Mit Psychedelika unterwegs in der zweiten Lebenshälfte…

von Claude Weill

Wer ein Buch mit Porträts schreibt über Menschen nach der Lebensmitte, die sich seit vielen Jahren von Psychedelika (griechisch: die Seele offenbarende Substanzen) begleiten lassen oder sich früher begleiten ließen, muss sich – zumal wenn er ebenfalls in der zweiten Lebenshälfte steht – die Frage gefallen lassen, wie er es selber mit bewusstseinsverändernden Substanzen hält. Eine verfängliche Frage, denn auch der bloße Konsum von Psychedelika ist in der Schweiz und anderswo illegal. Außer man leidet an einer schweren physischen oder psychischen Erkrankung und darf deshalb bei einer medizinisch kontrollierten Studie mitmachen, bei welcher ein Arzt Psychedelika oder Empathogene (die Empathie verstärkende Substanzen) verabreicht. Zu dieser «Zielgruppe» gehöre ich nicht, und so kann ich – ohne mich strafbar zu machen – hier nur sagen, dass psychedelische und empathogene Substanzen mein Leben verändert haben.

Als ich – der in seiner Jugend kaum mehr als drei Joints geraucht hatte – im Alter von 53 zum ersten Mal LSD zu mir nahm, war das für mich eine Offenbarung. Seit diesem Erlebnis habe ich die Gewissheit, dass es – um mit Shakespeares Hamlet zu sprechen – in der Tat «mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt», als wir gemeinhin annehmen. Ich habe seither wiederholt psychedelische und empathogene Substanzen in geleiteten Gruppenritualen und später auch alleine für mich ausprobiert und erprobt.

Waren die vielen Substanzenreisen in den ersten Jahren «Inselerfahrungen» ohne nachhaltigen Bezug zu meinem Alltag, so veränderte sich das mit den Jahren sukzessive. Meine «Reisen» wurden weniger und vor allem nüchterner – weniger spektakulär. Mein Alltag ist hingegen eindeutig spiritueller geworden; in dem Sinne, dass ich mich mit der Welt im Guten wie im Schlechten stärker verbunden fühle, mich öfter als Teil eines größeren Ganzen erlebe, das anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegt als jenen meines Verstandes. Der langjährige Gebrauch von Psychedelika hat indes meinen Denkapparat nicht in dem Maße beeinträchtigt, dass diese Substanzen mir verunmöglicht hätten, rational über bewusstseinsverändernde Stoffe nachzudenken und ein Buch darüber zu schreiben. Im Folgenden das Beispiel einer Frau, deren Leben sich durch die Einnahme dieser Substanzen positiv verändert und vertieft hat.

Was passiert mit mir, wenn ich sterbe?
Ein Gespräch mit Lara T. (57)

„Die Wurzeln meiner Neugier für das menschliche Bewusstsein liegen wohl in meiner Jugend. Schon als Kind habe ich mich gefragt, woher ich komme und was mit mir passiert, wenn ich nicht mehr bin. Letztere Frage hat mich sehr geängstigt, und sie blieb ein Lebensthema, das mich lange umtrieb. Ich weiß noch, wie ich mit 14 Jahren eines Nachts voller Panik ob dieser Frage erwachte. Ich war damals sehr gläubig und verkehrte in einer evangelikalen Gruppierung. Die Antworten der religiösen Leiter auf meine Frage befriedigten mich aber nicht. Ebenso wenig wie ihre harschen Reaktionen auf mein Bekenntnis, ich würde mich zu Frauen hingezogen fühlen. Das warf in mir die Frage auf, ob es Gefühle gibt, die von Gott verurteilt werden und ergo falsch sind. Aus dieser Zeit stammt mein starker Drang herauszufinden, wie meine Gefühle aussehen, was menschliche Beziehungen und Verirrungen ausmacht und wie das menschliche Bewusstsein überhaupt beschaffen ist.

