Von Matthias Coers

Wer derzeit eine Wohnung sucht, kann nachdrücklich erleben, was es heißt, dies auf einem angespannten Wohnungsmarkt wie dem der Hauptstadt zu tun. Bei gutem Einkommen kann dies bedeuten, nach Feierabend im Anzug durch ein dunkles Neuköllner Treppenhaus eine modernisierte Wohnung zu erklimmen, um hundert Quadratmeter für über 1300 Euro netto kalt zu besichtigen. Gerne würde man eine solche Wohnung günstiger finden, insbesondere in Wunschstadtteilen, zum Beispiel Charlottenburg oder Prenzlauer Berg – doch mit zwanzig anderen Leidensgenossen steht man nun am Ende der Karl-Marx-Straße.

Bei einer Besichtigung in Schöneberg – bei gleicher Größe, aber deutlich günstigerem Mietpreis – finden sich 150 Menschen ein, der Erscheinung nach aus unterschiedlichsten Einkommensgruppen mit unterschiedlichstem sozialen Hintergrund. Bei dieser Menge von Mitbewerbern wirkt bei den meisten die Atmung flach und die Blicke gehen eher ins Leere als interessiert die Räume abzutasten. Selbst als Beobachter, der das schlichte Glück hat, schon in einer Wohnung zu wohnen, spürt man das Gefühl der Verzweiflung. Dies ist das alltägliche Gesicht des Wohnungsmarktes, wie es sich den Menschen zeigt, die neu nach Berlin kommen oder in Berlin umziehen wollen oder müssen.

Wohnen in Berlin: Verlust der Geborgenheit

Anders sieht es in vielen der über 1,5 Millionen bestehenden Mieterhaushalte aus. Mensch kann sich an seiner mehr oder minder gut geschnittenen Wohnung, der Lage oder den Sonnenstunden erfreuen. Der Alltag wird bestritten mit allen Freuden und Nöten, die es zu leben gilt. Doch die Mieter im Bestand haben erfahren müssen, dass auch ihre Verträge und langjährigen Mieten nicht mehr die Geborgenheit bieten, die man sich wünscht und braucht. Immer mehr Häuser werden verkauft, Wohnungen umgewandelt in Eigentum oder kostenintensiv modernisiert. Auch wenn man selber unberührt ist von steigenden Wohnkosten, hört man von grundlegenden Veränderungen aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis oder aus den Medien. In den letzten fünf Jahren haben viele Tausend Menschen erlebt, welch ein grundlegender Einschnitt es sein kann, wenn die Wohnkosten relevant steigen oder gar die eigene Wohnung in Gefahr gerät.

Immer öfter aber gelingt es in einer steigenden Anzahl von Mietshäusern, dass sich die Bewohner bei einer drohenden Verschlechterung ihrer Mietsituation absprechen und zusammentun. Es beginnt meist ein längeres, zähes Ringen mit dem Eigentümer oder Investor, um eine nicht mehr leistbare Mietsteigerung oder gar den Auszug abzuwenden.

Erhalt bezahlbarer Wohnungen

Gegenwärtig ist das Wohnen eines der bestimmenden Themen der Stadt geworden. Und in der konkreten Auseinandersetzung im eigenen Mietshaus kommt nun neben dem Erhalt der eigenen Wohnung auch der lokale Kiez und das Miteinander im ganzen Stadtteil in den Blick. Denn das Zuhause definiert sich nicht nur über die eigenen vier Wände, sondern auch über die Nachbarschaft, Läden und Einrichtungen, an denen die täglichen Wege verlaufen.

Gegen die drohende Kündigung eines familiengeführten Gemüseladens hat sich rund um die Wrangelstraße nahe dem Schlesischen Tor die Initiative Bizim Kiez gegründet. Seit über einem Jahr sind dort Bewohner aktiv, um die bunte soziale Struktur ihrer Nachbarschaft zu erhalten. Es geht um günstige Gewerbemieten, die es auch kleinen Läden möglich machen zu existieren, es geht um den Erhalt bezahlbarer Wohnungen, die es allen erlauben, in ihrer vertrauten Gegend oder im innenstadtnahen Kreuzberg leben zu können.

