Warum ein Stimm-Training auch für Männer Sinn macht, erklärt Philip Hellmann

In Seminaren zur Stimmbildung befinden sich oft zwölf Frauen und ein Mann. Ich selbst war während meiner dreijährigen Ausbildung zum Atem-, Sprech- und Stimmlehrer in einer Klasse mit siebzehn Frauen und drei Männern. In weiteren Fortbildungen zum Thema Stimme befand ich mich oftmals allein unter Frauen oder mit einem oder zwei weiteren männlichen Mitstreitern. Das war nicht unangenehm und zuweilen auch schmeichelhaft – doch von Anfang an war ich interessiert an der Entwicklung, Erforschung und Befreiung meiner eigenen männlichen Stimme.

Wie konnte ich durchdringen zu der stimmlichen Ausdruckskraft, die ich seit Kindertagen still und heimlich in mir spürte und die gleichzeitig Jahr für Jahr unerreichbarer zu werden schien? In Ausbildung und Fortbildungen voller toller Frauen verstand ich vieles in Bezug auf die menschliche Stimme und lernte zudem Techniken, die sie mir als Instrument zunehmend greif- und erfahrbarer machten. Doch eine Frage blieb stets unbeantwortet: Wie bekomme ich einen Zugang zu den spezifischen Kräften, die meine Stimme als Mann ausmachen?

Heute leite ich selbst Workshops mit dem Titel „Männerklang“, die die Entdeckung, Erforschung und Erweiterung der männlichen Stimme zum Thema haben. Bis zu diesem Punkt war es ein weiter Weg, auf dem ich – meiner Wahrnehmung nach – immer wieder am Anfang stand und stehe. Ich nahm teil an Männerinitiationen, besuchte Männergruppen und setzte mich in Seminaren mit den männlichen Archetypen des Kriegers, Königs, Liebhabers und Magiers auseinander. Irgendwann bekam ich die Chance, meine Stimmarbeit unter Männern zu erproben und zu entwickeln – und es eröffnete sich ein riesiges, neues, berührendes Feld. All die Ängste, Fragen und Unsicherheiten, mit denen ich mich selbst bezüglich meiner eigenen Stimme seit Jahren auseinandersetzte, fand ich plötzlich in den Stimmen, Körpern und Atemmustern der anderen Männer gespiegelt: das Gefühl, nicht mehr laut werden zu können und alleine zu sein mit einer Kraft, für deren direkte Umsetzung es keinen Kanal zu geben schien.

In wichtigen Situationen einen Kloß im Hals zu haben. Nicht mehr singen zu können oder zu wollen. Sich nicht wirklich anwesend im eigenen Körper zu fühlen und keinen Zugang zur eigenen Atmung zu finden. Kurz: den spontanen und ungehemmten Zugang zur eigenen Stimme verloren zu haben und sich in einer stimmlichen Identität gefangen zu fühlen, die im Allgemeinen nicht sehr viel Spielraum lässt für neue Höhen und Tiefen.

Das Instrument vorbereiten

Was also können wir in Workshops wie „Männerklang“ konkret auf stimmlicher und körperlicher Ebene tun, um uns dieser scheinbar verlorenen männlichen Ausdruckskraft wieder anzunähern? Zunächst widmen wir uns der Atmung – der Verbindung von Lungen- und Zwerchfellaktivität, der Erweiterung der Atemräume sowie der Entwicklung und Lockerung der Atemmuskulatur. Hierbei stoßen wir zuweilen auf tiefe muskuläre Verspannungen und Blockaden, die mit der Umsetzung der Atemkraft auf die Stimmvibration im Körper zusammenhängen.

Nach und nach erarbeiten wir uns die körpereigenen Resonanzräume, die, wenn die Stimme frei in ihnen schwingen kann, wie regulierbare Verstärker für das eigene Klangvolumen wirken können. In einer aus etwa zwölf Männern bestehenden Gruppe erobern wir uns somit Stück für Stück unseres eigenen Körpers – dem Instrument und der Basis für unsere Stimme – zurück. Das funktioniert nur in einem gemeinsamen Einlassen auf ein sehr persönliches, körperliches und gleichzeitig ungewohntes Thema. Wir können unsere authentische Stimme nur finden ohne den Druck zu imponieren, stärker oder besser als der andere sein zu müssen. Im Gegenteil: Dieses Unterfangen erfordert die Offenheit, die eigenen Unsicherheiten und Fragen sowie deren Durchschreiten und Lösen durch andere Männer gespiegelt zu bekommen und sich selbst auch in den anderen zu erkennen.

Dadurch entsteht eine Resonanz und Verbindung zur Gruppe, die die eigene Stimme, Stimmung und Identität gleichsam trägt und erweitert. Und deren Schönheit unter anderem darin besteht, dass Schwächen und Stärken gleichermaßen präsent sein dürfen. Um also wieder einen Zugang zu bekommen zu unserer freien, leichten, kraftvollen und resonanzreichen männlichen Stimme, zu ihren vielen unterschiedlichen Facetten und Klangfarben, ihren ebenso kräftigen wie zarten Dynamiken, braucht es nach all meinen bisherigen Erfahrungen einen Kreis von Männern. Es ist, als ob wir uns gemeinsam befreien müssten – von all den Aufgaben, Zwängen und Identitäten, die uns im Laufe der Jahre oft zu hart oder zu weich werden ließen und unseren Atem und unsere Stimme auf die eine oder andere Weise blockierten. Das Geschenk, das uns erwartet, ist ein Raum der Echtheit, in dem wir wieder unsere eigene Stimme im ganzen Körper schwingen spüren. Es ist ein neuer und gleichzeitig alter männlicher Klang, der lebendig, leicht und frei ist. Und voller Freude. Und voller Anfang.

Seminar Männerklang am 25.-27. Mai 2018 im Künstlerhof im Fläming

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