Wie geschieht eigentlich eine Veränderung unserer Persönlichkeit und unseres Lebensgefühls? Von was wird sie beeinflusst und: Wie können wir sie beeinflussen? Eknath Ananda hat sich dieser Fragen angenommen und stellt sie in den größeren Kontext karmischer Bewegungen.

 

Mal ehrlich, wer will schon eine echte Veränderung seines Lebens, eine Metamorphose mit all den damit einhergehenden Bewegungen, Verschiebungen und oft radikalen Umbrüchen?! Alle reden davon, aber wirklich wollen es die wenigsten. Und wenn schon Veränderung, dann bitte gleich eine echte, tiefe Transformation, eine tiefe Wandlung aller inneren und äußeren Lebensumstände, bei der manchmal kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Viele glauben, Veränderung zu wollen, und besuchen deshalb Seminare, die Transformation versprechen, suchen Therapeuten auf, die transformierende Arbeit anbieten, begeben sich in die Hände von spirituellen Lehrern oder versuchen es mit Ayahuasca-Sessions, die gerade in Massen im spirituellen Supermarkt angeboten werden. Doch sind wir wirklich in der Tiefe bereit für Veränderung? In den zwanzig Jahren, in denen ich Menschen auf dem spirituellen Weg begleitet habe, hat sich mir Folgendes gezeigt:

Wir meinen zwar, uns verändern zu wollen, aber wenn es darauf ankommt, halten wir am Alten fest, ja, verteidigen es sogar mit Händen und Füßen. Wir fürchten, was wir nicht kennen. Lieber leiden wir ein wenig am Bekannten, als dass wir ins Unbekannte aufbrechen. Angst ist ein Faktor, der gegen jede Veränderung arbeitet, und ein zweiter ist Bequemlichkeit. Bevor wir tatsächlich Gewohntes aufgeben, nehmen wir darum gerne lange Zeit die Haltung ein, dass es uns ja gar nicht so schlecht geht, und warten ab – andere sind doch viel schlimmer dran.

Aber gut, gehen wir mal davon aus, wir meinten es tatsächlich ernst mit unserer Transformation. Mit welchen Mechanismen werden wir dabei konfrontiert? Und sind all unsere dementsprechenden Bemühungen wirklich sinnvoll und zielführend? Transformation setzt zwei Dinge voraus: jemanden, der etwas transformieren will oder muss, und etwas, das transformiert werden sollte. Gewöhnlich wollen wir etwas transformieren, weil wir nicht damit zufrieden sind. Wir wollen, dass etwas anders, besser, weniger, mehr, schöner, sinnvoller usw. wird. Tatsache ist: Wir wollen etwas ändern, weil wir uns dadurch einen Gewinn oder Vorteil erhoffen. Das setzt jedoch voraus, dass wir wissen, was für uns wirklich besser ist.

Weiß ich, was das Beste für mich ist?

Hier kommt Karma ins Spiel (Der Karma-Grundgedanke laut Wikipedia: ein spirituelles Konzept, nach dem jede Handlung – physisch wie geistig – unweigerlich eine Folge hat. Diese Folge muss nicht unbedingt im gegenwärtigen Leben wirksam werden, sondern sie kann sich möglicherweise erst in einem zukünftigen Leben manifestieren).

Gemäß der Karma-Vorstellung ist es nicht möglich zu wissen, was für uns langfristig am besten ist. Ja, Karma postuliert sogar: Alles, was geschieht, ist immer das Beste für uns. Das ruft wahrscheinlich bei so manchem Widerstand hervor, doch nehmen wir uns mal einen Moment Zeit, um uns das Karma-Prinzip anzuschauen. In seiner Essenz ist Karma das Gesetz von Ursache und Wirkung. Es besagt, dass alles, was geschieht, eine Ursache haben muss, und dass wiederum jede Ursache eine Wirkung hat. Mit anderen Worten: Nichts geschieht ohne einen Grund und alles, was geschieht, zieht auch eine Wirkung nach sich. Ein einfaches Beispiel: Wir lassen eine Tasse fallen und sie zerbricht. Die Wirkung ist das Zerbrechen der Tasse, die Ursache war das Fallenlassen.

