Selbstfürsorge hat nichts mit Egoismus zu tun. Im Gegenteil. Je mehr wir uns selbst mit Achtsamkeit, Mitgefühl und Liebe begegnen, desto aufrichtiger können wir auch anderen mit dieser Haltung begegnen. Die Kunst der Entschleunigung versetzt uns überhaupt erst in die Lage, unsere eigenen Bedürfnisse wieder zu hören. Mit dem Entwickeln gesunder Selbstfürsorge können wir die Verantwortung für uns selbst übernehmen – wozu auch das Heilen alter Kränkungen gehören kann. Die Potsdamerin Ruth Knaup hat einen wunderbaren, hilfreichen Reisebegleiter geschrieben auf dem Weg zu Entschleunigung, Selbstfürsorge und mehr Lebensfreude.

 

Was hindert uns daran, wirklich unser eigenes Leben zu führen. Was blockiert uns auf unserem Weg?
Ruth Knaup: Zunächst einmal scheint mir wichtig, anzuerkennen, dass das Leben, das ich da lebe, so unvollkommen es auch auf den ersten Blick scheinen mag, sehr wohl “das eigene Leben” ist! Es hat einen Grund, warum ich bin, wo ich bin. Es hat Gründe, warum ich fühle, was ich fühle. Ich bin ein stimmiges Ergebnis meiner Lebensgeschichte. Das zunächst einmal anzuerkennen, das ist die Grundlage möglicher Veränderung. Der Dreiklang lautet: Wahrnehmen, annehmen, loslassen. Was da sein darf, das darf nämlich auch gehen.

 

Das heißt, mich anzuerkennen, wie ich jetzt gerade bin, ist der erste Schritt
Ruth Knaup: Ja, Selbstfürsorge ist etwas ganz anderes als Selbstoptimierung. Ich versuche eben gerade NICHT verzweifelt, eine andere, bessere Ausgabe meiner selbst zu werden. Sondern ich versuche, genau die lieb zu haben, die ich bin. Und mir deshalb auch genau den Raum zu geben, den ich brauche. Sich diesen Raum zu nehmen, das erfordert Mut. Es erfordert auch eine gewisse “Schuldfähigkeit”. Ich muss akzeptieren lernen, dass ich nicht immer alle Menschen glücklich machen kann, sondern meine Mitmenschen gelegentlich enttäuschen muss, wenn ich meine gesunden Grenzen respektiere.

 

Um mit mir zufrieden sein zu können, muss ich meine tiefen, meine wahren Bedürfnisse erkennen. Doch das ist nicht immer leicht.
Ruth Knaup: Die eigenen Bedürfnisse wieder besser wahrnehmen zu lernen, das ist gar nicht so schwer! Unser Körper weist uns nämlich permanent auf sie hin. Wie haben ein Bedürfnis nach genügend Schlaf und angemessener Nahrung, nach Intimität und Nähe, nach Bewegung und Spiel. Wir sind im Wesentlichen (kreativ) Forschende und Liebende. Von all dem erzählt der Körper in jedem Augenblick. Der Nacken schmerzt, weil wir zu viel Sitzen, wir sind unruhig, wenn Nahrung, Bewegung und körperliche Intimität fehlen, wir sind müde vor Stagnation, Langeweile und Überfressenheit. Wenn wir auf die Signale unseres Körpers hören, sind wir also ruck-zuck bei unseren Bedürfnissen.

 

Das klingt so einleuchtend, so selbstverständlich. Aber manchmal fällt es eben doch sehr schwer, alte Blockaden zu lösen und sich wahrzunehmen.
Ruth Knaup: Alte Blockaden lassen sich am besten mit viel Liebe “abschmelzen”. Wir können lernen, uns selbst ein guter Vater bzw. eine gute Mutter zu sein. Dann brauchen wir die Blockaden nicht mehr zu unserem Schutz. Wir können sie loslassen, weil wir sicher sind bei uns selbst. Dazu ist es hilfreich, zunächst einmal hinzuschauen, in welchen Zusammenhang wir uns diese Blockaden, diese “Schutzwälle”, überhaupt zugelegt haben, wozu sie einmal notwendig waren. Meist haben sie uns vor (kindlichen) Ohnmachtsgefühlen, Verletzungen und Ängsten geschützt. Wenn wir diese Kränkungen jetzt ansehen, annehmen und integrieren können in unsere Lebensgeschichte, dann verlieren sie ihre Macht über uns. Dann werden sie zu “alten Gespenstern”, die wir im Hause dulden können, weil wir wissen, dass sie harmlos sind- und wir, wenn sie zu dolle nerven, mit ihnen reden können!

