Es ist schon ein Dilemma mit der richtigen Lichtversorgung. Noch vor ein paar Monaten mussten wir uns vor der Sommersonne schützen. Jetzt hingegen müssen wir schauen, wie wir einen starken Lichtmangel geschickt ausgleichen können. Oder, um es biochemisch konkret auszudrücken: Wie kommen wir in den dunklen Wintermonaten an ausreichend Vitamin D?

von Illian Sagenschneider

In der Natur ist kein Vitamin D-Mangel vorgesehen. Das Problem existiert dort überhaupt nicht. Denn Vitamin D ist eine Substanz, die mit Hilfe des Sonnenlichts in unserer Haut gebildet wird. In der Urzeit hat das auch prima funktioniert, schließlich haben wir uns permanent draußen im Freien aufgehalten. Heute leben wir modernen Menschen – was das Tageslicht angeht – eher wie Maulwürfe, die nur selten ihre Höhle verlassen. Und selbst dann schotten wir uns mit unserer Kleidung erfolgreich von der Sonne ab. Mit schwerwiegenden Konsequenzen, wie bereits unsere Vorfahren erleben mussten. Es hat mehrere hundert Jahre gedauert, bis Menschen verstanden haben, warum Kinder Rachitis und Erwachsene Knochenerweichung bekommen. Und selbst als der polnische Arzt Dr. Sniadecki 1822 die Bedeutung des Sonnenlichts bei der Heilung und Entstehung dieser Knochenkrankheiten beschrieben hatte, dauerte es noch über 100 Jahre, bis seine Erkenntnisse wirklich verbreitet wurden.

Für gesunde Knochen brauchen wir nämlich nicht nur das Kalzium aus unserer Nahrung als Baumaterial, sondern auch – quasi als „Architekten“ – das Vitamin D. Zu guter Letzt kommt noch Vitamin K als „Bauarbeiter“ hinzu. Erwähnenswert wäre noch, dass es mehrere Formen des Vitamins D gibt. Wobei die Bezeichnung „Vitamin“ hier nicht ganz korrekt ist, weil wir eine wichtige Variante davon, das Vitamin D3, eben mit Hilfe der UV-B-Strahlung selbst bilden können. Vitamin D ist allerdings ein Hormon, denn es fungiert als biochemischer Botenstoff, der den Kalziumspiegel in unserem Blut regelt. Damit spielt er eine Schlüsselrolle beim Knochenaufbau. Haben wir eine unzureichende Kalziumversorgung oder einen drastischen Vitamin DMangel von unter 10 ng/ml (Nanogramm pro Milliliter) im Blut, steigt die Gefahr für Knochenerkrankungen massiv an.

Optimalversorgung in freier Wildbahn

In der Natur sucht man solche Phänomene vergeblich. Schaut man sich einmal die Werte von wild lebenden Affen auf Sri Lanka an, findet man hier einen mittleren Vitamin-D-Spiegel von 60 ng/ml. Aber unsere haarigen Verwandten sind ja den ganzen Tag über draußen im Freien. Auch bei den letzten noch halbwegs natürlich lebenden Völkern wie den Massai in Afrika sind die Werte mit 40 bis 60 ng/ml deutlich höher als bei uns in den Industriestaaten. Nun gilt unter Ärzten 30 ng/ml als optimale Versorgung mit Vitamin D. Das reicht auch sicherlich, um Rachitis bei Kindern zu verhindern, aber die Zahlen einer Untersuchung des Robert-Koch-Instituts von 2015 zeigen, dass fast 90 Prozent der untersuchten Deutschen noch unter diesem Referenzwert von 30 ng/ml liegen. 50 Prozent der Deutschen liegen sogar unter 20 ng/ml – und zwar ganzjährig.

