Die Traumatherapeutin Christine Seidel stellt in ihrem neuesten Buch dar, warum die orthomolekulare Medizin – Krankheiten behandeln durch die teilweise hochdosierte Verwendung von Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen – als Ergänzung zur Traumatherapie so wichtig ist und wie sie uns helfen kann, wieder gesund zu werden.

Ich arbeite in meiner Praxis vor allem mit komplex traumatisierten Menschen, also Menschen, die mehrere Traumata haben. Auffällig ist, dass viele, die kommen, unter so extremer Erschöpfung leiden, dass sie kaum noch aus dem Bett kommen oder gerade so ihre Arbeit schaffen. Viele sind aufgrund dessen auch krankgeschrieben und können gar nicht mehr arbeiten. Wenn mir Klienten von dieser Symptomatik erzählen, werde ich hellhörig, denn ich weiß dann, dass entweder ihre Depots an Vitaminen und Mineralstoffen leer sind und/oder eine Nebennierenschwäche vorliegt.

Wie komme ich darauf? Es ist ganz einfach – Menschen, die jahrelang mit Traumata zu kämpfen haben, stehen permanent unter einer hohen Anspannung. Diese hohe Anspannung führt dazu, dass der Körper unglaublich viel Energie und damit auch Mineralien und Vitamine verbraucht und gleichzeitig sehr viel Energie bindet, welche einem dann quasi nicht zur Verfügung steht, sondern erst langsam durch fortlaufende Traumatherapie freigesetzt wird. Nicht umsonst sagt man auch, dass ein Zeichen einer erfolgreichen Traumatherapie das Zunehmen der persönlichen Kraft ist. Wenn aber ein Klient schon zu Beginn einer Traumatherapie völlig leere Depots hat und die Nebennieren erschöpft sind, dann kann ich nicht erst darauf warten, dass die Traumatherapie greift, sondern muss sofort orthomolekular unterstützen. Hier arbeite ich mit entsprechend darauf spezialisierten Ärzten und Heilpraktikern zusammen.

Was genau ist nun orthomolekulare Medizin?

„Orthomolekulare Medizin ist die Erhaltung guter Gesundheit und die Behandlung von Krankheiten durch Veränderung der Konzentration von Substanzen im menschlichen Körper, die normalerweise im Körper vorhanden und für die Gesundheit erforderlich sind.“1 Unter Substanzen werden hierbei Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, essenzielle Fettsäuren, Aminosäuren und weitere „Vitalstoffe“ verstanden, die teilweise hochdosiert zugeführt werden, um ein biochemisches Ungleichgewicht im Körper zu beheben. In der orthomolekularen Medizin wird natürlich nicht wahllos experimentiert, indem irgendwelche Nahrungsergänzungsmittel auf Verdacht eingenommen werden, sondern hier geht es um eine passgenaue Unterstützung für den Patienten. Zuallererst ist dafür ein vernünftiger Bluttest nötig. Nun ist Bluttest nicht gleich Bluttest. Es gibt Firmen wie biovis, die sehr fein testen und damit zu anderen Ergebnissen kommen als „normale“ Labore. Ich durfte das selbst erleben und hätte vorher nicht geglaubt, dass das möglich ist. Es ist also wichtig, dass der Arzt/Heilpraktiker mit den richtigen Laboren zusammenarbeitet und wirklich auf orthomolekulare Medizin spezialisiert ist. Leider gibt es selbst in Berlin viel zu wenige Experten, die aufgrund ihrer hohen Kompetenz oft so überlastet sind, dass sie keine neuen Patienten mehr aufnehmen.