 

Brauchen wir Schlüsselerlebnisse um zu wachsen? Privaten oder berufliche Schicksalsschläge erweisen sich oftmals im Nachhinein als positiver Auslöser, das Leben zu ändern.
Ruth Knaup: Persönlichkeitswachstum ist kein “Sprung”, kein Baum wächst “sprunghaft”. Es ist ein Prozess des Wurzeln schlagens und sich Entfaltens. Dieser Prozess dauert das ganze Leben über an. Er braucht Geduld, Achtsamkeit und Respekt uns selbst gegenüber. Manchmal gibt es aber auch “Schlüsselerlebnisse”. Diese sind oft schmerzhafter Art. Wenn Menschen wegen Burn-Out in der Klinik landen, wird ihnen endlich klar, dass ihr Körper sie sehr drastisch darauf hinweist, dass sie ihre Bedürfnisse seit langem systematisch überhören. Aber auch von hier ist der Weg in ein besseres, ausbalancierteres Leben eine lange Wanderung durch verschiedenste innere und äußere Landschaften. Eine Art Pilgerweg zu sich selbst. Und den gehen wir unser Leben lang.

 

Wie tue ich Gutes für mich?
Ruth Knaup: Das, was man sich selbst Gutes tun kann, ist oft sehr einfach und einleuchtend. Wie beispielsweise genug zu schlafen, sich gut zu ernähren und Freiräume für Bewegung und Erholung einzuplanen. Man sollte darauf schauen, was einem Spaß macht und einen glücklich macht. Herausfinden, wo man aufblüht und Situationen meiden, die Energie rauben. Aber auch Raum für Nähe und Intimität zu schaffen, ist gut. Und auf die Bedürfnisse des Körpers zu hören, da diese oft auch Bedürfnisse der Seele widerspiegeln. Verantwortung für sich selbst zu übernehmen tut gut. Man kann und muss es nicht allen recht machen. Im Gegenteil, man sollte sich selbst wichtig nehmen, seine Grenzen erkennen und akzeptieren. „Märtyrer/innen- Verhalten“ vergiftet soziale Beziehungen. Engagement für andere und die Welt ist gut – man sollte aber selbst immer handlungsfähig bleiben.

 

„Man lebt nur einmal. Aber wenn du es richtig machst, dann reicht das auch!“
Ruth Knaup: Ja, der Satz von Mae West stimmt absolut. In unserem täglichen Streben nach Selbstoptimierung und Ressourcensicherung vergessen wir viel zu oft, dass die herrlichste Lebenslust dort auf uns wartet, wo wir kein bisschen vernünftig, angepasst und zielorientiert handeln. Am Ende seines Lebens bereut man vor allem die Dinge, die man NICHT getan hat! In meinen Beratungen begegnet mir oft der Irrglaube, dass man das Leben nur mit disziplinierteren Management bewältigen kann. Das Gegenteil ist der Fall: Nicht Selbstdisziplin, sondern Selbstfürsorge führt zu Wohlbefinden und Glück.

 

In Ihrem Buch zu schmökern, ist wie eine Auszeit.
Ruth Knaup: Selbstfürsorge ist kein ‚Luxusprodukt‘, um das man sich irgendwann mal kümmern kann, wenn Zeit übrig ist. Im Gegenteil: Mein Buch ist ein Notfallköfferchen, ein Erste-Hilfe-Set. Es ist keine Glückspille und betäubt auch keinen Schmerz. Aber es kann immer wieder helfen, mit Zeiten von Belastung und Schmerz leichter und nachhaltiger fertig zu werden. Es kann inspirieren und Mut machen, nicht aufzugeben, sondern das Leben und die Beziehungen aktiv und selbstverantwortlich weiterzuentwickeln. So wie einen kleinen Reiseführer kann man es ins Regal stellen und immer wieder einmal hervorholen, um sich an Schönes zu erinnern oder um sich vorzubereiten auf ein neues Wegstück. Ich wünsche jedem eine gute Reise!

Ruth Knaup
NOW! Jetzt sorg ich gut für mich
Entschleunigung • Selbstfürsorge • Lebensfreude
160 Seiten
Flexobroschur mit farbigem Vorsatz und Spotlackierung
Durchgehend 4c mit zahlreichen Fotos und Illustrationen
ISBN 978-3-95803-092-3
€ 17,99 (D) / € 18,50 (A)
Trinity Verlag
ET: Februar 2017

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