. Es ist nicht so, dass wir nicht wollen, dass sie Bomben werfen. Entscheidend ist, auf wen sie Bomben werfen, auf Hisbollah, Moqtada al-Sadr, den Iran und auf die Syrer, sollten diese weiter mit der Hisbollah und dem Iran zusammenarbeiten.“ (Übersetzung: B. D.)

Am 6. März 2011, unmittelbar vor dem Ausbruch der Unruhen in Darʿā, lag dem US-Kongress bereits der „Syrian Freedom Support Act“ vor. Darin wurde der US-Präsident aufgefordert, Sanktionen zu verhängen und Maßnahmen für einen „demokratischen Übergang“ in Syrien zu unterstützen. Am 24. Oktober 2011 veröffentlicht das Council on Foreign Relations, ein einflussreicher US-Think-Tank, konkrete Empfehlungen für den Umsturz in Syrien: Druck auf die Oppositionsgruppen, sich im „Syrischen Nationalrat“ zusammenzuschließen, der Verhandlungen ablehnte und auf den bewaffneten Sturz der syrischen Regierung orientierte; Kontaktaufnahme mit syrischen Generälen und Drohung mit dem Internationalen Gerichtshof, um sie zu „überzeugen“, sich der „Opposition“ anzuschließen; Wirtschaftssanktionen, um die Unternehmerschaft gegen die eigene Regierung aufzubringen, Druck auf die „Verbündeten“, sich diesem Embargo anzuschließen, Flugverbote und Sicherheitszonen für die Opposition an den syrischen Grenzen.

Die Bundesregierung als Kriegspartei in Syrien

Die USA und die NATO-Staaten führen seit 2011 verdeckt einen blutigen Krieg gegen Syrien. Dass es dabei zu keinem Zeitpunkt um ein Mehr an demokratischen Rechten für die syrische Bevölkerung ging, macht ihre enge Zusammenarbeit mit den reaktionären Regimen in Saudi-Arabien und Katar deutlich.

Die Türkei und Jordanien haben islamistischen Terrorgruppen ihr Territorium als Aufmarsch- und Rückzugsgebiet zur Verfügung gestellt, Saudi-Arabien und Katar finanzieren Rekrutierung und Waffenkäufe, und die USA sorgen für Bewaffnung, Ausbildung und logistische Unterstützung. Tonangebende Zeitungen in Deutschland machen daraus kein Geheimnis.

Nicht bewusst ist der deutschen Bevölkerung, dass die Bundesregierung in Syrien Kriegspartei ist: Deutschland hat von Anfang an mit den USA, Großbritannien, Frankreich, Saudi-Arabien und Katar im Rahmen der Kontaktgruppe der „Freunde Syriens“ mit dem „Syrischen Nationalrat“ zusammengearbeitet und sich abgestimmt. Im Gegensatz zu Oppositionskräften wie dem „Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel“ hat der „Syrische Nationalrat“ Verhandlungen mit der syrischen Regierung stets abgelehnt und auf deren gewaltsamen Sturz orientiert.

Gemeinsam haben die „Freunde Syriens“ bei ihrem Treffen in Doha im Mai 2013 beschlossen, den „Rebellen“ Waffen zu liefern. Wie sie hat die deutsche Regierung den syrischen Botschafter ausgewiesen, den „Syrischen Nationalrat“ als legitimen (!) Vertreter des syrischen Volkes anerkannt und schon 2012 mit syrischen Oppositionellen in Berlin ein Programm für den Umbau der syrischen Wirtschaft zu einer liberalen Marktwirtschaft nach dem Sturz Assads erstellen lassen (Stiftung Wissenschaft und Politik: „The Day After. Supporting a Democratic Transition in Syria„). Den entscheidenden Beitrag zum Krieg gegen Syrien leistet die Bundesregierung aber mit ihren Sanktionen, die darauf abzielen, das syrische Volk auszuhungern.

