von Ralf Dietrich

„Das Bewusstsein der Verbundenheit
mit früheren Generationen kann
wie eine Rettungsleine durch
die schwierige Gegenwart sein.“
    John Dos Passos (1896-1970)

Diese Verbundenheit mit seinen Vorfahren stellt sich mit dem Wissen um deren Lebensumstände und Persönlichkeiten ein. Dies kann Zuversicht und Orientierung geben und auch die Verantwortung, die man für die Nachkommen trägt, bewusster machen. Zudem führt die Beschäftigung mit der Geschichte seiner Familie zu einer wachsenden Verbindung zu den Regionen und Orten, die unsere Vorfahren einst bewohnten, sowie zu ihren Gewerken. Selbst die von ihnen durchlebten historischen Ereignisse kommen uns näher. Ahnenforschung ist eine faszinierende Zeitreise zu den eigenen Wurzeln, die uns vielfältig fördert und bereichert. Dabei beschränkt sich diese eben nicht nur auf die Beschäftigung mit Verstorbenen. Vielmehr ist Familienforschung sehr lebendig, stärkt oder knüpft innerfamiliäre Verbindungen zu Verwandten. Denn mit dem Austausch in der Familie beginnt ja das Abenteuer.

Innerfamiliäre Bindungen werden gestärkt oder erneuert – Kraftorte entstehen

Über den Austausch mit Verwandten und Freunden der Familie zu den Lebensgeschichten der Vorfahren, über das Sammeln und Weitergeben von Wissen und Überlieferungen können innerfamiliäre Bindungen gestärkt bzw. wiederbelebt werden. Nicht selten begründet die Beschäftigung mit den Vorfahren große Familientreffen, die sich schließlich tradieren und zu starken Netzwerke herausbilden können.

Recherchen zu den Wohn- und Wirkungsorten unserer Vorfahren sind sehr aufschlussreich, insbesondere wenn wir uns dorthin begeben. Nicht selten finden sich noch Spuren unserer Ahnen. Gespräche mit Ortskundigen können außerdem ganz neue Perspektiven eröffnen, eventuell Projekte anstoßen und wieder neue Verbindungen zu den Orten und ihren Bewohnern schaffen. Mich selbst ergreift in der Umgebung, wo meine Vorfahren bis vor etwa 150 Jahren über drei Generationen lebten, liebten, arbeiteten und starben, irgendwie ein Gefühl der Geborgenheit. Es ist wie ein „nach Hause Kommen“, wenn ich dort hinreise. Dabei waren dieser Ort und die mit diesem verknüpfte Familiengeschichte meinem Vater noch fremd und sind nicht überliefert worden. Meinen Kindern habe ich natürlich dieses schöne Fleckchen Erde um den Stechlin und die Verbindung zu unseren Vorfahren nahe gebracht. Inzwischen gibt es im Zusammenwirken mit vielen hilfsbereiten Menschen dort auch Hinweisschilder und Informationstafeln, die an meine Vorfahren und ihr Wirken erinnern.

In jeder Familiengeschichte findet sich etwas Spannendes – Verbindungen zu geschichtlichen Ereignissen und alten Gewerken

Wenn wir uns mit den alten Gewerken oder Berufen unserer Vorfahren beschäftigen, lernen wir nicht nur viel dazu, wir fühlen uns diesen dadurch auch verbunden. Auch hier können durch Kontakte zu Experten, Museen etc. wieder interessante Menschen in unser Leben treten, die uns bereichern. Schließlich können wir selbst zu Experten werden. Seit meinen Forschungen publiziere ich und halte Vorträge zu dem weitgehend in Vergessenheit geratenen Waldgewerbe meiner Vorfahren, der Teerschwelerei.

