Integrale Bewusstseinskultur: Wie wir den äußeren Wandel durch inneren Wandel mitgestalten…

von Padma Wolf und Torsten Brügge

Globale Herausforderungen wie Klimawandel, Pandemien und Kriege kommen uns immer näher. Inflation droht uns verarmen zu lassen. Soziale und politische Polarisierung gefährdet unsere Demokratie. Sowohl im Außen als auch innerlich haben wir es dabei mit dem Phänomen der Komplexität zu tun. „Komplex“ ist mehr als „kompliziert“: Kompliziertes können wir noch verstehen und teilweise direkt beeinflussen. Komplexität dagegen bringt Ungewissheit und Unvorhersehbarkeit mit sich, denn im Umgang damit reichen gewohnte rationale Betrachtungen oft nicht aus. Das bezieht sich auf Makrosysteme wie Klima, Wirtschaft und Politik. Und es gilt auch für das Mikrosystem des komplexesten Stücks Materie, das wir kennen: das Ding zwischen unseren Ohren namens „Gehirn“. Mit fast 90 Milliarden Neuronen und deren unzähligen Verknüpfungen erzeugt es die „Wahrgebung“ unserer Welt. So nennt es Gunther Schmidt, der Begründer der Hypno-Systemik. Um in komplexen Systemen heilsamen Wandel zu bewirken, brauchen wir daher eine grundlegende Transformation und Erweiterung menschlichen Bewusstseins.

Dafür sind – aus Sicht des integralen Modells von Ken Wilber* – vier Aspekte entscheidend:
· Eine erwachsene bis weise Intelligenz (GROW UP),
· das Erwachen zu transzendentem EinsSein allen Lebens (WAKE UP)
· und die Integration seelischer Schattenanteile (CLEAN UP).

Mit diesen Qualitäten können wir aktiv für die Welt in Erscheinung treten (SHOW UP). Beim GROW UP geht es darum, unsere Reflexionsfähigkeit über die rationale Bewusstseinsebene hinaus auszuweiten. Dazu üben wir uns in transrationalem Reflektieren. Das geht über einfache Ursache- Wirkungs-Beziehungen hinaus. Ein breites Spektrum von Perspektiven wird flexibel einbezogen. Das transrationale Reflektieren achtet auf Wechselwirkungen von vernetzten Elementen und sieht sie als Teile eines größeren Ganzen. Mit solch systemischer Weitsicht auf die Welt zu schauen ist faszinierend. Es eröffnet ganz neue Einsichten!

Mit WAKE UP ist die Entdeckung spiritueller Tiefe gemeint. Übermittelt wird sie in den mystischen Weisheitslehren. Sie laden dazu ein, uns mit dem Urzustand des Bewusstseins vertraut zu machen, der über begrenzte Erscheinungsformen hinausgeht. Der Philosoph Thomas Metzinger** beschreibt dieses „reine Bewusstsein“ als leere Wachheit und Bewusstseinsweite. Aus dieser Weite bezeugen wir alle Bewusstseinsinhalte – Gedanken, Gefühle, Empfindungen – und bleiben erleichternd unangetastet von ihnen. Wir genießen einen Frieden, in dem alle Gefühle – auch Unsicherheit und Angst – frei kommen und gehen dürfen. Wir erlauben uns zu entspannen, auszuruhen und den Geist sich erholen zu lassen. In diesem Ur-Bewusstsein löst sich unser Empfinden des Getrenntseins auf. Wir spüren umfassendes Einssein. Wir fühlen uns verbunden mit allen Wesen. Eins mit allem Sein. Das wird auch als „Nondualität“ bezeichnet und wird spürbar als Liebe und Mitgefühl. Metzinger plädiert für eine neue „Bewusstseinskultur“, die diese Qualitäten eines „guten und ethischen Bewusstseinszustandes“ fördert. Erst damit fühlen wir uns auch in Zeiten der Krise erfüllt. Wir tanken Kraft, um uns für Transformation in Richtung Überleben und Evolution und zum Wohl aller Wesen einzusetzen.

CLEAN UP betrifft die Schattenintegration. Bisher verleugnete oder blind ausagierte Anteile des Egos werden bewusst wahrgenommen und transformiert. Das Erleben von Bedrohung beispielsweise ruft belastende Emotionen wach. Zum Beispiel Ängste, die letztlich auf die Angst vor dem Tod zurückgehen. Und Wut, wenn wir Veränderungen als Angriff auf unsere Lebensart empfinden – oder aber, wenn uns der Wandel nicht schnell genug geht. Trauer erleben wir, wenn wir angesichts der Unlösbarkeit von Problemen verzweifeln. Auch Ohnmacht kann ein Thema sein, wenn wir uns überwältigt fühlen und die Schwierigkeiten uns zu lähmen scheinen. Im Umgang mit all diesen Gefühlen ist Transformation möglich. Sie beginnt, wenn wir entdecken, dass wir die belastenden Gefühle weder verdrängen noch abwehren oder dramatisch ausagieren müssen. Vielmehr ist es möglich, dem Schmerzhaften Raum zu geben, ihm unser Herz zu öffnen und es ganz direkt zu erfahren. Spirituelle Weisheitstraditionen laden dazu mit ihrer Achtsamkeitspraxis ein. Auch integrale und trauma-sensitive Therapieformen unterstützen uns darin durch ihren Zugang zu Selbstliebe und anderen seelischen Ressourcen. Je mehr sich Verstrickungen mit dem Leiden lösen, umso mehr wachsen Herz und Geist in ihrer Fähigkeit, sich eigenem und äußerem Leiden heilend zuzuwenden.