Aushungern als Mittel zum „regime change“

Schon im Oktober 2011 jubelte das Council on Foreign Relations, Auslandsinvestitionen und Tourismus hätten sich in Syrien im laufenden Jahr bereits halbiert, seine Exporte um zwei Drittel reduziert. 95 Prozent seiner Ölexporte verkaufe Syrien an Europa und verdiene damit ein Drittel seiner Devisen. Entscheidend sei, dass die EU ihre Wirtschaftsbeziehungen mit Syrien vollständig abbreche. Druck sei auf die Türkei auszuüben, damit sie sich den Sanktionen anschließe. Die Ölproduzenten vom Golf müssten jede weitere Investition einstellten. Der syrischen Geschäftswelt müsse klargemacht werden, dass sich ihre Lage nur weiter verschlechtern werde, solange Assad an der Regierung bleibe. Je mehr Verbündete sich an dieser wirtschaftlichen Kriegsführung beteiligten, desto wirkungsvoller werde sie sein.

In diesem Sinne gingen EU und Bundesregierung im Verlauf des Jahres 2011 vor: Die Auslandsguthaben Syriens und seiner Firmen wurden „eingefroren“. Die Importe aus Syrien, besonders von Rohöl, wurden verboten. Jeder Geldverkehr wurde unterbunden, um dem Land seine Einnahmen zum Einkauf der Güter zu entziehen, die es zur Versorgung seiner Bevölkerung und seiner Wirtschaft benötigt. Selbst Überweisungen syrischer Gastarbeiter an ihre Verwandten sind nicht möglich. Lieferungen nach Syrien, vor allem von Treibstoff, Heizöl sowie von Technologie und Ausrüstung zur Förderung und Raffination von Erdöl oder Verflüssigung von Erdgas und für Kraftwerke zur Stromgewinnung, wurden untersagt. Ohne Treibstoff und Strom aber kommen Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, Handwerk und Industrie zum Erliegen.

Muss man betonen, dass sich die „Freiheitskämpfer“ von Anfang an bei ihren Anschlägen besonders für die Stromversorgung, die beiden Ölraffinerien und die Treibstofflager interessierten und dass die Gebiete, die sie kontrollieren, vom Waffen- und Ölembargo der EU ausgenommen wurden?

Schon am 30. August 2011 verkündete die „Tagesschau“ die Auswirkungen des Embargos:

„So treffen Sanktionen zunächst kleine Leute. Syriens Handel mit Ländern der Region ist seit Beginn der Krise um 30 bis 40 Prozent gesunken. Ein zumindest zeitweiliger Stopp der bisher rund eineinhalb Milliarden Einnahmen jährlich aus dem Öl lässt den Staat aber nicht unberührt. Er muss möglicherweise Leistungen für öffentlich Beschäftigte kürzen – immerhin 30 Prozent aller Syrer. Und ebenfalls 30 Prozent lebten bereits vor den Protesten unter der Armutsgrenze von weniger als zwei Dollar am Tag.

Dann machte die „Tagesschau“ deutlich, warum Bundesregierung und EU dem syrischen Volk die Daumenschrauben anlegen:

„Langfristig könnten fehlende Einnahmen aus dem Verkauf der wichtigsten syrischen Ressource auch Menschen zum Protest treiben, die bislang loyal zum System Assad standen oder schwiegen – staatlich Beschäftigte und erfolgreiche Geschäftsleute.“
Wenige Monate später, im Februar 2012, schrieb die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) über die Folgen der Sanktionen:

„Die Bevölkerung leidet unter der Knappheit von Benzin, Heizöl und Bhutangas; Stromsperren von bis zu sechs Stunden täglich treffen mittlerweile auch die Hauptstadt. Seit Beginn der Krise ist der Schwarzmarktkurs der syrischen Währung um rund 50 Prozent gefallen. Importgüter wie Weizen werden knapp; die Preise für lokal erzeugte Güter des täglichen Bedarfs, etwa Milchprodukte, steigen spürbar. Nach wie vor sind jedoch keine Anzeichen für die erhofften politischen Wirkungen der Sanktionen zu sehen: Weder hat die Regimespitze ihre Haltung geändert, noch hat die Unternehmerelite sich vom Regime abgewandt.“

