Wenn die Welt gut ist, warum bemerken wir das so selten? Warum sehen wir meist vor allem die Schwierigkeiten, das Elend, die Probleme? Weil wir im Laufe unseres Lebens gelernt haben, uns eben genau darauf zu fokussieren, sagt die Achtsamkeitslehrerin Christa Spannbauer. Kinder dagegen leben viel weniger in der Welt der – oft stressigen und sorgenvollen – Gedanken; sie haben dadurch mehr Freude am Leben und genießen den Moment. Hier einige Tipps, die helfen, aus unseren Gedankenspiralen herauszutreten und uns wieder mit dem Hier und Jetzt zu verbinden.

von Christa Spannbauer

Wie ein gutes Leben gelingen könnte, darüber haben sich schon sehr viele kluge Menschen sehr viele kluge Gedanken gemacht. Ich selbst habe so einige Bücher dazu gelesen. Doch ganz ehrlich: Am meisten gelernt über das gute Leben habe ich von meiner kleinen Nichte Marie und meiner Hündin Cora. Warum ich die beiden für ausgewiesene Expertinnen eines guten Lebens halte? Nun, ganz einfach: Weil sie das so mühelos können, was mir oft so schwer fällt: Das Hier und Jetzt voll auskosten und ganz im Hier und Jetzt leben. Ein Spaziergang mit den beiden ist für mich mindestens so lehrreich wie eine Achtsamkeitsmeditation oder ein kluges Buch über das Glück. Marie gluckst, jauchzt und jubelt beim Anblick der Blumen am Wegrand, während Cora sich hingebungsvoll auf der Wiese wälzt. Beide leben das Leben intensiv. Und erfahren Glück pur. Weshalb aber fällt mir das, was mir diese kleinen Lehrmeisterinnen des guten Lebens so lässig vorleben, immer wieder so schwer?

Hier und Jetzt

Erinnert ihr euch an das Kinderbuch vom Mädchen Momo und den grauen Herren, die den Menschen die Zeit stahlen? Eindrücklich schildert darin Momos alter Freund, der Straßenkehrer Beppo, unser tägliches Dilemma im Umgang mit der Zeit: „Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man… Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem.“

Auch ich versuche häufig, mein sowieso schon schnelles Tempo zu steigern. „Mach schneller“, rufe ich mir dann ungeduldig zu. „Trödele doch nicht so herum!“, maßregle ich mich selbst. Herumtrödeln wurde schon in meiner Kindheit als Zeitverschwendung angesehen. Sich Zeit nehmen für die schönen Dinge des Lebens galt als überflüssig. Und ganz tief drin glaube ich das wohl heute noch. Viele Menschen hetzen durch den Tag, um Zeit für einen geruhsamen Feierabend herauszuschinden, arbeiten jahrelang wie wild, um sich eines fernen Tages den Vorruhestand leisten zu können, packen sich unter der Woche ein immenses Arbeitspensum auf, um ein langes Urlaubswochenende genießen zu können. Und wenn es dann endlich so weit ist, strecken sie erschöpft alle viere von sich, haben zu nichts mehr Lust oder stecken im Stau und schreien entnervt die Kinder an.

Was also ist zu tun? Wie können wir unser Leben wieder erleben anstatt ihm hinterherzusprinten oder vor ihm wegzulaufen? Der Straßenkehrer Beppo scheint eine Lösung für unser Dilemma gefunden zu haben: „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten. Dann macht es Freude, das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut.“

Smile!

Vieles von dem, was für Marie Anlass zum Lachen und Staunen ist, nehme ich erst durch ihre Augen wahr. Wie ein Magnet zieht sie unzählige Freudenmomente an, die an mir wie an einer Teflonpfanne abzuperlen scheinen. Statistiken zufolge lachen Kinder etwa 400 mal am Tag, Erwachsene nur noch 15 mal. Wieso nur verlernen wir über die Jahre das Lachen? Weshalb nehmen wir Erwachsene so vieles so schrecklich ernst? Dabei gibt es doch kaum etwas Schöneres als zu lachen, ausgelassen zu sein, sich heiter und spielerisch mit anderen Menschen zu verbinden! Lachen befreit, macht unser Herz leicht und weit und entspannt unseren Körper. Und ja, Lachen ist gesund. Die moderne Medizin bestätigt uns heute, was die alte Lebensweisheit immer schon wusste. Beim Lachen werden jede Menge Glückshormone ausgeschüttet – die beste Medizin gegen Stress, Ärger und Angst.

Glücksimpuls: Sei mal wieder richtig albern!

Dream on!

„Was träumst du denn schon wieder vor dich hin!“ Vielleicht wurdest auch du als Kind mit ähnlich harschen Worten aus deinen Tagträumen gerissen und aus deiner wunderbaren Fantasiewelt vertrieben. Tagträumen galt und gilt in einer Welt der allzeit Geschäftigen als Zeitvergeudung. Doch von wegen vertane Zeit! Studien aus der Hirnforschung belegen, dass unser Gehirn diese Auszeiten zur Regeneration und Erholung braucht. Und dass es gerade diese scheinbar unproduktiven Zeiten sind, in denen wir neue Kraft schöpfen. Tagträumen macht kreativ und ist eine unversiegbare Quelle der Inspiration! Neue Ideen und Impulse sprudeln wie Sektperlen in unseren Gehirnwindungen empor. Weshalb also nicht mal öfters die Gedanken ziellos in die Ferne schweifen lassen, dabei eine Tasse Tee schlürfen und den Wolken zusehen, wie sie gemächlich an deinem Fenster vorüberziehen. Tagträume sind innere Glücksquellen, die wir jederzeit aktivieren können. Sie geben uns eine Vorstellung davon, was wir uns vom Leben erhoffen, und verraten uns unsere geheimsten Wünsche und Sehnsüchte. Weshalb also nicht mal wieder genüsslich Hier und Jetzt vor sich hin träumen?

