Osteopathie und Trauma – das ist ein gutes Gespann, denn die Heilung der Seele geht über den Körper.

Von Sandra Hintringer

Häufiger, als uns lieb ist, überrumpelt uns das Leben mit Schicksalsschlägen, die man unter dem Oberbegriff Trauma zusammenfassen kann. Die meisten von uns kennen solche Situationen – meist verbunden mit einer anfänglichen Schockstarre, die glücklicherweise meistens von funktionierender Betriebsamkeit abgelöst wird. Nach ein paar Wochen, Monaten oder auch erst Jahren folgen dann bei manchen Menschen posttraumatische Erschöpfung, starke Schmerzen und immer wieder „überlaufende“ Gefühle wie Wut oder Traurigkeit. Oft erkennen wir uns selbst nicht mehr. Osteopathie bietet in diesem Fall sanfte und annehmende Unterstützung. Ziel ist das Lösen von Spannungen im Körpergewebe und damit eine Regulation im Nervensystem.

Umgangssprachlich hat sich das Wort Trauma für ein unverarbeitetes Ereignis und damit für einen instabilen seelischen Zustand etabliert. Genau betrachtet bezeichnet es jedoch ausschließlich das verursachende Ereignis. Dies kann eine schwere seelische Erschütterung wie der plötzliche Verlust von Angehörigen sein oder auch eine mechanische Verletzung des Körpers, die ein scheinbar banales Stürzen beim Stadtbummel nach sich zieht. Geschehen die Dinge zu schnell, zu unverhofft oder in einer zu großen Intensität, gerät unser Körper, explizit das Nervensystem, in eine Überforderungssituation. Er kann das Erlebte nicht schnell genug integrieren und verharrt nun wie eingefroren innerhalb der nicht abgeschlossenen Reaktionskette, die auf einen äußeren Reiz normalerweise folgt. Wie gern hätte er sich gewehrt. Wie gern wären nach dem medizinischen Eingriff ein paar Tränen einfach so heraus geflossen, doch all das schickte sich in dem Moment nicht.

Wie gern hätte er den Schreck einfach rausgezittert, doch dann wurde er ruhiggestellt. Unabhängig vom Ursprungsereignis verbleibt eine hohe Anspannung im Körper.

Trauma und die Folgen

Alle Symptome und Verhaltensweisen, die auf solche Überforderungssituationen zurückzuführen sind, bezeichnet man als Traumafolgestörung. So unangenehm die Umstände sich dann auch anfühlen mögen und so sehr sie oft zu großer Sorge um die eigene Gesundheit führen, zeigen sie dennoch nur den derzeitigen Zustand des Nervensystems: ein Nervensystem, das entweder total erstarrt ist oder sich völlig aufgeschreckt unentwegt auf der Flucht befindet. Meine Klienten formulieren dann so Sätze wie: „Ich komme überhaupt nicht mehr selbst runter.“

Wir erleben ein Nervensystem, das verlernt hat, sich physiologisch selbst zu regulieren. Symptome wie Schreckträume, Einund Durchschlafstörungen, Verdauungsbeschwerden, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und sozialer Rückzug treten auf. Sie werden mit der Zeit nicht einfach besser, sondern gestalten sich zunehmend unangenehmer. Dieser kraftzehrende Zustand besteht zumeist über viele Monate und Jahre und treibt denjenigen, der sie hat, schier in den gefühlten Wahnsinn.

Die gute Nachricht: Die Symptome sind einfach Botschaften unseres Nervensystems und alle veränderbar. Sich Hilfe zu holen ist dabei keine Schande, sondern Ausdruck von hoher Selbstverantwortung. Von Traumata Betroffene sind auch keine Einzelfälle, vielmehr ist die Zahl der Betroffenen sehr hoch. Allerdings erkrankt nicht jeder, der Schreckliches erlebt hat, zwangsläufig an einer Traumafolgestörung. Die Regulationsfähigkeit eines jeden Körpers ist unterschiedlich und auch von verschiedenen Faktoren abhängig. Wie hoch die psychische Widerstandsfähigkeit ist, also die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen (Fachbegriff: Resilienz), hängt auch von den persönlichen und sozialen Ressourcen des Einzelnen ab.

