Percy Schmeiser, Landwirt und Saatgutzüchter aus Kanada, wurde weltweit zum Symbol für den Widerstand gegen die brutalen Methoden des internationalen Gentechnik-Saatgutkonzerns Monsanto.

Interview mit Percy Schmeiser am 16.5.08 in Dresden

 

Sein: Der große deutsche Bauernaufstand im Jahre 1524-1525 in Süd- und Mitteldeutschland hatte seine Ursache in den Abhängigkeitsverhältnissen der Bauern von den Feudalherren. Immer höhere und neue Abgaben und die Leibeigenschaft machten das Leben der Bauern zur Qual. Schließlich begehrten die Bauern auf und zogen in den Krieg. Mr. Schmeiser, sehen Sie Monsanto als einen neuen globalen Feudalherren und mögliche Ursache neuer Bauernaufstände, da durch die Geschäftspraktiken Monsantos in Form von Lizenzabgaben, Knebelverträgen und Abhängigkeiten von deren Saatgut, der Bauernstand immer mehr unter Druck gesetzt wird. Quasi die Einführung einer neuen, modernen Leibeigenschaft?

Percy Schmeiser: Bei meinen Veranstaltungen in Kanada erzähle ich gern, dass meine Großeltern – und viele andere Menschen – in den 1890er Jahren aus Europa weggegangen sind, um aus den Abhängigkeitsverhältnissen des Feudalsystems, das die Gewalt über ihr Schicksal hatte, herauszukommen. Sie zogen in ein neues Land, um frei zu sein, um hier ihre Pflanzen anzubauen und zu züchten, in Freiheit. Jetzt, 100 Jahre später, schließt sich der Kreis wieder. Die Herrschaft wird jetzt nicht von Fürsten oder dem Feudalsystem ausgeübt, sondern von Firmen. Und tatsächlich kommt jetzt auch massiver Widerstand unter den Landwirten auf – für die Redefreiheit und für die Freiheit, ihr eigenes Saatgut jedes Jahr wieder verwenden zu können.

Sein: Im Monsanto-Konzern arbeiten 17.000 Menschen. Können Sie sich vorstellen, dass mehr und mehr dieser MitarbeiterInnen die Geschäftspraktiken ihres Arbeitgebers zutiefst ablehnen, weil sie immer mehr das Gefühl bekommen, Monsanto fügt dem Planeten mehr Schaden als Nutzen zu?

Percy Schmeiser: Es wird jetzt viel über die Geschäftspraktiken von Monsanto und über das Image des Konzerns in der Öffentlichkeit gesprochen. Sogar die kanadische Nationalzeitung stellte letzte Woche die Frage: Was denkt sich der Monsantokonzern eigentlich, was er für ein Image von sich erzeugt, wenn er versucht, die Rechte der Landwirte einzuschränken und ihnen die Redefreiheit zu untersagen oder wegzunehmen? Meiner Meinung nach – und viele andere Leute meinen das auch – ist Monsanto die betrügerischste und korrupteste Firma, die es zur Zeit auf der Erde gibt.

Sein: Und was würden Sie diesen Leuten, den Mitarbeitern von Monsanto, gern ins Gesicht sagen?

Percy Schmeiser: Ich frage mich oft, was in diesen Mitarbeitern eigentlich wirklich vorgeht. Viele von ihnen haben Familien, viele machen sich Gedanken über die Nahrungsmittel, die sie zu sich nehmen und die sie ihren Kindern geben. Und es war schon so, dass Leute, die früher für Monsanto gearbeitet haben, zu mir kamen und sagten, sie machten sich Sorgen wegen der Geschäftspraktiken von Monsanto. Einige Monsantomitarbeiter sagten auch, sie könnten nicht mehr für Monsanto arbeiten. Und einige von diesen Angestellten ließen mir sogar vertrauliche Papiere zu den Aktivitäten von Monsanto zukommen. So weit ging ihre Empfindung, dass das, was Monsanto tut, Unrecht ist.

Sein: Was müsste ihrer Meinung nach passieren, damit Monsanto seine lebensfeindlichen Geschäftspraktiken aufgibt und Teil der Lösung wird, anstatt Teil des Problems zu bleiben?

