Ist das Leben gut? Diese Frage gräbt an der Grundlage der Existenz, denn die Antwort ist gleichzeitig die Linse, durch die ich mein Leben betrachte, es interpretiere und die auftretenden Phänomene und Situationen einordne.

von Jörg Engelsing

Die Antwort auf diese Frage ist der Unterschied zwischen prallem Leben und reinem Überleben, zwischen Öffnen und Verschließen, zwischen Liebe und Angst. Die ganze Welt befindet sich momentan in einem Prozess, der immer wieder die Frage aufwirft, ob das Leben gut ist oder ob wir hier kollektiv böse abschmieren und die Wirtschaft komplett zusammenbricht. Neben Corona und all den damit zusammenhängenden Folgen stehen Probleme wie Glyphosat, Klimawandel, Kriege, 5G und hunderte weitere Kernthemen Schlange, um von uns gelöst zu werden – die Welt scheint zunehmend unsicherer und gefährlicher zu werden.

Wie jeder andere mache auch ich in diesem kollektiven Feld meinen eigenen kleinen Prozess durch, in dem ich keine Chance habe, der Frage nach der „Gutheit“ des Lebens auszuweichen. Und wenn ich mich nicht gerade im Ausnahmezustand befinde, kann ich auch sagen: Das ist gut so. Ich habe seit über zehn Jahren Neurodermitis, die in den letzten zwei Jahren immer schlimmer und jetzt so heftig geworden ist, dass ich ohne ständige Gaben von Antihistaminika und Kortison überhaupt nicht mehr existieren kann. Das Jucken ist unfassbar. Ich muss einfach kratzen, und das macht irgendwann die Haut so wund, dass ich Kortison zu ihrer Beruhigung brauche. Der Verstand mit seiner linearen Denkweise versucht mir dabei andauernd einzureden, dass es noch schlimmer werden wird und es einfach keinen Ausgang aus dieser Hölle gibt.

Mit anderen Worten: Das Leben ist schlecht und reißt mich in den Abgrund. So ähnlich sehen auch viele Menschen die aktuelle globale Situation und wittern hinter allem nur Böses und Schlechtes. Auf der anderen Seite bekomme ich auch immer wieder aus meinem Inneren heraus die Info: Halte einfach durch, alles wird gut, das ist ein Geburtsprozess – und während eines Geburtsprozesses hast du überhaupt keinen Durchblick, wo du gerade bist und wohin die Reise geht.

Erst einmal: Ob das Leben gut ist, kann ich letztlich nur fühlen. Alles andere ist Hilfskonstruktion und Orientierungsversuch auf dem Weg dorthin (wie der Gedanke „Das Leben hat mich bisher getragen, also wird es das auch weiter tun.“). Nach meiner Definition bedeutet diese Gutheit des Lebens daher auf einer ganz grundlegenden Ebene, dass ich mich vom Leben nicht überfordert fühle. Und die einzige Möglichkeit, mich vom Leben nicht überfordert zu fühlen, ist die, dass ich bereit und fähig bin, absolut alles zu fühlen, womit das Leben mich in Berührung bringt. Ich kann das Leben also nur als gut empfinden, wenn ich ein Ja zu ihm fühle und keinen Widerstand gegen es leiste (weil ich beispielsweise besser als das Leben zu wissen glaube, was richtig ist). Dorthin zu kommen, ist für mich die Essenz und das Ziel des spirituellen Weges.

Die Herausforderung für mich besteht zu einem großen Teil darin, dieser inneren Stimme und dem Prozess trotz immer wieder auftauchender Angst zu vertrauen. Ich kann nur vorwärtsgehen in der Hoffnung, dass das Leben gut ist und ich nicht durch dieses Wahnsinnsjucken zerstört werde. Mehr oder weniger stark befinden sich viele Menschen gerade in so einer Grenzsituation, auch wenn wir fast alle noch die Illusion haben, dass wir mit unseren bisherigen Mitteln und unserem Verstand doch einen Ausweg finden… Über mich kann ich sagen: Nichts hilft mehr, ich werde zunehmend gezwungen, die Waffen zu strecken – und dabei herauszufinden, ob das Leben mich trägt oder fallen lässt. Flea, der Bassist der Red Hot Chili Peppers, hat mal in einem Interview gesagt: „Eine Menge Leute beschweren sich über ihre Lebenssituation und darüber, wie unglücklich sie sind. Aber wenn sie wirklich eine Veränderung zum Positiven wollen, gibt es nur eines: Sie müssen sich vollkommen dem Unbekannten hingeben.“ Im Grunde sind also sowohl die Neurodermitis als auch die gegenwärtige Krisensituation auf der Welt ein Geschenk für mein bzw. unser Wachstum – hin zu dem Bewusstsein, dass die Welt gut ist (was wir herausfinden, wenn wir uns der Situation hingeben).