Ein Impuls zum Träumen: „Gehe vertrauensvoll in die Richtun deiner Träume! Führe das Leben, das du dir vorgestellt hast. Henry David Thoreau

Don’t worry, be happy!

„Warum verschiebt ihr die Freude auf morgen?“, fragte schon der Philosoph Epikur vor mehr als 2000 Jahren. Ja, weshalb fällt es uns eigentlich so schwer, den heutigen Tag zu genießen? Warum stochern wir lieber in alten Wunden herum anstatt uns zu gestatten, schmerzfrei zu leben? Wieso machen wir uns ständig Sorgen um den morgigen Tag anstatt das Glück des Hier und Jetzt auszukosten? Marie denkt gar nicht daran, sich um morgen zu sorgen. Cora schon gleich gar nicht. Ich schon. Wie ungeschickt wir mit voranschreitendem Alter doch werden, glücklich zu sein. Ständig fallen uns neue Gründe ein, weshalb es uns schlecht gehen könnte. Wie wir zur Quelle der eigenen Lebensfreude zurückfinden? Ganz einfach: Frage dich, was dich als Kind glücklich machte. Was waren deine Träume? Was brachte dein Herz zum Hüpfen? Wenn du in Kontakt kommst mit deinem Kinderherzen, kannst du die kleinen und großen Freuden des Alltags ganz neu und intensiv erleben. Plötzlich kannst du all die Dinge sehen, die das Leben schöner und bunter machen, und nimmst die Menschen wahr, die dein Leben mit Liebe erfüllen. Freude macht das Herz weit und verleiht Leichtigkeit. Und die Freude ist – wie übrigens alle Emotionen – ansteckend. Da sie zu den gehobenen Emotionen zählt, hebt sie nicht nur die eigene Stimmung, sondern auch die der Menschen um uns herum. Lass dich anstecken! Erfreue dich an der Freude der Kinder! Und gib die Freude an andere weiter. Freude strahlt aus, überträgt sich, vermehrt sich und verändert damit nicht nur unser unmittelbares Umfeld, sondern auch die Welt.

Glücksimpuls: Weshalb nicht öfters mit einem Augenzwinkern, einem Schmunzeln einem großen Lachen die Leichtigkei in der Welt fördern?

Let’s feel it!

Wenn unser Herz offen ist, können wir unsere Gefühle in all ihrer Intensität erleben. Um zu erfahren, wie das geht, brauchst du eigentlich nur kleinen Kindern beim gemeinsamen Spiel zuzusehen. Sie sind wahre Emotionskraftwerke, jauchzen vor Freude, schreien vor Zorn und weinen, wenn sie verletzt sind – und all das innerhalb kürzester Zeit. Wer wünscht es sich nicht, etwas von dieser Hier und Jetzt Spontaneität kindlicher Emotionen zurückzugewinnen und das zu entwickeln, was der Philosoph Paul Ricoeur die „Zweite Naivität“ nannte: einen Zustand, der sich durch ehrliche und spontane Gefühlsreaktionen auszeichnet, abgeschmeckt mit der Weisheit der Lebenserfahrung? Gefühle sind die Vital- und Nährstoffe unseres Lebens. Auf ihre Essenz gebracht, schützt Angst, verteidigt Wut, erlöst Trauer, erhebt Freude und eint Mitgefühl. Um besseren Zugang zu unseren Gefühlen zu bekommen, können wir sie gemeinsam mit anderen erforschen oder sie niederschreiben. Oder eben das tun, was auch Kinder so gerne tun: tanzen, singen, lachen, malen, springen….

Take it easy!

Glückliche Menschen sind offen wie spielende Kinder und tobende Hunde, die absichtslos und voller Hingabe im Hier und Jetzt leben und ganz mit ihrem Tun in Einklang sind. Zen-Meister Ryokan, einer der großen Weisen Japans, war einer dieser begnadeten Menschen. Seine Gedichte sind für mich eine stete Quelle der Inspiration für ein gutes Leben. Der Weise liebte es, mit den Kindern zu spielen. „Spielend, ja spielend durchquere ich diese fließende Welt“, schrieb er in einem Gedicht. Ja, die wahrhaft Weisen verhalten sich mitunter reichlich närrisch. Sie lachen und hüpfen unbeschwert wie die Kinder, staunen über die alltäglichsten Dinge und erfreuen sich scheinbar grundlos am Leben. Anders als wir bepacken sie sich nicht unnötig mit der Schwere des Lebens, von der wir glauben, dass sie unserem Leben erst Bedeutung und Gewicht verleihen würde. Meister Ryokan wusste sehr wohl um den Ernst des Lebens. Er führte das beschwerliche Leben eines Einsiedlers in den unwirtlichen Bergen Japans. Doch nie verlor er darüber seine kindliche Naivität und die Fröhlichkeit des Herzens. Nicht nur die Kinder, auch die Erwachsenen liebten ihn dafür. Allein durch seine Anwesenheit machte er deren Leben leichter. Spuren wollte er keine hinterlassen, der leichtfüßige Weise. Seine Gedichte jedoch erfreuen bis zum heutigen Tage die Herzen der Menschen.

„Mein Tagewerk: mit den Dorfkindern spielen. Immer habe ic ein paar Stoffbälle dabei, in meinen Ärmeltaschen: Zu viel anderem bin ich nicht nütze. Doch ich weiß mic zu erfreuen am stillen Frieden des Frühlings. Meister Ryokan

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