Schönheit in meinem Leben

Es gab eine Zeit, da habe ich erkannt, dass ich Raum brauche, um zu atmen, zu leben und zu lieben. Es gab es eine Zeit, in der ich meine Sexualität ins Leben gerufen und sie mit viel Freude gestärkt habe. Doch etwas fehlte: Meinem Leben fehlte der Glanz und die Schönheit.
Ich liebe die Schönheit. Ich schaue Menschen und Dinge gern an, einfach weil sie schön sind. Doch nirgendwo war ich kritischer als in der Bewertung meiner eigenen Schönheit, nirgendwo ausdauernder als in der Entwertung meines Strahlens. Eines Tages beschloss ich, dass es so nicht weitergehen kann…

›So‹, das hieß, dass ich Spiegel vermied und ihnen auswich, wo es nur ging. Dass ich – sollte mir doch ein Spiegel zu nahe kommen – alles, was ich darin erblickte, als unschön und unansehnlich (um nur harmlose Attribute zu verwenden) entwertete und verächtlich weg schaute. Es war dies ein Tag, an dem ich mich besonders über ›das‹ erschreckte, was mich da anschaute, an dem ich besonders schnell weg schauen wollte, an dem mich meine Abwehr aber auch besonders entsetzte und ich darüber besonders mit mir selbst verbunden war.

Verzweifelt, wie ich in diesem Moment war, stellte ich die einzig ›richtige‹ Frage: Bin ich schön? Die Antwort meiner Seele lautete: Ja! Dies ermutigte mich zu einer nächsten Frage: Wie sehr zeige ich meine Schönheit? Zu drei Prozent, lautete die Antwort. Das weckte meine Neugier und ich begann zu forschen. Es wurde dies ein länger andauerndes Forschungsprojekt. Schnell verstand ich, dass es darin um weit mehr ging, als darum, meine äußere Erscheinung zu wertschätzen. Meine Schönheit anzuerkennen, war gleichbedeutend damit, die Schönheit meiner inneren Schätze wertzuschätzen und mich strahlend mit ihnen zu zeigen. Immer wieder musste ich mich dazu entscheiden, wirklich hinzuschauen. Konnte ich anfangs dem Blick in den Spiegel bestenfalls standhalten, gefiel mir mit der Zeit immer mehr, was ich sah. Immer wieder machte ich die Erfahrung, dass ich selbst entscheiden konnte, in welcher Haltung ich mich anschauen wollte. Wollte ich mich selbst verletzen und mein Spiegelbild abwerten? Oder wollte ich die schöne Frau in mir sehen? Beides gelang mir, ich hatte die Wahl. Es war eine der essentiellsten Entscheidungen, die ich zu treffen hatte: Die Entscheidung, mich ernst zu nehmen mit all dem, was mich ausmachte. Mit jedem Blick in den Spiegel sagte ich einmal mehr ‚ja‘ zu mir selbst. Jedes Mal gelang dies leichter und selbstverständlicher. So öffnete und öffnet mich ein jeder Spiegel intensiver für mich selbst.

 

Mama im Spiegel

Anja Zeiske_Andreas Hermsdorf_pixelioklWenn es nicht meine Schönheit war, die ich an jenem Tag im Spiegel sah, wen oder was sah ich dann? Als was blickte ich hinein in diesen Spiegel? Wie eine Zwiebel arbeitete ich mich Schicht für Schicht durch all die Themen durch, die mir beim Blick in den Spiegel begegneten.

Die erste Schicht, die ich im Spiegel erblickte, bestand aus meiner Mama. Ich sah meine Mama, wenn ich in den Spiegel schaute. Wenn die Tochter im Spiegel ihre Mutter erblickt, braucht sie sich lediglich die Schönheit ihrer Mutter zu vergegenwärtigen. Denn die Tochter ist ein Teil ihrer Mutter. In dem Maße, wie sie ihre Mutter als schön erlebt, erlebt sie auch ihre eigene Schönheit.

Dies entpuppte sich anfänglich als eine große Herausforderung, denn die Abwehr, die ich meiner Mutter gegenüber empfand, schien riesig. Doch mir war klar: Ich wollte meine Selbstverletzungen beenden, das Leid, das ich mir tagtäglich selbst zufügte. Ich überwand meine Widerstände und suchte gezielt nach Dingen, die ich an meiner Mutter attraktiv und schön finde.

Ich sah ihre zarten und weichen Hände, ihre Brüste und ihre Silhouette, die mir allesamt die Zartheit ihres Wesens zeigten. Über ihre weiblichen Rundungen zeigt sie mir mehr als ihr Äußeres, sie zeigt mir einen verborgenen Teil ihrer Weiblichkeit. Schließlich sind es ihre Haare, die sich wunderbar in das Spannungsfeld ihres weiblichen Ausdrucks einpassen: wild, lockig und dicht, ›ordentlich‹ frisiert und unzähmbar zugleich. Mit diesem Blick sah ich in meiner Mutter eine Frau, die zugleich kraftvoll und grazil ist. Ich schaute auf ihre Schönheit und sah plötzlich mehr als nur ihr Äußeres. Ich sah einen Teil, der mir bislang verborgen blieb, der ihr selbst vielleicht nach wie vor verborgen ist.

