Prinzipien der Gemeinschaft 14. Juli 2008 Zusammenleben INTERVIEW MIT JACQUES SUIJKERBUIJK Das Interview führte Richard Groß Welche Verbindung hast Du zu Gemeinschaften? Ich beschäftige mich seit den siebziger Jahren mit Gemeinschaften und habe jetzt begonnen, diese Ideen umzusetzen. Als eine Art Vorstufe für ein künftiges größeres Modell entstand das Aquariana. Die dreizehn z. Zt. beteiligten Leute kannten sich vorher nicht. Kristina dachte erst, daß sie die Leute für ein Projekt finden würde, bevor es startet. Doch das klappte nicht. Dann drehte Sie es um, setzte ein Projekt auf, und plötzlich waren die Leute da. Auf einem gemeinsamen Wochenende arbeiteten wir an unseren Leitlinien und an unserer Vision. Wir fragten uns, was wollen wir eigentlich. Dies ist in jeder Gemeinschaft der zentrale Punkt – sich immer wieder aufs Neue klar zu machen: welche Idee trägt uns? Wenn die nicht da ist, dann fehlt eine zentrierende Kraft. Und es besteht die Gefahr, daß die Gemeinschaft auf eine rein funktionale Ebene abrutscht. Jeder zahlt seine Miete und wer putzt was, etc. Das Zwischenmenschliche geht verloren. Deshalb braucht es eine konzentrierte Gruppe von 3-5 Leuten, die aktiv gestalten und bereit sind, alles reinzustecken. Die meisten Leute kommen wie zu einer großen Gebärmutter, wo man sich aufgefangen fühlt, weil es unheimlich anstrengend ist, in dieser Gesellschaft zu leben. Hat man andere Ideen, ein anderes Bewußtsein, lebt man in ständiger Konfrontation mit dieser Stadt. Eine Gemeinschaft ist ein idealer Ort, um auszusteigen, sich mal tragen zu lassen. Das ist auch eine Funktion von Gemeinschaft, denn wenn ich getragen werde, kann ich sehr kreativ sein. Nur dürfen die Leute dabei ihre dynamische, eigene kreative Kraft nicht verlieren. Welche Bedeutung haben Lebensgemeinschaften in der heutigen Zeit? Ich beobachte, daß es immer mehr Menschen in Gemeinschaften zieht. Es ist ein Gefühl von: „Gemeinsam schafft man mehr“. Gemeinschaft hat für mich ein größeres Potential als die Summe der einzelnen Leute. Es entsteht ein Kraftfeld, das trägt und belebt, Mut und Kraft gibt. Diese menschliche Qualitäten werden in einer Gruppe viel stärker entwickelt. Lebensgemeinschaften werden künftig immer wichtiger. Heutzutage ist wichtig, daß man erproben kann, wie es ist, bewußt miteinander zu leben. Bei Naturvölkern leben Menschen oft unbewußt in der Gemeinschaft. Im Westen ist fast jeder mit der eigenen Individualität beschäftigt, das kollidiert erst mal. Individualität und Gemeinschaft sind im Wassermannzeitalter zwei Hauptaspekte. Ich weiß ich tue, ich bestimme – das ist auch das Göttliche im Menschen. Kreativ zu sein, schöpferisch zu sein – das gilt es zu leben, wenn ich meine innere göttliche Seele ausdrücken will. Aber die Gruppe ist auch eine göttliche Idee: mich in eine Gruppe einzufügen, mich anzupassen, den Rhythmus der Gruppe mitzumachen. Das paßt natürlich erstmal nicht zusammen. Und das ist für mich die Herausforderung: wie überbrücke ich diese beiden Gegensätze? Wenn wir geistige Werte wie die Qualität von Liebe mehr verwirklichen wollen, dann geht es nur, wenn mehr Menschen miteinander leben. Gruppenstrukturen sind dafür viel geeigneter als unsere isolierten Strukturen. Das westliche Modell, ist ein Übergangsmodell. Eine geistige Kraft zu leben geht in einer Gemeinschaft viel besser. Mit welchen Erwartungen gehen Menschen in Gemeinschaften? Eine Gemeinschaft kann nur eine bestimmte Zahl von Menschen aufnehmen, die sich tragen lassen wollen. Dieses