Um die von ihnen gewünschte Implosion des „Regimes“ endlich zu erreichen, empfahlen die SWP-Autoren Asseburg und Wimmen eine „stringente Umsetzung und weitere Verschärfung der bestehenden Sanktionen“

Ende 2014 war das Sozialprodukt des Landes durch den Bürgerkrieg und die Sanktionen verglichen mit 2010 um 60 Prozent eingebrochen, die Arbeitslosigkeit von knapp 15 auf 58 Prozent hochgeschnellt. 64,7 Prozent der Syrer lebten in extremer Armut und konnten sich selbst die notwendigsten Lebensmittel nicht mehr kaufen. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist von 75,9 Jahren auf 55,7 Jahre gesunken (s. Syrian Center for Policy Research: „Alienation and Violance Report“, 2014).

In dieser verzweifelten Situation gedeihen Gewalt, Fanatismus, Kriminalität, können Terrororganisationen, die wie IS und Al Nusra mit viel Geld ausgestattet sind, leicht rekrutieren.

Eine Kriegsherrin als Mutter Teresa

Im Frühsommer 2015 glaubten die NATO-Staaten und ihre Verbündeten den Zusammenbruch der syrische Regierung zum Greifen nahe: Syriens Widerstandskraft schien nach vier Jahren Embargo und Krieg, rund 250.000 Toten und einer Million Verletzten erschöpft. Vier Millionen Syrer waren bereits aus ihrem Land geflohen, die Zahl der Binnenflüchtlinge erreichte fast acht Millionen. Idlib, Jisr al Shugur und Palmyra waren gefallen, und die Terrororganisationen IS und Al Nusra, bestens ausgerüstet mit modernsten US-amerikanischen Waffen, näherten sich dem syrischen Kernland.

Jetzt auf einmal entdeckte Angela Merkel ihr Herz für die Syrer und ließ sich von den Medien als neue „Mutter Teresa“ feiern, die gleiche Angela Merkel übrigens, die sich 2003 demonstrativ hinter den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak gestellt hatte, der Hunderttausender Menschen Tod brachte.

Mit ihrer „Einladung“ an die Syrer, für deren Aufnahme keinerlei Vorbereitungen getroffen wurden, sollte der Zusammenbruch Syriens forciert werden. Die Kriegsherrin wollte dem ausgebluteten Land sein noch verbliebenes „Humankapital“ entreißen.

Syrische Asylbewerber werden von den deutschen Behörden bevorzugt behandelt: Ihre Asylanträge werden vorgezogen und deutlich schneller bearbeitet. Ihre Anerkennungsquote liegt nahezu bei 100 Prozent. Sie können in der Regel ihre Familien nachkommen lassen. Im August 2015 wurde ausschließlich für Syrer das Dublin-Verfahren ausgesetzt, und ihnen wurden beste Zukunftsaussichten in Deutschland suggeriert. Die Nachricht verbreitete sich in Syrien in Windeseile. Zehntausende machten sich auf den Weg.

Nur Angehörige der Mittel- und Oberschichten haben genug Geld für die Flucht.

Die Bundesregierung wusste genau: Die Flucht aus Syrien nach Mitteleuropa ist kostspielig. Nur Angehörige der Mittel- und Oberschichten, die über gute Ausbildung und Qualifikationen verfügen, haben dafür noch das notwendige Geld. Unter ihnen sind viele junge Menschen mit Studium, Ärzte, Computer-Spezialisten, Ingenieure und andere Fachkräfte, auf die das Land, seine Verwaltung, sein Bildungs- und Gesundheitswesen nicht verzichten können. Unter ihnen sind auch viele junge Männer, die mit ihrer Einberufung rechnen mussten.

