„Die Erinnerung an ein Trauma wird förmlich in den menschlichen Organismus gestanzt… Ich glaube nicht, dass man dies überwinden kann, ohne eine positive Beziehung zu seinem Körper aufzubauen.” Dr. Bessel van der Kolk

Von Brigitte Löwenbrück

Traumatische Erfahrungen können Menschen in ihrem innersten Sein erschüttern. Als Folge außergewöhnlich belastender Ereignisse kann eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entstehen, die mit Methoden der Traumatherapie sehr gut behandelbar ist. Wiederholte überwältigende Belastungen wie zum Beispiel frühe Gewalt- und Missbrauchserfahrungen im Kontext von Beziehungen können zu komplexen Störungsbildern führen, bei denen die Symptomatik über die einer PTBS hinausgeht. Häufig geht eine Entfremdung vom physischen Körper damit einher.

Verbal-kognitive Therapien, wie beispielsweise gesprächsbasierte Therapien, erzielen hier nicht immer ausreichend befriedigende Behandlungsergebnisse. Komplexe Traumatisierungen und Entwicklungstraumen haben so gravierende Auswirkungen auf den gesamten Organismus, dass es inzwischen ein wachsendes professionelles Verständnis für die Notwendigkeit gibt, den Körper in die Therapie einzubeziehen.

TCTSY in der Behandlung von Trauma

Der Traumaforscher Dr. Bessel van der Kolk hat in langjähriger Zusammenarbeit mit dem Yogalehrer David Emerson am Trauma Center Boston, einem Behandlungszentrum für traumatisierte Menschen, das „Trauma Center Trauma Sensitive Yoga – TCTSY“ entwickelt und erforscht. Bei 52 Prozent der Studienteilnehmerinnen mit chronisch-behandlungsresistenter PTBS konnten in einer randomisiert-kontrollierten Studie keine PTBS-Symptome mehr nachgewiesen werden, die restlichen Teilnehmerinnen erlebten eine erhebliche Symptomreduzierung. In den USA ist die Methode aufgrund der guten Erfahrungswerte inzwischen als Behandlungsmethode bei Trauma anerkannt.

Komplex traumatisierte Menschen können allerdings vom Potential des Yoga nur profitieren, wenn Yoga konsequent ihren Bedürfnissen angepasst wurde. Eine trauma-sensitive oder trauma-informierte Yogapraxis erfordert grundlegendes Wissen über Traumata und die Fähigkeit, dies in die Praxis zu übersetzen, um das Risiko einer Retraumatisierung für Betroffene zu minimieren. Grundlagen und Ziele des TCTSY „Eine Behandlung, die die Selbstbestimmung einer traumaüberlebenden Person mindert, ist schlicht in keiner Weise förderlich für die Heilung. Egal wie hilfreich diese auch zunächst erscheinen mag.” (Judith Herman)

Traumatheorie, Bindungstheorie und Neurowissenschaften bilden die handlungsleitenden Grundlagen für das Bostoner Yogaprogramm. TCTSY ist dem Empowerment-Ansatz (Selbstbemächtigungs-Ansatz) der Psychiaterin Judith Herman und den Erkenntnissen von Dr. Bessel van der Kolk in besonderer Weise verpflichtet. Dieser konstatiert, als wesentliches Ziel der Traumatherapie, Betroffene dabei zu unterstützen, im gegenwärtigen Moment zu verweilen, um nicht wiederholt von Erfahrungen der Vergangenheit überwältigt zu werden. Die Bindungstheorie beschreibt die Grundlagen für die Bedeutung von sozialem Support, auf den wir als menschliche Wesen unbedingt angewiesen sind, um wachsen und heilen zu können. Von den Neurowissenschaften wurde das Konzept der Interozeption (Fähigkeit Körperempfindungen an sich wahrzunehmen, zu deuten und adäquat darauf zu reagieren) zu einem der wichtigsten Schlüsselelemente in dieser Yogapraxis adaptiert. Ziel ist es, interozeptive Verbindungswege, Verarbeitungsprozesse und Fähigkeiten systematisch zu aktivieren.

