Innere Stille und Kämpfen scheinen zunächst unvereinbare Begriffe zu sein. Bei näherem Hinsehen entdeckt man aber, dass echte Kampfkunst und Stille in enger Beziehung stehen.

 

Der Mensch wird nur still, wenn er einen Zustand unmittelbarer Wahrnehmung seines Inneren erreicht. Schranken und Mauern verbergen ihm allerdings häufig seine Innenwelt. Der eingeschränkten Wahrnehmung seiner selbst entspringt dann ein Verlustgefühl, das den Menschen zu permanenter, unruhiger Jagd nach Erlösung antreibt. Nimmt man hingegen sich und die Umwelt ohne Einschränkung wahr – also ohne Begrenzungen nach innen und außen –, hat man kein Verlangen mehr nach Antworten, da es keine tiefere Antwort als die unmittelbare Erfahrung des Seins gibt. Stille stellt sich dann ganz natürlich ein.

In innerer Stille geschieht auch etwas Körperliches. Keine inneren Lasten stehen dem natürlichen Schwung und Impuls des Körpers mehr entgegen. Muskeln und Organe sind frei und können bis in die tiefsten Ebenen hinein zusammen schwingen. Auf diese Weise unbeschwert, entfalten sie anstrengungslos ungeheure Kraft und Energie. Diese Anstrengungslosigkeit und Kraft stieß natürlich auch bei Kampfkünstlern auf großes Interesse. Die Idee der Beruhigung des Inneren, die sie voraussetzt, wurde von vielen asiatischen Kampftraditionen spätestens ab dem siebten Jahrhundert aufgegriffen und entscheidend weiterentwickelt.

 

Kampfkunst: Angst überwinden

Ein weiterer Grund, warum innere Beruhigung für Kampfkünstler zentrale Bedeutung bekam, liegt in der Natur innerer Bewusstseinsschranken – sie sind Ausdruck von Angst. Je mehr verfestigte Barrieren man in sich trägt, desto mehr fürchtet man das Loslassen des gerade manifestierten Lebens. Loslassen scheint einen Sturz in ein furchterregendes Nichts zu bedeuten. Man hat Todesangst.

Lähmende Todesangst zu überwinden und einen klaren Kopf zu bewahren, wenn es auf Leben und Tod ging, war für mittelalterliche Kämpfer naturgemäß sehr wichtig. Im geistigen Teil des Kampfsporttrainings findet man darum eine Fülle von Pfaden zu geistiger Beruhigung und innerem Frieden. Wie in jeder meditativen Übungstradition sind Kampfkunsttechniken aber nur Gehhilfen auf dem Weg zu sich selbst. Geistiges und körperliches Kampfsporttraining macht dem Übenden ein Angebot, das er in vielerlei Weise nutzen kann. Wer es zur Unterstützung seines Pfades zur inneren Wahrheit annimmt, wird auf diesem beflügelt. Die substantiellen Schritte zur Offenlegung der inneren Wahrheit in all ihrer Anstrengung, in Trauer und Schmerz, muss man aber trotzdem gehen. „Verschlüsse“ zu öffnen, ist allerdings schwer. Eingemauerte Angst, Schmerz und Verzweiflung  bilden einen Schutzwall, der uns, zumeist unbemerkt, immer wieder forttreibt. Innerhalb des Bewusstseinsrahmens, der dadurch für unser Leben gesetzt wird, können wir nicht einmal verstehen, wie die Welt jenseits davon aussieht. Alle Aktivität, die wir entfalten, läuft ebenfalls nur in diesem Rahmen ab, hilft also meistens noch, die Einengungen zu maskieren. Was also kann uns den Weg nach innen freischaufeln?

 

Innere Barrieren fortspülen

Durch jeden von uns fließt Lebensenergie, die alle Teile unserer Lebenswelt erfasst. Wenn wir diese ihren natürlichen Weg nehmen lassen, spült sie innere Hindernisse von selbst weg. Das geschehen zu lassen, erfordert allerdings völlige Hingabe an das eigene Sein. Das heißt: Wir kontrollieren uns nicht mehr, sondern vertrauen uns gänzlich unserem Inneren an und lassen uns von diesem tragen, wohin es will. Meistens genau in die Regionen, die wir unbedingt vermeiden wollen. Den Impulsen, etwas tun zu müssen, nicht zu folgen und sich dem Sein zu überantworten, gibt diesem die beste Chance, sich zu offenbaren. Sich ins Nichts fallen zu lassen, ist Voraussetzung dafür, sich selbst zu finden.

Kampfkunst regt den inneren Kreislauf auf verschiedenste Weise an. Das Training macht den Körper weich und lässt innere Hindernisse ihren Halt verlieren. Bewegungsformen führen den Körper auf energetisch günstige Bahnen. Im Kampf testet die Präsenz des Gegners, ob wir uns wirklich über unsere Ängste erhoben haben. Nur wenn wir im Training wie im Kampf gänzlich darauf verzichten, irgend etwas zu tun, und uns stattdessen – konfrontiert mit all unseren Überlebensinstinkten, die eine Verteidigung oder Flucht fordern – gänzlich in unser Sein fallen lassen, kann das Kampfkunst -Training zu innerer Wahrheit und Stille führen. Kampfsport ist deshalb voll von Versuchungen und Gefahren für die innere Stille.

Der Weg der Stille in Berlin konzentriert Karatetraining auf das Wesentliche – den Mut sich zu verlieren. Ob rein kontemplativ oder das physische Vollprogramm, das Training ist auf innere Demut ausgerichtet. Es lässt dem Übenden keinen Ausweg als nach innen und zwingt ihn in die Weichheit. Es ist ein jeder Ausrede entkleideter, höchst wirkungsvoller Begleiter auf dem Weg zu seinem eigenen Ich.


Abb.: © Kameradist Wagner

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