Es gibt aber auch Situationen, in denen die Wirkung nicht sofort sichtbar ist, zum Beispiel, wenn wir am Nachmittag eine Tasse Kaffee trinken und am Abend nicht einschlafen können. Da liegen ein paar Stunden zwischen Ursache und Wirkung und daher verbinden wir die zwei Aspekte nicht unbedingt miteinander. Noch weiter sind Ursache und Wirkung beim Rauchen oder ungesunder Ernährung voneinander entfernt, da kann es oft Jahrzehnte dauern, bis die krankmachende Wirkung zutage tritt. Eine karmische Reaktion erfolgt also nicht immer unmittelbar, und wenn viel Zeit zwischen Ursache und Wirkung liegt, erkennen wir meist den Zusammenhang nicht. Zudem ist das Leben sehr komplex, denn die Auswirkungen von Handlungen sind wiederum Ursache für neue Handlungen mit neuen Wirkungen usw. So baut sich eine Kettenreaktion auf, die uns nicht mehr erkennen lässt, aus welchem Grund Dinge geschehen.

Ursache-Wirkungs-Ketten

Im folgenden Beispiel spiele ich mal so eine Kettenreaktion durch. Stellen wir uns vor, ein Junge spielt im Garten mit einem Fußball. Er schießt ihn gegen die Hauswand, in die Luft, gegen die Wand, in die Luft – und plötzlich gegen die Fensterscheibe: Klirrrr! Klarer Fall von Ursache und Wirkung: Ursache ist der Schuss, die Wirkung das Zerbrechen der Scheibe. Im selben Moment steht im Haus die Mutter des Jungen auf einer kleinen Leiter, um etwas von einem hohen Regal zu holen. Erschrocken vom Geräusch der zerbrechenden Scheibe fällt sie von der Leiter und verletzt sich den Fuß. Klarer Fall, oder? Ursache ist das Zerbrechen der Scheibe, als Wirkung davon fällt sie runter und verletzt sich den Fuß.

Sie fährt mit dem Taxi in die Notaufnahme eines Krankenhauses. Dort muss sie mit ihrer relativ geringen Verletzung lange warten. Dabei kommt sie mit ihrem Sitznachbarn ins Gespräch, die beiden verstehen sich sehr gut und tauschen ihre Telefonnummern aus. Ein paar Tage später ruft der Mann an und sie treffen sich zum Kaffeetrinken. Eine Woche später gehen sie Abendessen, einen Monat später spielt er mit dem Jungen im Garten Fußball. Er erkennt dessen Talent und sorgt dafür, dass der Junge in einem Verein spielt. Sechs Monate später zieht der Mann bei der Frau ein, ein paar Monate später heiraten sie, drei Jahre später spielt der Junge in der U-18-Nationalelf und wieder ein paar Jahre später im Nationalteam.

Was hier beschrieben ist, ist ein möglicher Verlauf von Ereignissen. Ein Ereignis ist die Ursache für das nächste, und so reihen sich abwechselnd Ursache und Wirkung auf einen Zeitfaden aneinander wie Perlen auf einer Schnur. Nach diesem Muster laufen die Dinge ständig im „normalen“ Leben ab.

Unsere Bewertungen

Das Interessante daran: Alles, was wir erleben, bewerten wir als gut oder schlecht. Wir würden das Zerschießen der Fensterscheibe als negativ bewerten („das tut man nicht, da gibt’s eine Strafe“), würden fluchen, schimpfen, uns als Opfer fühlen, wenn wir uns den Fuß verletzen, uns aufregen, beschweren etc., wenn wir in der Notaufnahme lange warten müssen. Doch genau dieses Beispiel zeigt uns auch, wohin anscheinend „negative“ Gegebenheiten führen können: dass nämlich der Junge ein erfolgreicher Fußballprofi wird und die Mutter glücklich verheiratet ist.

Oft versuchen wir, den Ausgang von Situationen in der Zukunft in unserer Vorstellung vorwegzunehmen, aber Tatsache ist: Wir wissen im Augenblick eines Ereignisses nicht, wohin es führt. Erschreckend ist jedoch, dass wir so tun, als wüssten wir, ob eine Situation per se gut oder schlecht ist. Wir betrachten Situationen isoliert und bewerten selbst kleinste Ereignisse als richtig oder falsch. Dabei beziehen wir uns immer auf bestimmte Werte, die wir wie eine Schablone über die aktuelle Situation legen. Diese Werte stammen meist aus unserer persönlichen Vergangenheit, aus unseren Mustern und Vorstellungen. Solche Werte können aber auch aus bestimmten Menschengruppen entstehen und ganze Länder betreffen. Deutschland vertritt dabei beispielsweise als Land andere Werte als Uganda. Daher werden Ereignisse unterschiedlich bewertet – aber bewertet werden sie.

