Za-Zen oder Der Geschmack der Stille

Ein Ort nah am Zentrum und doch jenseits der Zeit: enge Gassen, alte Giebel, ein schmaler Bach und mittendrin, geborgen in Stille, ein bescheidenes Kloster in lichtem Gelb. Könnte man über die dicken Klostermauern schauen, würde man sich die Augen reiben. Am Rande des Klostergartens, direkt an den 300 Jahre alten Klosterbau angeklebt, erblickt der Besucher ein Stück Japan im idyllischen Altmühltal. Es ist die Zen-Halle (Zendo) im Meditationshaus der Franziskaner in Dietfurt, einem in ganz Europa einzigartigen und geschätzten Zen-Zentrum.

 

Geistliches Biotop

 

Hier beginnt für jeden von uns 40 Kloster-Novizen eine wirklich abenteuerliche Reise: eine Reise zu uns selbst in sieben Tagen. Das Abenteuer heißt Za-Zen und bedeutet „Sitzen im Schweigen“. Für Pater Johannes Messerer (49), den Leiter des Meditationshauses St. Franziskus, ist das Sitzen im Schweigen „höchstes Tun, Da-Sein in wacher Präsenz, wo ich alles lasse, was den Lebensfluss hindert“. Daraus erwachse ein ganz neues Daseinsgefühl, beschreibt der Franziskanerpater den Geschmack der Stille. Das Franziskanerkloster und sein Zen-Meditationszentrum ist für jährlich 2000 Menschen geistliches „Biotop“. Es ist ein Ort, wo Menschen unterschiedlichster Herkunft hinter Klostermauern seriöse Anleitung für die Reise zu sich selbst bekommen.

 

Auf Socken das Zendo spüren

Es ist kurz vor 7 Uhr und ich bin neugierig auf meine ersten 2 x 20 Minuten Meditationsübung. Ich ziehe meine Hausschuhe aus vor dem Zendo als Zeichen dafür, jetzt alles abfallen zu lassen, was zur Welt draußen gehört. Ich mache mich auf die Socken, laufe über die grobe Struktur des maisgelben Sisal und spüre die Flechtstrukturen auf den Fußsohlen. Frische Luft strömt durch die geöffneten Fenster in die Halle. Ich sehe mich um: Das Zendo zeigt klare Linien. An hellen Holzwänden vorbei schreite ich durch einen lichtdurchfluteten Gang, der – ähnlich wie ein Kreuzgang in einem alten Kloster – um ein Atrium führt. Dieses Gehen im Wandelgang wird zu einem immer bewussteren Schreiten. Um mich herum schlichter, begehbarer Minimalismus. Im Atrium ein Zen-Gärtchen mit Bonsai-Kiefer. Von dort ein erster Blick in den Meditationsraum, wo Männer und Frauen in gedämpftem Licht runde Kissen und niedrige Meditationsbänkchen zurechtrücken, bereit zur ersten 20-minütigen Meditation im Za-Zen, wenn der Gongschlag des Kursleiters ertönt.

 

Za-Zen ist Sitzen im Schweigen

Was ist das ganz genau, Meditation im Za-Zen? Das ist nicht leicht zu beschreiben. Es ist Sitzen im Schweigen, aber nicht das Nachdenken über etwas. Es ist mehr ein Geschehen-Lassen, ein Zulassen, ein passives sich-öffnen. Es ist ein Stillwerden der vielen Gedanken und Gefühle, die im Alltag über uns hereinströmen (Kopfkino). Eine Grunderfahrung, auf die Meditation hinsteuert, ist die Erfahrung von Einheit. „Unsere Welt ist“, so Pater Johannes, „polar strukturiert, auf den Gegensatz angelegt: Mann-Frau oder Himmel-Erde, das sind solche Polaritäten.“ Ziel der Meditation sei es, die Polarität zur Einheit werden zu lassen, aber die Gegensätze der polaren Welt nicht aufzuheben, sondern sie auf eine höhere Ebene zu stellen. Der Mensch öffne sich im Za-Zen einer größeren Wirklichkeit. Für Pater Johannes, der als Kursleiter seine Gäste ins Schweigen begleitet, ist Za-Zen ein Weg zu eigener authentischer Erfahrung mit sich selbst und der Wirklichkeit Gottes. In seinen Kursen geht es nicht um ein Reden über etwas, sondern um das konkrete Tun, das Einüben des Sitzens. Wie heißt es im Zen? Ein Tropfen Erfahrung ist mehr wert als ein Meer von Wissen. Zen ist in seiner Essenz nicht Lehre, sondern „lebendiges Brot des Geistes“.