Geschütztwerden, keine Auseinandersetzung zu haben mit diesem Dauerstreß, immer Geld verdienen zu müssen. Es gibt viele Aspekte, die, wenn die Gemeinschaft gut funktioniert, leichter sind. Dafür treten zwischenmenschliche Konflikte, Unstimmigkeiten, Reibungen in den Vordergrund. In Gemeinschaften ist das Hauptthema Beziehungen. Wer mit wem, wann und wo, wie, dauerhaft oder nicht dauerhaft. Es geht darum, durch eine Gemeinschaft zu wachsen. Findhorn hat es geschafft. In Findhorn haben sie schon in den siebziger Jahren 300 DM pro Woche von Besuchern verlangt. Das war damals sehr viel Geld. Doch die Anziehung war so stark, daß die Leute das Geld investierten. Wie veränderten sich Gemeinschaften in den letzten Jahren? Die erste Generation hat nach 10 bis12 Jahren einen Punkt erreicht, an dem sie neu überlegt: was wollen wir eigentlich? Und die Kinder wollen raus und die Welt erleben. Das ist die Wandlung, wo es hingeht: in die Auseinandersetzung mit der Außenwelt. Was geben wir dieser Welt durch unsere Gemeinschaft? Über sich selbst hinaus zu gehen, zu fühlen, zu denken und zu leben. Das kann nur der einzige Sinn sein. Kein Selbstzweck. Darin liegt die Anziehungskraft. Wie sieht eine ideale Gemeinschaft aus? Eine Gemeinschaft sollte von 3,4,5 Personen ganz gezielt getragen werden. Sie unterscheidet sich nicht von einem Unternehmen. Es darf auch Konflikte geben, nicht jeder braucht brav ja sagen. Jedoch fallen viele Widerstände weg, wenn die Gemeinschaft sich größeren Zielen verpflichtet. Letztendlich erhalte ich mehr zurück, als wenn ich nur nach meinen Ideen lebe. Eine Gemeinschaft sollte sich unbedingt Zeit nehmen, um sich mit ihren Werten zu beschäftigen. Und sie braucht klare Kommunikationsstrukturen. Sich austauschen, sich begegnen, sich zuhören, das ist die Basis. Ja, Orte sind wichtig, wo man Kommunikation trainiert. Wo es erlaubt ist zu streiten, nein zu sagen und Konflikte auszutragen. Da kann man für das „harte Leben draußen“ wachsen. Aber können hierarchische Strukturen nicht miß-braucht werden, um Macht auszuüben? Das kann nur ein höheres Bewußtsein verhindern, das die Gemeinschaft und die Qualität Liebe an erste Stelle setzt. Die leitende Person ist nicht mehr als die anderen. Sie hat nur eine andere Funktion und mehr Verantwortung. Aber als Mensch ist sie gleichwertig. Der Dalai Lama ist ein gutes Beispiel. Der ist als Oberhaupt des tibetischen Volkes „anzufassen“ und als Mensch unglaublich anwesend. Mich begeistert an der Findhorn-Gemeinschaft, daß sie es geschafft hat, Metamorphosen zu durchleben. Zum Beispiel freies Unternehmertum innerhalb der Gemeinschaft zuzulassen. Eigenes Geld zu verwalten. Läßt eine Lebensgemeinschaft bestimmte Werte nicht zu, dann baut sich ein Spannungsfeld auf. So was banales wie „bei uns wird nur vegetarisch gegessen!“, wir sind Vegetarier und ihr nicht. Ich kann aber als Modell setzen, bei uns ist es stimmig, kein Fleisch zu essen, wenn es ein Wert ist, aber kein Zwang wird. Du kannst neue Ideen nicht aufzwingen. Sie müssen von jedem durch ein eigenes Wachsen aus freiem Willen und innerem Verstehen getragen werden. Eine lebendige Gemeinschaft muß eine Tragkraft haben, die in der Lage ist. als Erfahrung viele Möglichkeiten, viele Arten von Menschen, viele Ideen aufzunehmen, auszuprobieren und zu sagen, das ist unsere Sache oder doch nicht. In Gemeinschaften hat nicht jeder Platz. Das ist verständlich und trotzdem ist es ein Schwachpunkt. Und auch wissen was sie tragen können… Das ist ein wichtiger Punkt. Das hängt von der Leitung ab, von der Stabilität der gesamten Gruppe. Eine ideale Gemeinschaft ist heute schwer zu realisieren. Z.B.Findhorn: Peter Caddy, das war ja ein Offizier, mit dieser Offizierskraft – entweder oder – hat er das durchgezogen. Und nur mit seiner Kraft und auf der inneren Basis von Eileen Caddy und einiger anderer Menschen. Seine Kraft gab die Richtung vor. Zig Leute kamen mit guten Ideen – von Gott eingegeben – zu ihm. Da sagte er ganz klar: „Nein, das paßt nicht zu uns.