Gedanken über den Berliner Wohnungsmarkt von Matthias Coers

 

Berlin ist eine wundervolle Stadt voller Anregungen, Widersprüche und Lebendigkeit. Besonders spüren kann man das in den einzelnen Stadtteilen und Kiezen, die im Vergleich zu vielen anderen Metropolen bis heute sozial durchmischt sind und das Zusammenleben unterschiedlichster Menschen ermöglichen.

Berlin ist auch eine Mieterstadt, in der über Bildungs- und Einkommensgrenzen hinweg 85 Prozent der Bevölkerung zur Miete wohnen. Egal ob Professorin, Einzelhändler, Straßenbahnschaffnerin oder alleinerziehender Vater – um ein selbstbewusstes Leben führen zu können, bedarf es keiner Eigentumswohnung. Spricht man mit Besuchern und Neuzugezogenen, wird erst klar, welch offenen Geist das hiesige städtische Leben ausstrahlt.

Doch in den letzten Jahren kommt dieses egalitäre Moment des einfachen und günstigen Zur-Miete-Wohnens zunehmend in die Krise. So steigen einerseits im Bestand sowieso regelmäßig die Mieten, andererseits treiben zum Beispiel die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen oder die Modernisierung vieler Wohnungen die Mietpreise nach oben.

Seit 2010 gibt es viele Basisgruppen in der Stadt, die sich dem Thema des Wohnens, der Stadtentwicklung und eines guten nachbarschaftlichen Zusammenlebens widmen. Im Dokumentarfilm „MIETREBELLEN – Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt“ werden verschiedenste aktive Mieterzusammenhänge vorgestellt und in ihren Auseinandersetzungen portraitiert. Der Film ist 2014 in die Kinos gekommen und hatte bisher allein in Berlin 300 Aufführungen. Doch auch seit Ende der Dreharbeiten entstehen ständig neue Gruppen.

Ob es die Senioren in Moabit sind, die sich mit Erfolg gegen Mieterhöhungen wehren, oder in der Koloniestraße im Wedding ehemalige Sozialmieter gegen eine Verdoppelung der Mieten auf die Straße gehen; ob in Kreuzberg die Initiative „Stadt von unten“ versucht, ein Gelände am Mehringdamm gemeinnützig zu entwickeln oder in der Knaackstraße im Prenzlauer Berg Mieter einer Wohnungsbaugesellschaft von Verdrängung bedroht sind – all dies sind konkrete und beispielhafte Auseinandersetzungen, die Mieter um ihr Zuhause und ihr Leben im Kiez führen.

Solidarisch-nachbarschaftliches Miteinander

Oft ist die rechtliche Ausgangslage für die Mieter wie zum Beispiel bei der energetischen Modernisierung (Modernisierung eines Gebäudes zur Minimierung des Energieverbrauchs) nicht günstig, doch kann das Entstehen einer Hausgemeinschaft und die Entwicklung eines solidarisch-nachbarschaftlichen Miteinanders dazu führen, dass sich viele Mieter dem Protest dauerhaft anschließen. So kann es gelingen, die Eigentümer von ihrem einseitigen Mieterhöhungsansinnen abzubringen.

Hier spiegelt sich auch die positive Vielfalt dieser Stadt, denn verschiedenste Berufsgruppen leben in einem Berliner Mietshaus, verschiedenste Talente sind vorhanden. Schnell hilft und berät man sich bei juristischen Schreiben. Der eine kann gut formulieren, die nächste ein Flugblatt gestalten. Der eine kann Transparente malen, die andere kennt einen Architekten, Juristen oder eine Hausgemeinschaft mit Erfahrung. Ob Kuchenbacken für das Nachbarschaftsfest oder Programmieren für den eigenen Blog, viele können und werden etwas beitragen, wenn es eine positive respektvolle Grundstimmung zueinander gibt. Denn alle sind von der Veränderung und von den Mieterhöhungen betroffen.