Über zwanzig Mal wurde durch große öffentliche Versammlungen mit einer Mischung aus Kultur und Politik die Straße blockiert. Hunderte Teilnehmer begeisterten sich an musikalischen Darbietungen, Lesungen, Theatereinlagen und folgten mit Empathie und Tatendrang den Berichten und Reden von Mietern, die akut Verdrängungsdruck ausgesetzt sind. Auch Einzelne mit sehr gutem Einkommen oder Eigentumswohnungen sind Teil des breiten Protestes, der dem Ausverkauf des Wrangel-Kiezes nicht tatenlos zusehen will. Für den Gemüseladen Bizim Bakkal, nach dem sich die Initiative benannt hat, konnte trotz juristisch aussichtsloser Lage eine Vertragsverlängerung von einem Jahr errungen werden.

Eine Karte der Verdrängung wurde erstellt, eine offensive Öffentlichkeitsarbeit und die gute Erreichbarkeit von Bizim Kiez machen dieses Engagement bis heute sichtbar. Vom Einzelfall zum ganzen Kiez bewegen sich die Aktivitäten, Gedanken und Gefühle. Es wird auch für konkret wenig betroffene Stadtbewohner interessant und wichtig, sich an aktuellen Auseinandersetzungen unterstützend und aktiv zu beteiligen.

Diese Art von Zusammenhalt und Aktivismus zeigt sich mittlerweile in vielen Kiezen. Die mit einer Verdopplung der Miete konfrontierten Menschen in den 157 ehemaligen Sozialwohnungen in der Koloniestraße im Wedding beispielsweise erfahren bei ihren Protesten viel praktische Solidarität von anderen Gruppen und Menschen aus ihrem Stadtteil. Zusammen mit Künstlern, Humanisten und Aktivisten konnte auch der Bezirk für das Vorhaben gewonnen werden, das drohende Unheil der Entmietung durch Mietsteigerung abzuwenden.

Rund um das Dragoner-Areal am Mehringdamm engagieren sich ebenfalls verschiedene Nachbarschaften und Initiativen für die Erstellung bezahlbaren Wohnraums. Es sollen keine teuren Eigentumswohnungen und keine Gated Community – ein geschlossener Wohnkomplex, oftmals mit Zugangsbeschränkungen – entstehen, sondern ein kleiner Stadtteil mit 800 Wohnungen und öffentlichen Wegen, Nachbarschaftstreffpunkten, Kitas und sozialer Infrastruktur.

Zusammen mit einer Wohnungsbaugesellschaft wollen Stadtteilaktivisten und junge Architekten das Vorhaben realisieren, in denen Menschen aus allen Schichten zusammenwohnen können. Es gibt zwar Gegenwind aus dem Bundesfinanzministerium, welches das Gelände zum Höchstpreis verkauft sehen will. Doch die Initiativen lassen nicht locker und versuchen, ihr solidarisches Vorhaben weiter voranzutreiben.

Beginn eines Dialogprozesses

Knaackstraße im Prenzlauer Berg, Schmargendorfer Mieterprotest in Wilmersdorf, Siedlung am Steinberg in Reinickendorf, Unser Block bleibt in Neukölln, Großgörschen-/Ecke Katzlerstraße in Schöneberg – hier und an vielen Orten mehr zeigen die Proteste Wirkung in der ganzen Nachbarschaft. Ob Verlust einer Kita, eines Ortes der Subkultur oder hochpreisiger Neubau – in den Kiezen wird dies nicht mehr klaglos hingenommen.

Selbst in der Rigaer Straße, in der noch vor einiger Zeit die Polizei anrückte, hat ein Dialogprozess begonnen. Horrende Mieten zahlende Neumieter, Alteingesessene und Ex-Besetzer suchen nach einem Weg des städtischen Miteinanders in respektvollem, wertschätzendem und solidarischem Umgang. Nicht nur, um dem Verdrängungsdruck zu begegnen, sondern auch um dies nach dem alten Berliner Wahlspruch „leben und leben lassen“ in einer guten Art und Weise miteinander zu tun.

 

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