 

Wenn die Füße taub werden – die schmerzhafte Erfahrung auf dem Sitzkissen

Das Sitzen im Schweigen muss man lernen, es ist ein Übungsweg. Ich bin 1,88 groß und fast zwei Zentner schwer und soll auf einem kleinen runden Sitzkissen knien. Um es vorweg zu sagen: Das ist eine äußerst schmerzhafte Erfahrung. Sie ist so schmerzhaft, weil vom Knie abwärts meine Sehnen und Bänder so stark gedehnt werden, dass ich mich erst mal langsam zur Seite fallen lasse, um die Beine und Füße zu entspannen. Noch ein zweites Kissen auf das erste packen, denke ich. Damit geht´s schon wesentlich besser. Je höher ich sitze, sage ich mir, desto weniger Belastung auf Knie und Füße. Trotzdem: Es zieht und spannt bei mir weiterhin, meine Füße werden taub. An Aufstehen ist nicht zu denken. Ich bringe die Arme und Hände auf den Boden, stütze mich darauf und tatsächlich, sie kommt wieder, die Durchblutung in den Beinen, die Taubheit der Füße lässt nach. Wie meinte Pater Johannes in seiner Einführung? „Die Sitzhöcker sind die Füße des Rückens!“ Mag sein. Und was sollten wir beherzigen? „Wir üben Achtsamkeit in allem, was wir tun und streben danach, die Übungen von Anfang an vollkommen zu machen“. Ich bemühe mich ja, aber das ist verdammt schwer. Das aufrechte Sitzen bleibt mir bis zum Ende der Woche schmerzhafte Erfahrung, 6 x 20 Minuten am Tag. Besser komme ich mit dem Fließen des Atems zurecht. Die Hilfestellung „Das Atemzählen ist das stärkste Geländer zur Meditation“ hilft mir. Ich zähle eins und atme ein, ich zähle zwei und atme aus. Ich lasse den Atem einströmen und wieder bewusst ausströmen. Ich will wie ein Berg sein, der in sich ruht. Ich versuche das Sitzen ohne Absicht, in einem Gefühl der Würde, in großer Gelassenheit, innerlich lächelnd. Und dann sage ich A wie Aufmerksamkeit, L wie liebende Akzeptanz, O wie Offenheit. Aber meine Gedanken gehen einfach spazieren, sind draußen in meiner Berufswelt, springen herum, gehorchen mir nicht, tun einfach nicht, was ich will, folgen nicht. Endlich ertönt der Gong. Die ersten 20 Minuten Meditation sind überstanden.

 

Zen-Meditation – ein Übungsweg in unsere Mitte

Zen ist kein Schnellverfahren, eher eine Lebensaufgabe und eine Lebenspraxis. Der Weg führt in unsere Mitte, hin zum eigenen Selbst. Za-Zen ist aber nicht narzisstische Selbstpflege. Im Gegenteil: Wer meditiert, muss sein Ego überwinden, um zu seinem tiefsten Ich, zu seinem Wesensgrund zu finden. Der Weg in unsere Innenwelt, in unseren Seinsgrund, der uns auch den Gottesgrund eröffnet, wird in der Zen-Meditation aufgezeigt. Wer diesen Übungsweg einschlagen will, für den ist der Einführungskurs in die Meditation in Dietfurt eine ausgezeichnete Grundlage. Am Anfang geht es um das aufrechte Sitzen und das Fließen des Atems. Körper, Atem und Geist werden beim Sitzen im Schweigen geordnet, koordiniert und vom Teilnehmer als eine Einheit erfahren. „Meditation ist der klarste Bewusstseinszustand, den wir kennen“, erklärt Pater Johannes seinen Gästen im täglichen Vortrag zum tieferen Verständnis dieses Übungsweges. Sechsmal täglich trifft man sich im Einführungskurs jeweils 20 Minuten zum Za-Zen in der Zen-Halle. Dazwischen schreiten die Kursteilnehmer in Socken durch die Wandelgänge, die um das Zendo herumführen. Dann geht jeder wieder auf seinen Platz in die Halle, richtet Kissen oder Bänkchen zurecht bis ein Gong ertönt, das Zeichen für die nächste Runde gemeinsamen Schweigens.

