Yoga ist Verbindung. Das geht schon aus dem Sanskrit-Wort „Yoga“ hervor, was übersetzt „anjochen“, „verknüpfen“ oder auch „anschirren“ heißt. Aber ich will dieses Thema nicht theoretisch abhandeln. Vielmehr möchte ich von Erfahrungen erzählen. Von der Verbindung mit mir, mit dem Leben, mit anderen Menschen.

von Elke Ramlow

Womit anfangen? Ich starrte auf den leeren Bildschirm und googelte erstmal „Yoga für alle“. Ein Foto mit einer jungen, schlanken, schönen Frau in hautenger Hose und bauchfreiem Top im „Tänzer“ fiel mir ins Auge. Der so genannte Tänzer ist eine anspruchsvolle Asana, wie die Körperpositionen im Yoga genannt werden. Stellt sie euch wie eine tänzelnde Standwaage aus dem Sportunterricht vor. Das in der Luft schwebende Bein ist gebeugt. Der Fuß dieses Beins wird mit der Hand gegriffen. Der andere Arm streckt sich am Ohr vorbei in die Luft, der Oberkörper ist so weit wie möglich aufgerichtet. Habt ihr‘s? Und sowas soll für alle sein? Im Ernst? Ja, ich bleibe dabei! Denn egal, ob Mann, Frau, divers, jung, alt, dick, dünn, hoch- oder tiefbegabt. Wenn du dich auf Yoga einlässt, verändert sich dein Leben zum Positiven – versprochen. Vielleicht nicht von heute auf morgen. Bei mir jedenfalls war es ein langsamer Prozess. Bei anderen geht es oft schneller. Doch lohnen wird es sich immer.

Am Anfang war ich alles andere als schockverliebt, eher etwas gelangweilt. Für einen Marathon hatte ich trainiert. Den ersten, den ich in meinem Leben laufen wollte. Dieses Ziel verfolgte ich mit Ehrgeiz. Das Universum schlug mir ein Schnippchen, ich wurde schwanger. Wohin nur mit der überschüssigen Energie, fragte ich mich? Eine Alternative zu meinem täglichen Lauftraining musste her. Ich entschied mich für Yoga. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass sich aus der anfänglichen Langeweile eine fast 30 Jahre währende Liebesbeziehung entwickeln würde. Die beständigste meines Lebens, gestehe ich. Eine Weile suchte ich den für mich passenden Yogastil. Als ich ihn gefunden hatte, war es Magie. Keine andere Sporteinheit ließ mich je so zufrieden zurück. Immer tiefer wollte ich in die Geheimnisse des Yogas eindringen. Inzwischen bin ich Yogalehrerin. Drei Ausbildungen habe ich mittlerweile absolviert bei bamboo in Berlin, dem für mich schönsten Yogastudio. Was für ein Gewinn für mein Leben! Nicht weil ich dort gelernt habe, wie ich mich noch besser verbiegen kann. Die Ausbildungen lehrten mich die Essenz des Yogas. Sagt da jetzt jemand: „Ist ja nicht weiter schwer, wenn ein sportlicher Mensch auf Yoga umschwenkt. Aber ich? Ich bin alt, dick, unflexibel, habe Vorerkrankungen…“ Die Reihe ließe sich fortsetzen.

Mehr als Lifestyle für dünne Akademikerinnen

Ich kenne eine Frau, die schreibt gerade an einem Buch. Der Arbeitstitel lautet: „Yoga für Mehrgewichtige“. Als schöne, kurvige Yogalehrerin nervt es sie seit Jahren, dass der Grat zwischen Yoga und Kommerz im Westen zunehmend schmaler geworden ist und Yoga immer mehr als hipper Ausdruck eines Lifestyles der Reichen und Schönen dargestellt wird – was aber gar nicht der Wahrheit entspricht. Ihre Erfahrung: Menschen mit mehr Pfunden auf der Waage, als es uns das gängige Schönheitsideal täglich auf Insta oder in der Werbung vorgaukelt, können wunderbar Yoga praktizieren. Kennt ihr Jessamyn Stanle? Eine dicke schwarze Frau, die im wörtlichen Sinne mit vollem Körpereinsatz Asanas lehrt – manchmal auch in Dessous. Sie stammt aus North Carolina und hat gängigen patriarchalen Schönheitsidealen den Kampf angesagt. Mir imponiert ihr Kreuzzug gegen den Yoga, der in der weißen Oberschicht stark verwurzelt ist. Mit der ihr eigenen Power durchkreuzt sie die üblichen Erwartungen an einen Yogakörper. Ihr Unterricht ermuntert Menschen zum Yoga, die sich nie als Stern am Yogahimmel sehen würden. Beeindruckt hat mich auch Tao Porchon- Lynch. Sie lebte im Bundesstaat New York und wurde 101 Jahre alt. Das Guinness-Buch der Rekorde führte sie mit 98 Jahren als älteste Yogalehrerin der Welt. Fünf Kurse in der Woche unterrichtete sie in diesem Alter immer noch, berichtete der „Stern“ 2017 beeindruckt. Entdeckt habe ich sie beim Zappen durch TV-Programme. Ich kam nicht mehr los vom Fernseher. Hängengeblieben bei mir sind vor allem die leuchtenden Augen ihrer jungen Schülerinnen, die von ihrem Unterricht schwärmten.