Mit ihrer „Einladung“ an die Syrer, für deren Aufnahme keinerlei Vorbereitungen getroffen wurden, sollte der Zusammenbruch Syriens forciert werden. Die Kriegsherrin wollte dem ausgebluteten Land sein noch verbliebenes „Humankapital“ entreißen. Der Flüchtlingsstrom sollte gleichzeitig zur Rechtfertigung für das langersehnte direkte militärische Eingreifen in Syrien instrumentalisiert werden.

„Wer sich dazu nicht aufrafft“, so der einflussreiche Leiter der „Münchener Sicherheitskonferenz“, Wolfgang Ischinger, „darf sich nicht wundern, wenn weitere hunderttausende oder Millionen Flüchtlinge bei uns landen“

Das russische Eingreifen, so die Financial Times am 5. Oktober, erfolgte gerade noch rechtzeitig, bevor die USA die von ihnen geplanten und mit der Türkei und Jordanien abgestimmten „Flugverbotszonen“ in Syrien errichten konnten.

Wo bleibt unsere Solidarität mit dem syrischen Volk?

Seit über vier Jahren sind wir Zeugen, wie USA, NATO-Staaten und EU mit Hilfe von Terrorgruppen und einem mörderischen Embargo versuchen, das syrische Volk zu zwingen, sich ihrem Diktat zu beugen. Wir wissen von den Hunderttausenden Toten, Millionen Flüchtlingen, dem Elend und der planmäßigen Zerstörung eines ganzen Volkes.

Ist es nicht höchste Zeit zu verlangen, dass das Recht des syrischen Volkes, seine politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse selbst zu bestimmen, respektiert wird? Wann wollen wir beginnen, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Infoständen, Flugblättern, Leserbriefen, Kundgebungen und Demonstrationen über das systematische Aushungern der syrischen Bevölkerung zu informieren?

Wann endlich reist eine Delegation aus der Friedensbewegung, den Gewerkschaften, der Linkspartei nach Damaskus, nimmt Gespräche mit der dortigen Regierung auf und hilft, ihre Ausgrenzung zu beenden? Wieso wurde bis heute im Bundestag kein einziges Mal ein Antrag auf Aufhebung der Sanktionen gestellt?

Wenn wir die Bevölkerung dieses Landes nicht gegen die Kriegspolitik der Herrschenden mobilisieren, die Millionen Menschen zu Flüchtlingen macht, werden sie die Flüchtlinge instrumentalisieren, um in großem Umfang soziale und demokratische Rechte abzubauen und die gesellschaftlichen Verhältnisse weiter nach rechts zu verschieben.

7 Responses

  1. Oliver
    Assad - ein Engel, Obama - ein Teufel?

    Erstaunlich, dass in diesem Artikel kein Wort über die massiven Menschenrechtsverletzungen steht, die das Regime Assads seit Jahren begeht. Wenn der Autor für das syrische Volk ein Recht auf Selbstbestimmung fordert und dem Westen vorwirft, dieses Recht zu missachten, scheint er sogar zu unterstellen, das bisherige syrische Regime sei getragen von der Zustimmung der eigenen Bevölkerung. Wenn dem so wäre, wieso braucht Assad dann einen Polizeistaat, um sich an der Macht zu halten?
    Wie viele radikale Linke begeht der Autor einen grundlegende Fehler: Nicht genug mit einigem Recht die Politik der eigenen Regierung zu kritisieren, „vergisst“ er einfach die oft viel gravierenden Schattenseiten der Gegner der eigenen Regierung. Mehr oder weniger unterschwellig zeigt sich oft obendrein die Tendenz, letztere zu Heiligen zu erklären. Aus Autokraten wir Putin und Assad werden dann Lichtgestalten, aus PolitikerInnen wie Obama und Merkel, die – bei allen Fehlern – immerhin demokratisch gewählt sind, üble Finsterlinge. Dasselbe Muster konnte man in der Vergangenheit auch in Bezug auf Milosevic und seine Schlächter lesen. Da waren dann auf einmal Menschen wie Fischer und Scharping Kriegstreiber und die serbische Führung eine Ansammlung von Friedensengeln. Das Ganze folgt dem Muster: der Feind meines Feindes ist mein Freund.
    Schade, dass die Politik unserer Regierung auf so wenig engagierte Kritik stößt, die bei allem Engagement dennoch ausgewogen bleibt.

