Unsere Trauerkultur hat sich in eine Richtung entwickelt, in der Betroffene zunehmend mehr Unterstützungsangebote finden. Doch es gibt heute noch trauernde Angehörige, die weniger Beachtung erhalten: hinterbliebene Geschwister!

von Cordula und Barbara Ziebell

Vergessene Angehörige

Mit dem Tod eines Geschwisters verlieren wir eine der längsten und vertrautesten Bezugspersonen. Was bedeutet der Verlust der Schwester oder des Bruders für die zurückbleibenden erwachsenen Geschwister? Und was hilft in dieser schwierigen Lebenssituation? Bei dem Verlust eines nahestehenden, lieben Menschen benötigen und suchen viele Betroffene in ihrer Trauer nach Unterstützung. Und nach einer würdevollen Begleitung. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Ratgeberbüchern über Trauerprozesse und Trauerarbeit. Darüber hinaus bestehen immer mehr Möglichkeiten, psychologische Unterstützung durch Trauerbegleiter*innen, Hospizarbeitmitarbeiter*innen als auch in Trauerportalen im Internet zu finden.

Im Fokus steht dabei die Trauer um verstorbene Kinder, Partner*innen oder um verstorbene Eltern. Dabei hinterlassen viele Verstorbene natürlich auch Geschwister. Doch der Verlust von Geschwistern (und die hinterbliebenen trauernden Geschwister) erfährt sowohl gesellschaftlich als auch bei den Betroffenen noch zu wenig Beachtung. Deshalb werden diese auch die „vergessenen Angehörigen“ genannt.

Trauerbegleitung von Geschwistern

Bei der Suche im Internet nach ‚Geschwistertrauer‘ wird der „Bundesverband für verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V.“ genannt. Denn ja – Geschwister einer verstorbenen Schwester oder eines verstorbenen Bruder – sind ebenfalls „verwaist“! Der Verein leistet hier eine wunderbare und wertvolle Arbeit, doch deckt er den Bedarf bei Weitem noch nicht ab.

Für Kinder, die um ihre Geschwister trauern, gibt es inzwischen zunehmend mehr Unterstützungsangebote. Doch sehr viele erwachsene Geschwister fühlen sich mit ihrer Trauer, dem Verlustschmerz und den oft sehr verwirrenden Gefühlen nicht gesehen und allein gelassen. Vor allem mit zunehmendem und im höheren Alter, wenn Krankheit und Tod im eigenen Umfeld zunehmen, haben Menschen nicht nur mit dem Tod der Eltern zu tun, sondern oft auch mit dem Verlust von Geschwistern.

(c) Ziebell

Was bedeutet es, wenn Geschwister sterben?

Das Familiensystem ist ein empfindsames Gefüge, das durch den Tod eines Geschwisters in einen tiefgreifenden Ausnahmezustand gerät. Das ist vergleichbar mit einem Mobile, dem ein Teil abgeschnitten wird. Wie schwerwiegend und leidvoll der Verlust der Schwester oder des Bruders für die zurückbleibenden Geschwister tatsächlich sein kann, wird vom Umfeld oftmals völlig unterschätzt. Und meist nicht wirklich anerkannt. Die Eltern, die Partner*innen und die Kinder der Verstorbenen erhalten im Familien- und Freundeskreis die volle Aufmerksamkeit und viel Mitgefühl. Die Geschwister erfahren dies nicht im gleichen Maße. Ganz im Gegenteil, oft geraten sie in dieser Situation in die Rolle der Tröstenden. Obwohl sie selbst von dem Ereignis betroffen sind und darunter leiden!

Ebenso kann ein sehr früher Tod eines Geschwisterkindes – auch wenn dies vor der eigenen Geburt geschah – sehr prägend für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit sein. Und bis ins hohe Lebensalter hinein wirken. Auch ein solcher Verlust kann eine Lücke im Familiensystem erzeugen und vielleicht verdeckte, unbewusste Erwartungen in den Eltern auslösen. Oder der Verlust führte zu höchst ängstlichen, sorgenvollen und deprimierten Eltern, für deren Wohlbefinden sich das hinterbliebene Kind verantwortlich gefühlt hat. Ohne genau zu wissen, warum.

Kein Raum zum Trauern

Leidet die eigene Schwester oder der eigene Bruder an einer lebensbedrohlichen bzw. todbringenden Krankheit, geraten angesichts der Sorge um diese*n die Gefühle der anderen Geschwister stark in den Hintergrund. Doch bereits hier beginnt bei den Geschwistern eine Auseinandersetzung mit dem möglicherweise bevorstehenden Verlust, ein Trauerprozess wird ausgelöst. In solch Situation nicht gesehen zu werden und ohne Unterstützung zu sein, kann außerordentlich belastend und schmerzhaft sein.

Stirbt in einer Familie ein Kind – sei es im Kindes- oder Erwachsenenalter – entstehen meist neue Rollen in der Familie. Zum Beispiel muss ein hinterbliebenes Geschwister möglicherweise den verstorbenen Bruder als den „Starken“ oder den „Betreuer“ für die Eltern ersetzen. Oder die verstorbene Schwester war das Lieblingskind der Mutter und das Geschwister versucht verzweifelt, diese Lücke auszufüllen. Und hat möglicherweise Schuldgefühle, dass es noch lebt.

Erwachsene Geschwister erleben sehr häufig, dass sie zu Beginn ihres Trauerprozesses keinen Raum finden, sich mit ihrem eigenen Verlust und Schmerz zu beschäftigen. Für viele kann diese Verkennung einen weiteren Stressfaktor und zusätzliches Leid auslösen. Ein Gefühl von Geringschätzung kann den Schmerz noch vergrößern. Meist geschieht und bleibt dies unbewusst.