Ein großes Problem bei der Verbesserung dieses Zustandes spielen leider unsere Medien. Dabei wäre es so einfach, mit Vitamin-D-Ergänzungen hier etwas Positives zu bewirken. Aber im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – beispielsweise in der ARD Sendung PlusMinus vom Juli 2017 – wird noch immer etwas abfällig von „der Legende vom Wundermittel Vitamin D“ und dem „Mythos der Unterversorgung“ geredet. Und das ist kein Einzelfall. Die Daten aus internationalen Studien hierzu sprechen allerdings eine komplett andere Sprache. Die Zahlen weisen nicht nur in Deutschland, sondern weltweit einen Mangel an diesem wichtigen Sonnenvitamin nach. Der Arzt und Biochemiker Dr. Michael Holick, der Entdecker der aktiven Form des Vitamin D, gehört weltweit zu den führenden Forschern, die einen deutlich höheren Richtwert als 30 ng/ml fordern. Und er ist seit über 40 Jahren auf diesem Gebiet tätig und hat mehr als 400 eigene Veröffentlichungen vorzuweisen.

Leider werden Werte von 30 ng/ml von den meisten Deutschen selbst im Sommer so gut wie nicht erreicht. Ganz zu schweigen vom Winter. Zwischen November und Februar ist es in unseren Breitengraden auch physikalisch schlichtweg nicht möglich, Vitamin D aufzubauen. Die dafür nötige UV-B-Strahlung wird nämlich aufgrund des flachen Einfallwinkels der Sonne in der dunklen Jahreszeit komplett von der Erdatmosphäre absorbiert. In einem NDR-Bericht von 2016 heißt es zwar: „In den Wintermonaten ist (…) ein täglicher Spaziegang von mindestens zwanzig Minuten notwendig, um den Bedarf an Vitamin D halbwegs decken zu können…“

Doch das widerspricht leider den Gesetzen der Physik und ist schlicht eine weitere Fehlinformation, die nicht der aktuellen Forschungslage entspricht. Selbst im Sommer ist eine Vitamin-D-Bildung aufgrund der Strahlungsstärke nur in der Zeit von zirka 10 bis 15 Uhr möglich. Dann allerdings kann die Haut eines jungen Erwachsenen innerhalb von einer guten halben Stunde 10 000 bis 20 000 IE (Internationale Einheiten) an Vitamin D aufbauen. Mit zunehmendem Alter wird das jedoch schwieriger, weshalb gerade ältere Menschen schauen sollten, ob nicht schon eine Unterversorgung vorliegt. Andauernde Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, chronische Entzündungen, Allergien und Beschwerden im Bewegungsapparat könnten hierfür Anzeichen sein. Die Schatten werden länger…

Im Sommer kann man übrigens sehr gut an seinem eigenen Schatten ablesen, ob man gerade Vitamin D herstellt oder nicht. Man dreht einfach der Sonne den Rücken zu und betrachtet die eigene Schattenlänge: Ist der Schatten kürzer als man selbst, dann wird Vitamin D produziert. Ist er länger, funktioniert das Ganze nicht. Geht man also am späten Nachmittag in der langsam untergehenden Sonne spazieren, kann das zwar furchtbar romantisch sein und sogar noch einen Sonnenbrand erzeugen (UVA- Strahlung) – aber eben kein Vitamin D. Nun wurde uns ja in den letzten Jahren überall geraten, die Sonne zu meiden, weil dadurch das Risiko, an Hautkrebs zu erkranken, stark zunehmen würde. Ob wir nun tatsächlich krank werden – nicht speziell auf Hautkrebs bezogen –, wenn wir uns viel in der Sonne aufhalten, wollte die Melanom-Studie in Südschweden (2014) untersuchen.

Ziel war es, einen Zusammenhang zwischen Sonnenexposition und einer weniger hohen Lebenserwartung aufzuzeigen. Dafür hat man fast 30 000 (!) schwedische Frauen über 20 Jahre lang untersucht. Das Ergebnis war allerdings verblüffend und zeigte genau das Gegenteil: Das Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben, war bei den Frauen, die die Sonne vermieden, doppelt so hoch wie in der Gruppe der „Sonnen-Anbeter“. Das heißt: Je weniger man sich draußen in der Sonne aufhält, desto höher ist das Risiko, früher zu sterben. Wie kann das sein? Jedes Gewebe und jede Zelle im Körper hat einen Vitamin-D-Rezeptor. Das heißt, jede Zelle im Körper braucht und reagiert auf Vitamin D. Es steuert und aktiviert bestimmte Gene in unseren Zellen, die unseren Stoffwechsel positiv beeinflussen. Es gibt sogar Studien, die zeigen, das bestimmte Krebszellen – die mit aktiviertem Vitamin D in Kontakt kamen – wieder zu normalen Zellen wurden.