Trauma-Yoga in der Praxis

Mit jeder einzelnen Yogaform werden die Betroffenen eingeladen, sich ihrem physischen Körper auf sanfte Art (wieder) zu nähern, ihn im gegenwärtigen Moment achtsam wahrzunehmen und allmählich eine freundliche Beziehung zum Körper (wieder) aufzubauen. Kein leichtes Unterfangen, wenn das Trauma zu einem verkörperten Schrecken geworden ist. Eine einladende Anleitungs-Sprache, die Ermutigung von Teilnehmer/ innen, Wahlmöglichkeiten und Bewegungsalternativen wahrzunehmen, abhängig davon, was sie in ihrem Körper spüren, der Verzicht auf physische Berührungen etc. macht den Yogaunterricht zu einem möglichst sicheren Ort für Betroffene.

Die Praxis wird als Prozess einer gemeinsamen, authentischen Erfahrung gestaltet, bei der alle Beteiligten in Verantwortung für den eigenen Körper bleiben. Häufig beginnt die Yogapraxis auf dem Stuhl und zu einem späteren Zeitpunkt ist es eventuell möglich, auf der Matte zu praktizieren. TCTSY wertet den Ansatz von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung und das Nicht-Anhaften an Ergebnissen für die Heilung von Trauma höher als zum Beispiel Anleitungen zur Selbstregulation durch Yogaformen oder Atemtechniken.

Es ist vielmehr Aufgabe der/des Anleitenden in achtsam- mitfühlender Präsenz den Raum zu halten für alles, was in der Stunde auftaucht, und auf diese Weise zur Co-Regulation der TeilnehmerInnen beizutragen.

Licht und Schatten

Traumatisierte Menschen brauchen nicht nur ein hilfreiches Yogaprogramm, sondern vor allem qualifizierte und mitfühlende Yogalehrer/ innen, denen sie sich anvertrauen können. In diesem Zusammenhang ist es für Yogalehrende sehr wichtig, sich neben einer traumaspezifischen Qualifizierung auch kritisch mit den Schattenseiten der Yogawelt wie Gurutum, Mythen, Ideologien von Traditionen, Missbrauchsskandalen und Machtdynamiken auseinanderzusetzen. Regelmäßige Selbstreflexion und Supervision, kontinuierliche Weiterbildung und eine gute Selbstfürsorge sind Voraussetzung, um diese herausfordernde, aber auch lohnende Arbeit dauerhaft gut machen zu können. Für Psychotherapeut/innen sind diese Anforderungen selbstverständlich, für Yogalehrende im Traumabereich müssen diese Standards erst etabliert werden, um eine sichere und gute Versorgungsqualität zu gewährleisten. Der Aufbau eines kollegialen Netzwerkes steht in Deutschland und Europa erst am Anfang. Den Pionier/innen, die das Licht des Yoga traumasensitiv an Betroffene weitergeben, sei an dieser Stelle besonders gedankt.

Termine:

David Emerson, Direktor des Yogaprogrammes des Trauma Center wird vom 17. bis 20. April 2018 erstmals eine 4-tägige TCTSY-Einführungsveranstaltung in Berlin anbieten – für interessierte Yogalehrer/innen, Psychotherapeut/innen, Traumapädagog/innen, Traumafachberater/innen, Körpertherapeut/innen, Menschen, die in der Flüchtlingshilfe tätig sind und andere professionelle Helfer/innen im Traumabereich.

Literaraturempfehlung:

David Emerson, Elisabeth Hopper „Trauma-Yoga: Heilung durch sorgsame Körperarbeit“, Probst Verlag, ISBN 978-3-9813389-4-2
David Emerson, Trauma-Yoga in der Therapie. Die Einbeziehung des Körpers in die Traumabehandlung,. Probst-Verlag, ISBN 978-3-9444476-14-8

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