Aus der physiotherapeutischen Praxis einer Yogalehrerin

Es gibt sie, Verletzungen, chronische Schmerzen und Abnutzung durch Yoga. Täglich werde ich in meiner Krankengymnastikpraxis und in meinem Yogaraum damit konfrontiert. Praktizierende mit Knieverdrehungen, Meniskus-Verletzungen, spontanen Wirbelverschiebungen, Verletzungen am Schultergürtel sind die akuten Fälle, die in meiner Praxis auftauchen. Zu den chronischen Folgen einer anatomisch unsachgemäßen Benutzung des Körpers gehören blockierte und entzündliche Kreuz-Darmbeingelenke, Sehnenentzündungen im Kniebereich, unter der Fußsohle und im Großzehenballen. Auch schmerzhafte Arthrose besonders im Kniegelenk, Großzehenballengrund- und Schultergelenk sind Folgen von jahrelangem falschem Üben. Über Verletzungen beim Yoga.

Als ich meinen späteren Mann ein paar Jahre nach unserer ersten Begegnung bei der Yogalehrerausbildung wiedertraf, war ich entsetzt über das Gang- und Bewegungsbild. Das Iliosakralgelenk war seit Jahren blockiert und entsprechend gereizt, jede weitere (gewohnte) Yogalektion verschlimmerte die Schmerzen immer wieder. Die Auskunft der unterrichtenden Yogalehrerin: Das sei „normal“ und die übliche „Yogakrankheit“, damit müsse man leben, wenn man viel Yoga machen würde!!!!! Belohnung für Fleißige?
Da diese Beschwerden in der Regel immer etwas mit einem falschen Beckenstand und dessen Folgen zu tun haben, konnte ich das in den Asanas gezielt korrigieren und nach zwei Lektionen war die Yogakrankheit ins Nirvana entschwunden.

 

Verletzungen beim Yoga: Anatomische Kenntnisse gefragt

Kommen zu einer Dauerüberlastung noch in bestimmten – auch sehr „gebräuchlichen“ – Asanas (zum Beispiel in allen Stehpositionen oder bei einer Umkehrposition wie dem „Hund mit dem Gesicht nach unten“) anatomisch unsinnige Fuß-/Beinstellungen dazu, ist der untere Rücken aufgrund der falschen Rotation in den Hüftgelenken nicht mehr vor Blockierungen und Verschiebungen geschützt und es kann zu Reizungen und Verletzungen kommen. Auch ein trainierter, aktivierter Beckenboden kann dann das Kreuz-Darmbeingelenk und den unteren Rücken nicht mehr schützen.*

Auch das permanente Anspannen der vorderen Oberschenkelmuskulatur und das Hochziehen der Kniescheiben (angeblich um das Kniegelenk vor Überlastung zu sichern – tut es aber nicht) ruiniert das Kniegelenk, weil die Gelenk- flächen des Knies zusammengezogen werden, was zu Reibung, Abnutzung und Schmerz führt (besonders in den Stehpositionen).

Das Anspannen der Gesäßmuskulatur in der Kobra verengt den Abstand der Lendenwirbel, staucht und schädigt so die Bandscheiben – weil die muskuläre Durchtrittsstelle des Ischiasnerves sich durch diese statische Anspannung verengt, entstehen so Pseudoischiassyndrome. Auch angespannte Brustmuskeln und überstreckte Ellenbogen können zu sehr schmerzhaften Schulter- und Armerkrankungen führen, die zu spät behandelt oft mit einer Operation enden.

 

Menschgerecht und achsengenau

Aber: Das alles passiert nicht, wenn die Knochen in den Grundpositionen menschgerecht und achsengenau übereinander „gestapelt“ werden (Beachtung von Hüftgelenksbreite, Schulterbreite). Wenn Becken-, Wirbelsäulen-, Brustkorb- und Gelenkstellungen in den Grundpostionen neutral!!!! (Mittelstellung des Beckens) sind (Ausgleich von Hohlkreuz, Rundrücken, Beckenschiefständen, seitlichen Verkrümmungen der Wirbelsäule) und wenn  beim Verlassen dieser Mitte, zum Beispiel, um in die Asana zu gehen, die Gelenke und die Wirbelsäule mit anatomisch logischer, dreidimensionaler Vernetzung der Tiefen- und Außenmuskulatur und durch das Setzen situationsgerechter Bandhas** geschützt und gestützt werden.

Bereits bestehende Schmerzen und Herausforderungen kann man durch präzise Korrektur und gezielte Übungen verändern, indem man zum Beispiel das Kreuzbein wieder zwischen die Beckenschaufeln zentriert. Akutverletzungen entstehen durch Überforderung, unachtsames und unkonzentriertes Üben, aber auch durch unkorrekte Anleitung oder unlogischen Aufbau der Übungen. Es gibt für jeden Teilnehmer und jede Herausforderung Alternativ-Asanas und Hilfsmittel – dafür muss aber Raum in der Yogalektion sein. Ab mehr als zehn Teilnehmern ist meiner Erfahrung nach eine persönliche Betreuung nicht mehr möglich.

Wir alle wünschen uns mehr Leichtigkeit, Freiheit und Liebe in unserem Leben – und all das ist bereits in uns angelegt. Auf der körperlichen Ebene besteht unsere Aufgabe darin, die Blockierungen und Schichten, die diese Freiheit verdecken, Stück für Stück abzutragen. Doch das geht nicht mit Gewalt. Es braucht Zeit, Geduld – und Liebe für sich selbst.


* Genau das sollte der Beckenboden ja tun. Ebenso wie seine tiefe und mittlere Schicht zuständig dafür ist, das Kreuzbein zwischen den beiden Beckenschaufeln zu positionieren.

**Bandhas: Verschluss, Versiegelung, Halt. Praktisch: Aktivierung spezieller Muskelgruppen, um den Körper zu schützen, zu stützen und die Energiezirkulation zu regeln. Ich praktiziere sie situationsangemessen und integriere sie von der ersten Lektion an.


Abb: © Spectral-Design – Fotolia.com

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