Den Zusammenhang von Vitamin D-Mangel und der Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Krebs kennt man übrigens schon seit 1915. Da hat man festgestellt, dass Arbeiter, die sich überwiegend in Fabrikgebäuden aufhielten, achtmal häufiger an Krebs starben als Seeleute, die auf einem Schiff im Freien ihren Dienst leisteten.

„Unterbelichtete“ sterben früher

Eine große Zahl an weiteren internationalen Studien zeigt bei vielen anderen Krankheitsbildern ebenfalls einen Zusammenhang mit einem Vitamin-D-Mangel auf. So gibt es gute Hinweise, dass eine optimale Vitamin-D-Versorgung das Risiko für Multiple Sklerose, Diabetes, Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Alzheimer, Depressionen, Infektionskrankheiten und eben tödlichen Krebserkrankungen deutlich reduziert. Trotz all dieser Daten werden von „offizieller“ Seite weiterhin nur 800 IE pro Tag empfohlen. Auf der anderen Seite zeigt eine Studie, veröffentlicht 2009 im Fachblatt Nature, dass selbst 1000 IE pro Tag nur einen relativ geringen Effekt auf den Vitamin-D-Blutspiegel haben.

Mit einer Gabe von 5000 IE konnte man jedoch innerhalb von ungefähr drei Monaten das „Massai- Vitamin-D-Niveau“ von ca. 60 ng/ml erreichen. Daher wird auch die Empfehlung von 800 IE von führenden Vitamin D-Experten als viel zu niedrig kritisiert. Über die Ernährung lässt sich so ein Bedarf übrigens auch nicht decken. Zwar gibt es einige wenige Lebensmittel, die Vitamin D enthalten, aber wer will schon – für nur 1000 IE – am Tag 400 g Lachs, 600 g Makrele, 1 kg Kabeljau, 2,5 kg Schweizer Käse oder 50 Eier futtern!?

Aber in den Medien wird tatsächlich häufig vor einer Überdosierung gewarnt, obwohl diese in der Realität fast nie vorkommt und nur äußerst schwer zu erzielen ist. Wirklich real ist aber laut Datenlage die Mangelversorgung in Deutschland. Man kann ja gern über die „richtige“ Dosis Vitamin D streiten, aber Fakt ist, dass sich in den letzten Jahren die defizitäre Situation in Deutschland nicht verbessert, sondern verschlechtert hat. Auch muss man beachten, dass übergewichtige Menschen viel mehr Vitamin D brauchen, um auf einen optimalen Blutspiegel zu kommen, als Normalgewichtige. Denn ein Teil des fettlöslichen Vitamin D „verschwindet“ schon mal im Fettgewebe.

Es gibt übrigens im Internet einen prima Vitamin- D-Rechner (https://edubily.de/vitamin-drechner- kostenlos), der das Gewicht mit berücksichtigt und einem zeigt, wie viele IE (Internationale Einheiten) man täglich einnehmen muss, um auf einen bestimmten Zielwert zu kommen. Dafür braucht man nur eine Waage und seinen aktuellen Vitamin-D-Status – und schon bekommt man die richtige Dosis errechnet.

Vitamin D in der Muttermilch

Problematisch sieht die Situation auch für Babys aus. Denn wenn die Mutter nicht ausreichend mit Vitamin D versorgt ist, befindet sich auch keines in der Muttermilch. Um beim Neugeborenen eine Rachitis zu vermeiden, wird von ärztlicher Seite aus zwar im ersten Lebensjahr eine Ergänzung mit Vitamin-D-Tabletten vorgenommen. Danach allerdings nicht mehr, weil man davon ausgeht, das die Kleinkinder bald draußen spielen und Sonne tanken. Nur hat sich unser Verhalten in den letzten zwanzig Jahren grundlegend geändert: Während die Kinder früher noch draußen getobt und gespielt haben, verbringen sie heute die meiste Zeit in geschlossenen Räumen vor dem Fernseher und mit Computerspielen. Dementsprechend bestätigen Studien den Abfall der Werte bereits nach dem ersten Lebensjahr. Versorgt man aber die Mutter mit reichlich Vitamin D, sind „plötzlich“ auch größere Mengen von diesem lebenswichtigen Hormon in ihrer Milch.