Nur weg!

Aber der Weg ist steinig: Mehrere Menschen, die ich kenne und die unter Neurodermitis leiden, haben schon mal auf einem Dach gestanden und wollten runterspringen. Ich kann das gut verstehen, weil die Überforderung an einem Punkt so groß ist, dass du nur noch raus willst aus dem Horror. Mir hilft auf diesem Weg oft (aber leider nicht immer) das Verstehen dessen, was da gerade passiert. Denn – so meine Erkenntnis – wenn das Leben gut ist, dann existiert prinzipiell nichts, was schlecht ist – ich kann das Gute nur gerade nicht erkennen. Wenn ich die Welt als schlecht wahrnehme, liegt das also nur an meinem Blickwinkel. Und wenn die Welt im Grunde gut ist, gibt es auch immer eine positive Interpretation von dem, was ist. Ich muss sie nur finden. Spirituelle Entwicklung ist für mich in diesem Sinne auf einer ganz grundsätzlichen Ebene das Ringen darum, das Leben als gut zu erkennen. Denn in einem Leben zu leben, das nicht gut ist, ist im Grunde nur ein Überlebenskampf. Wie der Musiker Everlast singt: „Some of us live, all of us die.“ (Frei übersetzt: Alle müssen wir sterben, aber nur einige von uns leben wirklich.). Am Ende den Löffel abzugeben, ohne wirklich gelebt zu haben, ist für mich eine grausame Vorstellung und die Suche nach der Gutheit des Lebens und das Erblühen in ihr darum alternativlos.

Durch die Dunkelheit zum Licht

In einem Youtube-Video sagt der Gitarrist Carlos Santana, den das Leben auch immer wieder ordentlich gebeutelt und an den Rand des Suizids gebracht hat: „Du musst durch die tiefste Dunkelheit, um zum hellsten Licht zu kommen.“ Heißt: Die Dunkelheit ist notwendiger Bestandteil des Weges zum Licht – und auch Neurodermitis hat demnach ihren Sinn als „Schrot für die Transformationsmühle“. Beispielsweise konnte ich erkennen, dass Neurodermitis auf einer Ebene die Weigerung ist zu fühlen, denn ich versuche ja, das Gefühl des Juckens zu eliminieren. Das Wegkratzen des Juckens ist aber gleichzeitig ein Akt der Selbstliebe, denn ich sorge ja für mich. Die Art, wie ich für mich sorge, ist allerdings autoaggressiv und selbstzerstörerisch, wenn ich mir durch sehr heftiges Kratzen Wunden zufüge (was nur schwer zu vermeiden ist). Und das Jucken selbst ist einfach die ganze Palette emotionaler Energien und körperlicher Traumata, die ich verdrängt habe und die sich auf diese Weise wieder bemerkbar machen und nach außen drängen. Das Thema ist also sehr komplex und löst sich nicht durch eine einzelne geniale Erkenntnis einfach auf (wie viele von uns sich das gerne wünschen würden). Aber die Erkenntnisse geben mir eben auch Halt, wenn ich „auseinanderzufallen“ drohe…

Überforderung als Grundprinzip des Lebens

Etwas, das letztendlich in jeder Symptomatik enthalten ist – von Neurodermitis bis Corona-Angst –, ist das Prinzip Überforderung. Es gehört zum Leben dazu, sonst würden wir uns kaum ändern. Es ist ein evolutionärer Baustein, der eine Situation so derart unangenehm macht – beispielsweise keine Nahrung mehr im Revier –, dass Tiere in so einem Fall ihre angestammten Weidegründe irgendwann verlassen, um nicht zu verhungern. Auch wir bewegen unseren Hintern meist erst, wenn es für uns ungemütlich wird. Das Problem, das ich bei mir wahrnehme, wenn ich mich überfordert fühle, ist, dass dann alle spirituellen Errungenschaften und Erkenntnisse weg sind. Vor 23 Jahren habe ich einmal die alles überstrahlende Erfahrung gemacht, dass das Leben hinter jeder unangenehmen Erfahrung grundsätzlich gut und bedingungslose Liebe ist (was mich bis heute trägt). Doch ab einer bestimmten Intensität an Überforderung gehe ich in die Knie. Aber auch das ist okay. Wie meine innere Stimme mir immer wieder versichert: Wenn auf den verschiedensten inneren Ebenen Angst bearbeitet wird, erlebe ich auf meiner äußeren Wahrnehmungsebene eben auch Teile davon – und je stärker die Angst ist, desto weniger bin ich vom Verstand her handlungsfähig und fühle mich sogar oft wie gelähmt.

