Wir alle sehnen uns nach einer Gemeinschaft, in der wir uns angenommen und wertgeschätzt fühlen. Gerade jetzt suchen viele von uns neue Formen des Zusammenlebens und des Zusammenwirkens. Alle ziehen mit den besten Absichten los, um oft dann nach einiger Zeit ernüchtert festzustellen, dass sich das friedliche Zusammensein nicht einstellen will. Woran liegt das?

Uns allen ist nicht bewusst, dass wir mit uns selbst noch keine gelingende Gemeinschaft eingegangen sind. Wir hadern mit uns, wir hegen Selbstzweifel, wir kreiden uns unsere Fehler an, wir gehen über uns selbst hinweg, passen uns an, auch wenn uns etwas anderes vorschwebt, wir opfern oftmals unsere Individualität zugunsten des Gemeinsamen oder wir fühlen uns ausgebremst mit unseren Ideen und hegen destruktive Gefühle und Gedanken. Woran fehlt es?

Das Annehmen fällt schwer

Die Antwort ist hier leicht aufzuschreiben und sehr schwer umzusetzen – Annahme. Um in uns selbst und auch im Außen im Zusammensein mit anderen Menschen eine konstruktive Atmosphäre zu erschaffen, ist das Annehmen dessen, was gerade ist, die Basis. Und gerade das fällt uns so schwer. Wir wollen, dass sich im Außen etwas ändert, wir wollen, dass der andere sich anders verhält. Nur – auf diesem Weg werden wir weiterhin nicht erfolgreich sein. Das haben wir nun seit Jahrtausenden getan und damit ein Gegeneinander im Kleinen und im Großen erschaffen.
Zurzeit finden sich Menschen zusammen, die in kleinen Kreisen das Ehrliche Mitteilen üben. In einem geschützten Rahmen bringen sie ihr Innerstes nach außen, ohne der Gefahr ausgeliefert zu sein, dass ihre Worte bewertet und vor allem, dass sie nicht zurückgewiesen werden. Warum schaffen wir das nicht im täglichen Umgang?

Wir alle tragen Prägungen in uns, die aus der Kindheit herrühren. Damals konnten wir uns nicht wahrhaft zum Ausdruck bringen, wir waren gezwungen, uns anzupassen. Um unseren verletzlichen Wesenskern zu schützen, haben wir kindlichen Trotz entwickelt, unter dem Motto – dann eben nicht. Eine unbewusste Überzeugung aus der Zeit könnte lauten, ich werde sowieso nicht gesehen und gehört, und das Kind zieht sich in sich selbst zurück und drückt die berechtigte Wut nach unten. Jede Bemerkung, die an diese Verletzung rührt, lässt das alte Muster anklingen. Statt dass wir im Erwachsenenalter die Heilung im Inneren bewusst vollziehen, gehen wir auf den anderen los oder gekränkt in den Rückzug, manchmal fühlen wir uns wie gelähmt und handlungsunfähig.

Wenn wir nun mit den besten Absichten in eine Gemeinschaft einziehen, dann wollen wir so gerne dieses harmonische Miteinander erschaffen, aber die in jedem von uns unterdrückten Gefühle ploppen bei entsprechender Resonanz hoch und machen uns einen Strich durch die Rechnung. Wir erleben uns dann eben nicht so mitmenschlich, wie wir es eigentlich vorhaben.

Was ist zu tun?

Das Fundament, auf das wir die Gemeinschaft aufbauen, ist die Bewusstheit darüber, dass in uns allen diese Mechanismen wirken und dass wir immer wieder in Resonanz mit ihnen geraten, solange sie in uns nicht gelöst sind. Wie uns das gelingt, uns aus dieser alten Fremdbestimmung herauszuarbeiten, zeige ich auf in meinem Buch „Aufstehen in der Weiblichkeit“ und gehe hier nicht ins Detail. Wir können das nicht mal so eben, es ist für jeden von uns ein Prozess. Sich auf diesen Prozess einzulassen ist wesentlich für das Gelingen der Gemeinschaft. Wir entwickeln Verständnis und Mitgefühl für uns selbst und verstehen mitfühlend die anderen. Dann kann es sein, dass jemand über die Stränge schlägt, aber die Gemeinschaft hält diesen Aufruhr, ohne in eine Bewertung zu verfallen. Auf diese Weise erfährt jeder diese Annahme, die ihm in der Kindheit oftmals gefehlt hat. Diese Annahme ist essenziell für das Erfahren einer Geborgenheit.

