Alles in der Natur folgt Mustern, Zyklen, Phasen und Rhythmen. Könnte das auch auf Transformationsprozesse und alle Formen geistiger und spiritueller Wachstumsprozess zutreffen? Wie könnte sie aussehen, diese natürliche Struktur? Das Wissen vom Wandel.

Ursula Seghezzi ist dieser Frage nachgegangen und hat dabei ein einfaches und einleuchtendes Muster für Transformationsprozesse wiederentdeckt. Sie glaubt: Dieses Muster kann es uns helfen, innere Prozesse natürlicher und organischer zu bewältigen und wieder ein Gefühl dafür zu bekommen, dass wir ein Teil der Natur sind, eingebettet in ihre Rhythmen und Zyklen, verwurzelt in der organischen Spirale evolutionären Wachstums

 

Du hast ein Buch über die natürliche Struktur von Transformationsprozessen geschrieben. Dafür hast du nach einem Muster in verschiedenen Veränderungsprozessen in der Natur, aber auch in Mythen, Sagen und Märchen gesucht – und es gefunden. Wie bist du überhaupt auf die Idee dazu gekommen?

Als Kind liebte ich die Märchen und ich liebte die Natur. Als junge Mutter habe ich die Märchen meinen Töchtern erzählt und war viel mit ihnen draußen. Aber erst durch meine Forschungen als Religionswissenschaftlerin und Ethnologin und meine Arbeit als Naturritualleiterin habe ich den Zusammenhang zwischen diesen beiden Bereichen wirklich begriffen: Bräuche sind ursprünglich Jahreszeitenrituale; unsere Märchen sind Geschichten über die Initiationsrituale unserer indigenen europäischen Vorfahren.

 

Und darum waren neben der Natur auch Mythen und Sagen für dich eine wichtige Quelle, dieses universelle Muster aufzuspüren?

Die Natur zeigt uns in den Jahreszeiten die Gesetzmäßigkeiten von Wandel: Alles, was blüht (Sommer), vergeht in seiner Form (Herbst), wandelt sich im Verborgenen unter der Erde (Winter), erscheint als etwas Junges und Frisches (Frühling), um sich ganz in seine Schönheit und Kraft zu entfalten (erneuter Sommer). Dies ist die Grundstruktur. Wollen wir sie aber auf uns Menschen übertragen und mit Sinn und Bedeutung füllen, dann brauchen wir dazu Bilder, Symbole, Metaphern. Diese sind immer kulturell. In Mitteleuropa finden wir sie noch in Mythen, Märchen und Sagen. Wenn wir diese von den (ab-)wertenden Umformungen befreien, dann offenbart sich ein reicher Schatz an Weisheit. Aus beiden Quellen zu schöpfen, verbindet und versöhnt uns neu mit der Natur und vor allem auch neu mit unserer Kultur. Mein Modell der Transformationsreise lehnt sich stark an das Heldenreisemodell des Mythenforschers Joseph Campbell an. Durch die Verbindung mit den Naturbewegungen konnte ich die Stationen der Transformationsreise jedoch präziser und in ihrer inneren Dynamik genauer beschreiben.

 

Wie sieht es denn nun aus, das natürliche Muster von wirksamen Transformationsprozessen? Kannst du die Reise kurz beschreiben?

In jeder Krise, in jeder Wandlungsbewegung und bei jedem Lebensübergang durchschreiten wir verschiedene Stationen, die unterschiedlich lange dauern können. Keine aber darf ausgelassen werden. Ein Beispiel: In unserem gewohnten Leben tritt eine Störung auf. Es kann sich dabei um plötzliche Ereignisse wie einen Unfall, einen Todesfall, eine Kündigung, aber auch um eine Geburt oder einen Lottogewinn handeln. Oder die Störung tritt schleichend wie eine Krankheit ins Leben. So oder so ist sie ein Ruf, der sagt: „Es gibt noch mehr. Du bist noch mehr als das, was du bist und was du kannst!“. Folgen wir dem Ruf, führt uns die Reise an eine Schwelle ins Unbekannte. Das ist der Moment, in dem wir wissen: Wenn ich hier weiter gehe, dann komme ich nicht mehr zurück, bzw. ich komme verändert zurück. Die Unsicherheit, Unberechenbarkeit und Unplanbarkeit des Lebens fordert von uns jetzt volle Hingabe. Die bisherigen Lebensstrategien kommen auf den Prüfstein. Das bisherige Bild von uns selbst zerbricht. Für das Ego ist dieser an sich natürliche Vorgang der Auflösung und des Loslassens eine Niederlage, weswegen viele Menschen diese Station als persönliches Versagen empfinden.

