von Anke Mrosla

Wenn der Sommer nicht mehr weit ist Und der Himmel violett
Weiß ich, dass das meine Zeit ist Weil die Welt dann wieder breit ist
Satt und ungeheuer fett

Wenn der Sommer nicht mehr weit ist Und der Himmel ein Opal
Weiß ich, dass das meine Zeit ist Weil die Welt dann wie ein Weib ist
Und die Lust schmeckt nicht mehr schal

Und dann will ich, was ich tun will, endlich tun
An Genuss bekommt man nämlich nie zu viel
Nur man darf nicht träge sein und darf nicht ruhn
Denn genießen war noch nie ein leichtes Spiel

Wenn mein Ende nicht mehr weit ist Ist der Anfang schon gemacht
Weil′s dann keine Kleinigkeit ist Ob die Zeit vertane Zeit ist
Die man mit sich zugebracht

Und dann will ich, was ich tun will, endlich tun
An Genuss bekommt man nämlich nie zu viel
Nur man darf nicht träge sein und darf nicht ruhn
Denn genießen war noch nie ein leichtes Spiel

Das Leben ergreifen und gestalten

Konstantin Weckers Lied von 2001 beschreibt die Schönheiten und die ungebändigte Lebensfreude, die der Sommer bereit hält. Der Sommer kommt und mit ihm eine Zeit unendlicher Möglichkeiten, vieler Feste und der Lust am voll gelebten Leben mit Sonne auf der Haut und dem Versprechen auf Erfüllung und Genuss. Was mich an diesem Song zur Zeit zu eigener Forschung anregt, ist der Appell nicht träge zu sein, nicht zu ruhen, weil Geniessen noch nie ein leichtes Spiel war und man von Genuss nie genug bekommt. Nie das Gefühl von Genug zu kennen, wie ermüdend muss das sein. Nicht träge sein dürfen, nicht ruhen, sondern das Leben ergreifen und gestalten.

Viele Menschen kennen heute den Anspruch an sich und andere und halten es zumeist für eine Tugend, alles zu erledigen, soviel wie möglich zu erleben, dran zu bleiben und den Dingen „asap“ also „as soon as possible“ zu Leibe zu rücken. Carpe Diem, denn das Leben ist kurz! In meinem eigenen Leben kenne ich vor allem sehr gut den Drang, den Dingen voraus sein und nichts unerledigt sein lassen zu wollen. Das hat unbestrittene Vorteile und lässt mich effektiv und gut organisiert meinen Alltag bewältigen. Leider fühlte es sich dann in den letzten Monaten auch manches Mal genau so an; ich habe es bewältigt, den Tag geschafft, die Dinge erledigt. Womit ich ihnen dann manchmal im übertragenen Sinne wirklich das Leben; die Lebendigkeit und die Freude genommen hatte.

Eine weitere Facette der Schattenseite des „den Dingen voraus seins“, mit der ich im Frühjahr häufiger konfrontiert war, ist die Endlosigkeit der Erledigungen bei gleichzeitiger Illusion, immer noch mehr schaffen zu können bzw. zu müssen. Als mir dieser Zusammenhang dämmerte, war der kurze Weg von meiner guten und geschätzten Tatkraft und Bereitwilligkeit mich einzusetzen zur Erledigungswut (Präkrastination) und ihren negativen Auswirkungen deutlich sichtbar. Seitdem bin ich dem Muster auf der Spur, dass die Tendenz hatte, mein Leben in ein endloses Hamsterrad zu verwandeln.

Auf der anderen Seite steht das Problem der uns ebenfalls wohl mehr oder minder allen wohlbekannten Aufschieberitis (Prokrastination). Laut einer Studie des Sinus Instituts bezeichnen sich ein Drittel aller Deutschen als ProkrastiniererInnen, die Dinge in allen wesentlichen Lebensbereichen, von sozialen Kontakten über Sport, bis zu Finanzen und Gesundheitsfürsorge auf die lange Bank schieben.

Wie also finden wir die Mitte zwischen dem zu viel und zu wenig tun? Die Antwort hierzu liegt vielleicht in unseren Prioritäten: Was ist mir wirklich wichtig im Leben; was läßt mich zufrieden, glücklich, hoffnungsvoll und gesund in der Welt stehen? Wenn ich mit Klienten über Prioritäten spreche, dann kommen wir häufig darauf, dass sowohl Prokrastinierern als auch Präkrastinierenden folgendes Phänomen gemeinsam ist: wir tun nicht das zuerst, was uns wirklich am Herzen liegt, sondern folgen konditionierten und fremdbestimmten Regeln, die uns das Unwichtige vor dem Wichtigen und das Wichtige vor dem Wesentlichen tun lassen.

Das Unwichtige und das Wesentliche

Hier ein klassischer Verlauf:

1. Unwichtiges: jede e-mail beantworten egal, ob sie wichtig ist oder nicht.
der Prokrastinierende hält sich damit vom Wesentlichen ab, der Präkrastinierende hat etwas, wo er einen Haken hinter machen kann und erlebt eine kurzfristige Befriedigung wenn die e-mail gesendet ist.
Innerliches Erleben: Wir fühlen uns überwältigt von der Vielzahl von uns to dos (tu du’s), die sich in unseren Tag drängen.

2. Wichtiges: berufliche und häusliche Routinearbeiten erledigen.
Der Prokrastinierende fühlt sich erschöpft, wenn er all diese basalen Dinge wie Wäsche waschen, Einkaufen, Aufräumen, Dokumentation und die Kontoauszüge abheften etc. erledigt hat. Die Präkrastinierende hat etwas, was wichtig ist erledigt und abgehakt.
Inneres Erleben: Die Kraft für Kreativität und Wesentliches nimmt im Verlauf des Tages deutlich ab.

3. Wesentliches: Zeit für Selbstfürsorge, Visionäres, Inspiration, Innovation und Kreativität, die mich erfüllen; allein oder mit anderen geteilt. Der Prokrasitinerende fällt vorher erschöpft ins Bett und ist von sich enttäuscht. Der Präkrastinierende schleppt sich noch z.B. ins Konzert, ist aber eigentlich schon nicht mehr wirklich präsent und der Genuss kommt nur noch zur Hälfte an.
Inneres Erleben: Ich schaffe es nicht oder nur mit Mühe ein gutes Leben zu leben, was ist los mit mir?

In meiner Forschung habe ich bislang gute Zwischenergebnisse für die Ebene des Unwichtigen und des Wesentlichen: Unwichtiges lasse ich in großen Teilen einfach weg oder schiebe es ans Ende eines Arbeitstages, wo ich dann schaue, was ich noch angehen mag von dem, was mir selbst nicht so wichtig ist. Auf der Ebene des mir Wesentlichen entscheide ich mich und treffe die Auswahl mit mehr Bewusstsein. Zur Zeit erlebe ich, wie erleichternd und friedvoll es sein kann, nicht alle Angebote wahrnehmen zu müssen, sondern meine Perlen des Genusses bewußt zu wählen, zu feiern und mich daran zu erfreuen.

Ehrlicherweise sind meine Antworten auf der mittleren Ebene, der Ebene des Wichtigen, welches alles umfasst, was, wenn es unerledigt bleibt, über kurz oder lang zu objektiven Schwierigkeiten führt noch sehr experimentell. Was vielleicht auch schon ein Teil der Antwort ist. Jeden Tag offen zu sein für meine momentane Kapazität und mit dem zufrieden zu sein, was heute geht.

Über Erfahrungsberichte der Lesenden zu dieser Ebene und Zuschriften über Eure persönlichen Tips und Tricks hier würde ich mich freuen.

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