Ich kann versichern, dass jede Familiengeschichte Spannendes zu berichten weiß. Das können ganz persönliche Storys oder eben die Verknüpfungen von der privaten zur Regional-, Landes- oder Weltgeschichte sein.  Auch hier verbinden wir uns über die Recherchen mit der Historie. Wie ich erleben konnte, ist es auch für Kinder faszinierend, wenn ihre eigene Familiengeschichte mit bekannten historischen Ereignissen verknüpft ist. Das kann sie für Geschichte begeistern und diese Verknüpfungen werden auch im Unterricht in Vorträgen oder Arbeiten zumeist geschätzt.

Es ist mehr überliefert als vermutet

Gerade was das 18. und 19. Jahrhundert betrifft, hinterließen unsere Vorfahren in den Archiven mehr Schriftgut, als allgemein vermutet wird. Aus Briefen an die Obrigkeiten, Pachtverträgen, Patenten, Prozessakten usw. lassen sich oft sehr detailliert die Lebensumstände unserer Vorfahren erschließen. Es finden sich selbst zu Angehörigen der ländlichen Unterschicht optisch schöne, teils besiegelte Schriftstücke oder verzierte, kolorierte Karten von Pachtländereien.

Von besonderem Interesse oder auch von Brisanz kann der familiäre Kontext während der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg sein. Denjenigen, die befürchten, dass eventuell sehr unliebsame Details über die eigenen Vorfahren zu Tage gefördert werden, kann ich nur raten, sich dennoch um Aufklärung zu bemühen um das Geschehene nicht weiter zu verdrängen. Mit Gewissheiten kann man umgehen und diese in historischen Zusammenhängen begreifen.

Wurzeln geben Halt, Kraft und Orientierung – wenn wir sie kennen

Das Wissen darum, wie und warum Der- oder Diejenige damals so handelten, kann uns für das Heute wappnen. Es kann auch ermutigen, sich den Herausforderungen des Hier und Jetzt mit Kreativität zu stellen. So inspirierte mich zum Beispiel der Berufswechsel meines Großvaters während der Weltwirtschaftskrise, als ich nicht wusste, wie es nach meinem Geschichtsstudium weitergehen sollte. Oder es gab mir in schwierigen Situationen Kraft, dass meine Großmutter ihren Lebensmut und Humor bewahrt hatte, obwohl sie so viel Leid erfahren musste. Erkenntnisse über die Lebensumstände der Groß- oder Urgroßeltern können auch Erklärungen oder Verständnis für bestimmte charakterliche Merkmale schaffen, wenn nicht sogar transgenerationale Traumata auflösen.

Letztendlich wird sich bei der Betrachtung über Generationen erweisen, dass unsere Vorfahren zumeist bemüht waren, das Leben ihrer Nachkommen allen Widrigkeiten zum Trotz zu sichern. Wie auch immer, wir verdanken ihnen unsere Existenz.

„… und sollst einst wissen,
dass dieses Leben süßer Atem,
dass dieser Herzschlag tiefes Eigentum
nur Lehen ist, und dass durch euer Blut,
Vergangenheit und Ahnenerbe
und fernste Zukunft rollt,
und dass für jedes Haar auf eurem Haupte
ein Kampf, ein Weh, ein Tod gelitten ward.“
Hermann Hesse (1877-1962)

So sollten wir unserer Vorfahren gedenken, sie und ihr Schicksal vor dem Vergessen bewahren. Als Historiker und Genealogen biete ich gern meine professionelle Hilfe bei dieser spannenden Zeitreise in die eigene Geschichte an.

 

Kleine Fotos
oben: Ausschnitt Schmettausche Karte, Brandenburg-Sektion 37, Rheinsberg, 1767-1778. Quelle: Original in der Staatsbibliothek zu Berlin Preussischer Kulturbesitz, Reprint herausgegeben von der Landesvermessung und Geobasisinformation Brandenburg, Potsdam 200
Mitte: von Hulda Dietrich mit ihren Söhnen Julius und Paul. Quelle: Familienarchiv Ralf Dietrich.
unten: Karte von Vielitz- und Sieverts-Ofen in der Königlichen Menzer Heide von 1756. Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preussischer Kulturbesitz (GStA PK) XI. HA Karten, Allgemeine Kartensammlung, Nr. C 570.

 

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