Es läuft aber – wenn wir Glück haben – darauf hinaus, dass wir uns über die bisherige Begrenztheit hinaus öffnen können und uns eine Erfahrung der Ganzheit zuteil wird. Wir erkennen, dass wir auch ohne Leistung wertvoller Teil des Lebens sind, eingebettet in das große Ganze. Nicht wir leben, sondern wir werden vom Leben gelebt. Diese Einheitserfahrung ist zutiefst spirituell und wird darum als unio mystica bezeichnet.

Erst nach dieser Schau des Ganzen und meines Platzes darin kann ich erkennen, was meine ureigene Gabe, mein Talent, mein Potenzial ist, das durch mich in die Welt kommen soll. Nicht mehr „Was will ich?“, sondern „Was will das Leben von mir?“ ist jetzt die Leitfrage, die mich zurück über die Schwelle in den Alltag führt. Es geht darum, die Berufung im ganz konkreten Leben zu leben. Weil sich nach dieser Wandlung meine Haltung zu mir und gegenüber dem Leben verändert hat, reagiert die Umgebung oft zwiespältig. Manche freuen sich und lassen sich von meiner Ausstrahlung mitreißen. Andere sind irritiert, wollen wieder die „alte/frühere Person“ zurück und legen Steine in den Weg. Die Dramatik spitzt sich noch einmal zu, bis ich das, was ich am tiefsten Punkt der Krise an Seelenfreiheit geschaut und erfahren habe, voll und ganz in mein konkretes Leben gebracht habe. Eine neue, geweitete Persönlichkeit ist durch die Krise hindurch herangereift.

 

Das ist interessant. Dein Modell zeigt also, dass der Transformationsprozess zwei Hälften hat: Der Weg ins spirituelle, in die Leere, das Unbekannte – und die anschließende Rückkehr in den Alltag, in das Materielle, in welches dieser neue Geist integriert werden darf. Erst dann können wir von wirklicher Transformation sprechen, statt nur von einem spirituellen Einblick. Diese Integration scheint mir im spirituellen Kontext teilweise übersehen zu werden.

Ja, die Transformationsreise zeichnet eine kreisförmige, bzw. spiralförmige Bewegung nach. Der Ruf führt ins Unbekannte, in eine un- oder vorbewusste Zone, in eine Begegnung mit einer Dimension von Leben, die unser kleines Ich übersteigt. Das ist eine spirituelle Erfahrung. Aber diese Öffnung ist nur die halbe Miete.

Danach kommt die zweite Hälfte der Transformationsbewegung, die auf ganz andere Art herausfordernd ist. Und das ist buchstäblich gemeint: das, was du Erkannt hast, wird heraus ins Leben gefordert. Du musst deine Erkenntnisse in deinem ganz konkreten Leben von Montag auf Dienstag umsetzen, sonst taugt die Vision nicht. Diese Umsetzung in den Alltag dauert – so die alten Geschichten – mindestens ein Jahr. Das heißt symbolisch, dass das Erkannte einmal durch alle Jahreszeiten getragen wird. D.h. für die Umsetzung in den Alltag musst du wieder durch einen „Kreis im Kreis“ gehen, du musst noch einmal vieles Loslassen (Herbst) und eine Durststrecke durchstehen, zuweilen auch Einsamkeit ertragen und Rückschläge ertragen(Winter) und daraus ganz neue Strategien entwickeln und Richtungswechsel in Kauf nehmen (Frühling). Erst dann kommst du wirklich ganz in deinem – seelentauglichen – Leben an. Oder anders: erst dann hat sich dein Leben neu um deine erweiterte Seelenausstrahlung gruppiert.