Wenn wir also etwas transformieren wollen, sollten wir uns bewusst sein, dass wir immer durch die speziell getönte Brille unserer individuellen Bewertung (oder Gruppen- bzw. Länderwertung) schauen. Laut Karma gibt es allerdings nichts, das tatsächlich besser wäre als etwas anderes. Alles erscheint nur aufgrund unserer persönlichen Werte-Fokussierung als besser oder schlechter.

Karma sagt aber: Sorry, wir können es nicht wissen. Eine Veränderung zum vermeintlich Besseren könnte genauso gut zum vermeintlich Schlechteren führen und umgekehrt. Und so stehen wir vor einem Dilemma: Sollen wir nun etwas ändern oder nicht? Wäre es vielleicht eine Lösung, alles zu akzeptieren? Sind wir dann nicht zur Passivität verurteilt und Opfer jeder Willkür?

Wir sind keine Opfer

Die gute Nachricht lautet: Wir sind keine Opfer, sondern können wählen und unsere Zukunft kreieren. Das hört sich erst mal gut an. Doch die schlechte Nachricht lautet genauso wie die gute, nämlich dass wir keine Opfer von Karma sind und wählen und unsere Zukunft kreieren können. Wir empfinden diese Botschaft deshalb meist als schlecht, weil sie uns in eine Haltung der Verantwortung bringt. Wir können uns nicht mehr herausreden auf die Umstände, können die Schuld an unserem (Un)wohlergehen nicht dem Chef oder der Partnerin in die Schuhe schieben, und das hören wir meist gar nicht gerne. Ist es doch viel leichter, im Außen einen Übeltäter zu bestimmen, als unser „Schicksal“ selber in die Hand zu nehmen.

Spätestens dann, wir unser Leben bewusst in die Hand nehmen und beginnen Verantwortung dafür zu tragen, drängt uns unser innerstes Bedürfnis nach Entwicklung zum möglichst „richtigen“ Handeln. So gestalten wir nach bestem Wissen und Gewissen. Wir können zwar nie sicher sein, dass wir dadurch dorthin kommen, wo wir hin wollen, doch wir können uns gleichzeitig dabei innerlich zurücklehnen, denn das Karma-Prinzip sorgt ja dafür, dass wir am Ende doch dort angelangen. Wie es in der Bhagavad Gita (Kapitel 6, Vers 3) so schön heißt: Für den Weisen, der nach dem Höchsten strebt, gilt Handeln als der Weg, für denselben Weisen, der das Höchste erreicht hat, gilt Nichthandeln als Weg.

Der Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ veranschaulicht im Zeitraffer auf sehr klare Weise das Funktionieren von Karma: ständiges Bemühen um richtiges Handeln, Lernen über Versuch und Irrtum, dabei Transformation von nicht zielführenden Verhaltensweisen und schließlich das „happy end“, indem die tiefste Sehnsucht Erfüllung findet.

Das klingt banal, aber genauso läuft das Prinzip Karma ab. Das Geniale daran ist, dass es unvermeidbar zum letztendlichen Ziel führt. Dieses letztendliche Ziel ist bei allen Menschen dasselbe: die höchste Selbstverwirklichung, Moksha, Eingehen in das Göttliche, Eins-Sein oder wie immer wir es auch nennen wollen. Da sich jeder auf seiner Lebensreise an einem anderen Punkt befindet, wird dies von dem Einzelnen meist nicht als das letztendliche Ziel gesehen, dennoch ist es aus karmischer Sicht seit Anbeginn der Zeit das unvermeidbare Ziel jeglichen menschlichen Strebens. Jeder bewegt sich jederzeit darauf zu, ob er will oder nicht, ob er es erkennt oder nicht und egal, wie lange es dauert. Ein derartiges Verständnis von Karma beschert uns eine eher distanzierte Haltung der Gelassenheit, denn langfristig gelangen wir alle irgendwann an das Ziel unserer tiefsten Sehnsucht – Umwege und Sackgassen gehören einfach dazu.

Drei Arten des Karma

Die Yogaphilosophie spricht beim Karma von drei Unterteilungen: Dem Karmaspeicher (sanchita), in dem Wirkungen „zwischenlagern“, bis sie abgerufen werden (Wirkung des Kaffees über Stunden, des Rauchens über Jahrzehnte …), dem gegenwärtigen Karma (parapdha) und dem zukünftigen Karma (agami). Was bedeutet das? Stellen wir uns einen jungen Mann vor, der in einer Wohngemeinschaft lebt. Er stellt fest, dass er zu wenig Platz im Zimmer hat, packt ein paar Sachen, die er nicht braucht, in einen Karton, schreibt seinen Namen darauf und stellt ihn in den Keller. Ein paar Monate später zieht der Mann in eine andere Stadt. Eines Tages bekommt er ein Paket geliefert. Er öffnet es und erkennt, dass es der Karton mit seinen Sachen ist, die er damals in den Keller gestellt hatte. Seine ehemaligen Mitbewohner hatten den Karton entdeckt und ihn ihm, da sein Name darauf stand, zugeschickt.