Eine weitere Erkenntnis, auf die ich dann leider auch keinen Zugriff mehr habe: Alle Prozesse in einer Welt, die gut ist, funktionieren nach dem Prinzip „möglichst sicher, sanft und schnell“. „Schnell“ ist Ausdruck meiner – und ich glaube ganz allgemein der menschlichen – Sehnsucht nach dem Göttlichen, der bedingungslosen Liebe. Und da ich einen Weg dorthin mit ungebremster Geschwindigkeit gar nicht aushalten würde (totale Überforderung), ploppt immer wieder die Angst an die Oberfläche und produziert Hindernisse und Blockaden, die dann einigermaßen fühl-verträglich abgebaut werden. Und wenn das Ganze wieder zu langsam zu werden droht (nach meinem inneren Plan), zeigt sich sehr schnell diese Sehnsucht nach der „ Heimat“, beschleunigt den Prozess und erzeugt wieder Überforderung. Und so weiter…

Das Leben ist gut  – mein Handy liebt mich

Ein weiteres Problem: Wir bewerten das Leben als gut oder schlecht, je nachdem, ob wir uns gut oder schlecht fühlen. Aber wer sagt denn, dass wir aus einem momentanen unangenehmen Gefühl herleiten können, dass das Leben bzw. eine Situation falsch und schlecht ist? Ich weiß noch, wie ich vor vielen Jahren in der Schlange vor einer Ikea-Kasse stand und hinter mir jemand mit einem Handy telefonierte. Alles in mir verkrampfte sich, weil sich in mir eine Vorstellung breit machte, dass die Strahlung dieses Mobiltelefons meine Zellen förmlich angreift. Ich hatte vorher einiges über die Gefahren von Handys gelesen und reagierte aufgrund dessen auf diese von mir als „schlecht und falsch“ interpretierte Situation sehr heftig und fühlte mich mies. Diese Angst verlor sich mit den Jahren eigener Handynutzung, aber wirklich frei davon war ich nie. Vor einigen Jahren schlief ich abends ein und hatte vergessen, das Handy neben meinem Kopf wegzulegen. Als ich aufwachte und es dann wenige Zentimeter neben mir liegen sah, kam sofort der Gedanke: Das war wohl nicht so gut. In diesem Moment schaltete etwas in mir um und ich spürte Liebe von dem Handy ausgehen. Ich gab mich diesem Gefühl hin und fühlte, wie all die Strahlung des Handys einfach Liebe war und meinen ganzen Körper heilend durchflutete. Ich habe das zwar nie wieder erlebt, aber ich hatte für mich eine positive Wahrheit hinter meinen Angstgedanken und unangenehmen Gefühlen erkannt.

Das Leben ist gut

Seither habe ich Folgendes verstanden: Negative Interpretationen einer Situation sind immer angstbasiert. Und wenn das Leben wirklich gut ist, dann muss es immer eine positive Interpretation eines Geschehens geben, die frei von Angst ist. Hinter all dem Unangenehmen, Schmerzhaften, Angstbehafteten, das ich mit meinem kleinen Verstand nicht verstehe und einordnen kann (es aber trotzdem dauernd versuche), steht eine positive, liebevolle Kraft, die mich zu etwas Gutem führen will. Ich muss jetzt nicht immer davon überzeugt sein, dass meine positive Interpretation die Wahrheit einer Situation ist, wenn ich weit entfernt davon bin, das zu fühlen. Damit würde ich mir in die Tasche lügen. Aber ich kann das Positive hinter all dem Elend als reale Möglichkeit annehmen, die genauso viel Wahrscheinlichkeit besitzt wie alle anderen Möglichkeiten – und mich dafür öffnen. Warum ist das so wichtig? Weil unser Nervensystem ohne das Vertrauen, in einem gutartigen Universum zu leben, den ganzen inneren Krampf nicht loslassen kann. Denn Loslassen ist ja immer eine Bewegung ins Unbekannte, im Vertrauen darauf, von einer positiven Kraft aufgefangen zu werden. Ohne Loslassen, ohne Hingabe, bleibe ich in meiner abgeschotteten kleinen Welt und kann nicht die Erfahrung machen, dass ich mit der Liebe verbunden bin und dass das Leben wirklich gut ist…

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*