In meiner Visionssuche (Transformationscamp in der Natur mit viertägigem Rückzug alleine in der Natur) habe ich in der letzten Nacht den Halbmond gesehen. Da hab ich gewusst: die zweite Hälfte der Arbeit steht erst noch bevor! Ich habe mehrere Jahre gebraucht, bis das, was ich da draußen erfahren und erkannt hatte, mein Leben neu geordnet hat!

Da sagst du schon wieder etwas Interessantes: Während die Versuchung besteht, sich Zyklen als Kreise zu denken, spachst du gerade von einer spiralförmigen Bewegung – bei der Anfang und Ende eben nicht der selbe Punkt sind, sondern auf verschiedener Höhe liegen.

Ja, hier ist eine Differenzierung gut. Zyklisch bedeutet kreisförmig. Das bezieht sich auf die Energiebewegung und die Stationen. Und diese vollziehen sich strukturell tatsächlich immer wieder gleich, Jahr um Jahr, Krise um Krise. Betrachten wir hingegen unser Bewusstsein, dann liegt hier der Endpunkt – im besten Fall und bei gelungener Transformation – auf einer höheren, sprich umfassenderen Ebene als der Ausgangspunkt. Wir wissen nach durchlebter Krise mehr über uns und die Welt, wir sind feinfühliger und mitfühlender, können komplexer denken und wir haben gelernt, dass Erfolg nicht auf Macherei, sondern auf Folgen beruht – dem Leben folgen. D.h. jede Krise macht uns gleichzeitig freier und demütiger.

 

Du beziehst dich immer wieder ganz besonders auf die Jahreszeiten – der für uns vielleicht offensichtlichste natürliche Zyklus nach Tag und Nacht – wie sind hier die Entsprechungen zu deinem Modell?

Dieses Modell muss nicht „gelernt“ werden. Wir können uns einfach rückverbinden mit den Qualitäten der Jahreszeiten: Das gewohnte Leben findet im Sommer statt. Alles läuft, steht in Saft und Kraft und gedeiht. Der 1. August (Ruf) bringt die erste Kühle, die erste Veränderung, den Kornschnitt und führt das Leben über die Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche am 23. September in die Tiefe (Schwelle ins Unbekannte). Die nun folgende Zeit bringt uns Dunkelheit und Einkehr (Hingabe). Laut unseren Bräuchen öffnen sich am 1. November die Tore zu einer anderen Welt. Der Mittwinter am 21. Dezember ist der Sonnentiefpunkt, die längste Nacht. Hier wendet sich die Perspektive (Ganzheitserfahrung, unio mystica) und das Licht wird geboren. Am 1. Februar stoßen die ersten Pflanzen durch die Schneedecke, das Neue wird sichtbar (Gabe). Das Licht steigt über die Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche hinaus (Schwelle in den Alltag) und alles entfaltet sich. Frühlingsstürme, Wintereinbrüche, Rückschläge und Sonnentage begleiten diesen Prozess, bis nach dem 1. Mai das Wetter stabiler und verlässlicher wird (Berufung). Nur allein zu wissen, wer man ist, nützt nichts. Erst wenn wir „sommerlich-fruchtbar“ sind (wenn wir berufen werken und wirken und uns ganz geben und leben), gereicht unser Potenzial uns und der Welt zur Nahrung, zur Heilung, zur Erkenntnis.

Nun ist die Struktur alleine ja nur ein äußerliches Muster, du schilderst aber außerdem auch drei inhaltliche Kriterien für erfolgreiche Transformationsprozesse – magst du sie kurz erläutern?

Im Spiegel der Jahreszeiten, im Dialog mit der kulturellen Überlieferung und in Auswertung meiner Begleitungserfahrung moderner Menschen durch Transformationsrituale habe ich drei Kriterien formuliert, welche uns Transformation von Translation (Veränderung im gleichen Geist, horizontal, „anderes vom Selben“) unterscheiden lassen.