Wurde einem Menschen im Schadenfall wohlwollende Hilfe zuteil? Gibt die Einbindung in ein funktionierendes soziales Netzwerk die dringend benötigte Unterstützung? Existieren Freunde, Bekannte und Verwandte, die einem in schweren Stunden zur Seite stehen? All das hilft, Geschehenes ohne Spätfolgen einfach als Lebenserfahrung zu integrieren.

Die Aufgabe der Osteopathie

Als Folge von Traumata finden wir als Osteopathen im Körpergewebe häufig starke Verspannungen in der Muskulatur sowie eine Starre im Bindegewebe. Der sogenannte craniosakrale Rhythmus, ein dem Körper innewohnender autonomer Puls, stagniert. Der Körper wirkt unvital, fast betonartig. Unsere Klienten fühlen sich dann häufig müde, antriebsgemindert und gleichzeitig auch hochnervös.

Fehlender Schlaf raubt dem Körper die Möglichkeit, sich selbst zu regulieren. Ein einziges Durcheinander. Nicht immer ist den Menschen bewusst, dass es sich um eine Traumafolgestörung handelt. Oft hat das Gehirn das auslösende Ereignis längst vergessen. Doch der Körper merkt sich alles und reagiert entsprechend mit Symptomen. Hochsensibel. Sanft, zurückhaltend und vor allem ohne Absicht nehmen wir Osteopathen über unsere Hände Kontakt zum Körper auf. Listening – also Hineinhören ins Gewebe – nennen wir das. Gesundes Körpergewebe ist in sich dynamisch und hat damit fließenden Charakter. Alle Strukturen gehen ineinander über. Es herrscht das Prinzip der Kontinuität. Im beginnenden Kontakt führt mich das Gewebe durch verstärkten Zug zum Punkt der größten Spannung. Das kann eine Narbe sein oder eben die Aufprallstelle nach einem Sturz.

Nicht selten sind der Klient und auch ich überrascht, wenn wir beim Behandeln eine Stelle finden, die im eingehenden Aufnahmegespräch überhaupt kein Thema war. Wie schon erwähnt: Das Gehirn vergisst manchmal, das Gewebe jedoch nie. Vertrauen zum Behandler und Wohlgefühl stellen hierbei eine ganz wichtige Basis für die Heilung dar. Sicherlich lernen wir Osteopathen bestimmte Handhaltungen und spezielle Techniken, dennoch wirken Behandler und Klient immer zusammen. Ein Team, das auf Augenhöhe agiert. Bestehend aus einem Behandler, der die Bedürfnisse und vor allem die Grenzen des Behandelten respektiert, und aus einem Klienten, der im geschützten Raum selbstbewusst lernt, seine Bedürfnisse zu erkennen und wieder zu äußern.

Die Ressource des inneren Beobachters

Das Respektieren von Grenzen ist bei der Heilung von Traumata essentiell. Das Körpergewebe spricht nur dann, wenn es sich wirklich absolut sicher fühlt. Denn solch eine Überforderung wie beim Trauma will es garantiert nicht noch einmal erleben. Die oft dauerhaft erhöhte Spannung im Körper kann man demnach als unbewusstes Schutzmuster interpretieren. Will ich als Behandler zu viel, werde ich vom Unterbewusstsein als gefährlicher Angreifer identifiziert. Der Körper zieht sich zurück und baut erneut Abwehrspannung auf. Nähere ich mich in respektvoller Stille, entspannen die Körpersysteme und der Heilungsprozess beginnt. Und so ermuntere ich gern meine Klienten, den Behandlungsvorgang mit dem inneren Beobachter zu verfolgen: entweder das Weitwerden und Lösen oder aber eben den berechtigten Rückzug. Respektieren wir diesen Rückzug, dann lernt und verhandelt unser Gehirn die Situation neu und es gibt eine Chance auf Verbesserung der gegenwärtigen Situation.

Je nach Befinden des jeweiligen Klienten werden innerhalb einer Behandlung verschiedene Körperbereiche in den Fokus der Aufmerksamkeit genommen. Hierbei erfahren die Wirbelsäule und der Kopf sowie das Becken besondere Aufmerksamkeit. Auch Nervenaustrittstellen und Nervenverlaufsbahnen wollen frei sein von Irritation durch benachbartes Gewebe. Aber auch die Arme und Beine sind nicht zu vernachlässigen. Oft haben sie die Kräfte von Stürzen absorbiert und bilden das Sturzmuster im Gewebe noch ab. Lösen sich diese eingefrorenen Energien, läuft das auslösende Ereignis manchmal noch einmal vor dem inneren Beobachter ab, bevor sich Entspannung und Frieden einstellen.