 

Alles, was blüht, ist viel zu schön

Nun, da ich meinen Blick für die Schönheit meiner Mama sensibilisieren konnte, erforschte ich die nächste Schicht der Blicke. Dabei ging es nicht darum, wen ich im Spiegel sah, sondern durch wessen Augen ich schaute. Ich schaute durch die Augen meiner Mutter. Ihre Augen empfanden Schönheit als etwas Bedrohliches. Die Dinge dürfen keinesfalls zu schön sein. Menschen, Pflanzen, Dinge, die in ihrer Blüte stehen, weisen buchstäblich auf die Schönheit, auf das Wachstum und das Übersprudelnde des Lebens hin. Durch die Augen meiner Mutter kann ich meine Schönheit nicht sehen. Alles, was blüht, ist für meine Mutter viel zu schön!

Nun konnte ich mich entscheiden: Wollte ich es mäßig schön haben? Oder darf mein Leben übersprudeln vor lauter Schönheit, Eleganz und Sinnesfreude? Wollte ich mich selbst weiter durch die Augen meiner Mutter anschauen oder wollte ich mir meine eigenen Blicke erlauben?

Ich trat aus der nicht zu mir gehörenden Energie heraus und gab mir selbst die Erlaubnis, meine Schönheit zu sehen. Ich erlaubte mir selbst zu bestimmen, was ich schön finde, ungeachtet gängiger Schönheitsideale. Immer wieder stellte ich fest, wie sehr es mir Spaß bereitete, mich zu zeigen. Dieses Zeigen ist weniger ein Kokettieren als vielmehr eine Verbundenheit mit einem tiefen Kern in mir. In diesem Kern weiß ich, dass ich schön bin, einfach weil ich bin. Es gibt kein Nicht-Schön.

 

Der schöne, heilige Schein

All das stimmt und ist gut so. Doch etwas fehlt. Unter dem Schein meiner Sanftheit, meiner  Feinfühligkeit, meiner Präsenz als Frau, als Mutter und auch als Tochter verbirgt sich eine ungebändigte, ungezähmte, unzivilisierte Kraft. Es ist die Kraft der Zerstörung. Es ist ohnmächtiges Schreien. Hass und Wut. Explosionen, die vernichten, die nichts am Leben lassen.

Doch diese Kraft darf nicht sein. Sie ist weder politisch korrekt, noch spirituell vertretbar. Sie richtet sich gegen den Menschen in meinem Leben, der mir nah sein sollte, der mir das Leben geschenkt hat, der mich liebt und den ich lieben sollte. Diese Kraft richtet sich gegen meine Mutter.

Mama, wo warst Du? War ich Dir egal? 
Warum hast Du mich nicht Deinen Körper und Deine Nähe spüren lassen?
Ich war ein mutterloses Kind.
Ich wurde zur Frau und konnte meinen Körper nicht spüren.
Ich habe schreckliche Worte für Dich: Du bist häßlich und Du stinkst. Du bist die Falsche. Ich will Dich nicht!
Will ich Dich nicht, weil Du mich nicht wolltest? Wolltest Du mich nicht, weil ich Dich nicht wollte?

Auch dies ist ein Teil meiner Schönheit. Dies ist Teil meiner Wahrheit, meiner Kraft und meiner Präsenz. Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Vorwürfe, die müßig sind und die nirgendwohin führen. Gedanken und Worte, die ich an mir nicht mag. Die mir Schmerzen verursachen und mich zu überwältigen drohen. Und doch sind sie da. Ich habe sie versteckt, wollte sie besänftigen und auflösen. Doch vielleicht gibt es nichts aufzulösen. Vielleicht besteht die Erlösung darin, dass alle Vorwürfe, alle Wünsche und alle sehnsüchtigen Bedürfnisse einfach da sein dürfen. Dass ich diesen Teil meiner Schönheit nicht in meinem Rücken verschwinden, sondern seinen Platz in meinem Herzen finden lasse.

 

Schönheit und Vergänglichkeit

Die Magie der Schönheit liegt in ihrer Einzigartigkeit – und in ihrer Vergänglichkeit. Ein strahlender Blick, ein bezaubernder Moment, ein faszinierender Mensch – zu einer anderen Tageszeit oder in einem anderen Zusammenhang erscheinen die Dinge oft anders, manchmal fad und belanglos. Schönheit ist in allem, was lebendig ist und fließt. Festgehaltenes aber kann nicht fließen und verliert seinen Glanz und sein Strahlen. Wenn es uns gelingt, unsere Bewertungssysteme zu erweitern, können wir in allem Lebendigen die ihm innewohnende Schönheit entdecken. Jeder Moment, jeder Mensch, jede Angelegenheit – einfach alles, was uns in unserer Lebendigkeit berührt, ist schön.

Oft halten wir an unserem Glück fest, weil wir uns davor fürchten, dass es niemals wiederkehrt. Weil wir dem Leben mit all seiner Fülle nicht vertrauen. Tatsächlich ist es so, dass ein einmal losgelassenes Glück vielleicht nicht wiederkommt. Doch ein neues Glück wird kommen, eine neue Schönheit steht bereits vor der Tür und wartet darauf, eingelassen zu werden.

Wie alles Lebendige ist Schönheit vergänglich. Sie muss gehen dürfen, um wiederkommen zu können.

 

Dies ist ein Auszug aus dem neuen Buch Seelenzauber: Erfahrungen mit Soulresponding (Soulresponding Befreiung durch Wahrheit) von Dr. Anja Kroschky  – Taschenbuch 27. April 2015 
146 Seiten
Preis: 26,75
ISBN-13: 978-1511920445
Das Buch ist hier erhältlich 

 Bild Mitte:  © Andreas Hermsdorf / pixelio.de

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*