Percy Schmeiser: Ich meine, es ist für jede Firma möglich, ein „anständiges Mitglied der Gesellschaft“ zu werden. Aber die müssen sich mit den Angestellten zusammensetzen, mit Verbrauchern zusammensetzen, mit der Öffentlichkeit zusammensetzen und eine Politik machen, die allgemein akzeptabel ist. Nicht einfach ihre eigene Politik machen nach dem Motto „so oder gar nicht“. Sie müssen also empfänglich werden für die Sorgen und Bedenken der Menschen, besonders im Interesse guter und sicherer Nahrungsmittel. Und ich bin der Meinung, es ist möglich – aber nicht so, wie sie jetzt verfahren, indem sie die totale Kontrolle über das Angebot an Saatgut anstreben. Und darum geht es im Grunde: die totale Kontrolle über das Saatgut und letztlich über das Angebot an Nahrungsmitteln. Es ist sehr ungewöhnlich, dass die Firma Monsanto, die früher einer der größten Hersteller von Chemikalien war, jetzt zur größten Saatgutfirma der Welt geworden ist. Und das zeigt, wie sie die Kontrolle über die Menschen erreichen wollen. Ich war ja mal im Parlament meiner Heimatprovinz. Wie ich es sehe, übt Monsanto jetzt mehr Macht über die Menschen aus, als irgendeine Regierung das überhaupt wagen würde, aufgrund ihrer Firmenstärke und des Geldes, das dahinter steht. Es handelt sich wirklich um einen Missbrauch von Marktmacht.

Sein: Wenn wir hinschauen, wem Monsanto gehört, dann sind die größten Anteilseigner Investmentfirmen wie: Fidelity Management & Research mit 9,76%, Marsico Capital Management L.L.C. mit 5,17%, AllianceBernstein L.P. mit 4,04% oder auch Firmen wie die deutsche Allianz Global Investors mit ihren Anlagefonds. Die Shareholder und Manager dieser Investmenthäuser haben auch Kinder und Enkelkinder. Was würden Sie diesen Menschen einmal ins Gesicht sagen, damit diese noch einmal über ihre Investments in Monsanto nachdenken?

Percy Schmeiser: Bei meinen Veranstaltungen waren immer mal wieder Leute aus diesem Industriebereich anwesend. Und sie stellten sehr gezielte Fragen. Ich antwortete ihnen immer: Sie haben doch eine Familie. Machen Sie sich denn keine Gedanken darüber, was Sie Ihrer Familie zu essen geben, Ihren Kindern, Ihrer Frau? Und als ich das sagte, gaben sie meist keine Antwort mehr, sondern setzen sich einfach wieder. Diese Leute wissen selbst, dass es um den ganzen Themenkomplex von Nahrung und Sicherheit von Nahrungsmitteln und um die Kontrolle über die Menschen geht. Ich meine, dass viele der Beteiligten darüber selbst sehr besorgt sind. Aber sie verdrängen das, sie versuchen das zu handhaben, als ob es eine Art anderes Leben wäre. Das funktioniert aber nicht, denn wenn sie nach Hause kommen, werden sie wieder mit dem wirklichen Leben konfrontiert. Es fällt mir schwer, diese Leute zu verstehen, denn man kann das, was man tut, nicht wirklich trennen, es wirkt sich auch auf das persönliche Leben aus. Ich selbst könnte das nie tun: für eine Firma zu arbeiten, von der ich weiß, das sie den Menschen ihre Rechte nimmt. Damit könnte ich nicht leben. Vielleicht wäre es sogar gut, wenn viele Bürger Anteile an Monsanto erwerben würden und zu den Monsanto-Hauptversammlungen gingen und eine andere Politik hineinbrächten.


Sein: Haben Sie Kenntnis, ob Monsanto zum militärisch-industriellen Komplex der USA gehört?

Percy Schmeiser: Da gibt es eine Drehtür. Nicht nur in den Vereinigten Staaten, auch in Kanada gibt es Leute, die zuerst für Monsanto als Rechtsanwalt gearbeitet haben und danach in der Regierung – und nachdem sie in der Regierung erreicht hatten, was sie wollten, gingen sie wieder in die Industrie. Das ist in beiden Ländern schon geschehen. Ein Beispiel: Die letzte Landwirtschaftsministerin der USA, Ann M. Veneman, war auch Rechtsanwältin bei einer Firma der Monsantogruppe. Ich lasse Sie Ihre eigenen Schlüsse ziehen. Es gibt eine Drehtür zwischen Industrie und Regierung – und nicht nur das, es fließen auch gewaltige finanzielle Beträge an unsere Regierungen, um die gesetzlichen Grundlagen für die Einführung von gentechnisch veränderten Organismen zu erreichen. Und das muss aufhören! Im Zuge meines Gerichtsverfahrens gegen Monsanto stellte sich heraus, dass die Regierung mit Monsanto zusammengearbeitet hatte bei der Entwicklung neuer gentechnisch veränderter Organismen, und dass der kanadische Staat Abgaben bekommt für verkaufte gentechnisch veränderte Organismen. Sie können sich also die Empörung vorstellen, als das an die Öffentlichkeit kam. Was geschieht hier in Deutschland? Was geschieht in anderen Ländern? Ich bin sicher, da könnten ähnliche Vorgänge am Laufen sein wie in Nordamerika, wo wir diese Kuschelbeziehung zwischen Staat und Industrie haben.