Leere Vitamin- und Mineraldepots

Dabei ist die orthomolekulare Medizin gerade für Traumapatienten und insbesondere für retraumatisierte Menschen hoch wertvoll. Wie bereits beschrieben, verbraucht der Körper bei ständiger Anspannung und Alarmbereitschaft über das normale Maß hinaus wichtige Vitamine und Mineralstoffe. Das führt dazu, dass irgendwann die Depots leer sind. Der Betroffene merkt das meist erst, wenn massive Erschöpfung und andere Krankheitssymptome auftreten. Die Gefahr dabei ist tatsächlich, dass durch diesen Leerstand die vorhandenen Traumasymptome verstärkt und verschlimmert werden. Ich arbeite dann quasi in der Traumatherapie dagegen an. Das ergibt natürlich keinen Sinn. Deshalb kann ich meinen Klienten nur empfehlen, einen Experten in orthomolekularer Medizin aufzusuchen und sich auch auf diese Art und Weise zu unterstützen zu lassen. Die Kosten für die orthomolekulare Medizin und das Labor werden leider nur in geringem Umfang von den Kassen übernommen. Einen Großteil muss der Patient also selber zahlen.

Folgendes sollte getestet werden:
· B6: stärkt die Nerven.
· B3 (auch als Niacin bekannt): wird für den Aufbau verschiedener Neurotransmitter benötigt.
· B12: stärkt das Gehirn und das Zentralnervensystem. Achtung: Wenn Sie Magenschutzpräparate nehmen, ist eine Aufnahme von B12 über den Magen-Darm-Trakt (zum Beispiel bei Tablettengabe) nicht möglich. Dann müsste B12 durch Ihren Arzt injiziert werden, damit es aufgenommen werden kann.
· Vitamin D3: wirkt gegen Angst und Depressionen.
· Zink: ist immunstärkend und schützt das Hormonsystem.
· Magnesium: beruhigt das Zentralnervensystem und vermindert die Muskelspannung.
· Eisen: ist für viele Stoffwechselprozessee im Körper nötig. Ein Mangel kann zu Konzentrationsschwäche, Abgeschlagenheit, Müdigkeit und Schlafstörungen führen, genauso wie zu einem Restless-Legs-Syndrom. Darüber hinaus kann Eisenmangel Ängste und Depressionen fördern.
· Mangan: ist wichtig für die Aktivität von Neurotransmittern.
· Selen: ist wesentlich für den Zellschutz und das Nervensystem. Selen ist auch stimmungsaufhellend.
· Vitamin C: repariert beschädigte Neurotransmitter und unterstützt die Nebennieren.

Innerhalb der orthomolekularen Medizin nehmen für (re)traumatisierte Menschen die Nebennieren eine besondere Rolle ein. Denn die Nebennieren produzieren über 40 Hormone, unter anderem Adrenalin und Cortisol. Bei zu viel Stress wird erhöht Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet. Ist Stress wie bei (re)traumatisierten Menschen und Menschen mit komplexer Traumatisierung ein Dauerzustand, dann erschöpfen sich die Nebennieren irgendwann. In meiner Praxis erlebe ich das bei vielen Klienten, allerspätestens wenn sie das 40. oder 50. Lebensjahr erreicht haben, oft wesentlich früher.

Folgende Symptome weisen auf eine Nebennierenschwäche hin:
· Sie kommen morgens nicht aus dem Bett und fühlen sich schon beim Aufstehen erschöpft.
· Abends erleben Sie eher ein Energiehoch.
· Sie brauchen ständig Stimulanzien wie Kaffee oder andere koffeinhaltige Getränke, Schokolade, Zigaretten und/oder Süßigkeiten, um über den Tag zu kommen.
· Sie sind innerlich unruhig.
· Sie erleben gesteigerte Ängste und Depressionen.
· Sie haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, Ihr Gedächtnis lässt nach.
· Sie sind schnell ungeduldig.
· Sie leiden an Schlaflosigkeit.
· Bleibt die Nebennierenschwäche weiterhin unerkannt, kann es zu einer Immunschwäche und diversen Erkrankungen kommen, denn die Zellabwehr funktioniert dann ebenfalls nicht mehr gut.

