Warum fließt es so selten in unserem Dasein? Warum müssen wir uns immer wieder Urlaub nehmen vom ganz normalen Leben, um mal durchzuatmen und einen inneren Raum von Leichtigkeit betreten zu können? Elke Jari zeigt an neun verschiedenen Interpretationen des Lebens – sogenannten Fokussierungen – wie wir uns mit unserem speziellen Blickwinkel selbst eng und das Leben schwer machen.

Wir wünschen uns Leichtigkeit, stellen aber fest, dass es nicht so leicht ist mit der Leichtigkeit. Doch was ist es, das es uns so schwer macht? Wenn wir in unserer Essenz sind, frei von Ängsten und Mustern, können wir mit uns selbst und anderen eine unbeschwerte Zeit haben. Doch dann gibt es Momente, in denen unsere traumabedingten Ängste angestoßen werden. In diesen Momenten nehmen wir Zuflucht zu einem in frühen Kindheitstagen erworbenen Schutzstil, der damals hilfreich war. Unsere Aufmerksamkeit verengt sich dabei auf eine von neun möglichen Fokussierungen, auf ganz spezielle Interpretationen einer bestimmten Situation, und wir werden eng, verkrampfen uns, statt locker, leicht und fließend zu bleiben. Was eben noch locker-leicht war, wird auf einmal beschwerlich. Daraufhin fangen wir an, mit dem Leben zu hadern und uns zu beschweren und bekommen dann auch noch gesagt: „Mach dich mal locker“. Grrr! Klar wären wir gerne locker, aber wie? Sieht der andere denn gar nicht das Problem? Doch wie der oder die andere auf eine bestimmte Situation schaut, hängt eben davon ab, welche primäre Fokussierung er oder sie hat.

Es gibt neun verschiedene Fokussierungen

Wir richten dabei die Aufmerksamkeit auf:
1. das, was nicht in Ordnung ist
2. die Bedürfnisse der anderen
3. gutes Aussehen und erfolgreiches Handeln
4. das, was fehlt
5. eindringliche Erwartungen und den Mangel an Ressourcen
6. Gefahr und Abwendung von Gefahren
7. angenehme Möglichkeiten
8. Macht und Kontrolle.
9. Unwesentliches

Innere Fokussierung trifft Situation im Außen

Für Menschen, die mit ihrer Aufmerksamkeit beispielsweise auf das fokussiert sind, was nicht in Ordnung ist, wird es schwierig, wenn sie den Eindruck haben, dass etwas nicht nach ihren Vorstellungen vom einzigen richtigen Weg läuft. Menschen, die auf gutes Aussehen und erfolgreiches Handeln fokussiert sind, werden eng, wenn Misserfolg droht oder ihr Selbstideal, erfolgreich zu sein, in Frage gestellt wird. Menschen, deren Fokus auf Gefahr und der Abwendung von Gefahren liegt, verlieren sich im Kopfkino, das ihnen zeigt, was alles Schlimmes passieren kann und wird. Menschen, deren Fokus auf Unwesentlichem liegt, werden starr, wenn sie notwendigen Auseinandersetzungen nicht mehr ausweichen können. Menschen die auf angenehme Möglichkeiten fokussiert sind und meistens erstmal locker leicht wie ein Schmetterling daherkommen, überraschen ihre Mitmenschen mit plötzlicher Verkrampfung, sobald das Thema Begrenzung bei ihnen angestoßen wird. Ist der Fokus erstmal verengt, kann das Innen nicht so einfach loslassen: Es verstrickt und verfängt sich, ist gefangen und kann sich innerlich oder äußerlich nicht so ohne weiteres von diesem Fokus lösen. Atem, Stimme und Klänge, fließende, dehnende, schüttelnde oder rhythmische Bewegungen sowie Berührung, Kontakt zur Natur oder ein Eintauchen in unsere Hobbies können uns entspannen und den Fokus wieder weiten. Doch wenn wir uns akut „verhakt“ haben, funktioniert manchmal nicht mal das.

Bewusstsein in die Zusammenhänge bringen

Wenn ich herausgefunden habe, was meine Variante von Verkrampfung der Lebensenergie, der Fokussierung ist, und wenn ich durch Selbsterforschung erkannt habe, wie diese Verkrampfung in meinem System „einrastet“, kann ich immer schneller merken, wenn dieses Einrasten passiert. Ich kann es merken, weil ich die Gedanken, die ich dann denke, wiedererkenne, ebenso das dazugehörige Körpergefühl, meine Stimmlage und Verhaltensweisen. Dass diese Art einer übergeordneten Selbstwahrnehmung im wahrsten Sinne des Wortes lebensnotwendig ist, zeigt die Tatsache, dass neunzig Prozent unserer normalen Aufmerksamkeit um das Thema unserer Fokussierung kreisen.