Brauchen Männer Yoga?

Yoga wurde zwar von Männern entwickelt, doch in den Kursen sind diese oft unterrepräsentiert. Yoga scheint in der westlichen Welt fest in Frauenhand zu sein. Immer wieder höre ich von männlichen Freunden: Das ist nichts für mich – obwohl sie noch nicht eine einzige Asana ausprobiert haben. Manchmal ist diese oder eine ähnliche Antwort mit einem ironischen Lächeln und einer hochgezogenen Augenbraue verbunden. Ist Yoga wirklich nichts für Männer? Sind also Gesundheit, Beweglichkeit, Fitness, Entspannung und eine hohe Konzentrationsfähigkeit nur etwas für Frauen? … Also Männer, rauf auf die Matte: Die Welt braucht Euch in Eurem vollen Potenzial!

Yoga streichelt die Seele

Eine Freundin ist vor drei Jahren schwer an Krebs erkrankt. Heute unterrichtet sie wieder gelegentlich Yoga. Ihr Unterricht führt in eine andere Dimension. Körperlich ist ihr Yoga sehr sanft. Aber die emotionale und mentale Seite eines Menschen kommen wie bei einem Streichinstrument zum Klingen. Eine ihrer Schülerinnen, eine an Burnout erkrankte Leistungssportlerin, sagte neulich zu ihr: „Ich wusste gar nicht, dass das Leben so schön und entspannt sein kann.“ Eine Mitauszubildende in einer der oben genannten Ausbildungen eröffnete ein Yogastudio in Bayern. Sie hat sich das Thema „Inklusion“ auf die Fahnen geschrieben. Ihr kleiner Sohn lebt mit dem Down-Syndrom und es wurmte sie schon lange, dass Behinderte in der glänzenden Yogawelt nicht vorkamen. Nun füllen sich ihre Kurse mit Rollstuhlfahrern, Krebserkrankten – gemeinsam mit körperlich Gesunden. Neulich war ich seit Ewigkeiten mal wieder joggen. Meine Knochen sind inzwischen etwas morsch, weshalb ich auf den harten Berliner Gehwegen Richtung Tiergarten eher walkte. Das hätte mein Ehrgeiz früher nicht zugelassen. Als ich im Park zu traben anfing, entdeckte ich vor mir auf dem Weg einen lebendigen Krebs, fast so groß wie ein Hummer. Staunend betrachtete ich das Tier und stellte mich schützend davor. Andere Jogger liefen mit angestrengten Gesichtern an mir vorbei. Einer rief mir zu, ich solle nicht im Weg herumstehen. Nur eine Frau lächelte mich an, schaute auf den Krebs und fragte, ob wir ihn zum Wasser bringen wollen. Klar, sagte ich. Ich weiß nicht genau, warum, aber ich fragte sie, ob sie Yoga praktiziere. Ihr ahnt die Antwort. Sie lautete: Ja!

Sanftmut versus Ehrgeiz

Alles, was wir auf der Matte erfahren, können wir ins Leben übertragen. Yoga hat viel mit Sanft-Mut zu tun und wenig mit Ehr-Geiz. Das unterscheidet ihn vom Sport. Sanft betrachtest du deine Grenzen, lernst sie akzeptieren und verschiebst sie mutig. Egal, wo dein Körper und dein Geist gerade sind. Du brauchst zum Yoga nur eins: Den Willen zum Praktizieren. Ansonsten reicht einatmen, ausatmen, einatmen…

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