“ Aber es kam der Punkt, wo Peter erkannte – auch durch Krankheiten – er muß loslassen. Hinter dieser zunächst positiven Durchhaltekraft liegt die Gefahr der Erstarrung. Das ist bei vielen leitenden Personen so. Loslassen auf die Gefahr daß es schief geht, aber mit der Chance, daß etwas Neues entsteht. Nicht verhaftet sein, wie es die Buddhisten sagen. Welcher Lösungsbeitrag für die heutige soziale Situation könnte durch Gemeinschaften entstehen? Lebensgemeinschaften stellen noch kein Poten-tial dar. Dafür müßten sie mehr kommunizieren, mehr eigene Klarheit haben, wirklich eine Kraft sein. Beweisen, wie viele positive Qualitäten im Menschen lebendig werden. Beweisen, daß menschliche Konflikte anders und miteinander besser gelöst werden können. Die Lösungsmodelle sind einfacher: wenn mein Nachbar fast verhungert, kriegt er von anderen etwas. Traditionelle Gemeinschaften, wie z.B. buddhistische funktionieren wegen ihrer klaren Grundregeln, dem achtfachen Pfad oder den vier edlen Wahrheiten. Hier trägt diese alte Struktur, nicht die Auseinandersetzung: sind es auch meine Regeln? Wenn viele Gemeinschaften selbstbewußt zu sich selber stehen, offen kommunizieren und die eigenen Werte „marketingmäßig“ nach außen tragen, werden sie ein gesellschaftsveränderndes Potential sein. und es ist sicher ein Ziel, die Welt hereinzuholen und einen lebendigen Austausch stattfinden zu lassen… Von der Idee ist „Lebensgemeinschaft“ ein ganz offenes Modell. Zusammenziehen und auf dem Land wohnen ist leichter und günstiger. Es tut gut, mit allen Elementen, mit allen Rhythmen in der Natur zusammen zu sein. Das ist ein Potential an Lebenskraft. Aber ein Ableger in der Stadt hilft, Gegensätze aufzulösen. Viele Menschen haben Angst vor Sekten und Machtmißbrauch. Ist diese Angst berechtigt? Die Gefahr von Machtmißbrauch ist groß. Durch eine offene ehrliche Begegnung mit mir selbst und anderen kann diese Gefahr aufgefangen werden. Der Begriff Sekte hat eine starke Macht, aber keinen Inhalt. Alles was bedrohlich ist, wird als Sekte abgetan. Das kann ich zwar als primitiv abtun, aber ich habe damit zu tun. Da hilft nur, mit Liebe daran zu gehen, die Angst der Leute verstehen. Aufklären, sich öffnen, ehrlich und menschlich sein. Ich kenne Gemeinschaften, denen fehlt es an Geld und der materielle Überlebenskampf dominiert… Ja, die Spaltung zwischen arm und reich nimmt zu. Es gibt Menschen, die wollen Geld und Macht und sind konsequent darauf ausgerichtet. Die ziehen das Geld an. Die meisten spirituellen Menschen empfinden Geld als etwas Negatives. Dies verändert sich. Leider aus einer Reaktion heraus, nicht aus der Begeisterung für den Aufbau einer geistigen Kraft. Geld ist eine Grundkraft in unserem Leben. Geld ist undifferenzierte Lebenskraft. Das wirkliche Leben findet auf der Ebene Liebe, Zwischenmenschlichkeit und Kommunikation statt. Von dort gestalten wir das Konkrete und auch die finanzielle Ebene. Herzlichen Dank! 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