Wir haben uns so an diesen lebensverengenden Fokus gewöhnt, dass er uns meist an uns selbst gar nicht mehr auffällt, sondern oft nur an unserem Gegenüber. Denn was wir erleben, wird mehr oder weniger automatisch durch den Filter der Fokussierung geschickt und unter dem Gesichtspunkt der Fokussierung bewertet. Wenn unser inneres Frühwarnsystem, das an unsere Fokussierung angeschlossen ist, meldet, dass alles im Sinne unserer Fokussierung angenehm läuft, sind wir beruhigt und spüren Leichtigkeit. Aber wir wissen alle, wie schnell etwas geschehen kann, das unser Wohlgefühl stört und uns in Alarmstimmung versetzt. Was der Fokussierung zuwider läuft und unsere alten, durch Traumata bedingten Ängste unbewusst oder bewusst anstößt, lässt uns schnell alle Leichtigkeit verlieren.

Die Attraktivität von Rausch mag sich dadurch erklären, dass der Rausch eine Möglichkeit ist, um der Verkrampfung für eine Weile zu entkommen und auf diese Weise Leichtigkeit zu erzeugen, ohne sich mit den mitunter tief vergrabenen und doch ständig wirkenden Ängsten beschäftigen zu müssen – eine Art Leichtigkeits- Bypass, der meist anstrengungslos und schnell verfügbar ist. Es ist ja auch tatsächlich eine ziemliche Herausforderung, sich mit dem inneren Labyrinth auseinanderzusetzen. Es braucht viel Zeit, Kraft und Engagement, Licht in die verschlungenen Gänge unseres Unbewussten zu bringen und durchzublicken, aus welchen Strukturen wir bestehen und wie sie uns steuern. Und immer wieder legen sich Nebelschleier über den Weg, wenn wir uns vortasten zu unserer Essenz. Was wir schon herausgefunden hatten, vergessen wir dann wieder, es entzieht sich dem Bewusstsein und kommt uns wie neu vor, wenn wir – manchmal Jahre später – wieder an die gleiche Stelle kommen. Und auch wenn unser Selbstschutz, der entscheidet, ob wir bereit sind, eine bestimmte Wahrheit zu integrieren und zu leben, hier immer wieder eingreift und uns scheinbar oft ausbremst: Wer dranbleibt, wird irgendwann zu sich selbst vordringen können.

Selbstmitgefühl

Der Gegenspieler der Leichtigkeit ist die Angst, die Sorge. Das traumatisierte Kind in uns ist schnell erschreckt. Ein Blick, ein Wort, fast alles kann das Trauma in uns anklingen lassen. Es ist also kaum zu erwarten, dass wir uns permanent leicht fühlen. Von uns zu erwarten, dass es immer leicht sein sollte, löst schon wieder den nächsten Stress aus. Verständnis für uns selbst dafür, dass es eben nicht immer leicht ist, dass es immer mal Momente des traumatischen Angestoßen- und Ausgelöstseins geben wird und dass einige Situationen im Leben geradezu prädestiniert dazu sind, uns aus der Bahn zu werfen, ermöglicht tatsächlich schon etwas mehr Leichtigkeit. Schließlich geht es unter der Oberfläche des konflikthaften Erlebens eines Erwachsenen zumeist um die Überlebensangst des kleinen Kindes in uns.

Darum: Uns selbst Mitgefühl für unsere Muster und liebevolles Verständnis für die Zusammenhänge zu geben, erleichtert. Wenn ich weiß, was meine Geschichte ist, weiß, welche Ängste mein inneres Kind aus dieser Geschichte mitgebracht hat, und weiß, in welcher Fokussierung ich mich aufgrund dessen verhake, habe ich mehr Verständnis für mich, wenn es mal wieder passiert, dass ich nicht locker lassen oder locker bleiben kann. Mit der Zeit kenne ich dann meine innere Landkarte, mein inneres Labyrinth – und aus Erfahrung auch die Stationen des Wieder-Freikommens. Ich wende mich mir, so gut es mir möglich ist, zu. Die Gefühle fühlen dürfen, die Gedanken aussprechen dürfen, gehört werden, mitgefühlt und verstanden werden – das alles sind Dinge, die in den dysfunktionalen Familien, aus denen viele Menschen kommen, keine Selbstverständlichkeit sind.