Zu einer wirksamen Transformation gehört immer die Begegnung mit dem Tod, sie ist das erste Kriterium. Dies kann eine tatsächliche (Nah-)Toderfahrung sein oder als „Tod des Ego“ im oben beschriebenen Sinn geschehen: Dann bricht nicht die bisherige Welt zusammen, sondern das bisherige Bild von der Welt.

Die erlebte Ganzheitserfahrung bildet das zweite Kriterium. Nur wenn wir die Einbettung dessen, was wir sind, im größeren Zusammenhang des Lebens erkennen, kann sich unsere Perspektive grundlegend wandeln. Nur dann gelangen wir zum der Kern wirklicher Vision: wir sehen nicht unbedingt, was kommt, sondern wir richten den Blick auf das, was ist.

Daraus folgen die nächsten Schritte, zu denen als drittes Kriterium das Ringen um die Formulierung des neuen Bildes von der Welt und von sich selbst in eben dieser gehört. Es geht darum, die neue, persönliche sinnstiftende Geschichte über das (eigene?) Leben zu formulieren. Denn ohne einen solchen „persönlichen Mythos“ können wir nicht leben. Dann fehlen uns Ausrichtung und Sinn.

Dieses innere „Betriebshandbuch“ ist normalerweise nicht bewusst. Jede Krise und Wandlungsbewegung gibt uns aber die Möglichkeit, uns unserer Selbstbeschreibung bewusst zu werden und sie – im Spiegel der Ganzheitserfahrung – immer wieder in ein größeres und passenderes Selbstbild hinein umzuschreiben.

Wie kann man sich denn persönlich dein Modell praktisch zunutze machen?

Mir selbst und vielen Menschen hilft diese oben beschriebene „geistige Landkarte“ zur Orientierung. Meine letzte Krise hätte ich wohl auch überlebt, aber mit Hilfe der Transformationsreise konnte ich wissend die Stationen durchlaufen. Erspart blieb mir nichts und weh tat es auch. Aber wenn ich orientiert bin, in welcher Etappe der Wandlungsreise ich mich befinde, bin ich handlungsfähig. Ich kann den Prozess mitgestalten und erlange eine ganz andere Klarheit und Bewusstheit. Ich werde demütiger und mein Zugang zu Intuition und Wahrheit vertieft sich. Ich werde realistischer, sowohl über das Maß von Veränderung und den Zeithorizont, den es dazu braucht.

 

Kann das Modell auch Therapeuten/Seminarleitern in der Begleitung von Menschen durch Wandlungskrisen dienen?

Hier gilt dasselbe, was ich zum persönlichen Nutzen geschrieben habe: Ich bin als Begleiterin besser orientiert und darum handlungsfähiger. Aber noch mehr: Ich kann Transformationsprozesse auf rituelle Art resp. mit Ritualen gestalten, die die Begegnung mit dem Tod symbolisch fassen und deshalb nachhaltig prägende Wirkung haben. Am uma institut bieten wir solche Prozesse von kleinen Naturerfahrungen bis hin zu 12-tägigen Transformationscamps in der Natur an (Visionssuche). In unserer zweijährigen transformation in natura® – Ausbildung schulen wir Menschen, die Einzelpersonen und Gruppen durch Wandlungsprozesse in der Natur und mit Hilfe des Transformationsreisemodells begleiten wollen.

 

Danke für das Gespräch Ursula!

 

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Buch

Das Wissen vom WandelDas Wissen vom Wandel.
Die natürliche Struktur wirksamer Transformationsprozesse.

Ursula Seghezzi

van Eck Verlag 2013 (Band 3 der Reihe „Bewusst Sein“),

ISBN 978-3-905881-18-9

 

 

 

 

2 Responses

  1. Saskia

    Ganz schöner und berührender Artikel. Die Weisheit dieser Zeilen wird gerade von vielen, vielen Menschen entdeckt und integriert. Eine Spiritualität, die auf den Zyklen der Natur beruht, wird zu wirklicher Transformation und wirklichen Verstehen führen. Danke dir!

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  2. Hua

    Jede Theorie über Spiritualität kann nur Falsch sein… wenn ich derartige Konzeptzeichnungen sehe weis ich das die Person die den Artikel schrieb gar nichts weis…

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