Es geht um das Wohlfühlen mit sich selbst, es geht darum, sich vermeintliche Fehler selbst zu vergeben, zu lernen und zu wachsen und sich mit Selbstmitgefühl zu begegnen. Denn wenn wir die harte Schale um unsere Herzen nicht durch Liebe und Mitgefühl für uns selbst zum Schmelzen bringen, wird uns im Außen das Unverständnis und die Härte gespiegelt. Wir gehen gekränkt oder wütend in Resonanz, solange uns die eigenen Schatten nicht bewusst sind.

Im Miteinander ist dieser Rahmen, in dem jeder sich ohne Bewertung zum Ausdruck bringen darf, eine wahre Heilung. Wir haben noch lange damit zu tun, all diese Verletzungen des inneren Kampfes zu befrieden, des Kampfes, der auch in der Welt tobt. Solange wir diesen Frieden nicht bewusst, ausdauernd und vor allem mit unserem festen Willen herbeiführen wollen, wird es immer wieder destruktiv im Miteinander sein. Deshalb gilt es, uns gegenseitig auf diesem Weg zu unterstützen, so dass wir uns trauen, ehrlich miteinander zu kommunizieren, ohne Angst, abgelehnt zu werden. Das ist dann eine wohltuende Gemeinschaft, in der jeder sein darf, ohne Angst, beim falschen Wort, Zurückweisung zu erleben. Diese Art des Miteinanders ist ein gelebtes Sowohl-als-auch. Mit dieser Art wird das Gegeneinander hinter sich gelassen. Aus dieser Art von Gemeinschaft entwickelt sich eine Atmosphäre, die endlich Raum schafft für das kreative Potential jedes Einzelnen. Nur in einem Wohlgefühl kann sich Kreativität entfalten. Wir brauchen neue Ideen. Um diese wachsen zu lassen, ist eine harmonische Gemeinschaft, die von Annahme getragen ist, von immenser Bedeutung.

Annahme ist ein anderes Wort für Liebe

Die bedingungslose Liebe weist nichts zurück. Sie ist das Gegenteil von Angst. Wir alle bewegen uns hier angstgeprägt und fürchten nichts so sehr, wie die Demütigung, die Zurückweisung, die Grobheit, die Unterdrückung und Verachtung. Reichen wir uns die Hand, auch wenn wir nicht einer Meinung sind, nehmen wir uns selbst und den anderen so an, wie er ist. Nur daraus erwächst Transformation. Noch sind wir alle sehr empfindlich, begeben wir uns bewusst in diesen Prozess, dann wandeln wir uns in empfindsame Wesen. Vergessen wir nicht, wer wir sind – hilfsbereite, zugewandte, liebende Schöpferwesen.

Haben wir Geduld mit uns und jedem, der uns begegnet. Wir bewegen uns auf dieses friedliche Zusammensein hin, aber es ist noch ein Weg und wir können jedes Gelingen, ist es auch noch so klein, freudig feiern. Es ist unsere Intuition, die uns als Kompassnadel durchs Leben führt. Sie braucht aber Zeit, um sich in einer Situation Gehör zu verschaffen. Deshalb sind Ruhe und Stille unsere Begleiter. Wir können sicher sein, wenn wir schnell und heftig reagieren, dann sind wir in Resonanz mit alten Mustern. Es gibt diesen wunderbaren Satz von Jon Kabat-Zinn: Zwischen Reiz und Reaktion liegt die Freiheit.

Nutzen wir diese Freiheit, ermutigen wir uns gegenseitig, machen wir uns frohgemut auf den Weg. Lassen wir uns nicht von diesem Weg abbringen, wenn wir in alte Fallen tappen. Keiner ist perfekt, wir alle dürfen Fehler machen, denn nur so lernen wir. Auf diese Weise können wir die neue Welt in jedem Augenblick erschaffen.