Und weil unsere Eltern für uns aufgrund ihrer eigenen Ängste und Muster an manchen Stellen keine optimale Unterstützung sein konnten, waren wir an diesen Stellen mitunter ziemlich allein. Wenn wir die Leichtigkeit des Seins immer mehr erleben wollen, ist es an uns, jetzt für unser inneres Kind da zu sein und ihm – so gut wir das können – gute Mütter und Väter zu sein.

Neue Perspektiven werden möglich

Das Fühlen der Gefühle, das Aussprechen der Gedanken, das Gehörtwerden – und sei es im Zweifelsfall auch nur von mir selbst, der Erwachsenen in mir (der schönere Fall wäre es, von einem anderen Menschen mitgefühlt zu werden, der die Zusammenhänge versteht), das kann Erleichterung bringen, wenn sich das innere Kind in seine Ängste und in seine Fokussierung verstrickt hat. Die Verkrampfung der Energie um das Thema der Fokussierung kann sich lockern. Wenn während einer Überforderung weder das Annehmen, Verlassen oder Verändern der Situation möglich zu sein scheint, können wir uns dann inmitten unserer persönlichen Hölle vielleicht innerlich umarmen, weil wir verstehen, dass das, was wir erleben, mit unserer Verstrickung in unsere Fokussierung zu tun hat. Und wenn ich mich meinem Verkrampftsein zugewendet habe, ihm Verständnis entgegengebracht habe, dann kann sich auch wieder etwas lockern, dann kann ich vielleicht nach einer kleinen Weile wieder ins Fließen kommen. Das ist dann ein guter Moment, mit den Schultern zu kreisen oder mich zu schütteln, um die Verspannung abzuschütteln. Das Schauen weitet sich wieder, der Scheuklappenblick entspannt sich.

Und manchmal löst sich dann sogar auch im Außen etwas und eine neue, weniger bedrohliche Perspektive offenbart sich auf ganz natürliche Weise. Wenn wir uns aus den Fängen des Musters und der Fokussierung lösen, sind wir gelöst, ja für einen Moment geradezu erlöst. Später greift das Muster mit seiner Fokussierung dann meist leider wieder zu. Das ist eben der ganz normale Wahnsinn. Aber wir können lernen, besser damit umzugehen. Und während wir Verständnis entwickeln für die Zusammenhänge unseres eigenen Verhaltens mit unserer Geschichte, unseren Ängsten, unserer Fokussierung, haben wir zudem die Chance, Verständnis für das Labyrinth der Menschen zu entwickeln, die mit einer anderen Fokussierung als unserer zu tun haben. Wir können deren – für uns mitunter bizarres – Verhalten etwas besser nachvollziehen, was das Miteinander leichter werden lässt. Dann können wir vielleicht selber ein bisschen länger locker bleiben, wenn unser Gegenüber mal wieder so ganz in seine Fokussierung verwickelt ist, bevor wir uns selbst in die unsere verkeilen.

Wege in die Leichtigkeit

Für fast alle Menschen wären die wunderbaren Trauma-Release-Übungen gut oder Yoga und Meditation. Auch ein entspanntes, bewusstes, liebevolles und humorvolles Umfeld wäre ideal. Gute Wege sind ausreichend vorhanden, aber manchmal ist es beschwerlich, sie zu gehen, weil unter der Oberfläche unbemerkt die alten starken Kräfte wirken. Auf den ersten Blick bräuchte der Übergewichtige für mehr Leichtigkeit eine passende Diät, der Fehlernährte die richtigen Nährstoffe. Dem ständig nur von Nebensächlichkeiten Eingenommenen könnte ein lohnendes Ziel Flügel verleihen. Den Messi könnte Hilfe beim Entrümpeln erleichtern, aber vielleicht auch erstmal die Entdeckung, dass hinter dem Horten die Angst vor einem Mangel an Ressourcen steckt. Dem zu ernsten Pflichtbewussten täte ziellos Spielerisches gut oder erstmal die Erkenntnis, dass das Spielen schon als Kind schwierig war, weil es schon damals galt, stets das Richtige zu tun. Und. Und. Und. Wenn also nahe liegende Maßnahmen nicht einfach so erfolgreich sind, kann es hilfreich sein, tiefer zu schauen, welche Fokussierung am Wirken ist und das eigene Leben belastet. Das ist spannend und entspannend zugleich und verschafft einen Durchblick, der die Begegnung mit uns selbst und anderen leichter macht und mehr Leichtigkeit in unser Leben bringt.

Schnupperabende für das im März beginnende Jahrestraining jeweils Samstags, 22. Februar und
21. März, von 19-22 Uhr im Sprengelhaus, Sprengelstraße 15 in 13353 Berlin, 1. Hof, Tür links, 2. OG, Tür rechts. Beitrag: 10 €

 

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