Ich wusste schon früh, dass ich in der Psychiatrie arbeiten wollte. Aber als es um die Berufswahl ging, sagte meine Mutter zu mir: ‚Werde zuerst Krankenschwester, dann weißt du, was du hast’. Eine weitere Ausbildung zur Pflegefachfrau Psychiatrie habe ich später angehängt. In der Klinik, in der ich arbeitete, wurde ich laufend mit den Themen konfrontiert, die mich selber beschäftigten. Der Gedanke, eine Psychotherapie zu machen, war irgendwann naheliegend. In der analytischen Gesprächstherapie, die ich dann begann, merkte ich bald, dass es einfach für mich war zu schummeln. Ich erzählte dem Therapeuten irgendetwas, nur nicht das, was mich wirklich beschäftigte. Zuallerletzt hätte ich ihm anvertraut, dass ich mich vor der Auslöschung und dem Nichts fürchtete. Der Gedanke, nicht mehr zu sein, erschreckte mich auch als Erwachsene nach wie vor zutiefst.

An tiefste Gefühle und Ängste herankommen

Ende zwanzig hörte ich den Vortrag eines Arztes und Psychotherapeuten über psycholytische Therapie. Da war mir mit einem Schlag klar, dass dies der Weg war, um an meine tiefsten Gefühle und Ängste heranzukommen. Ich brach meine analytische Therapie ab und besuchte fortan eine ärztlich delegierte Einzelgesprächs- und Gruppenpsychotherapie, in deren Verlauf wir dann auch mit Substanzen arbeiteten. Ganz legal übrigens – das waren die Jahre zwischen 1988 und 1993, als etliche Psychotherapeuten mit Bewilligung des BAG (Bundesamt für Gesundheit in der Schweiz) Drogentherapien durchführen durften. Meine Therapeuten setzten MDMA und LSD ein, einzeln oder kombiniert. In der ersten  Psychedelika Sitzung war ich absolut überfordert von den starken Bildern und Gefühlen, die auf mich einstürzten. Zum psycholytischen Setting gehörte, dass wir die Psychedelika protokollieren mussten und sie später im Einzelgespräch intensiv bearbeiteten. Ich hatte nach Sitzungen gelegentlich Flashbacks (Wiederaufflackern der Substanzwirkung) und war froh, dass ich meinen Therapeuten anrufen konnte. So intensiv die Therapie auch war, erhielten wir doch nicht mehr als dreimal im Jahr Substanzen verabreicht.

Meine Therapie dauerte fast vier Jahre. Auch nach Abschluss der Therapie blieb ich zurückhaltend, was die Häufigkeit der Psychedelika angeht. Und mit zwei Ausnahmen war ich immer in einer geleiteten Gruppe unterwegs. Auf meine große Frage, was mit mir passiert, wenn ich sterbe, hatte ich aber auf diesen Reisen noch immer keine Antwort erhalten. Stattdessen meldete sich in mir zunehmend der Wunsch, Erfahrungen mit Psychedelika in einem nichttherapeutischen Setting zu machen. Mit K. und S. lernte ich zwei psycholytisch geschulte Personen kennen, die das auch wollten. So entwickelte sich die Idee, Psychedelika mit mehr Selbstverantwortung der Teilnehmenden zu machen. Schon auf der ersten Reise in einer kleinen Gruppe fiel bei mir jener Druck weg, der im stark strukturierten psycholytischen Setting auf mir gelastet hatte. Ich konnte besser bei mir bleiben und erlebte mich den anderen gegenüber offener und authentischer.

Der Angst vor Kontrollverlust begegnen

In den vergangenen zwei Jahren lernte ich schließlich mit LSD und MDMA jenen Raum kennen, wo nichts mehr ist außer Stille und Leere. Auch keine Angst vor der Auslöschung und dem ‚Nicht-mehr-Sein’. Ich wollte mit meinem sturen Schädel mein Leben lang alles kontrollieren. Kein Wunder, dass ich derart Angst vor dem Sterben, diesem finalen ‚Kontrollverlust’ hatte. Ich hätte es aus meiner Meditationserfahrung schon lange wissen können: Die angemessene Art, mit Angst umzugehen, ist, auf sie nicht zu reagieren, dieser Energie keinen Namen zu geben, sie nur zu beobachten. In den letzten Sitzungen konnte ich diesen Zustand zulassen und akzeptieren.