Wie ich dir begegnen möchte

Ich möchte
dich lieben, ohne dich einzuschränken;
dich wertschätzen, ohne dich zu bewerten;
dich ernst nehmen, ohne dich auf etwas festzulegen;
zu dir kommen, ohne mich dir aufzudrängen;
dich einladen, ohne Forderungen an dich zu stellen;
dir etwas schenken, ohne Erwartungen daran zu knüpfen;
von dir Abschied nehmen, ohne Wesentliches versäumt zu haben;
dir meine Gefühle mitteilen, ohne dich für sie verantwortlich zu machen;
dich informieren, ohne dich zu belehren;
dir helfen, ohne dich zu beleidigen;
mich um dich kümmern, ohne dich verändern zu wollen;
mich an dir freuen, so wie du bist.

Wenn ich das Gleiche bekommen kann,
dann können wir uns wirklich begegnen
und uns gegenseitig bereichern.

Virgini Satir

Wir begegnen uns wahrhaftig, wenn wir unser Herz öffnen und unsere Gefühle und Gedanken zeigen. Ohne diese gesunde emotionale Bindung zu uns selbst bewegen wir uns in einem organisierenden Miteinander. Wir sind dann in Manipulation gefangen, geraten schnell in hierarchische Mechanismen und ziehen die Schutzmauern hoch. Wir werden uns gerade bewusst, ein lebender Organismus zu sein, ständig im Wandel begriffen, sowohl jeder Einzelne als auch die Gemeinschaft. Eingebunden in die allumfassende Ordnung der Quelle von allem, was ist, geben wir uns ihrer Führung hin. Wenn wir die gesamte Wahrheit dessen, wer wir sind und was wir sind, annehmen, ohne das Bedürfnis, einander ändern zu wollen, dann entsteht Intimität. Wir fühlen, wir hören und sehen in den anderen hinein und erkennen, aus welcher persönlichen Situation heraus er spricht und handelt. Wir gehen nicht mit allem mit, aber wir bleiben in der Verbindung von Mensch zu Mensch, von Herz zu Herz.

Gelingende Gemeinschaft

So entsteht Nähe, wir vermissen sie schmerzlich, denn die Nähe zu uns selbst ist uns abhandengekommen. Gelingende Gemeinschaft hilft, diese Nähe zu uns selbst, zu unserem SELBST, wieder herzustellen. Auf diese Weise entstehen nährende Gemeinschaften, die in diesem Prozess wachsen und deren Mitglieder sich auf diese Weise unterstützen.

Diese Gemeinschaften haben ihre eigene Schönheit, denn die Mitglieder haben hier die Chance, ihre Individualität zu entfalten und sich über den eigenen Seelenplan klar zu werden. Zuerst müssen wir individuell werden, bevor wir gelingende Gemeinschaft leben können. Sind wir uns aber des Heilungswegs bewusst, können wir uns gegenseitig im Prozess auf uns selbst zurückführen. In der Gemeinschaft wird immer wieder der Einzelne seinen Rückzug brauchen. Wirklich befreien können wir uns nur, indem wir die Zufriedenheit, den inneren Frieden, in uns selbst erstellen. Glücklich und zufrieden zu sein ist eine Empfindung, die in jedem vorhanden ist und nicht durch äußere Bedingungen erlangt werden kann. Es ist ein Seinszustand, zu dem wir uns hinbewegen. Dafür ist das Alleinsein essenziell, bis es sich zum All-Eins-Sein wandelt. Aus der Zufriedenheit, die daraus entsteht, wirklich alles annehmen zu können, kann sich mit allen Sinnen die Glückseligkeit erheben. Kein Wenn und Aber hindert uns dann daran, dem Leben staunend zu begegnen, ein Wunder hinter allem zu erahnen. Wir werden dann nichts mehr analysieren, um einen Grund zum Staunen zu haben.

Wir begreifen, dass jeder Mensch eine Gemeinschaft ist, erfahrbar nur, wenn wir den Mut zur ureigenen Individualität leben und all die Muster, Begrenzungen, Vorstellungen und Vorlieben des abgetrennten Verstandesdenkens hinter uns lassen. Wir nehmen den Verstand als das, was er ist – ein wunderbares Werkzeug, das wir von unserem Herzen her anleiten.

Lasst uns den Blick der Schönheit zuwenden. Wir selbst sind von vollkommener Schönheit und von eben dieser Schönheit umgeben. Je mehr wir uns ihr zuwenden, uns ihr öffnen, desto mehr entziehen wir dem Destruktiven die Macht. Ich freue mich auf jeden Augenblick im Erfahren dieser Schönheit in mir, in dir, in uns allen.

 

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