 

Schweigen eine Woche lang

Wir, die Teilnehmer dieses Anfängerkurses in Meditation, schätzen sehr schnell die Atmosphäre des Hauses. Sie ist trotz des fernöstlichen Anklangs und der Beschäftigung mit dem Zen immer noch die eines alten Franziskanerklosters, einfach und bescheiden. Die Dietfurter Küche schmeckt uns. Sie bringt vor allem die Früchte des Klostergartens und auch des Klosterteichs auf den Tisch. Es wird fleischlos gekocht. Wohltuend empfinden wir Kursteilnehmer, dass während der gesamten Kurswoche durchgehend Schweigen herrscht. Das hilft beim Zur-Ruhe-Kommen. Auch beim gemeinsamen Essen schweigen wir. Dafür entdecken wir das Schmecken wieder und das Sich-Zeit-Nehmen für eine Mahlzeit.

Gott ist gegenwärtig

Was ist das Ziel der Meditation? Pater Johannes: „Ziel des Sitzens ist es nicht, in Ekstase oder sonstige übermentale Zustände zu geraten, sondern es geht um eine wache, schwingende Präsenz: Gegenwärtig werden für die Gegenwart des Gegenwärtigen. Es geht um die Erfahrung des „Ich-bin-da“ (Jahwe). Wer meditiert, soll frei werden für die Erfahrung des Einen, des Absoluten, des „ursprünglich sich Zeigenden“ (Thomas von Aquin). Im Zen nennt man diese Erfahrung Satori oder Erleuchtung. Wir Christen sprechen von Gotteserfahrung. Biblisch gesprochen ist es die Erfahrung der Gottesfülle: Gott ist gegenwärtig, das ist die Essenz der christlichen Mystik. Mehr noch: Es ist der Kern und das Herz der christlichen Religion, ja, es ist das Herz aller Religionen.“

 

Die Integrationskraft der Meditation

Pater Johannes, der Leiter des Meditationszentrums, wirkt keineswegs vergeistigt. Er ist eher ein Mensch ganz von dieser Welt: gescheit, wach, lebhaft, von gelassener Fröhlichkeit. Welche Früchte bringt Meditation für den Alltag, wird er oft gefragt und er antwortet: Gelassenheit, Mündigkeit, Unabhängigkeit, aber auch das liebevollere und achtsamere Miteinander-Umgehen. Das bestätigen auch Kursteilnehmer, die immer wieder zum Meditieren nach Dietfurt kommen. Das Leben werde vielfältiger, reicher, meinen sie. Meditation sei eine Kraft, die aus der Stille kommt und einen ständigen Prozess des Reifens in sich birgt. Am wichtigsten sei aber: Meditation müsse in dem Moment zur Wirkung kommen, in dem man den Meditationsraum verlässt. Das heißt: Jedes tägliche Handeln soll und kann von dieser inneren Haltung geprägt werden.

 

Pater Johannes sieht das Angebot des Klosters auch unter dem Leitgedanken der Integration der großen Religionen. Die zen-buddhistische Methode wird hier in Dietfurt in den christlichen Glauben eingebunden. „Viele Meditationshäuser sind kirchenfern und theologielos“ sagt er. „Andererseits ist die akademische Theologie erfahrungslos und praxisfern. Wir versuchen, eine gesunde Mitte zu finden.“ Natürlich, und das betont der Franziskanerpater, „sind wir immer ein Teil der Kirche, der sich hier für jedermann öffnet“. Zu den 50 Kursen im Jahr kommen nämlich nicht nur Katholiken und Protestanten aus ganz Deutschland, sondern auch Menschen aus anderen Religionen, auch solche, die sich von den Kirchen abgewendet haben, solche, denen Dogmen, Riten und Strukturen Probleme bereiten und auch viele, die überhaupt nicht glauben. „Jeder Mensch hat ein mystisches Existenzpotential“, betont Pater Johannes. „Wir bieten an, dieses Potential zur Entfaltung zu bringen.“

 

Information:

Meditationshaus St. Franziskus,
Klostergasse 8, D 92345 Dietfurt/Altmühltal
Tel.: 0 84 64 – 65 20, Fax: 0 84 64 – 6 52 – 22
E-mail: meditationshaus.dietfurt@franziskaner.de
Internet: www.meditationshaus-dietfurt.de

 

 

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