Die Stimme in meinem Kopf – Ein Weg aus der Grübelei 11. Januar 2016 1 Kommentar In meinem Kopf spricht eine Stimme. Wache ich am Morgen auf, dann höre ich schon die ersten Worte. Ob ich das will oder nicht. Es passiert einfach. Je wacher ich werde, desto munterer wird auch die Stimme in meinem Kopf. Sie denkt einfach drauf los, debattiert, listet auf, unterhält sich mit Menschen, die nicht anwesend sind, sie analysiert, hält Reden, wälzt Probleme, gibt wichtige Einschätzungen ab und kreist in immer den selben Schleifen. Bunte Filme und lebendige Szenarien untermalen das Ganze noch. Am Abend, wenn ich Ruhe suche, redet die Stimme in mir einfach weiter, worüber ich dann irgendwann einschlafe oder gar keinen Schlaf finde, weil sie mich einfach wach hält. Die Stimme in meinem Kopf reagiert automatisch auf all das, was um mich herum oder in meinem Körper passiert. Sie scheint in mir ein Eigenleben zu führen. Gern schnappt sie sich das Gespräch von vorhin, eine Situation, die ich erlebt habe, den Spielfilm von gestern, Konflikte meiner Mitmenschen, etwas, das ich gelesen oder etwas, das ich einfach eben beobachtet habe und denkt daran herum. Sie greift nach allem, was sie kriegen kann, egal, ob es mich etwas angeht oder nicht, ob es mich weiter bringt oder nicht, ob es mir gut tut oder nicht oder ob es mich wirklich interessiert oder nicht. Da ist sie nicht sehr wählerisch und wiederholt pausenlos alle möglichen Informationen. Dabei merkt die Stimme in meinem Kopf jedoch nicht, ob das, was sie da permanent behauptet, auch langfristig gut für mich ist, mich zufrieden und glücklich macht oder mich gesund erhält, denn dafür besitzt sie kein Sensorium. Die Stimme in meinem Kopf existiert nicht, weil ich sonderlich verrückt bin, sondern weil es unter meiner Schädeldecke ein Gehirnareal gibt, durch das ein ständiges Vor-sich-hin-denken geschieht. Nur wenn ich mich auf etwas konzentriere, mich ablenke, meditiere oder schlafe, dann wird diese Aktivität weniger oder verschwindet gänzlich. Oft bin ich aber mit all diesen Gedanken so eng identifiziert, dass ich gar keinen Abstand mehr zu ihnen habe, also regelrecht zu ihnen werde. Dann denke ich nicht nur, sondern bin das Denken. Lasse ich die Stimme in meinem Kopf also permanent allein vor sich hin denken, dann ist sie in der Lage, völlig nutzlose Gedankenberge zu produzieren und Lebensumstände aufrecht zu erhalten, die mir sogar schaden und mich unglücklich machen können. Die Stimme kann von mir eine Orientierung bekommen Da ein einsamer Verstand zu Grübelleien neigt und sinnloses Denkmaterial anhäufen kann, habe ich angefangen, mich mit der Stimme in meinem Kopf zu unterhalten. Ja, das hört sich etwas verrückt an, aber wenn ich der Denkerei in mir zuhören kann, dann kann ich sie doch auch ansprechen. Auf diese Weise ist die Stimme in meinem Kopf jedenfalls nicht mehr so auf sich gestellt und kann von mir eine Orientierung bekommen. Vor allem dann, wenn sie sich mal wieder an irgendwelchen Ereignissen festgebissen hat, die schon längst vergangen sind und nur durch mein pausenloses gedankliches Wiederholen am Leben erhalten werden. Ich spreche die Stimme in meinem Kopf immer mal kurz an, sobald ich merke, dass sie über etwas nachdenkt, das mich nichts angeht, das ich nicht ändern kann, das nicht in meiner Verantwortung liegt, das mir Unwohlsein und Angst macht, das mich sorgenvoll werden und zweifeln lässt. Oder etwas, das mir der realen Situation, dem momentanen Augenblick, nichts zu tun hat. Dann sage ich zu ihr: „Hallo, du da oben – lass das mal.“ oder „Was machst du da?“ oder „Warum denkst du über Dinge nach, auf die ich keinen Einfluss habe?“ Während ich mich selbst anspreche, bin ich plötzlich viel näher bei mir. Die Stimme in meinem Kopf wird sofort still. Es entsteht eine Gedankenlücke. Dann sage ich, dass ich mit dem, womit sie sich gerade beschäftigt, nicht einverstanden bin, weil ich es nutzlos finde oder es mich einfach nichts angeht. Oder ich sage, dass ich sie für etwas anderes brauche, zum Beispiel, um den Tag zu planen. Falls die Stimme in deinem Kopf sich angewöhnt hat, dich runter zu machen, dich abzuwerten oder dir einzureden, dass du wertlos bist oder ein falsches Leben führst, dann beginne, dies bewusst wahrzunehmen und mache ihr einfach immer wieder klar, dass dies nicht wahr ist. Leider ist es so, dass, wenn du deinem Denken die Freiheit gibst, dich lange genug angreifen zu können, du dich tatsächlich so fühlen und dies auch immer wieder von außen bestätigt bekommen wirst. Wachheit und Aufmerksamkeit beruhigen meine Gedanken Neben den Inspirationen, die ich der Stimme in meinem Kopf geben kann, stelle ich ihr auch gern Fragen. Ich frage sie dann, warum sie jetzt unbedingt ein Gespräch weiter führen muss, das bereits beendet ist. Oder, warum sie eine Begegnung durchspielt, die morgen erst stattfinden wird. Oder ich frage sie, ob ich ihr dabei helfen kann, konstruktiver darüber nachzudenken, so dass es mir von Nutzen ist. Ich helfe ihr auch mit Fragen, wenn es etwas Wichtiges zu vertiefen gibt. Vor allem aber versuche ich sie immer davon abzuhalten, sich mit Dingen zu beschäftigen, die mich nichts angehen und die ich nicht in der Hand habe, also wo ich nichts bewirken kann. Auch von Situationen, die bereits passiert und somit nicht mehr zu ändern sind. Wenn unser Denken zu stark und zu intensiv wird, dann führt das dazu, dass wir distanziert werden, uns selbst nicht mehr spüren oder unbemerkt schlechte Gefühle erzeugen. Inneres Unwohlsein löst widerum Grübelleien aus. Es ist hilfreich, zu lernen, das Denken dienlich und effektiv einzusetzen, anstatt regelrecht darin zu verschwinden. Neben der Unterbrechung des Gedankenstromes und dem freundschaftlichen Dialog, der meine Gedanken immer mal einnordet, bin ich am liebsten mit intensiver Wachheit und großer Aufmerksamkeit einfach bei mir selbst, was meinen Geist so beruhigt, dass sich sowieso keine Gedanken halten können. Beobachtend, wahrnehmend und präsent sein – das ist es, was deinen Verstand zur Ruhe kommen lässt. Durch wache Anwesenheit kann sich kein Gedanke in deinem Kopf festsetzen. Dann ist es still in dir. Eine friedlich lebendige Stille. Aus ihr können Gedanken auftauchen und wenn du dich nicht weiter mit ihnen beschäftigst, auch ganz mühelos wieder verschwinden. Bild: © oben Judith Mücke, unten jutta rotter / pixelio.de Eine Antwort Beatrice Ortlepp 2. Februar 2016 Danke Ganz toller Beitrag!! Antworten Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. Durch Deinen Klick auf "SENDEN" bestätigst Du Dein Einverständnis mit unseren aktuellen Kommentarregeln.