Neue Lebendigkeit

Vielleicht ahnen wir schon jetzt, wie sich das anfühlen könnte. Angst direkt zu erfahren, eröffnet uns zum Beispiel eine neue Lebendigkeit und lässt uns die Unsicherheiten des Abenteuers Leben mit Zuversicht annehmen. Wenn wir Wut auf heilsame Weise zulassen, wird die Kraft in ihr spürbar. Sie hilft uns, das Leben beherzt anzugehen und auch mal angemessene Grenzen zu setzen.

Im unmittelbaren Erleben von Traurigkeit und Schmerz finden wir eine wohltuende bittersüße Liebe. Sie spendet Trost und versöhnt uns damit, dass wir immer wieder Abschied von Liebgewonnenem nehmen müssen. Neue Zugänge zu Verbundenheit und Einssein tun sich auf. Traumatischer Ohnmacht auf sanfte, liebevolle und zugleich mutige Weise zu begegnen, erlaubt der Lebendigkeit, sich frei in uns zu bewegen. Wir bekommen Zugang zu einem transzendenten Heilsein, das selbst von tiefsten Wunden unversehrt bleibt. Schattenintegration schenkt uns die Weitherzigkeit, unser Menschsein – einschließlich unserer Unzulänglichkeiten – anzunehmen und umso vollständiger und freier weiterzuleben. In der Verbindung von systemischer Intelligenz, mystischer Tiefe und Schattentransformation kann eine integrale Bewusstseinskultur entstehen. Sie erst ermöglicht den erforderlichen SHOW UP: Indem sich in uns immer mehr Klarheit und Weite entfalten, wird diese Entwicklung ganz von selbst nachhaltig in die Welt wirken – für den so dringend gebrauchten Wandel.

5 Responses

  1. Holle
    Seifenblasen

    Die Welt ist nicht so komplex wie man den Menschen glauben macht. Und um es mit den Worten von Ayn Rand auszudrücken: Man die Realität ignorieren, aber nicht die Konsequenzen der ignorierten Realität. Aus diesem Grund wird die „Flucht“ in eine geistige „Licht und Liebe Bubble“ nur bis zu einem gewissen Punkt funktionieren. Aber solange die Realität noch nicht anklopft, darf man gerne die schillernden Farben genießen.
    Wie will man die Wahrheit erkennen, wenn man versucht sich der Realität zu verweigern?
    Wer bereit ist hinter den Vorhang der angenommen Realität zu schauen, der wird auch die Wahrheit erkennen und diese wird ihn erst wirklich frei machen. Doch dazu braucht es die Akzeptanz und nicht das Ignorieren. Helfen würde zunächst ein Hinterfragen der konditionierten Glaubenssysteme und sehr viel Selbstreflexion…

    Antworten
    • Torsten
      Integraler Satsang

      genau dazu lädt ja eine echte integrale Bewusstseinskultur ganz viel ein, z.B. über die Hinterfragung unserer gewöhnlichen eher begrenzten Bewusstseinszustände hin zu mehr Tiefe und die Hinterfragung der jeweiligen Bewusstseinsebenen zu mehr Weite und die Hinterfragung unsere Schattenanteile hin zu mehr emotionaler Reife und Authentizität

      Antworten
    • Torsten
      Artikel gelesen?

      Hallo Seifenblase,
      hast du den Artikel überhaupt ganz gelesen?
      (deine Kommentare scheinen mir nichts mit dem Inhalt zu tun zu haben, außer das Wort „komplex“)

      Antworten
    • Torsten
      Artkel überhaupt gelesen?

      Holle… hast Du den Artikel überhaupt gelesen?
      Denn den einzigen inhaltlichen Bezug in Deinem Kommentar, sehe bei dem Wort „komplex“ und einer Reaktion darauf.

      Antworten
      • Holle
        Artikel gelesen

        Schon der erste Satz im Artikel zeigt, dass man sich lediglich mit Symptomen befasst und nicht zu den Ursachen vordringt. Aufgrund der erfolgreichen Konditionierung der Gesellschaft, glauben alle die Dinge wären zu komplex, um sie erfolgreich ändern zu können. (Zum Beispiel Bankenrettung mit Milliarden ist kein Problem, die zweimal im Jahr stattfindende Zeitumstellung kompliziert.)
        Vor über zweitausend Jahren wurde ein Heiliger ans Kreuz genagelt, weil er die Menschen dazu animieren wollte, die Dinge zu hinterfragen. Das was dann die Kirchen daraus gemacht haben, hat viele dazu veranlasst, ihre Antworten auf spirituelle Fragen woanders zu suchen. Gefunden haben sie die östlichen Lehren, welche aber lediglich sich selbst suchen. Und wie bei den Kirchen braucht es auch dort einen Schuldigen. Bei den Kirchen und dem Islam ist es Satan und im Osten das Ego. Teile und Herrsche funktioniert weltweit, denn durch das Zusammenführen zu einer starken Gemeinschaft, würde das Dunkle von alleine verschwinden.
        Was ist also der Antrieb im hier und jetzt, wenn nicht das Ich, unser Ego?
        Nicht falsch verstehen, ich möchte keine „rettenden“ Strohhalme knicken, aber die Realität wird wohl sehr bald die Seifenblase zerstören, in die man sich geflüchtet hat. Wäre man allerdings bereit sich mit der Realität auseinander zu setzen, dann könnte man die Ursachen erkennen und dadurch die Wirkung ändern. Das wäre dann wahre (R)Evolution, denn eine Entwicklung im Vakuum (Bubble) kann nun mal nicht stattfinden.
        Das wollte ich mit meinem Kommentar zum Ausdruck bringen…

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*