Auch im Alltag denke ich immer wieder einmal: ‚Jetzt könntest du gehen’. In solchen Momenten bin ich mit meinem innersten Kern verbunden – beziehungsweise mit etwas, das größer ist als ich. Diese Erfahrungen helfen mir im Umgang mit meiner Mutter, die im Altersheim lebt und versucht, mit dem Verlust der Orientierung in ihrem Leben fertig zu werden. Ich überlege mir, wie es für sie ist, nicht mehr klar denken zu können. Wie muss sich das für meine Mutter anfühlen, dass nichts mehr eine Ordnung hat, nichts mehr geht? Sie sitzt vor ihrer Zahnbürste und weiß nicht, was sie damit tun soll. In diesen Momenten denke ich: «Zum Glück habe ich Substanzenreisen gemacht und weiß, dass es neben dem Denken und dem Verstand noch etwas anderes gibt.»

Psychedelika – Nutzen für den Alltag

Ob mir meine Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden Psychedelika im Umgang mit den Klienten und Klientinnen in meiner Naturheilpraxis helfen, kann ich schlecht von anderen Einflüssen trennen. Ich habe ja viel gelesen, mich über Jahre mit der Naturmedizin, mit Heilen, der Psychiatrie und mit spirituellen Fragen befasst. Im Pflegeunterricht an der Berufsschule ist es anders, da kommt mir meine Selbsterfahrung von den Reisen klar zugute, wenn es um das Thema Bewusstseinsveränderungen bei Patienten geht. Selbsterfahrung wird ja im Lehrplan und auch bei den Praxiseinsätzen im Studium für Pflegefachpersonen, die im psychiatrischen Kontext arbeiten, nicht mehr gefragt und ermöglicht. Existenzielle Fragen, die sich jede und jeder Studierende stellen müsste, werden nicht gestellt. Etwa: ‚Was macht das Leiden des Patienten mit mir? Habe ich auch schon Bewusstseinstrübungen (oder -erweiterungen) gehabt? Wie kann ich mich besser in die Patienten hineinversetzen?’

Diese Fragen kommen meiner Meinung nach heute zu kurz. Dabei wäre das Interesse der Studierenden oft vorhanden. Manche haben schon von substanzengestützten Therapien bei posttraumatischen Patienten gehört. Sie wissen, dass es Studien dazu gibt. Ich ermuntere sie, sich auf den entsprechenden Websites genauer zu informieren. Wenn sie mich fragen, ob ich eigene Substanzerfahrungen habe, dann bejahe ich dies situationsangepasst und zurückhaltend.

Spiritualität durch Psychedelika ist erfahrbar geworden

Wenn wir über veränderte Bewusstseinszustände sprechen oder das Thema Demenz bearbeiten, mache ich mit meinen Schülern ab und zu Meditationsübungen, unterstützt durch ausgewählte Musik. Sie sollen sich vorstellen, wie es ist, wenn man sich zum Beispiel nicht mehr orientieren kann. Durch eine anschließende Zeichnung und im Gespräch mit der Gruppe will ich den Studierenden ermöglichen, sich über ihre körperlichen und seelischen Reaktionen während dieser Erfahrung auszutauschen. Meine Kenntnisse helfen mir auch, wenn Studierende mit eigenen Problemen zu mir kommen. Ich frage sie dann zum Beispiel: ‚Wie kannst du, ohne dass du dein Problem verdrängen musst, mit den Patienten arbeiten?’ In solchen Situationen bringe ich Erfahrungen aus meiner Therapie ein, ohne dass ich das explizit sagen muss. Manchmal empfehle ich Studierenden, eine Therapie zu machen. Vielleicht findet dann jemand auch den Weg zu Therapeuten, die in der Psycholyse erfahren sind.

Ich reise heute mit niedrigeren Dosierungen und weniger oft. Früher lautete meine Devise eher, ‚es darf es bitzeli meh sii’. Unterdessen bin ich vorsichtiger geworden, ich möchte nicht auf einer Substanzenreise eine körperliche Krise wie zum Beispiel eine Hyperthermie erleiden. Psychisch abhängig bin ich nie gewesen; zum Teil legte ich zwischen den Trips Pausen ein von mehreren Jahren. Die früheren hohen Dosierungen brauche ich nicht mehr. Ich denke, mein Körper weiß mittlerweile, wie er auch ohne Hochdosierungen in erweiterte Bewusstseinszustände gelangt. Gerne reise ich auch in einer Gruppe mit, ohne selber Psychedelika zu nehmen. Zusammen mit Magnesium vertrage ich MDMA-Reisen nach wie vor gut, am Tag danach fühle ich mich allerdings meistens ziemlich zerschlagen.