    Antworten
    • Stefan
      Meinungen, Konzepte, Konflikte und wie Frieden?

      Oliver, ich verstehe Sie so, dass Sie vor allem die fehlende Wertschätzung gegenüber der deutschen und amerikanischen Regierung bemängeln.

      Mein Eindruck ist, dass niemand, weder unsere Regierung noch wir, das Gesamtbild kennt. Und dass wir andere nicht gut beeinflussen können, wir nicht die Regierung, Sie, Oliver, nicht den Autor des Artikels, ich nicht Sie. Aber jeder von uns kann sein eigenes Denken, Sprechen, Schreiben, Handeln, Sein beeinflussen. Jeder von uns kann vor seiner eigenen Haustür kehren. Jede Regierung und jeder Mensch.

      Vor unserer Haustür, in Deutschland, haben wir wie von Ihnen, Oliver, angesprochen, zwei sich entgegenstehende Meinungen: Für die einen sind Assad und Putin der Teufel, für die anderen sind Obama und Merkel der Teufel. Die meisten Menschen und auch die meisten Akteure, Politiker und Medien sind auf einer Seite. Wenn wir uns da weiter hineinsteigern, werden wir uns irgendwann die Köpfe einschlagen wie früher wegen katholisch oder evangelisch. Teufel (= Feinde) zu benennen hat ein Ergebnis, gegen Feinde sind unmenschliche Handlungen erlaubt. Jedes Feindbild schadet der Menschlichkeit.

      Was jeder von uns tun kann, ist Verständnis und Wertschätzung für den Mensch mit dem entgegengesetzten Standpunkt zu üben. Jeder Mensch ist nach bestem Wissen und Gewissen zu seinem Standpunkt gelangt. Der Autor des Artikels genauso wie alle Kommentatoren. Wenn wir uns gegenseitig diese beste Absicht absprechen, haben wir ein Problem. Wenn ich von dem mit der anderen Meinung verlange, er soll seine Meinung ändern, oder seine Meinung gering schätze, dann schaffe ich einen Konflikt, dann geht mein Impuls Richtung Krieg.

      Wenn wir systemisch statt systematisch schauen, verstehen wir, dass hinter jedem Handeln immer eine gute Absicht steckt. Vielleicht scheint es unlogisch, hinter Mord, Totschlag, Krieg und niederträchtigem Lügen eine gute Absicht zu sehen. Es heißt auch nicht, dass das positive Handlungen sind. Aber die Erfahrung zeigt, dass wenn wir mit Liebe tief genug schauen, wir herausfinden dass jeder durch seine Herkunft und durch tiefe Liebe in sein System eingebunden sind, meist verborgen, und in Liebe und Loyalität zu seinem Eingebundensein handelt. Niemand kommt unschuldig durchs Leben. Ein Zitat dazu: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“.

      Zurück dazu, was ich selbst tun kann:

      Wenn ich es schaffe, jedem die beste Absicht zuzugestehen, das wirklich tief zu spüren, dass jeder immer sein Bestes gibt, ja sogar eine gute Absicht verfolgt, das wirklich wertzuschätzen, dann schaffe ich Ausgewogenheit.

      Gleichzeitig – vielleicht paradox, gibt es eine Grenze. Wenn mich jemand angreift, auch in bester Absicht, akzeptiere ich das nicht. Wenn jemand andere Menschen angreift, auch in bester Absicht, akzeptiere ich das nicht. Ich schade dem Handelnden nicht – aber ich versuche soweit mir möglich die schadende Handlung zu stoppen, wenn ich sie wahrnehme. Vermutlich geht es hier um Wertschätzung für mich selbst und für alles Leben, das ist wichtiger ist als Meinungen und Absichten.