(c) Ziebell

Wie war die Geschwisterbeziehung?

War die Beziehung zur verstorbenen Schwester/zum verstorbenen Bruder ambivalent, konfliktbeladen oder gar durch Kontaktabbruch belastet? Dann kann ein Trauerprozess dadurch zusätzlich erschwert werden:

– Möglicherweise gibt es noch Fragen, die man seinem Geschwister noch hätte stellen wollen.
– Vielleicht sind aus ungelösten Konflikten Gefühle wie Verletzung, Wut, Reue oder Schuldgefühle   hängengeblieben.
– Es tauchen Gefühle auf, die bisher noch nie bewusst wahrgenommen und ausgesprochen wurden, zum Beispiel Dankbarkeit, Wertschätzung, Respekt, Liebe und mehr.
– Manchmal besteht auch Jahre oder Jahrzehnte nach dem Verlust eines Geschwisters noch ungelebte Trauer, Steckengebliebenes und Belastendes, das bisher noch nicht angeschaut werden konnte.

Eine Beziehung zwischen Geschwistern ist potentiell die am längsten Bestehende des Lebens. Geschwister kennen sich von klein an. Viele bleiben miteinander verbunden und begleiten sich ein Leben lang. Der Tod eines Geschwisters, gleich welchen Alters, ist immer ein einschneidendes Geschehnis im eigenen Lebensweg. Dies gilt auch, wenn kein guter oder gar kein Kontakt mehr bestand. Viele Beispiele zeigen, dass der Schmerz über den Verlust eines Geschwisters bis ins hohe Alter sehr belastend wirken kann. Insbesondere dann, wenn kein Weg gefunden wurde, diesen angemessen spüren und betrauern zu können.

(c) Ziebell

Was hilft?

Es ist heilsam, den vielen möglichen Facetten von Trauergefühlen einen Platz zu geben. Dazu gehört, die unterschiedlichen Gefühlszustände und Gedankenmuster wahrzunehmen und sich diese zu erlauben. Wie oft geschieht es, dass eigene Empfindungen nicht wertgeschätzt bzw. ernstgenommen und als „empfindlich“ oder „unangemessen“ abgetan und abgespalten werden. Ebenso wichtig ist es, diesen einen Ausdruck zu geben – so wie wir gern unsere Freude mitteilen. Dies kann in Worten geschehen oder in Kreativität ausgedrückt werden: in Bildern, Gedichten, Ritualen und Symbolarbeit.

Auch ist es sehr hilfreich und tröstend zu erkennen, dass die Beziehung mit all den dazugehörenden Gefühlen spürbar bleibt – auch wenn die Schwester/der Bruder körperlich nicht mehr anwesend ist. Die Schwester/der Bruder ist zwar gestorben, jedoch nicht die Beziehung. Es gibt Wege, eine innere Beziehung zu ihr/ihm weiterhin gestaltbar und lebendig sein zu lassen.

Wenn eine Schwester oder ein Bruder an einer lebensbedrohlichen bzw. todbringenden Krankheit leiden, ist in dieser belastenden Situation Folgendes sehr wichtig: Schmerz und Trauer sollen ausgedrückt und ein friedvoller, versöhnlicher Abschied mit dem im Sterben liegenden Geschwister gestaltet werden.

Es ist zu empfehlen, die eigene Not ernst zu nehmen und mögliche Scheu zu überwinden, sich fachkundliche Unterstützung und professionelle Hilfe zu suchen. Sei es bei Trauerbegleiter*innen, die in der Hospizarbeit häufig auch ehrenamtlich tätig sind, bei Selbsthilfe- oder Angehörigen-Gruppen oder durch psychologische Beratung bei Therapeut*innen.

In dem eigens zu dieser Thematik konzipierten Workshop „Geschwistertrauer“ bietet die Gestalttherapeutin und Trauerbegleiterin Cordula Ziebell eine geschützte, einfühlsame Atmosphäre. In diesem achtsamen Raum dürfen sich die mit dem erlittenen oder drohenden Verlust verbundenen Gefühle und Gedanken entfalten und neu ordnen.

Fragen, wie diese, bekommen hier einen Platz:

– Wer war meine Schwester/mein Bruder für mich?
– Welche Rolle hat sie/er in meinem Leben gespielt?
– In welcher Form hat sie/er mich geprägt?
– Auf welche Weise wirkt sich der drohende bzw. erlittene Verlust auf mein Leben aus – auch wenn dies schon Jahre zurückliegt?
– Wie gehe ich mit all dem um?

Im Rahmen einer kleinen Gruppe können sich Frauen unter Gleichbetroffenen über ihre Erfahrungen, Fragen und Nöte austauschen und werden dabei in ihren Prozessen professionell unterstützt.
Dieser Workshop findet im Rahmen der Schwestern-Workshops und -Coachings von Cordula und Barbara Ziebell statt. Informationen dazu unter: 
https://schwestern-workshops.de/workshops/geschwistertrauer

 

Eine Antwort

  1. Kati

    Ich hab meinen Bruder bei einem Snowboard Unfall verloren, ich war dabei. Damals war ich 18 Jahre alt. Hab mich mein ganzes Leben schuldig gefühlt. Ich hab nichts getan, trotzdem ist er gestorben und ich hab überlebt. Die Einsamkeit die darauf gefolgt ist, war übermächtig, hat mein gesamtes Leben bestimmt. Niemand wird das jemals verstehen, der es nicht erlebt hat.

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