Solange der Karton im Keller stand, war er Sanchitakarma (Karmaspeicher). In dem Moment jedoch, als er wieder in den Besitz und in das Bewusstsein des Mannes kommt, wird er zu Parabdhakarma, dem Karma der Gegenwart. Was er jetzt mit dem Karton anstellen wird, bestimmt seine Zukunft und ist somit Agamikarma. Wie er mit dem Karton jetzt umgeht, kann sehr unterschiedlich sein.

Möglichkeit 1: Er hatte einen sehr schlechten Tag: den Job verloren, die Freundin ist davongelaufen und er so aufgebracht, dass er den Karton durch das geöffnete Fenster raus auf die Straße wirft. Ein vorbeifahrender Autofahrer erschrickt und bremst, das nachkommende Auto fährt auf, der Fahrer verletzt sich, unser Mann wird angezeigt, ist stur, erscheint nicht vor Gericht und als Folge davon hat er noch zwei Jahre lang Probleme mit Schadenersatz, Gerichtsverhandlungen etc.

Möglichkeit 2: Er sortiert den Inhalt des Kartons, entsorgt Dinge, nimmt wieder welche zu sich und einen alten Bierkrug schenkt er seinem Nachbarn. Dieser freut sich so darüber, dass er unseren Mann auf ein Bier einlädt, sie einen lustigen Abend verbringen, sich zum Joggen verabreden und daraus eine Männerfreundschaft entsteht.

Keimzellen der Transformation

Die unterschiedlichen Handlungen sind wie das Stellen von Weichen und geben dem Lauf der Dinge völlig verschiedene Richtungen. Sie sind Keimzellen der Transformation. Das bedeutet: Transformation geschieht ständig, und das täglich viele Male. Ständig müssen und dürfen wir wählen, „die Weichen zu stellen“, andererseits besagt aber das Gesetz des Karma auch, dass wir nur unserer begrenzten Einsicht gemäß wählen können. Das heißt letztlich: Wir lernen mittels Versuch und Irrtum. Wir wählen, müssen erfahren, dass uns diese Wahl nicht glücklich macht, und wählen erneut. Das machen wir so lange, bis wir herausgefunden haben, was tatsächlich auf tiefster Ebene zur Erfüllung führt.

Dafür brauchen wir laut Karma viele Leben. Nach und nach wachsen wir dabei über unsere Begrenzungen hinaus, die Wahl, die wir treffen, kommt immer weniger aus unserer individuellen Geschichte, da es ja genau diese Geschichte ist, unsere Persönlichkeit, die wir dabei immer mehr transformieren.

So bewegen wir uns in einer Aufwärtsspirale von der vollständigen Identifikation mit uns selber, der Person mit dieser und jener Geschichte, diesem und jenem Namen, Körper, Beruf, Hautfarbe, etc. hin zur wahren Natur unseres Wesens. Ohne Begrenzung durch persönliche Sichtweisen erkennen wir uns schließlich als die Gesamtheit, als das Eine. Der Suchende hat sich als das Ganze erkannt, es gibt nichts mehr, in das er sich transformieren könnte, er ist bereits ALLES. Denn: Nur wer sich getrennt wähnt, hat den Wunsch nach Vereinigung.

Wenn ich hier kein „nachkochbares“ Rezept vorgeben, keinen konkreten Ratschlag geben kann, wie sich unser Leben am einfachsten transformieren lässt, so spiegelt das eine typisch yogische Haltung wider – alles weist bloß auf die Wahrheit hin, nichts davon ist die Wahrheit. Wir werden letztendlich auf uns selber zurückgeworfen, müssen zweifeln, überprüfen, selber erkennen.

Worte sind wie eine Landkarte des Wissens. Sie zeigen Wege auf, doch welchen wir davon gehen, müssen wir selber bestimmen.

 


Termine:

Anandayoga:
Donnerstag, 17.30-19 Uhr
Power Factory
Tangermünder Straße 129
12627 Berlin

Meditation:
29.1.2017, 16-19 Uhr
Yoga am Treptower Park 40
12435 Berlin

Satsang:
15.1./12.2./12.3.2017
Yogaschule
Jungstraße 14
10243 Friedrichshain

Infos und Kontakt unter
Tel. 0176-43443636
oder mitanada@yogarei.org
www.yogarei.org

 

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