Ganzheitlichkeit wird erlebbar

Eine osteopathische Sitzung ist oft weit mehr als nur ein passives Drücken verschiedenster Körperstellen, das Entblockieren von Wirbelgelenken oder das vielzitierte Auflegen der Hände. In achtsamer Stille begegnen wir Gedanken, Bildern, Gefühlen – manchmal auch begleitet von plötzlich auftretenden körperlichen Bewegungen der auslösenden Momente des Traumas. Auf einmal taucht da die uralte Geschichte des Sturzes vom Apfelbaum oder die Rangelei aus Kindestagen wieder auf, bei der wir uns verletzt haben. Nicht nur der Klient ist dann häufig überrascht, wie dankbar der Körper sich offenbart und selbst entwirrt, denn genauso heißen übersetzt die sogenannten „Unwinding“-Techniken. Das Gewebe kommt wieder ins Fließen. Das Bewusstsein für den eigenen Gesundheitszustand und den eigenen Körper steigt. Die Ganzheitlichkeit unseres Lebens in allen seinen Bezügen wird während einer solchen Situation konkret erlebbar. Menschen erhalten in diesen Sitzungen mehr Klarheit, Hoffnung und Vertrauen in die Kompetenz ihres Körpers zur Selbstheilung. Was Osteopathie grundlegend von anderen klassischen Therapieverfahren zur Traumaheilung unterschiedet, ist die Tatsache, dass das Trauma an sich überhaupt nicht im Vordergrund steht. Osteopathie arbeitetet nicht-konfrontativ – das ist für viele Klienten enorm erleichternd. Erlebtes darf, muss jedoch nicht erzählt oder durchgearbeitet werden. Primär kümmert sich der Osteopath um die Normalisierung der Gewebespannung des Körpers. Natürlich kommen hierbei auch persönliche Dinge des Klienten zur Sprache, dennoch ist Sprechen nicht das hauptsächliche Werkzeug. Um eine Lösung der Spannungen im Körpergewebe zu erreichen, muss ich als Therapeut nicht wissen, was dem Klienten passiert ist. Vielmehr betrachte und behandele ich den Körper und beobachte und fühle seine Reaktionen auf meine Intervention. Ziel ist immer das Wiederherstellen der Selbstregulation des Körpers.

Traumaheilung und Gesellschaft

Man könnte sagen, dass Traumatisierungen ansteckend sind. Natürlich nicht im Sinne einer Weitergabe von Viren oder Bakterien, sondern als Ursache für weitreichende Folgen im zwischenmenschlichen Bereich. Längst ist Co-Traumatisierung ein anerkannter Begriff. Symptome wie Rückzug, Bindungsängste, verbales oder körperliches Attackieren, Ausagieren von Wut oder das erschöpfende Ertragen stummer Traurigkeit sind aus der Sicht eines traumatisierten Körpers oft notwendige Überlebensmuster, um wenigstens einigermaßen existieren und sich durchs Leben schleppen zu können. Doch was macht das mit den Mitmenschen? Mit den eigenen Kindern, Partnern oder Freunden? Das Schicksal eines traumatisierten Menschen wird oft lange von Familie und Freunden mitgetragen und führt auch bei diesen irgendwann zu Erschöpfung, Verzweiflung und Aggression. Wenn wir global mehr inneren und äußeren Frieden wollen, ist es darum wichtig, überall Wege zur Traumaheilung zu ebnen. Manchmal sind diese Wege anstrengend und steinig. Doch sie sind eine große Chance für uns alle. Osteopathie kann hierbei einen wichtigen Beitrag leisten.

Eine Antwort

  1. Madeleine
    Vielen Dank!💐

    Was für ein toller Artikel! Vielen Dank dafür und für das tiefe Verständnis, dass ihm inne wohnt. Ich selbst bin von diversen Traumata betroffen und leide darunter. Ich hoffe auch hier einen Therapeuten/Osteopathen zu finden, der das so zu „fühlen“ vermag. Herzlichen Dank und liebe Grüße

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