Lange galt in Berlin die Devise: Wenn der Prenzlauer Berg zu teuer wird, gehe ich in den Friedrichshain oder heute vielleicht in den Wedding. Doch diesem verstehbaren Fluchtreflex, Konflikten aus dem Weg zu gehen, ist durch den aktuellen Wohnungsmarkt ein Ende gesetzt. Selbst Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen können sich einen Umzug immer weniger leisten. Denn auf dem Berliner Wohnungsmarkt gibt es nur noch 1,5 Prozent Leerstand. 3-4 Prozent sind notwendig, damit es möglich ist, ohne allzu großen Aufwand eine Wohnung zu finden.

Nach einem Podiumsgespräch mit dem Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf und einer Fotoreportage zur Wohnungssuche für das Berliner MieterEcho ist mir persönlich das Ausmaß erst völlig klar und spürbar geworden. Nur noch 0,8-1 Prozent freie Wohnungen gibt es in den Plattenbausiedlungen am Stadtrand. Die Neuvermietungsmieten sind dort höher als die Durchschnittsmieten nach Mietspiegel im Berliner Bestand. Bei Interviews mit Wohnungssuchenden hört man ergreifende Geschichten. Ein halbes Jahr Suche ist selbst für Menschen mit gutem Einkommen keine Seltenheit mehr. Ein Vater hat in zwei Jahren an über 100 zermürbenden Besichtigungen teilgenommen, um endlich einen Ort für seine Familie zu finden.

Wohnraum mit modernem und ökologischem Standard für alle

Sucht man zum Beispiel in Kreuzberg ein neues Zuhause, ist man schnell mit Neuvermietungsmieten von zehn oder mehr Euro netto kalt konfrontiert. Extreme Summen, wenn man bedenkt, dass viele Menschen in Berlin nur über ein kleines Einkommen verfügen.

Wenn zum Beispiel die Kinder groß sind und eine eigene Wohnung mieten wollen, eine ältere Dame sich verkleinern will oder die Patchwork- Familie Zuwachs bekommt, ist man plötzlich mit einer Verdoppelung der Wohnkosten konfrontiert. Genauso geht es denen, die im vergangenen Jahr nach Berlin gezogen sind – um 45 000 Personen ist die Einwohnerzahl gestiegen. Auch die vielen aus Krisengebieten Geflüchteten bedürfen – neben unserer Hilfe – auf Dauer mehr als einer Unterkunft im Container. Es ist doch ein Geschenk für alle Berliner, wenn Menschen aus anderen Regionen oder sogar der ganzen Welt Interesse haben, hier zu leben.

Aus den Erfahrungen der Praxis und der Öffentlichkeitsarbeit der Mieterbewegung ist vielen in der Stadt klar geworden, dass es respektvollen und solidarischen Umgang braucht, um den Zumutungen auf dem Wohnungsmarkt entgegenzutreten. Initiativen wie „Zwangsräumungen verhindern“ oder „Bizim Kiez“ seien hier beispielhaft genannt. Die Zeit ist vorbei, die Schuld bei sich zu suchen, wenn man die Wohnung nicht mehr bezahlen kann oder keine findet.

Es ist unverzichtbar, dass Wohnraum mit modernem und ökologischem Standard für alle entsteht, ob in kommunaler Verantwortung oder selbstverwaltet. Denn gesunde Ernährung, Musikunterricht für die Kinder, eine Bildungsreise oder Blumen für einen geliebten Menschen – all dies wird prekär, wenn uns stadtweit die monatlich zu zahlenden Wohnkosten um die Ohren fliegen.

Das, was sich alle wünschen, die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, ein anregendes Umfeld, eine wohlgesonnene Nachbarschaft, ein Aufwachsen in Freundlichkeit und ein Älterwerden in Würde, ein generationenund schichtenübergreifendes bewusstes Zusammenleben und Miteinander bedarf räumlicher Voraussetzungen. Das heißt, in unserer aktuellen städtischen Gesellschaft braucht es bezahlbaren Wohnraum für alle.

Eine Antwort

  1. jörg

    die fetten Jahre sind vorbei. Die Krise schreitet voran. Klagen und jammern verändert nichts.

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