      Super ist dieses Thema übrigens beleuchtet in https://www.sein.de/grace-eine-kraft-die-staerker-ist-als-gewalt/: „Wenn unsere Treffen mit Weltanschauungsdebatten begannen, war alles verloren.“

      Ich finde es selbst sehr herausfordernd, immer das Beste zu sehen, in mir und in allen anderen. Manche finden es hilfreich im Innen zum anderen zu sagen: „Ich segne Gott in Deinem Herzen“. Andere finden die Idee hilfreiche, dass unsere Seelen dieses Theater aus Krieg und Gewalt erleben wollten und gezielt erschaffen haben. Mein Gefühl ist, wir sind in diesem Theaterstück gerade auf dem Höhepunkt des Spannungsbogens, jeder hat seine Rolle, ich gebe alles für ein Happy End, und wenn es kein Happy End gibt, kann ich danach hoffentlich trotzdem darüber lachen. Vielleicht sind das alles nur Konzepte, wichtig finde ich nur zu sehen, dass uns Konzepte helfen können, dass wir nicht hilfreiche Konzepte loslassen dürfen und dass wir selbst keine Konzepte sind. 🙂

      Über alle Konzepte und Meinungen hinweg wünsche ich allen einen friedlichen Sonntag.

      Antworten
      • Oliver
        Ein Lob des Streits

        Hallo Stefan,
        ich verstehe Deine Haltung auf einer spirituellen Ebene, glaube ich, ganz gut, auch wenn ich überzeugt bin, dass wir nicht immer das beste geben, das wir geben können. Ich jedenfalls tue es nicht. Aber das nur nebenbei.
        Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass die Position, die Du skizzierst, die Differenz zwischen Politik und Spiritualität verwischt: Ich kann jemanden als Mensch zutiefst wertschätzen und achten, und gleichzeitig seine Argumente für falsch halten und sie angreifen – schon um der Sache willen, um die es uns beiden bestenfalls geht. In meiner Zeit, die ich an der Uni gearbeitet habe, habe ich das oft sehr genossen. Mit Kollegen, die teilweise gute Freunde sind, konnte ich leidenschaftlich diskutieren, meine Meinung unter Umständen ändern und dabei viel lernen. Neben der Wissenschaft leben auch Bereiche wie Politik oder das Rechtssystem vom eingehegten, im besten Fall achtungsvollen Streit.
        Der Streit nämlich befördert die Wahrheitsfindung. Im besten Fall wird er achtungsvoll geführt. Ich könnte Deinen Beitrag mit meinem ganz gut kombinieren, wenn ich ihn als Plädoyer sehe, den anderen – trotz der Auseinandersetzung – liebevoll zu begegnen. Ich wäre nicht einverstanden, wenn die liebevolle Haltung den Streit ersetzen sollte.

    • Bel
      Hirnwäsche

      Putin und Assad haben sich auch nicht selbst installiert, sondern wurden ebenfalls demokratisch gewählt, werden aber hier im Westen seit Jahren derart verteufelt, als ob sie geradewegs aus der Hölle kämen. Pure Kriegstreiberei, allerdings, leider…

      Antworten
      • Oliver

        Na, ich habe noch nicht gehört, dass die Bundesregierung „ihre“ Bürger foltern und ohne Prozess umbringen lässt wie Assad. Sie setzt auch kein Giftgas ein oder lässt à la Putin ihre Gegner von einer willfährigen Justiz verurteilen. Ich habe auch noch nicht gehört, dass missliebige Journalisten bedroht oder gar verhaftet würden. Insofern sind unsere Wahlen sicher um Welten freier als die in Russland.
        Das alles zu sehen, heißt ja nun noch lange nicht, dass man deswegen gegen Assad oder Putin in den Krieg ziehen müsste. Ich jedenfalls halte das für keine gute Idee.

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*