Geborgen in mir selbst

Ich bevorzuge deshalb LSD, das hat keine Nebenwirkungen. Was sich im Laufe der Jahre auch verändert hat, ist, dass ich unter der Wirkung von MDMA nicht mehr groß das Bedürfnis verspüre, auf andere zuzugehen (wenn es sich ergibt, ist es aber auch O.K). Früher gehörten das Kuscheln, Umarmen und Herzen in einer bestimmten Phase des Trips einfach dazu. Heute fühle ich mich geborgen in mir selber. Gut, vielleicht müsste ich da mal noch genauer hinschauen: ‚Du hast ja auch im Alltag keine feste Partnerschaft, möglicherweise vermeidest du Nähe, lebst etwas nicht.’ Doch mein Leben ist erfüllt und ich vermisse heute nichts. Ich glaube: Dinge, die für mich wichtig sind, melden sich bei mir. Dass ich als Jugendliche in eine evangelikale Gruppe eintrat, hatte auch mit meiner spirituellen Neugier zu tun. Mit den Psychedelika ist Spiritualität für mich erfahrbar geworden; mein Herz weiß jetzt, dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als der Verstand sich vorstellen kann.

Auf meiner letzten Substanzenreise in den Bergen schaute ich auf das Panorama all der Viertausender und meine Ahnen zogen an mir vorüber, die ganze Welt in ihrem Entstehen und Vergehen, der ewige Kreislauf des Lebens. Ich saß da und wusste, genau so ist es, das ist zutiefst wahr. Auch ich kehre in anderer Form wieder und wieder. Das Rad dreht sich, und ich bin Teil davon’. Solche Erkenntnisse lassen sich nur schwer an Menschen vermitteln, die diese Erfahrungen nicht kennen.

Psychedelika als Begleitung beim Sterben

Ich kann mir vorstellen, bei unerträglichen Schmerzen LSD oder MDMA zu nehmen. Wenn du Schmerzen hast, nimmst du ja auch Schmerzmittel. Weshalb nicht etwas, das besser ist als Morphium mit seinen unangenehmen Nebenwirkungen? Auch mit Hilfe von Substanzen den Übergang zu vollziehen ist für mich denkbar. Wahrscheinlich dann, wenn ich das Gefühl hätte, das Leben ist nicht mehr aushaltbar und ich profitiere nicht mehr davon für meine Weiterentwicklung. Da ich meine Trips stets sehr bewusst erlebe, hoffe ich, dass ich dereinst bei klarem Bewusstsein sterben kann. Natürlich weiß ich nicht, wie es dann sein wird.

Ich wünsche mir, diesen Moment ruhig angehen zu können und wie im bisherigen Leben auch das Sterben Atemzug um Atemzug – bis zum letzten – erfahren zu können. Ich gehe davon aus, dass die Dimensionen, die mir die Substanzen erschlossen haben, sich nicht fundamental unterscheiden von jenen, die ich beim Sterben betreten werde. Die Angst kann selbstverständlich in diesem Moment wieder aufkommen. Aber es beruhigt mich, von einem Mittel zu wissen, das so viel Gutes getan hat für mich. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich mit Hilfe von Psychedelika diese Räume entdecken durfte. Ich empfinde sie als lebenslange, hilfreiche Begleiter. Mein Leben hat durch sie an Tiefe und Verbundenheit gewonnen.“

Lara T. ist 1961 geboren und wuchs zusammen mit ihrer Schwester im Kanton Bern auf. Nach der obligatorischen Schulzeit lernte sie zuerst Pflegefachfrau, erst in der Somatik und nach einigen Berufsjahren auch in der Psychiatrie. 2007 ließ sie sich zur Naturärztin ausbilden und heute führt sie in der Ostschweiz eine eigene Praxis. Sie unterrichtet zudem an einer Berufsschule im psychiatrischen Kontext angehende Pflegefachleute. Lara T. lebt mit Freunden zusammen in einer Hausgemeinschaft. Sie meditiert regelmäßig, bewegt sich häufig in der Natur, wo sie immer neue Heilpflanzen für ihre Praxis findet.

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*