An diesem Beispiel wird klar, wie einfach das Problem doch zu lösen wäre: Werte messen, Sonnenbaden im Sommer, Nahrungsergänzungen zu sich nehmen – und genießen… Denn die Wahrscheinlichkeit liegt bei 90 Prozent, dass auch Ihr Wert, lieber Leser, nicht im Optimum liegt. Daher macht es viel Sinn, die eigenen Werte zu kennen. Und da die Sache mit dem Licht in der Realität doch noch etwas komplexer ist, als wir das gerne hätten, ist man mit einer Kombination von Sonnenexposition und Vitamin-D-Nahrungsergänzungen auf der sichersten Seite. Denn neueste Forschungen zeigen, dass bei der Produktion von Vitamin D im Sonnenlicht auch noch vier oder fünf andere biochemische Produkte entstehen, die höchstwahrscheinlich ebenfalls wichtige Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben…

Ich für meinen Teil habe diesen Sommer so viele Arbeiten wie nur möglich in den Park verlegt. Lesen, wichtige Telefonate führen, Mittagessen – alles, was irgendwie geht, mache ich mittlerweile draußen – gern auch mit freiem Oberkörper. Dazu nehme ich regelmäßig Vitamin-D-Ergänzungen als Tropfen in einer Öl-Lösung (mit Vitamin K) zu mir. Vitamin D ist fettlöslich und kann so vom Organismus besser aufgenommen werden. Und natürlich nutze ich keine industriellen Sonnencremes (Siehe SEIN September, 2019: „Sonnenschutz & Sonnetanken“). Mein Vitamin-D-Spiegel hat sich dabei auf satte 60 ng/ml erhöht, was mir – statistisch gesehen – eine ganze Palette von blöden Erkrankungen, die ich nicht haben möchte, ersparen sollte. Ach ja: Dass ich mich körperlich deutlich fitter fühle, sollte ich vielleicht auch noch erwähnen… Von daher – springen Sie doch spätestens, wenn Ihr Schatten wieder länger wird, einmal über denselben und versorgen sich optimal mit Vitamin-D-Ergänzungen – ihr Körper wird sich sicherlich freuen.

Vortrag 1: „Antioxidantien – Rostschutzmittel für den Körper“
Montag, 6. Januar 2020, 19 Uhr
Eintritt auf Spendenbasis
Vortrag 2: „Vitamin-D-Versorgung im Winter“
Dienstag, 14. Januar 2020, 15 Uhr
Ort: Zahnartzpraxis Dr. Jasmina Riedel,
(Grolmanstraße 44, 10623 Berlin, Nahe S Bahn Savignyplatz), 10 € Eintritt

Wochenendseminar „Abenteuer Ernährung“
Samstag, Sonntag, 1./2. Februar 2020
Jeweils 11-17.30 Uhr, Kosten: 200 €
Vortrag 1 und Seminar finden bei
aqua b – Wasser & Mehr, Thomas-Müntzer-Str. 6,
12489 Berlin-Adlershof statt.
Info und Anm. bei Illian Sagenschneider
unter Tel. 0176-844 843 33
www.abenteuer-ernährung.com
oder www.aqua-b.de

Eine Antwort

  1. Kay
    Vitamin D-Mangel

    https://www.n-tv.de/wissen/Sind-Nahrungsergaenzungsmittel-sinnvoll-article21496312.html?utm_source=pocket-newtab

    Hmm und wieder wird gesagt, wir wären nicht unterversorgt. Schade auch, dass man nicht nur den Test auf VitD bezahlen muss, sondern auch bei Mangel das Medikament…

    Antworten

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*