Zentral: die richtige Medikation

Auch eine Nebennierenschwäche kann Traumasymptome erheblich potenzieren. Sie lässt sich sehr einfach über einen Cortisoltest (Speicheltest) feststellen. Anhand dieses Testes kann ein detailliertes Tagesprofil erstellt werden, welches genau darstellt, wann und in welchem Umfang Ihre Nebennieren Cortisol ausschütten. Entsprechend dem Ergebnis verordnet Ihr Arzt oder Heilpraktiker Ihnen dann Ihre Medikation. Wenn Sie Glück haben, reichen hochdosierte Vitamine/Mineralstoffe aus, dazu manchmal noch ein homöopathisches Komplexmittel. Oft muss jedoch Hydrocortison gegeben werden. Das bei der Nebennierenschwäche zu gering produzierte Hormon wird also durch eine äußere Medikamentengabe ersetzt. Ein Effekt ist sofort spürbar: mehr Ruhe und mehr Kraft! Allerdings kann eine dauerhafte Gabe von Hydrocortison auch zu verschiedenen Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Problemen führen. Hinzu kommt, dass die Nebennieren dann noch weniger Cortisol produzieren, da dieses ja von außen zugegeben wird. Eine Hydrocortison- Gabe sollten Sie mit Ihrem Arzt oder Heilpraktiker also genau abwägen. Wenn sie erfolgen muss, dann sollte das Hydrocortison eine begrenzte Zeit als Creme gegeben werden. Dadurch kommt es zu keiner Schädigung der Magenschleimhaut.

Die Marktapotheke Greiff aus Rotthalmünster fertigt auf Rezept extra diese Cremes an. Ich erwähne das deshalb, weil viele Ärzte und Heilpraktiker nicht wissen, dass es diese Möglichkeit gibt. Eine Alternative zum Hydrocortison kann die Gabe von Nebennieren-Zellextrakten aus Rinder-Nebennieren sein. Diese haben mehrheitlich keine Nebenwirkungen und liefern wichtige Bausteine für die Wiederherstellung einer gesunden Nebennierenfunktion. Da eine Nebennierenschwäche lebensgefährlich werden kann, sollte sie in jedem Fall behandelt werden. Die Medikamentengabe entbindet den Patienten jedoch nicht von einer Umstellung seines Lebenswandels – mehr Ruhe, mehr Rhythmus, Ernährungsumstellung, kein Koffein und nur moderater Sport. Zu viel Sport führt zur weiteren Erschöpfung. Zum Thema Nebennierenschwäche gibt es mittlerweile viele gute Bücher auf dem Markt, diese gehen nochmals detaillierter auf die notwendige Lebensveränderung ein.

Workshop zum Buch:
So, 21.06.20, 10-16 Uhr in Berlin-Schöneberg
Kosten: 140 €
Info und Anm. unter Tel.: 030-589 187 19
und traumatherapiepraxis.berlin@gmail.com
www.traumatherapiepraxis-berlin.de

Über den Autor

Avatar of Christine Seidel

arbeitet als Traumatherapeutin in Berlin- Schöneberg und bietet im deutschsprachigen Raum auch Sitzungen am Telefon und über Skype an. Sie ist Heilpraktikerin (Psychotherapie), Dipl. Sozialpädagogin und Autorin und war lange Zeit Schülerin von Christian Meyer. Sie ist in diversen traumatherapeutischen Verfahren ausgebildet, u.a. in „Somatic Experiencing“, EMDR und TRIMB.

Kontakt
Tel.: 030-58918719
Mehr Infos

Buch
Christina Seidel: Wenn die Seele nicht heilen will: Wie alte Verletzungen zu (Re-)Traumatisierung führen können und wie man sie überwindet, mvg Verlag 2020

Das Buch enthält neben den neurobiologischen Hintergründen von Trauma und Retraumatisierung und der Erklärung der wichtigsten Traumatherapiemethoden vor allem einen großen Selbsthilfeteil mit ganz konkreten Tipps, Übungen und einem großen Adressanhang für Deutschland, die Schweiz und Österreich.

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