Das andere wichtige Thema, das uns Sorgen macht, sind die riesigen Summen, die diese Firmen in die Forschungsinstituteund in die Universitäten fließen lassen. Die sind nicht mehr unabhängig – viele Forschungsprogramme werden von Industrieunternehmen finanziert, und die Forschung geht nur in die Richtung, die die Unternehmen wollen. Wenn die Forschungen etwas Negatives ergeben, darf das nicht veröffentlicht werden, nur das Positive. Diese Forschungsgelder gehören wieder in öffentliche Hand, damit die Forschung unabhängig ist.


Sein: Welchen Ratschlag würden Sie den Verbrauchern mit auf den Weg geben?

Percy Schmeiser: Dass sie sehr achtsam sein sollten, was sie essen und was sie ihren Kindern zu essen geben. Dass sie versuchen sollten, herauszufinden, was in ihren Nahrungsmitteln enthalten ist. In Nordamerika haben wir da ein großes Thema, denn es gibt jetzt gentechnisch veränderte Pflanzen, die verschreibungspflichtige Arzneimittel produzieren. Und es gibt keine Kennzeichnungspflicht in Nordamerika. Es ist schlimm genug, dass gentechnisch veränderte Bestandteile in den Nahrungsmitteln sind, aber jetzt kann es uns auch noch passieren, dass Medikamente drin sind. Es gibt derzeit sechs wichtige Arzneimittel, die von Pflanzen produziert werden, und das geschieht in der freien Natur. Um einige zu nennen: Empfängnisverhütungsmittel, Wachstumshormone, Blutgerinnungsmittel. Wir haben keine Kennzeichungspflicht, und das ist eine drastische Menschenrechtsverletzung, wenn man nicht weiß, was man da isst, eine Verletzung der Verbraucherrechte. Ich nenne Beispiele: Als ich neulich in Kalifornien war, sprach ich mit Ärzten, die sehr beunruhigt waren, denn was passiert zum Beispiel, wenn eine schwangere Frau unwissentlich Empfängisverhütungsmittel mit der Nahrung zu sich nimmt? Oder wenn jemand eine Operation hat und Essen mit einem Blutgerinnungsmittel drin bekommt? Das sind jetzt große Themen für uns – es sind nicht nur die gentechnisch veränderten Pflanzen, es sind auch die Bakterien und Viren und verschreibungspflichtigen Medikamente in der Nahrung.
Mein Rat ist, sehr achtsam und vorsichtig zu sein und sich von gentechnisch manipulierten Substanzen fernzuhalten. Es gibt viele andere, gute Lebensmittel auf dem Markt. 91 Prozent der kanadischen Bevölkerung sagten bei einer Befragung, dass sie, wenn sie wüssten, welche Bestandteile in einem Nahrungsmittel enthalten sind, keine gentechnisch veränderten Substanzen zu sich nehmen würden; das wäre das Ende dieses Industriezweigs. Wir brauchen die Kennzeichnung. Die Leute müssen das wissen. Diese Freiheit darf nie versagt werden.


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Über den Autor

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Seit mehr als 50 Jahren Landwirt und Saatgutzüchter in Bruno, Saskatchewan, Canada, sah sein Lebenswerk in der erfolgreichen Züchtung von Raps, der optimal an die örtlichen Standortbedingungen angepasst war. 13 Jahre lang war er außerdem Bürgermeister seiner Heimatstadt, 5 Jahre auch Abgeordneter im Parlament der Provinz.

Weltweite Berühmtheit erlangte er durch seinen Widerstand gegen die Gentechnikfirma Monsanto: 1997 fand sich auf einem seiner Felder gentechnisch veränderter Raps, der durch Pollenflug dort hingelangt war; dies nahm Monsanto zum Anlass, ihn zu verklagen, weil er ohne Lizenz Monsanto-Raps angebaut habe, der Konzern forderte Lizenzgebühren. Schmeiser wollte jedoch die Verunreinigung seiner Felder nicht hinnehmen. Nach 10 Jahren nervenaufreibenden Rechtsstreits wurde schließlich entschieden, dass Schmeiser Monsantos Geldforderungen nicht nachkommen muss. Ein zweiter Rechtsstreit, den Schmeiser gegen Monsanto führte, endete mit einem Schuldeingeständnis Monsantos, dass der Konzern für die Kontamination einiger Felder Schmeisers verantwortlich sei.
2007 wurden er und seine Frau Louise mit dem Right Livelihood Award, dem Alternativen Nobelpreis, ausgezeichnet.

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